Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.231/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_231/2008 /len

Urteil vom 27. Juni 2008
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Klett, Rottenberg Liatowitsch,
Gerichtsschreiberin Feldmann.

Parteien
A.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Fürsprech Dr. Urs Tschaggelar,

gegen

Obergericht des Kantons Luzern, Justizkommission.

Gegenstand
Unentgeltliche Rechtspflege,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern,
Justizkommission, vom 9. April 2008.

Sachverhalt:

A.
Am 7. Dezember 2007 beantragte A.________ (Beschwerdeführerin) beim Amtsgericht
Luzern-Stadt, die X.________ AG habe ihr einen Fr. 50'000.-- übersteigenden
Betrag nebst Zins zu 5 % seit 1. August 2007 zu bezahlen und ersuchte
gleichzeitig um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege sowie eines
unentgeltlichen Rechtsbeistands. Mit Entscheid vom 28. Februar 2008 wies der
delegierte Richter des Amtsgerichtspräsidenten I von Luzern-Stadt das Begehren
der Beschwerdeführerin um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ab. Er
verneinte ihre Bedürftigkeit, da seine Berechnung ihres Notbedarfs einen
monatlichen Einkommensüberschuss von Fr. 774.--, ab 1. Juni 2008 von Fr.
1'074.-- ergab.

B.
Den von der Beschwerdeführerin erhobenen Rekurs gegen den Entscheid des
Amtsgerichtspräsidenten wies die Justizkommission des Obergerichts des Kantons
Luzern mit Entscheid vom 9. April 2008 ab. Das Obergericht berichtigte zwar die
Berechnung des monatlichen Einkommensüberschusses auf Fr. 574.-- bzw. auf Fr.
874.-- ab 1. Juni 2008, erachtete jedoch die Bedürftigkeit der
Beschwerdeführerin dennoch als nicht erwiesen.

C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beschwerdeführerin, die Entscheide
des Obergerichts des Kantons Luzern sowie des Amtsgerichtspräsidenten seien
aufzuheben und das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege sei
gutzuheissen. Sodann ersucht die Beschwerdeführerin, es sei ihr für das
bundesgerichtliche Verfahren ebenso die unentgeltliche Rechtspflege samt
Beiordnung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands zu gewähren. Sie rügt eine
Verletzung von Art. 29 Abs. 1, 2 und 3 sowie Art. 9 BV. Mit Schreiben vom 11.
Juni 2008 reichte sie eine Pfändungsankündigung der Amtschreiberei
Grenchen-Bettlach, Betreibungsamt, für eine Forderung des Kantons Aargau und
der Einwohnergemeinde Untersiggenthal nach.
Es wurde keine Vernehmlassung eingeholt.

Erwägungen:

1.
Der angefochtene Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern ist ein in einem
hängigen kantonalen Verfahren ergangener letztinstanzlicher Zwischenentscheid
über die unentgeltliche Rechtspflege. Solche Entscheide bewirken in der Regel
einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a
BGG (BGE 129 I 129 E. 1.1 S. 131 mit Hinweis). Bei Zwischenentscheiden folgt
der Rechtsweg jenem der Hauptsache (Urteil 5A_108/2007 vom 11. Mai 2007 E.
1.2). Der Streitwert bestimmt sich dabei nach den Begehren, die vor der Instanz
streitig sind, wo die Hauptsache hängig ist (Art. 51 Abs. 1 lit. c BGG).
Vorliegend betrifft die Hauptsache eine privatrechtliche Forderung (Art. 72
Abs. 1 BGG), und der Streitwert beträgt über Fr. 30'000.-- (Art. 74 Abs. 1 lit.
b BGG), so dass die Beschwerde in Zivilsachen zulässig ist. Diese steht damit
auch gegen den Zwischenentscheid über die unentgeltliche Rechtspflege offen.
Auf die fristgerecht eingereichte Beschwerde (Art. 100 Abs. 1 BGG) ist daher
unter Vorbehalt zulässiger Rügen (Art. 95 ff. BGG) und gehöriger Begründung
(Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) einzutreten.
Soweit mit der Beschwerde der Entscheid des Amtsgerichtspräsidenten angefochten
wird, ist darauf jedoch von vornherein nicht einzutreten, da es sich dabei
nicht um einen kantonal letztinstanzlichen Entscheid im Sinne von Art. 75 Abs.
1 BGG handelt.

2.
2.1 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Es prüft unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der
Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) grundsätzlich nur die geltend gemachten
Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist
jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich
stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht
nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254 mit Hinweisen).
Eine qualifizierte Rügepflicht gilt hinsichtlich der Verletzung von
Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht. Das Bundesgericht
prüft eine solche Rüge nur insofern, als sie in der Beschwerde präzise
vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E.
1.4.2 S. 254).

