Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.380/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_380/2008 /len

Urteil vom 10. September 2008
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Klett, Kiss,
Gerichtsschreiberin Feldmann.

Parteien
A.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Philip Stolkin,

gegen

Kantonsgericht von Graubünden.

Gegenstand
Unentgeltliche Rechtspflege,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts
von Graubünden, Kantonsgerichtsausschuss,
vom 7. Juli 2008.

Sachverhalt:

A.
Im Februar 2008 reichte A.________ (Beschwerdeführerin) beim Bezirksgericht
Albula Klage gegen B.________ ein und beantragte in der Hauptsache, ihn im
Rahmen einer Teilklage zu verpflichten, ihr eine Genugtuung von mindestens Fr.
80'000.-- nebst 5 % Zins seit 2. Oktober 2005 zu zahlen. Gleichzeitig ersuchte
die Beschwerdeführerin um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege sowie
eines unentgeltlichen Rechtsbeistands. Mit Entscheid vom 25. April 2008 wies
das Bezirksgerichtspräsidium Albula das Begehren der Beschwerdeführerin um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ab. Es stellte fest, dass für die
Beschwerdeführerin und die beiden Kinder aus der monatlichen Rente ihres
Ehemannes ein Betrag von Fr. 1'900.-- verbleibe, der nicht ausreiche, neben dem
Lebensunterhalt einen Prozess zu finanzieren. Infolge der Vermögensverhältnisse
der Beschwerdeführerin verneinte das Bezirksgerichtspräsidium Albula jedoch
ihre Bedürftigkeit, da sie neben einem je zur Hälfte im Miteigentum mit dem
Ehemann befindlichen Haus in Portugal mit einem Wert von rund EUR 72'000.--
über ein Bankguthaben in der Höhe von Fr. 70'527.-- verfüge. Angesichts des
Barvermögens könne die Beschwerdeführerin die Kosten von bis ca. Fr. 40'000.--
im Falle des Unterliegens tragen; es verbleibe ihr noch ein ansehnlicher Betrag
zur freien Verfügung.

B.
Das Kantonsgericht von Graubünden schützte den Entscheid des
Bezirksgerichtspräsidiums Albula vom 25. April 2008 und wies die von der
Beschwerdeführerin dagegen erhobene Beschwerde mit Urteil vom 7. Juli 2008 ab.
Das Kantonsgericht bezifferte den Streitwert mit unter Fr. 30'000.--; die vom
Bezirksgerichtspräsidium Albula angeführten von der Beschwerdeführerin im Falle
des Unterliegens zu tragenden Verfahrenskosten von Fr. 40'000.-- erachtete es
als zu hoch gegriffen. Entsprechend führte das Kantonsgericht in der
Rechtsmittelbelehrung aus, dass gegen den Entscheid Beschwerde in Zivilsachen
erhoben werden könne, falls sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung
stelle (Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG). Andernfalls sei die subsidiäre
Verfassungsbeschwerde gegeben (Art. 113 ff. BGG).

C.
Mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde beantragt die Beschwerdeführerin beim
Bundesgericht im Wesentlichen, der kantonsgerichtliche Entscheid vom 7. Juli
2008 sei aufzuheben und das Bezirksgericht Albula anzuweisen, das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege gutzuheissen. Sie rügt eine Verletzung von Art. 9,
Art. 29 Abs. 3, Art. 29a BV, Art. 6 Abs. 1 und Art. 14 EMRK sowie Art. 14
UNO-Pakt II. Die Beschwerdeführerin ersucht sodann, es sei ihr für das
bundesgerichtliche Verfahren ebenso die unentgeltliche Rechtspflege samt
Beiordnung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands zu gewähren.
Die Verfahrensakten wurden beigezogen. Es wurde keine Vernehmlassung eingeholt.

D.
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um Gewährung der aufschiebenden Wirkung wurde
mit Verfügung vom 28. August 2008 abgewiesen.

Erwägungen:

1.
1.1 Das Bundesgericht überprüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob
ein Rechtsmittel zulässig ist (BGE 134 III 115 E. 1 S. 117, 379 E. 1 S. 381).

1.2 Der angefochtene Entscheid des Kantonsgerichts von Graubünden ist ein in
einem hängigen kantonalen Verfahren ergangener letztinstanzlicher
Zwischenentscheid über die unentgeltliche Rechtspflege. Solche Entscheide
bewirken in der Regel einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil im Sinne von
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (BGE 129 I 129 E. 1.1 S. 131 mit Hinweis). Bei
Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg jenem der Hauptsache (Urteil 5A_108/
2007 vom 11. Mai 2007 E. 1.2). Der Streitwert bestimmt sich gemäss Art. 51 Abs.
1 lit. c BGG nach den Begehren, die vor der Instanz streitig sind, wo die
Hauptsache hängig ist und nicht - wie die Vorinstanz irrtümlicherweise annahm -
nach den von der Beschwerdeführerin im Falle des Unterliegens in der Hauptsache
zu übernehmenden Verfahrenskosten, welche mit unter Fr. 30'000.-- beziffert
wurden. Die Hauptsache betrifft vorliegend eine Genugtuungsforderung (Art. 72
Abs. 1 BGG) mit einem Streitwert über Fr. 30'000.-- (Art. 74 Abs. 1 lit. b
BGG), weshalb die Beschwerde in Zivilsachen zulässig ist; diese steht damit
auch gegen den Zwischenentscheid über die unentgeltliche Rechtspflege offen. Da
die Voraussetzungen der Beschwerde in Zivilsachen gegeben sind, ist die
subsidiäre Verfassungsbeschwerde unzulässig (Art. 113 BGG).

