Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.156/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_156/2008 /len

Urteil vom 8. Juli 2008
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Rottenberg Liatowitsch, Kiss,
Gerichtsschreiber Luczak.

Parteien
X.________ AG,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Peter Hess
und Sandro Tobler,

gegen

Bank Y.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Pio R. Ruoss.

Gegenstand
Sanierungsvereinbarung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Zug, Zivilrechtliche Abteilung,
vom 26. Februar 2008.

Sachverhalt:

A.
Die X.________ AG (Beschwerdeführerin) geriet Mitte der Neunzigerjahre in einen
bedrohlichen Liquiditätsengpass und schloss mit den kreditgebenden Banken,
darunter die Bank Y.________ (Beschwerdegegnerin), Stillhaltevereinbarungen ab.
Ende 2001 erfolgte der Verkauf des operativen Geschäfts. Als Hauptpendenz
verblieb der Verkauf des Werkhofareals, das der Beschwerdegegnerin als
Sicherheit für von ihr gewährte Hypothekarkredite diente. Am 4. März 2002
schloss die Beschwerdeführerin mit der Beschwerdegegnerin eine
Desinvestitionsvereinbarung ab, in welcher die Beschwerdegegnerin ermächtigt
wurde, das Werkhofareal zu einem bestimmten Mindestpreis zu verkaufen.
Gleichentags schlossen die Parteien zusammen mit einer weiteren Bank eine
Vereinbarung betreffend die Leistung eines Sanierungsbeitrages. Der
Sanierungsbeitrag der Beschwerdegegnerin sollte im Sinne einer "Bonus-/
Malus-Regelung" vom Überschuss abhängen, welcher gemäss Desinvestitionsrechnung
zur Deckung der Aktionärsdarlehen verbleibt. Er war abgestuft geschuldet ab
einem Liquidationsergebnis von Fr. 1.100 Mio und sollte ab einem
Liquidationsergebnis von Fr. 1.450 Mio maximal Fr. 550'000.-- betragen, wobei
die Regelung mit den Worten endet: "darüber zugunsten Aktionäre". Die
Vereinbarung enthält weiter ein Berechnungsbeispiel. Die Bonus-/Malus-Regelung
endet mit einem mit "Auflagen" überschriebenen Abschnitt. Unter den Auflagen
wird unter Anderem angeführt, die Beurkundung des Kaufvertrages erfolge bis 31.
Dezember 2002 und der Liquidationserlös diene zur Rückführung der
Aktionärsdarlehen am Ende der Liquidation.

B.
Das Werkhofareal wurde erst im Jahre 2004 verkauft. Danach forderte die
Beschwerdeführerin von der Beschwerdegegnerin den Sanierungsbeitrag von Fr.
550'000.-- und erhob für diesen Betrag nebst Zins Klage beim Kantonsgericht
Zug, welches die Klage guthiess. Auf kantonale Berufung der Beschwerdegegnerin
wies das Obergericht des Kantons Zug die Klage mit Urteil vom 26. Februar 2008
ab. Zwar verwarf es die These der Beschwerdegegnerin, wonach diese ihren
Beitrag lediglich durch einen Forderungsverzicht zu leisten habe. Es war aber
der Auffassung, der Sanierungsbeitrag sei nicht geschuldet, da die Beurkundung
des Kaufvertrags nicht wie in der Vereinbarung vorgesehen bis zum 31. Dezember
2002 erfolgt und die entsprechende Frist nicht verlängert worden sei. Zudem sei
der Verwertungserlös höher gewesen als von den Parteien angenommen, so dass die
Aktionärsdarlehen vollständig zurückgezahlt werden konnten. An die Möglichkeit
einer derartigen Entwicklung hätten die Parteien bei Vertragsschluss nicht
gedacht. Nach dem mutmasslichen Parteiwillen sei aber nicht davon auszugehen,
dass die Beschwerdegegnerin auch unter diesen Umständen zur Leistung eines
Sanierungsbeitrages hätte verpflichtet sein sollen.

C.
Die Beschwerdeführerin hat Beschwerde in Zivilsachen erhoben und wiederholt im
Wesentlichen ihr vor Kantonsgericht gestelltes Begehren. Das Obergericht und
die Beschwerdegegnerin schliessen auf Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.
Die Parteien streiten sich um die Auslegung der Vereinbarung betreffend den
Sanierungsbeitrag der Beschwerdegegnerin.

