Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.405/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_405/2008 /len

Urteil vom 11. November 2008
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Rottenberg Liatowitsch, Kiss,
Gerichtsschreiber Gelzer.

Parteien
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Marco Pool,

gegen

B.________,
Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas Schütt.

Gegenstand
Arbeitsvertrag,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts
von Graubünden, Kantonsgerichtsausschuss,
vom 27. Mai 2008.

Sachverhalt:

A.
B.________ (Arbeitnehmer) arbeitete vom 22. Oktober 2006 bis zum 9. November
2006 als Taxichauffeur bei A.________ (Arbeitgeber). Für die Zeit vom 1.
Dezember 2006 bis zum 20. März 2007 schlossen die Parteien einen schriftlichen
befristeten Arbeitsvertrag.
Vom 25. bis 28. Januar 2007 fand in St. Moritz die Bob-Weltmeisterschaft (WM)
statt. Der Arbeitnehmer behauptete, mit dem Arbeitgeber vereinbart zu haben,
dass er während diesen Tagen für die Bob-WM tätig sein dürfe, falls er einen
Ersatzchauffeur vermittle. Am Morgen des 26. Januar 2007 erschien der
Arbeitnehmer nach mehreren Telefongesprächen um 12.30 Uhr beim Arbeitgeber. Als
der Arbeitnehmer nicht zusicherte, an den beiden folgenden Tagen als
Taxichauffeur für den Arbeitgeber zu arbeiten, forderte dieser ihn auf, die
Autoschlüssel abzugeben. Am 27. Januar 2007 ermahnte der Arbeitgeber auf dem
Gelände der Bob-WM den dort tätigen Arbeitnehmer, seine Arbeit als
Taxichauffeur wieder aufzunehmen. Der Arbeitnehmer weigerte sich jedoch, dies
während der WM zu tun. Mit Schreiben vom 29. Januar 2007 liess er dem
Arbeitgeber mitteilen, dass er seine Dienste als Taxichauffeur vertragsgemäss
bis zum 20. März 2007 anbiete, und den Arbeitgeber auffordern, ihm Fahraufträge
zu erteilen. Der Arbeitgeber kam dieser Aufforderung nicht nach.

B.
Am 4. April 2007 klagte der Arbeitnehmer beim Vermittleramt des Kreises
Oberengading gegen den Arbeitgeber mit den Begehren, dieser sei zu
verpflichten, ihm brutto Fr. 6'360.-- zuzüglich 5 % Zins seit dem 26. Februar
2007 sowie Fr. 1'384.-- zuzüglich Zins zu 5 % seit 1. November 2006 zu zahlen
und innert 10 Tagen seit Zahlung dem Arbeitnehmer eine Abrechnung über die
abgezogenen Sozialversicherungsbeiträge zuzustellen. Nach erfolgloser
Vermittlungsverhandlung prosequierte der Arbeitnehmer die Klage beim
Bezirksgerichtsausschuss Maloja und reduzierte sie später um Fr. 1'384.--.
Mit Urteil vom 6. Februar 2008 wies der Bezirksgerichtsausschuss Maloja die
Klage ab. Er nahm an, der Arbeitnehmer habe durch die Arbeitsverweigerung
konkludent eine fristlose Kündigung ausgesprochen. Auf Beschwerde des
Arbeitnehmers hin verpflichtete das Kantonsgericht von Graubünden mit Urteil
vom 27. Mai 2008 den Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer Fr. 4'730.-- (brutto) nebst
5 % Zins seit dem 26. Februar 2007 zu bezahlen, auf dem Betrag von Fr. 5'480.--
die ordentlichen Sozialabzüge abzuführen und dem Arbeitnehmer innert 10 Tagen
seit Zahlung der Sozialabgaben darüber eine Abrechnung zuzustellen.
Zur Begründung führte das Kantonsgericht zusammengefasst aus, der Arbeitnehmer
habe seine Freistellung während der Dauer der WM nicht nachweisen können. Eine
fristlose Kündigung des Arbeitnehmers sei zu verneinen, da klar gewesen sei,
dass dieser nur während des WM-Wochenendes fehlen, aber nicht das
Arbeitsverhältnis fristlos beenden wollte. Der Arbeitgeber habe ebenfalls keine
fristlose Kündigung ausgesprochen, bzw. eine solche zurückgezogen, weshalb er
die ab dem 29. Januar 2007 angebotene Arbeit des Arbeitnehmers zu Unrecht
abgelehnt habe. Da ein Annahmeverzug des Arbeitgebers vorliege, habe dieser den
Lohn bis zum vereinbarten Ende des Arbeitsvertrages zu bezahlen.