1.3 Gestützt auf die Rechtsmittelbelehrung hat die Beschwerdeführerin gegen den
Entscheid der Vorinstanz subsidiäre Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht
erhoben. Die Rechtsmittelbelehrung der Vorinstanz beruht jedoch auf der
unzutreffenden Annahme, dass der Streitwert unter Fr. 30'000.-- beträgt und
besagt, dass gegen den Entscheid die Beschwerde in Zivilsachen an das
Bundesgericht erhoben werden könne, sofern sich eine Rechtsfrage von
grundsätzlicher Bedeutung stelle (Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG), ansonsten sei die
subsidiäre Verfassungsbeschwerde zu erheben. Da der Streitwert in der
Hauptsache vorliegend aber Fr. 30'000.-- übersteigt, ist nicht die subsidiäre
Verfassungsbeschwerde, sondern einzig die Beschwerde in Zivilsachen gegeben und
zwar unabhängig davon, ob sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung
stellt.
Gemäss Art. 49 BGG dürfen den Parteien aus mangelhafter Eröffnung, insbesondere
wegen unrichtiger oder unvollständiger Rechtsmittelbelehrung oder wegen Fehlens
einer vorgeschriebenen Rechtsmittelbelehrung, keine Nachteile erwachsen. Da die
Beschwerdeführerin die Verletzung verfassungsmässiger Rechte rügt, die gemäss
Art. 95 ff. BGG ebenfalls mit Beschwerde in Zivilsachen vorgebracht werden
können, und sämtliche Prozessvoraussetzungen erfüllt sind, ist die
Verfassungsbeschwerde vorliegend als Beschwerde in Zivilsachen entgegenzunehmen
(vgl. zur Konversion von Rechtsmitteln BGE 134 III 379 E. 1.2 S. 382 f.; 131 I
291 E. 1.3 S. 296). Der Beschwerdeführerin erwächst somit kein Nachteil aus der
mangelhaften Eröffnung des Entscheids der Vorinstanz.

2.
2.1 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Es prüft unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der
Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) grundsätzlich nur die geltend gemachten
Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist
jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich
stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht
nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254 mit Hinweisen).
Eine qualifizierte Rügepflicht gilt hinsichtlich der Verletzung von
Grundrechten und von kantonalem sowie interkantonalem Recht. Das Bundesgericht
prüft eine solche Rüge nur insofern, als sie in der Beschwerde präzise
vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E.
1.4.2 S. 254).

2.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Überdies muss die Behebung des Mangels für
den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG). Soweit es um
die Frage geht, ob der Sachverhalt willkürlich oder unter verfassungswidriger
Verletzung einer kantonalen Verfahrensregel ermittelt worden ist, sind strenge
Anforderungen an die Begründungspflicht der Beschwerde gerechtfertigt.
Entsprechende Beanstandungen sind vergleichbar mit den in Art. 106 Abs. 2 BGG
genannten Rügen (BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 f.). Neue Tatsachen und
Beweismittel dürfen im bundesgerichtlichen Verfahren nur so weit vorgebracht
werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt, was in der
Beschwerde näher darzulegen ist (Art. 99 Abs. 1 BGG; vgl. BGE 133 III 393 E. 3
S. 395).

3.
3.1 Die Vorinstanz stellte hinsichtlich des Vermögens der Beschwerdeführerin
auf die Angaben des Bezirksgerichtspräsidiums ab, welches festgestellt hatte,
dass die Beschwerdeführerin nach eigenen Angaben über ein Bankguthaben von rund
Fr. 70'000.-- sowie ein Haus in Portugal verfüge. Aufgrund des Barvermögens
verneinte die Vorinstanz mit dem Bezirksgerichtspräsidium die Bedürftigkeit der
Beschwerdeführerin. Die Frage, ob das Haus in Portugal zur Finanzierung des
Prozesses belastet bzw. verkauft werden müsse, liess es offen.

