Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.162/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_162/2008 / aka

Urteil vom 13. Mai 2008
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Kolly,
Gerichtsschreiber Luczak.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Fürsprecher Christian Flückiger,

gegen

Obergericht des Kantons Bern, Appellationshof,
2. Zivilkammer, Hochschulstrasse 17, Postfach 7475,
3001 Bern.

Gegenstand
Unentgeltliche Rechtspflege,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
des Kantons Bern, Appellationshof, 2. Zivilkammer, vom 21. Februar 2008.

Sachverhalt:

A.
X.________ (Beschwerdeführerin) belangte am 13. April 2006 ihren früheren
Ehemann (Beklagter) vor dem Gerichtskreis IX Schwarzenburg-Seftigen auf Zahlung
eines im Laufe des Verfahrens auf Fr. 168'765.-- festgesetzten Betrages nebst
Zins als Schadenersatz. Ferner forderte sie eine Genugtuung nach richterlichem
Ermessen für die Folgen einer Armverletzung, die ihr der Beklagte anlässlich
einer handgreiflichen Auseinandersetzung am 10. Juni 2001 beigebracht haben
soll. Der Beklagte bestritt, die Beschwerdeführerin geschlagen, geschweige
denn, verletzt zu haben. Der Gerichtspräsident 2 des angerufenen Gerichts wies
die Klage am 4. Januar 2008 ab, nachdem der Beschwerdeführerin für das
erstinstanzliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege gewährt worden war.
Er hielt weder die klägerische Darstellung das schadenbegründenden Verhaltens
des Ehemannes noch die Entstehung des behaupteten Schadens für nachgewiesen und
hielt fest, soweit die Beschwerdeführerin nach wie vor Armschmerzen empfinde,
sei nicht nachgewiesen, dass diese auf das Ereignis vom 10. Juni 2001
zurückzuführen seien. Über das Verschulden könne nicht geurteilt werden, da es
der Beschwerdeführerin nicht gelungen sei, ihre Version des Vorfalles zu
beweisen. Aus diesen Gründen lehnte der Gerichtspräsident auch die Zusprechung
einer Genugtuung ab.

B.
Die Beschwerdeführerin erklärte am 8. Januar 2008 vollumfängliche Appellation
gegen das erstinstanzliche Urteil. Auf Antrag des Beklagten entzog der
Instruktionsrichter des Appellationshofs des Obergerichts des Kantons Bern der
Beschwerdeführerin am 21. Februar 2008 wegen Aussichtslosigkeit des
Appellationsverfahrens das Recht zur unentgeltlichen Prozessführung.

C.
Die Beschwerdeführerin hat den Entscheid vom 21. Februar 2008 mit Beschwerde in
Zivilsachen angefochten. Sie beantragt, es sei ihr für das
Appellationsverfahren die unentgeltliche Prozessführung zu erteilen und ihr
Rechtsvertreter als amtlicher Anwalt beizuordnen. Ebenso ersucht sie um
unentgeltliche Rechtspflege für das Verfahren vor Bundesgericht. Eine
Vernehmlassung wurde nicht eingeholt.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Verfügung mit der das Gesuch um Bewilligung des Kostenerlasses
abgewiesen wurde, ist ein letztinstanzlicher kantonaler Zwischenentscheid, der
den Hauptprozess nicht abschliesst. Gegen diesen Zwischenentscheid ist nach
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG die Beschwerde zulässig, wenn er einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken kann. Zwischenentscheide, mit denen die
unentgeltliche Rechtspflege verweigert wird, haben in der Regel einen solchen
Nachteil zur Folge (BGE 129 I 129 E. 1.1 S. 131; 126 I 207 E. 2a S. 210 mit
Hinweisen). Dies trifft auch im vorliegenden Fall zu. Der Umstand, dass die
Beschwerdeführerin ihre Interessen im anhängig gemachten Appellationsverfahren
ohne den Beistand eines Rechtsvertreters wahrnehmen muss, kann einen nicht
wieder gutzumachenden Nachteil im Sinn von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken.

1.2 Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg jenem der Hauptsache. Diese
betrifft eine Forderung auf Schadenersatz und Genugtuung, mithin eine
Zivilsache, deren Streitwert den Betrag von Fr. 30'000.-- übersteigt (Art. 72
Abs. 1 i.V.m. Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG). Damit ist die Beschwerde in
Zivilsachen gegen den vorgenannten Zwischenentscheid gegeben. Mit der
Beschwerde in Zivilsachen kann eine Verletzung von Bundesrecht gerügt werden
(Art. 95 lit. a BGG), zu dem laut der Begriffsbestimmung des BGG auch das
Verfassungsrecht gehört.