2.2 Gemäss Art. 105 BGG legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Abs. 1). Es kann diese
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Abs. 2). Die Voraussetzungen für eine Sachverhaltsrüge nach Art.
97 Abs. 1 BGG und für eine Berichtigung des Sachverhalts von Amtes wegen nach
Art. 105 Abs. 2 BGG stimmen im Wesentlichen überein. Soweit es um die Frage
geht, ob der Sachverhalt willkürlich oder unter verfassungswidriger Verletzung
einer kantonalen Verfahrensregel ermittelt worden ist, sind strenge
Anforderungen an die Begründungspflicht der Beschwerde gerechtfertigt.
Entsprechende Beanstandungen sind vergleichbar mit den in Art. 106 Abs. 2 BGG
genannten Rügen (BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 f.). Demzufolge genügt es
nicht, einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden
Sachverhalt zu behaupten. Vielmehr ist in der Beschwerdeschrift nach den
erwähnten gesetzlichen Erfordernissen darzulegen, inwiefern diese
Feststellungen willkürlich bzw. unter Verletzung einer verfahrensrechtlichen
Verfassungsvorschrift zustande gekommen sind. Andernfalls können Vorbringen mit
Bezug auf einen Sachverhalt, der von den Feststellungen im angefochtenen
Entscheid abweicht, nicht berücksichtigt werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254
f.).

3.
Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz vor, sie habe das rechtliche Gehör
sowie den Anspruch auf ein faires Verfahren verletzt und sei in Willkür
verfallen, indem sie den in Aussicht gestellten Arbeitsvertrag nicht
berücksichtigt habe, aus dem sich ein Mindereinkommen ergeben hätte.

3.1 Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 29 Abs. 2 BV umfasst
die Rechte und Pflichten der Parteien auf Teilnahme am Verfahren und auf
Einflussnahme auf den Prozess der Entscheidfindung. In diesem Sinne dient das
rechtliche Gehör einerseits der Sachaufklärung, andererseits stellt es ein
persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheids dar, der
in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu gehört auch das Recht, dass
rechtzeitig und formgerecht angebotene Beweismittel abgenommen werden. Die
Nichtabnahme von Beweisen über Tatsachen, die für die Entscheidfindung der
Streitsache erheblich sind, stellt eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs dar
(BGE 134 I 140 E. 5.3 S. 148; 127 I 54 E. 2b S. 56; 124 I 241 E. 2 S. 242, je
mit Hinweisen).

3.2 Die Beschwerdeführerin stellt nicht in Frage, dass im Kanton Luzern bei der
Prüfung des Gesuchs um Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege auf die
aktuellen finanziellen Verhältnisse im Zeitpunkt des erstinstanzlichen
Entscheides abgestellt wird, wobei nur die mit Sicherheit bevorstehenden
zukünftigen Veränderungen mitberücksichtigt werden (vgl. LGVE 1995 I Nr. 34;
Die unentgeltliche Rechtspflege in der Zivilprozessordnung des Kantons Luzern
[§§ 130 - 138 ZPO], Praxisübersicht der Justizkommission des Obergerichts mit
Hinweisen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung, 3. Aufl. 2006, Ziff. 3 S.
19). Dies entspricht der Praxis zu den Minimalgarantien gemäss Art. 29 Abs. 3
BV, wonach die Verhältnisse im Zeitpunkt des Gesuchs massgebend sind, um die
Frage der Bedürftigkeit zu beurteilen (BGE 120 Ia 179 E. 3a S. 181; Urteil
5P.433/2005 vom 30. Januar 2006 E. 3.3; vgl. auch BGE 124 I 1 E. 2a S. 2).
Die Vorinstanz stellte fest, es sei unsicher, ob die Beschwerdeführerin eine
der beiden in Aussicht stehenden Stellen antreten werde, weshalb von den
aktuellen Verhältnissen auszugehen sei und weder ein Mindereinkommen noch
Wohnmehrkosten berücksichtigt werden können. Die Beschwerdeführerin legt nicht
dar, inwiefern diese Feststellungen willkürlich sein sollen. Im massgebenden
Zeitpunkt, d.h. am 28. Februar 2008, stand noch nicht fest, ob sie eine der
beiden Stellen antreten werde. Der von ihr der Vorinstanz nachträglich
eingereichte Arbeitsvertrag ist für die später angetretene Stelle unerheblich
und musste nicht berücksichtigt werden. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen
Gehörs ist unbegründet. Schliesslich ist nicht ersichtlich und wird von der
Beschwerdeführerin auch nicht aufgezeigt, inwieweit der Entscheid den Anspruch
auf ein faires Verfahren nach Art. 29 Abs. 1 BV verletzen soll.
Ergeben sich gegenüber dem ersten Entscheid betreffend unentgeltliche
Rechtspflege wesentlich veränderte finanzielle Verhältnisse, wie beispielsweise
bei einem Stellenantritt an einem auswärtigen Ort, ist ein neues Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege zu stellen (Die unentgeltliche Rechtspflege in der
Zivilprozessordnung des Kantons Luzern [§§ 130 - 138 ZPO], a.a.O., Ziff. 2.8.3
S. 15). Ein solches hat die Beschwerdeführerin am 15. Mai 2008 beim Amtsgericht
eingereicht.