3.2 Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz vor, ihr Entscheid sei
willkürlich; sie habe den Betrag von Fr. 70'000.-- fälschlicherweise als
verfügbares Vermögen betrachtet. Dabei handle es sich jedoch um den Restbetrag
der ihrem Ehemann ausbezahlten Integritätsentschädigung, die - wie die
Vorinstanz zu Recht erwogen habe - bei der Berücksichtigung des Vermögens der
Beschwerdeführerin ausser Betracht falle. Dennoch sei der Betrag von Fr.
70'000.-- berücksichtigt worden. Die Vorinstanz hätte aufgrund der Ausführungen
der Beschwerdeführerin wissen müssen, dass die Fr. 70'000.-- aus der
Integritätsentschädigung ihres Ehemannes stammten.

3.3 Indem die Beschwerdeführerin erstmals in der Beschwerde an das
Bundesgericht ausführt, der Betrag von Fr. 70'000.-- stelle einen Teil der
Integritätsentschädigung ihres Ehemannes dar, vermag sie keine offensichtlich
unrichtige Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz dartun, da diese
Tatsachenbehauptung neu ist und keine Rede davon sein kann, dass erst der
Entscheid der Vorinstanz Anlass gegeben hätte, sich darauf zu berufen (Art. 99
Abs. 1 BGG). Vielmehr geht bereits aus dem Entscheid des
Bezirksgerichtspräsidiums hervor, dass das Bankguthaben der Beschwerdeführerin
über Fr. 70'000.-- als verfügbares Vermögen und nicht als Teilbetrag der
Integritätsentschädigung ihres Ehemannes betrachtet wurde. Entgegen ihren
Ausführungen legte die Beschwerdeführerin vor der Vorinstanz nicht dar, sie
habe auf die Integritätsentschädigung greifen müssen, um die Spitalkosten ihres
Ehemannes zu bezahlen, da die Leistungen der SUVA nicht genügten. Sie
beschränkte sich vielmehr darauf zu erwähnen, dass der Freibetrag von Fr.
70'000.-- zur Deckung des Lebensunterhalts, allenfalls der Spitalkosten
vorgesehen sei, "also in keinem Fall von einer freistehenden Geldsumme
ausgegangen werden" könne; dass es sich dabei um einen Teil der
Integritätsentschädigung ihres Ehemannes handle, erwähnte sie mit keinem Wort
und kann aus ihren Ausführungen auch nicht sinngemäss geschlossen werden. Der
Vorinstanz ist unter diesen Umständen keine willkürliche
Sachverhaltsfeststellung vorzuwerfen, wenn sie den Barbetrag von Fr. 70'000.--
nicht als Teilbetrag der Integritätsentschädigung betrachtete, sondern von
einem verfügbaren Vermögen in diesem Umfang ausging. Die Frage, ob das Haus in
Portugal belastet bzw. verkauft werden müsste, kann daher auch vor
Bundesgericht offen bleiben.

4.
Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz sodann vor, den Anspruch auf
unentgeltliche Rechtspflege (Art. 29 Abs. 3 BV) sowie auf ein faires Verfahren
(Art. 6 EMRK), die Rechtsweggarantie (Art. 29a BV), Art. 14 EMRK und Art. 14
UNO-Pakt II verletzt sowie die Art. 42 ff. ZPO/GR über die unentgeltliche
Rechtspflege willkürlich angewendet zu haben (Art. 9 BV). Zur Begründung stützt
sie sich einzig auf die geltend gemachte offensichtlich unrichtige
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz, wonach der Betrag von Fr. 70'000.--
frei verfügbares Vermögen bilde. Diese hat sich jedoch als unbegründet
erwiesen, und das Bundesgericht ist an den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt gebunden (Art. 105 Abs. 1 BGG). Da die Beschwerdeführerin nicht
darlegt, inwiefern die Vorinstanz darüber hinaus die von ihr angeführten
Bestimmungen verletzt haben soll, ist auf die Beschwerde mangels genügender
Begründung nicht einzutreten (Art. 42 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 106 Abs. 2
BGG).

5.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde, die als Beschwerde in Zivilsachen
entgegenzunehmen ist, abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die
Beschwerdeführerin hat auch für das Verfahren vor Bundesgericht um Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege ersucht. Das Bundesgericht befreit eine
Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der
Bezahlung der Gerichtskosten und von der Sicherstellung der
Parteientschädigung, sofern ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint.
Nötigenfalls kann ihr ein Rechtsanwalt beigegeben werden (Art. 64 Abs. 1 und 2
BGG). Aussichtslos sind nach konstanter Rechtsprechung Begehren, für welche die
Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und deshalb
kaum als ernsthaft bezeichnet werden können (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135; 125
II 265 E. 4b S. 275). Vorliegend verkennt die Beschwerdeführerin die Rechtslage
und ihre Begehren erschienen von Anfang an als aussichtslos im Sinne von Art.
64 BGG. Es ist ihr daher für das bundesgerichtliche Verfahren die
unentgeltliche Rechtspflege zu verweigern, ohne dass ihre Bedürftigkeit zu
prüfen ist. Ausgangsgemäss sind ihr die Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66
Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das
bundesgerichtliche Verfahren wird abgewiesen.

2.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Kantonsgericht von
Graubünden, Kantonsgerichtsausschuss, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. September 2008

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Corboz Feldmann