2.
Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV, mithin des
Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Dieser Anspruch
wird in erster Linie durch das kantonale Prozessrecht geregelt. Unabhängig
davon besteht ein solcher Anspruch unmittelbar aufgrund von Art. 29 Abs. 3 BV.
Die Beschwerdeführerin beruft sich auf diese Verfassungsbestimmung sowie auf
Art. 77 des Gesetzes über die Zivilprozessordnung (ZPO) vom 7. Juli 1918 (BSG
271.1), macht aber nicht geltend, das kantonale Recht gewähre einen weiteren
Anspruch als Art. 29 Abs. 3 BV. Die Beschwerde ist somit ausschliesslich im
Lichte der Verfassungsbestimmung zu prüfen.

3.
Art. 29 Abs. 3 BV gibt einer bedürftigen Partei in einem für sie nicht
aussichtslosen Verfahren Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege. Als
aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Prozessbegehren
anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die
Verlustgefahren, und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können.
Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten
und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind
als diese (BGE 133 III 614 E. 5 S. 616). Massgebend ist, ob eine Partei, die
über die nötigen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem
Prozess entschliessen würde. Eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene
Rechnung und Gefahr bei objektiver Betrachtung nicht führen würde, nicht
deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet. Wie es sich damit
verhält, prüft das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht frei (BGE 129 I 129 E.
2.3.1 S. 135 f. mit Hinweisen). Dabei ist allerdings nicht seine Aufgabe, die
Beweisaussichten bestrittener Prozessbehauptungen dem Sachgericht vorgreifend
frei zu prüfen. Das Verfassungsgericht hat vielmehr nur einzugreifen, wenn die
antizipierte Beurteilung der tatsächlichen Prozessaussichten im kantonalen
Verfahren sachlich nicht vertretbar erscheint und damit das Willkürverbot
verletzt (vgl. BGE 119 III 113 E. 3a S. 115). Dies ist in der Beschwerde
gehörig zu begründen (Art. 106 Abs. 2 BGG). So ist im Einzelnen aufzuzeigen,
inwiefern die im angefochtenen Urteil vertretene Auffassung offensichtlich
unhaltbar sein soll (vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 f. mit Hinweisen).
Dabei ist Rechtsfrage, welche Umstände bei der Beurteilung der
Prozessaussichten in Betracht fallen und ob sie für oder gegen eine
hinreichende Erfolgsaussicht sprechen, Tatfrage hingegen, ob und wieweit
einzelne Tatumstände erstellt sind (BGE 124 I 304 E. 2c S. 306 f.).

4.
Die Beschwerdeführerin bringt vor, der Appellationshof habe ihr das Recht zur
unentgeltlichen Rechtspflege allein gestützt auf den Umstand entzogen, dass die
erste Instanz weder den Schaden noch den Kausalzusammenhang als erwiesen
erachtet habe. Auf den zusätzlich gestellten Antrag auf Genugtuung sei er
überhaupt nicht eingegangen und habe sich in dieser Hinsicht zu den
Prozessaussichten nicht geäussert. Nach Art. 47 OR sei aber für die Leistung
von Genugtuung bei Tötung oder Körperverletzung ein materieller Schaden nicht
erforderlich. Es genüge, wenn die Körperverletzung widerrechtlich, d.h. ohne
Rechtfertigungsgrund erfolgt und das widerrechtliche Verhalten für die
Körperverletzung kausal sei und zu einer immateriellen Unbill beim Verletzten
führe. Und selbst für den Fall, dass der Nachweis einer widerrechtlichen
Körperverletzung scheitern sollte, blieben nach Auffassung der
Beschwerdeführerin die Chancen auf eine Genugtuungsleistung gestützt auf Art.
49 OR bestehen.

5.
5.1 Es trifft zu, dass die Vorinstanz offen gelassen hat, ob sich der Vorfall
vom 10. Juni 2001 so abgespielt hat wie die Beschwerdeführerin behauptet, da
sie die Voraussetzungen für die unentgeltliche Rechtspflege mangels Schadens
und Kausalzusammenhangs selbst dann für nicht mehr erfüllt erachtete, wenn die
widerrechtliche Körperverletzung erstellt wäre. Dies allein führt indessen
nicht zur Gutheissung der Beschwerde. Das verfassungsmässige Recht der
Beschwerdeführerin auf unentgeltliche Prozessführung wird durch den
angefochtenen Entscheid nur verletzt, falls sich ihr Genugtuungsanspruch nicht
seinerseits als offensichtlich aussichtslos erweist, was die Beschwerdeführerin
in der Beschwerde substanziiert aufzuzeigen hat (Art. 106 Abs. 2 BGG). Blosse
Verweise auf die Akten, wie der Hinweis der Beschwerdeführerin auf ein
Schreiben an die Vorinstanz vom 18. Februar 2008, genügen dazu nicht; inwiefern
das angefochtene Urteil Recht verletzt, ist in der Rechtsschrift selbst
darzulegen (Art. 42 Abs. 2 BGG vgl. BGE 126 III 198 E. 1d S. 201 mit Hinweis).