1.1 Der Inhalt eines Vertrags bestimmt sich in erster Linie durch subjektive
Auslegung, das heisst nach dem übereinstimmenden wirklichen Parteiwillen (Art.
18 Abs. 1 OR). Erst wenn eine tatsächliche Willensübereinstimmung unbewiesen
bleibt, sind zur Ermittlung des mutmasslichen Parteiwillens die Erklärungen der
Parteien aufgrund des Vertrauensprinzips so auszulegen, wie sie nach ihrem
Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden
durften und mussten. Während das Bundesgericht die objektivierte
Vertragsauslegung als Rechtsfrage prüfen kann, beruht die subjektive
Vertragsauslegung auf Beweiswürdigung, die vorbehältlich der Ausnahmen von Art.
97 und 105 BGG der bundesgerichtlichen Überprüfung entzogen ist. Dasselbe gilt
für die Feststellungen des kantonalen Richters über die äusseren Umstände sowie
das Wissen und Wollen der Beteiligten im Rahmen der Auslegung nach dem
Vertrauensprinzip. Für die Auslegung nach dem Vertrauensprinzip ist der
Zeitpunkt des Vertragsabschlusses massgeblich. Nachträgliches Parteiverhalten
ist dafür nicht von Bedeutung; es kann höchstens - im Rahmen der
Beweiswürdigung - auf einen tatsächlichen Willen der Parteien schliessen lassen
(BGE 132 III 626 E. 3.1 S. 632 mit Hinweisen).

1.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Feststellung des
Sachverhaltes kann nur gerügt beziehungsweise ergänzt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). "Offensichtlich unrichtig"
bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 133 II 249 E. 1.2.2 S. 252). Der
Beschwerdeführer, der die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz anfechten
will, kann sich nicht damit begnügen, den bestrittenen Feststellungen eigene
tatsächliche Behauptungen gegenüberzustellen oder darzulegen, wie die Beweise
seiner Ansicht nach zu würdigen gewesen wären. Vielmehr hat er klar und
substantiiert aufzuzeigen, inwiefern die gerügten Feststellungen bzw. die
Unterlassung von Feststellungen offensichtlich unrichtig sind oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen. Auf eine Kritik an den
tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, die diesen Anforderungen nicht
genügt, ist nicht einzutreten (BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 f.; 133 III 462
E. 2.4 S. 466 f.).

1.3 Vor diesem Hintergrund erweisen sich viele Vorbringen der Parteien im
Beschwerdeverfahren als unzulässig, da sie den von der Vorinstanz
festgestellten Sachverhalt ergänzen, ohne eine hinreichend begründete
Sachverhaltsrüge zu erheben. Darauf ist nicht einzutreten. Die Vorinstanz hat
zum Teil ausdrücklich den tatsächlichen Willen der Parteien festgestellt, so
dass insoweit an sich eine verbindliche Feststellung vorliegt. Soweit die
Vorinstanz in tatsächlicher Hinsicht ihre Schlüsse ausschliesslich aus
denjenigen Umständen zieht, die bei der Vertragsauslegung nach dem
Vertrauensprinzip zu berücksichtigen sind, kann sie allerdings ohne Willkür
nicht zu einem von der Auslegung nach dem Vertrauensprinzip abweichenden
tatsächlichen Parteiwillen gelangen. Eine derartige Abweichung lässt sich nur
durch Umstände rechtfertigen, die bei der Auslegung nach dem Vertrauensprinzip
nicht berücksichtigt werden, wie beispielsweise das nachträgliche
Parteiverhalten.