C.
Der Arbeitgeber erhebt Beschwerde in Zivilsachen und subsidiäre
Verfassungsbeschwerde mit den Anträgen, das Urteil des Kantonsgerichts vom 27.
Mai 2008 sei aufzuheben, und die Klage sei abzuweisen.
Der Arbeitnehmer beantragt, auf die Beschwerde in Zivilsachen sei nicht
einzutreten, eventualiter sei sie abzuweisen; die subsidiäre
Verfassungsbeschwerde sei abzuweisen. Das Kantonsgericht schliesst auf
Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.

Erwägungen:

1.
1.1 In arbeitsrechtlichen Fällen ist die Beschwerde in Zivilsachen
grundsätzlich nur zulässig, wenn der Streitwert mindestens Fr. 15'000.--
beträgt (Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG). Dies trifft im vorliegenden Fall nicht zu.

1.2 Wird der massgebende Streitwert nicht erreicht, ist die Beschwerde
ausnahmsweise dennoch zulässig, wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher
Bedeutung stellt (Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG). Diese Bedeutung ist zu bejahen,
wenn ein allgemeines Interesse an einer höchstrichterlichen Klärung einer
umstrittenen Rechtsfrage besteht (BGE 134 III 354 E. 1.3).

1.3 Der Beschwerdeführer macht geltend, es stelle sich eine Rechtsfrage von
grundsätzlicher Bedeutung, da das Kantonsgericht Beweismittel willkürlich
gewürdigt, Art. 343d OR verletzt und die Wirkungen einer ausgesprochenen
Kündigung bundesrechtswidrig bestimmt habe.

1.4 Aus diesen Ausführungen geht nicht hervor, welche der Klärung bedürftige
Rechtsfragen durch das Bundesgericht beantwortet werden sollen, weshalb auf die
Beschwerde in Zivilsachen nicht einzutreten ist. Gestützt auf Art. 113 und Art.
119 BGG ist damit die gleichzeitig erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde
zulässig.

2.
2.1 Mit der Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, das
Kantonsgericht habe gegen Art. 9 BV verstossen.

2.2 Gemäss Art. 9 BV hat jede Person Anspruch darauf, von den staatlichen
Organen ohne Willkür behandelt zu werden. Willkürlich ist ein Entscheid nicht
schon, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar
vorzuziehen wäre, sondern erst, wenn er offensichtlich unhaltbar ist. Dies
trifft namentlich zu, wenn er zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch
steht oder eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt.
Willkür liegt nur vor, wenn nicht bloss die Begründung eines Entscheids,
sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 131 I 57 E. 2; 127 I 54 E. 2b; 124
IV 86 E. 2a). Im Bereich der Beweiswürdigung steht den kantonalen Gerichten ein
erheblicher Ermessensspielraum zu. Die Beweiswürdigung ist daher nur
willkürlich, wenn ein Gericht sein Ermessen missbraucht, indem es zum Beispiel
offensichtlich unhaltbare Schlüsse zieht oder erhebliche Beweise übersieht (BGE
129 I 8 E. 2.1. S. 9; 120 Ia 31 E. 4b S. 40, mit Hinweisen).