5.2 Art. 47 OR bestimmt, dass der Richter bei Tötung eines Menschen oder
Körperverletzung dem Verletzten oder den Angehörigen des Getöteten unter
Würdigung der besonderen Umstände eine angemessene Geldsumme als Genugtuung
zusprechen kann. Die Genugtuung bezweckt den Ausgleich für erlittene Unbill,
indem das Wohlbefinden anderweitig gesteigert oder die Beeinträchtigung
erträglicher gemacht wird. Bemessungskriterien sind vor allem die Art und
Schwere der Verletzung, die Intensität und Dauer der Auswirkungen auf die
Persönlichkeit des Betroffenen, der Grad des Verschuldens des Haftpflichtigen
sowie ein allfälliges Selbstverschulden des Geschädigten (BGE 132 II 117 E.
2.2.2 S. 119 mit Hinweisen).
5.3
Die Beschwerdeführerin hat im kantonalen Verfahren ihren Genugtuungsanspruch
aus der behaupteten widerrechtlichen Körperverletzung abgeleitet, deren
Nachweis nach Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts gescheitert war. Die
Appellation kann deshalb nur Aussicht auf Erfolg haben, wenn es der
Beschwerdeführerin gelingt, diese Einschätzung als verfehlt auszuweisen. Was
die Beschwerdeführerin diesbezüglich im Appellationsverfahren vorgebracht hat,
zeigt sie in der Beschwerde nicht auf. Sie begründet somit nicht hinreichend,
inwiefern der angefochtene Entscheid im Ergebnis ihre verfassungsmässigen
Rechte verletzt. Dass die Vorinstanz den behaupteten Tathergang nicht näher
geklärt hat, bedeutet entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin nicht,
das Kriterium der widerrechtlichen Schädigung könne noch erstellt werden. Diese
Frage liess die Vorinstanz offen. Daher müsste die Beschwerdeführerin darlegen,
dass der von ihr geltend gemachte Anspruch auf Genugtuung nicht offensichtlich
aussichtslos ist.

5.4 Hinzu kommt, dass sich die Beschwerdeführerin offenkundig mit der
Einschätzung des Appellationshofs abfindet, der Nachweis fehle, dass eine
allfällige Reduktion des Arbeitspensums und ein daraus entstandener Schaden
durch die vom Beklagten behauptetermassen zugefügte Armverletzung verursacht
worden wäre. Damit ist aber auch nicht nachgewiesen, dass eine allfällige
Körperverletzung durch den Beklagten zu einem Dauerschaden geführt hätte. Dass
die angebliche Körperverletzung vor diesem Hintergrund noch geeignet gewesen
sein sollte, eine Störung des psychischen Gleichgewichts von jener Schwere zu
bewirken, die den Anspruch auf Genugtuung erst rechtfertigt (vgl. Art. 49 OR,
als dessen Anwendungsfall Art. 47 OR erscheint; BGE 89 II 396 E. 3 S. 400),
wird in der Beschwerde nicht ansatzweise dargelegt. Dazu hätte umso eher Anlass
bestanden, als eine Verletzung, die problemlos ausheilt, kein Anrecht auf
Genugtuung gibt, sofern nicht besondere Umstände hinzutreten (Brehm, Berner
Kommentar, 3. Auflage, N. 28 - 30 zu Art. 47 OR; Alfred Keller, Haftpflicht im
Privatrecht, Band II, 2. Aufl., S. 132 f., je mit Hinweisen). Auch soweit sich
die Beschwerdeführerin auf Art. 49 OR beruft, zeigt sie in keiner Weise auf,
inwiefern ihrer Klage gestützt auf diese Bestimmung Erfolg beschieden sein
könnte.

5.5 Bei dieser Sachlage ist nicht ersichtlich, inwiefern der Appellationshof im
Ergebnis Bundes- oder Verfassungsrecht verletzt haben könnte, als er die
Erfolgsaussichten der Beschwerde verneinte.

6.
Die Beschwerde in Zivilsachen erweist sich als offensichtlich unbegründet und
ist abzuweisen. Unter diesen Umständen kommt die Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren nicht in Frage.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Das Begehren der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege für das
bundesgerichtliche Verfahren wird abgewiesen.

2.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Obergericht des Kantons Bern,
Appellationshof, 2. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 13. Mai 2008
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Corboz Luczak