1.4 Bei der Beurteilung der getroffenen Vereinbarung fällt zunächst in
Betracht, dass die Auffassung der Beschwerdeführerin, bei dem Termin, bis zu
welchem die Beurkundung des Kaufvertrags hätte erfolgen müssen, handle es sich
um eine blosse Ordnungsfrist, welche die Beschwerdegegnerin gleich wie die
anderen Befristungen für Kredite und Liquidität als Druckmittel gegenüber der
Beschwerdeführerin verstanden habe, in sich widersprüchlich ist. Handelt es
sich um eine blosse Ordnungsvorschrift, deren Missachtung keine Konsequenzen
zeitigt, ist sie als Druckmittel ungeeignet. Auch die Qualifikation der
Auflagen als "vertragliche Verpflichtungen, deren Nichterfüllung die
Rechtsfolgen von Art. 97 ff. auslösen" erscheint angesichts der damaligen
finanziellen Situation der Beschwerdeführerin und des Zwecks des
Sanierungsbeitrages als lebensfremd ebenso wie die Auffassung, die der
Desinvestitionsvereinbarung beigefügte Verkaufsvollmacht hätte der
Beschwerdegegnerin bei Säumnis der Beschwerdeführerin einen Verkauf zu den
vereinbarten Bedingungen ermöglicht, setzt die Abwicklung des Kaufvertrages
doch voraus, dass mit einem Käufer Einigkeit über den Preis erzielt werden
kann. Fragen kann man sich allenfalls, ob die Leistungspflicht der
Beschwerdegegnerin tatsächlich definitiv entfallen sollte, wenn bis 31.
Dezember 2002 der Kaufvertrag nicht beurkundet wurde, oder ob der Sinn der
Auflage darin zu sehen ist, dass die Beschwerdegegnerin sich nicht auf eine
unbestimmt lange Frist binden und sich bei Ablauf der Frist die Möglichkeit
offen halten wollte, gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen. Wie es sich damit
verhält, und ob die Parteien die Frist allenfalls konkludent verlängert haben,
wie die Beschwerdeführerin behauptet, kann indessen offen bleiben, so dass auch
nicht entscheidwesentlich ist, ob die Rügen der Beschwerdeführerin insoweit den
Begründungsanforderungen genügen. Die Forderung der Beschwerdeführerin erweist
sich davon unabhängig als unbegründet.

1.5 Die Beschwerdeführerin behauptet, mit dem Passus am Ende der Bonus-/
Malus-Regelung "darüber zu Gunsten Aktionäre" sei bereits bei Abfassung des
Dokuments allen klar gewesen, dass ein allfälliger Überschuss aus dem
Sanierungsbeitrag nach Rückzahlung der Aktionärsdarlehen zur Rückzahlung des
Aktienkapitals verwendet werden durfte. Die Beschwerdeführerin blendet aus,
dass die Vorinstanz unter Anderem aus dem nachträglichen Parteiverhalten,
nämlich der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin den erzielten
Liquidationserlös als überraschend bezeichnet hatte, darauf geschlossen hat,
die Parteien hätten die Folgen eines zur Deckung der Aktionärsdarlehen
genügenden Liquidationserlöses nicht in Betracht gezogen. Inwiefern diese
tatsächliche Feststellung offensichtlich unzutreffend sein soll, zeigt die
Beschwerdeführerin nicht auf, weshalb der von ihr zitierten Passage nicht die
von ihr beigelegte Bedeutung zukommen kann.

1.6 Da die Vorinstanz ohne Willkür davon ausgehen konnte, die Parteien hätten
die Möglichkeit einer völligen Deckung der Aktionärsdarlehen bei
Vertragsschluss tatsächlich nicht in Betracht gezogen, ist bundesrechtlich
nicht zu beanstanden, dass sie insoweit eine Lücke im Vertrag annahm.
Angesichts der ausdrücklichen Auflage, der Liquidationserlös diene zur
Rückführung der Aktionärsdarlehen am Ende der Liquidation, ist nicht zu
beanstanden, wenn die Vorinstanz davon ausgeht, die Parteien hätten angesichts
der von der Beschwerdegegnerin erlittenen Zinsverluste für die Rückzahlung des
Aktienkapitals keinen Sanierungsbeitrag vereinbart. Demgegenüber vermag die
Auffassung der Beschwerdeführerin, mit der Auflage "Der Liquidationserlös dient
zur Rückführung der Aktionärsdarlehen am Ende der Liquidation" hätte lediglich
zum Ausdruck gebracht werden sollen, dass erst nach vollständiger Rückzahlung
der Aktionärsdarlehen auch Rückzahlungen des Aktienkapitals erlaubt waren,
nicht zu überzeugen. Dass eine Rückzahlung des Aktienkapitals bei Liquidation
der Gesellschaft grundsätzlich nur erfolgen kann, wenn die Gesellschaft
sämtliche Schulden getilgt hat, bedarf keiner ausdrücklichen Regelung, sondern
ergibt sich bereits aus dem Gesetz (Art. 745 OR). Daher ist nicht zu
beanstanden, wenn die Vorinstanz davon ausging, die Parteien hätten für den
Fall, dass die Aktionärsdarlehen zurückbezahlt werden können, keinen
Sanierungsbeitrag der Beschwerdegegnerin vereinbart.

2.
Da der angefochtene Entscheid gestützt auf diese Begründung jedenfalls im
Ergebnis einer Überprüfung standhält, entfällt das Rechtsschutzinteresse an der
Behandlung der übrigen Rügen. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden kann. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird die
Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 8'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 9'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zug,
Zivilrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 8. Juli 2008
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Corboz Luczak