2.3 Im Einzelnen rügt der Beschwerdeführer, das Kantonsgericht sei in Willkür
verfallen, wenn es festgestellt habe, es sei klar gewesen, dass der
Beschwerdegegner nur das fragliche Wochenende habe fehlen, das
Arbeitsverhältnis aber nicht definitiv habe beenden wollen. Der
Beschwerdegegner habe sich am Samstag den 27. Januar 2007 trotz der Mahnung des
Beschwerdeführers geweigert, die Arbeit sofort aufzunehmen und diesem zudem den
Stinkefinger gezeigt. Diese beiden Tatsachen liessen nur den Schluss zu, der
Beschwerdegegner werde nicht an seinen Arbeitsplatz zurückkehren.

2.4 Entgegen der Annahme des Beschwerdeführers ist es nicht unhaltbar
anzunehmen, der Beschwerdegegner habe seine Arbeit nur während seiner Tätigkeit
für die Bob-WM verweigern wollen, zumal er den Beschwerdeführer über diese
Tätigkeit informiert hatte und der Beschwerdegegner nach Abschluss der WM seine
Arbeit wieder anbot. Daran vermag das Zeigen des Stinkefingers nichts zu
ändern. Dieser Geste kann bezüglich der beabsichtigten Dauer der
Arbeitsverweigerung keine eindeutige Bedeutung zugemessen werden. Der Vorwurf
der willkürlichen Beweiswürdigung erweist sich damit als unbegründet.

3.
3.1 Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, die Feststellung des
Kantonsgerichts, die von ihm ausgesprochene fristlose Kündigung sei in
beidseitigem Einverständnis zurückgenommen worden, gebe keinen Sinn und sei
aktenwidrig. Er habe immer bestritten, eine solche Kündigung ausgesprochen zu
haben.

3.2 Auch das Kantonsgericht ging gemäss den Angaben der Parteien davon aus, der
Beschwerdeführer habe das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt. Lediglich für den
Fall, dass der Beschwerdegegner aus dem Verhalten des Beschwerdeführers auf
eine solche Kündigung hätte schliessen müssen, stellte es fest, diese sei im
gegenseitigen Einverständnis zurückgenommen worden. Dieser Eventualbegründung
kommt somit keine entscheiderhebliche Bedeutung zu, weshalb auf die dagegen
gerichtete Willkürrüge des Beschwerdeführers nicht einzutreten ist.

4.
Nach dem Gesagten ist auf die Beschwerde in Zivilsachen nicht einzutreten und
die subsidiäre Verfassungsbeschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Gemäss dem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 65 Abs. 4 lit. c und Art. 66 Abs. 1 BGG), der zudem den
Beschwerdegegner für das Verfahren vor Bundesgericht zu entschädigen hat (Art.
68 Abs. 2 BGG). Dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist gutzuheissen,
da er bedürftig ist und sich sein Standpunkt nicht als aussichtslos erwies
(Art. 64 Abs. 1 BGG). Ferner ist er für das vorliegende Verfahren auf
rechtskundige Vertretung angewiesen, weshalb Rechtsanwalt Thomas Schütt als
unentgeltlicher Rechtsvertreter zu bestimmen ist. Im Fall der
Uneinbringlichkeit der zugesprochenen Entschädigung ist ihm diese aus der
Bundesgerichtskasse zu entrichten (Art. 64 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde in Zivilsachen wird nicht eingetreten.

2.
Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

3.
Das Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Rechtspflege wird
gutgeheissen, und Rechtsanwalt Thomas Schütt wird als unentgeltlicher
Rechtsvertreter ernannt.

4.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

5.
Der Beschwerdeführer hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. Bei Uneinbringlichkeit wird dieser
Betrag Rechtsanwalt Thomas Schütt aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet.

6.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden,
Kantonsgerichtsausschuss, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. November 2008
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Corboz Gelzer