4.
Die Beschwerdeführerin sieht überdies eine Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV
darin, dass gewisse Positionen bei der Berechnung des Notbedarfs nicht
berücksichtigt worden sind.

4.1 Der Anspruch auf unentgeltliche Prozessführung wird in erster Linie durch
das kantonale Prozessrecht geregelt. Unabhängig davon garantiert Art. 29 Abs. 3
BV einen Mindestanspruch der bedürftigen Partei auf unentgeltliche
Rechtspflege. Dieser Anspruch umfasst einerseits die Befreiung von den
Verfahrenskosten und anderseits - soweit notwendig - das Recht auf einen
unentgeltlichen Rechtsbeistand (BGE 122 I 8 E. 2a S. 9; 322 E. 2b S. 324 mit
Hinweisen). Das Bundesgericht prüft frei, ob die direkt aus Art. 29 Abs. 3 BV
hergeleiteten Ansprüche verletzt sind, während es die Anwendung des kantonalen
Gesetzesrechts nur unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots prüft (BGE 124 I
304 E. 2c S. 306 f.; 120 Ia 179 E. 3 S. 180).

4.2 Die Beschwerdeführerin rügt, die Kinderzulage sei von ihrem Einkommen in
Abzug zu bringen, weil sie dem Unterhalt des Kindes diene. Die Vorinstanz hat
die Kinderzulagen zu Recht zum Einkommen hinzugerechnet, da im Gegenzug auch
Kindergrundbeträge sowie allfällige besondere Ausbildungskosten bei den
Auslagen berücksichtigt werden. Sofern die Begründungsanforderungen von Art.
106 Abs. 2 BGG überhaupt erfüllt sind, ist die Rüge unbegründet.

4.3 Zudem rügt die Beschwerdeführerin, sie sei im Hinblick auf den neuen
Arbeitsort Basel auf ihr Auto angewiesen, weshalb die Leasingraten ab 1. Juni
2008 weiterhin zu berücksichtigen seien. Die Beschwerdeführerin verkennt
wiederum, dass im Kanton Luzern die aktuellen finanziellen Verhältnisse zum
Zeitpunkt des erstinstanzlichen Entscheids ausschlaggebend sind, wobei nur die
mit Sicherheit bevorstehenden zukünftigen Veränderungen mitberücksichtigt
werden. Diese Praxis entspricht - wie erwähnt - den Minimalgarantien von Art.
29 Abs. 3 BV.

4.4 Schliesslich bezeichnet die Beschwerdeführerin die Annahme der Vorinstanz
als "irrtümlich", das Steueramt Grenchen habe bestätigt, sie (die
Beschwerdeführerin) bezahle im laufenden Jahr [2008] keine Steuern. Soweit sie
damit sinngemäss eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung geltend machen
will, stösst die Rüge von vornherein ins Leere, da die Vorinstanz diese
Feststellung gar nicht getroffen hat. Vielmehr hielt sie fest, das Steueramt
Grenchen habe bestätigt, dass die Beschwerdeführerin bisher die Steuern nicht
regelmässig bezahlt habe. Nach den Feststellungen der Vorinstanz ergibt sich
aus den Beilagen der Beschwerdeführerin nicht, welche Steuerschulden noch offen
seien und ob sie allenfalls sistiert werden können. Zudem habe die
Beschwerdeführerin keine Vereinbarung über Ratenzahlungen mit dem Steueramt
geltend gemacht. Inwiefern diese Feststellungen willkürlich sein sollen, legt
die Beschwerdeführerin nicht rechtsgenüglich dar.

5.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit die Begründung den
formellen Anforderungen überhaupt genügt. Die Beschwerdeführerin hat auch für
das Verfahren vor Bundesgericht um die Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege ersucht. Das Bundesgericht befreit eine Partei, die nicht über die
erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der Gerichtskosten
und von der Sicherstellung der Parteientschädigung, sofern ihr Rechtsbegehren
nicht aussichtslos erscheint. Nötigenfalls kann ihr ein Rechtsanwalt beigegeben
werden (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Aussichtslos sind nach konstanter
Rechtsprechung Begehren, für welche die Gewinnaussichten beträchtlich geringer
sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet
werden können (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135; 125 II 265 E. 4b S. 275).
Vorliegend verkennt die Beschwerdeführerin mit ihren Rügen die Rechtslage und
ihre Begehren erschienen von Anfang an als aussichtslos im Sinne von Art. 64
BGG. Es ist ihr daher die unentgeltliche Rechtspflege zu verweigern, ohne dass
ihre Bedürftigkeit zu prüfen ist. Ausgangsgemäss sind ihr die Gerichtskosten
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird abgewiesen.

2.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Obergericht des Kantons
Luzern, Justizkommission, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 27. Juni 2008
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Corboz Feldmann