Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.109/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_109/2008 /len

Urteil vom 16. April 2008
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterin Klett,
Bundesrichter Kolly,
Gerichtsschreiberin Hürlimann.

Parteien
A.________,
B.________,
C.________,
D.________,
Beschwerdeführer,
alle vier vertreten durch Rechtsanwalt Kurt Gemperli,

gegen

X.________ AG,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. André Hutter.

Gegenstand
Arbeitsvertrag; Entschädigung für Überstunden,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichtspräsidenten von Appenzell
Ausserrhoden
vom 25. Januar 2008.

Sachverhalt:

A.
A.________ (Kläger und Beschwerdeführer 1), B.________ (Kläger und
Beschwerdeführer 2), C.________ (Kläger und Beschwerdeführer 3) und D.________
(Kläger und Beschwerdeführer 4) waren zwischen dem 1. Oktober 2003 und dem 30.
April 2007 während unterschiedlichen Zeiträumen bei der X.________ AG
(Beklagte, Beschwerdegegnerin) angestellt. Zu Beginn ihres Arbeitsverhältnisses
waren sie nicht Mitglied der Gewerkschaft SYNA, wurden es aber - mit Ausnahme
des Beschwerdeführers 1 - im Verlauf ihrer Anstellung. Die Beschwerdegegnerin
ihrerseits ist seit dem Jahr 1998 Mitglied des Arbeitgeberverbandes der
Schweizer Maschinenindustrie (Swissmem, im Folgenden ASM).
A.a Die Sozialpartner in der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie, darunter
der ASM und die SYNA, hatten auf den 1. Januar 2006 eine neue
Gesamtarbeitsvereinbarung abgeschlossen, die diejenige der Jahre 1998 bis 2005
ersetzte. Die neue Vereinbarung (im Folgenden GAV) gilt bis zum 31. Dezember
2010. Durch ihre Mitgliedschaft beim ASM war die Beschwerdegegnerin demnach
auch an den neuen GAV gebunden.
A.b Nach Art. 12.1 des ab 1. Januar 2006 gültigen GAV beträgt die wöchentliche
Arbeitszeit 40 Stunden. Nach dem jeweiligen Einzelarbeitsvertrag der
Beschwerdeführer und dem Personal-Reglement betrug die wöchentliche Arbeitszeit
im Betrieb der Beschwerdegegnerin hingegen 41,5 Stunden.
A.c Nachdem die Beschwerdeführer die Mitgliedschaft bei der SYNA erworben
hatten, wurden sie auf die unterschiedlichen Arbeitszeiten im GAV und im
Personal-Reglement aufmerksam gemacht. Vorher waren sich die Parteien der
Existenz des GAV offenbar nicht bewusst. Gespräche über eine nachträgliche
Anerkennung der nach Ansicht der Beschwerdeführer zu viel geleisteten Arbeit
als entschädigungspflichtige Überstunden führten zu keiner Einigung.

B.
Am 28. Juni 2007 erhoben die Beschwerdeführer beim Einzelrichter des
Kantonsgerichts des Kantons Appenzell Ausserrhoden Klage mit dem
Rechtsbegehren, die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, jedem
Beschwerdeführer einen anhand der jeweils geleisteten Überstunden berechneten
Betrag plus Zins zu bezahlen.
Mit Urteil vom 6. November 2007 wies der Einzelrichter die Klage des
Beschwerdeführers 1 ab. Die Klagen der Beschwerdeführer 2 bis 4 hiess er
insofern teilweise gut, als er ihnen ab ihrer Mitgliedschaft bei der SYNA eine
Vergütung für die geleisteten Mehrstunden zusprach.

C.
Gegen das Urteil des Einzelrichters erhoben die Beschwerdeführer Appellation,
die der Einzelrichter des Obergerichts von Appenzell Ausserrhoden mit Entscheid
vom 25. Januar 2008 hinsichtlich der Beschwerdeführer 1, 2 und 4 abwies. Die
Appellation des Beschwerdeführers 3 wurde teilweise gutgeheissen. Der
Einzelrichter kam zum Schluss, dass der (nicht allgemein verbindlich erklärte)
GAV erst mit dem jeweiligen Beitritt der Beschwerdeführer zur Gewerkschaft SYNA
auf sie Anwendung gefunden habe, und verneinte in diesem Zusammenhang den
Abschluss eines Vertrags zu Gunsten Dritter, die Übernahme der Bestimmungen des
GAV in den Einzelarbeitsvertrag auf Grund der Einziehung des
Solidaritätsbeitrags, ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der
Beschwerdegegnerin sowie die rückwirkende Anerkennung von GAV-Ansprüchen durch
das Verhalten der Beschwerdegegnerin.

D.
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 27. Februar 2008 beantragen die
Beschwerdeführer dem Bundesgericht, die Beschwerdegegnerin sei in Abänderung
des Entscheids des Einzelrichters am Obergericht von Appenzell Ausserrhoden vom
25. Januar 2008 zu verpflichten, den Beschwerdeführern zu bezahlen:
1. Dem Beschwerdeführer 1 Fr. 6'977.60 nebst Zins zu 5 % seit 1. April 2006
2. Dem Beschwerdeführer 2 zusätzlich Fr. 7'562.80 nebst Zins zu 5 % seit 1.
Januar 2007
3. Dem Beschwerdeführer 3 zusätzlich Fr. 6'439.20 nebst Zins zu 5 % seit 1.
Januar 2007
4. Dem Beschwerdeführer 4 zusätzlich Fr. 1'673.-- nebst Zins zu 5 % sei 1. Mai
2007.
Die Beschwerdeführer machen eine Verletzung von Art. 9 und Art. 29 Abs. 2 BV,
von Art. 343 Abs. 4, Art. 357 Abs. 1 und Art. 356 Abs. 1 i.V.m. Art. 112 OR
sowie von Art. 2 Abs. 2 ZGB geltend.

E.
Die Beschwerdegegnerin beantragt in ihrer Vernehmlassung die Abweisung der
Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist. Der Einzelrichter des Obergerichts
verzichtet unter Verweis auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil auf
Gegenbemerkungen.

Erwägungen:

1.
1.1 In arbeitsrechtlichen Streitigkeiten ist die Beschwerde in Zivilsachen nach
Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG nur zulässig, wenn der Streitwert mindestens Fr.
15'000.-- beträgt. Der Streitwert bestimmt sich gemäss Art. 51 Abs. 1 lit. a
BGG nach den Begehren, die vor der Vorinstanz streitig geblieben sind. Art. 52
BGG hält darüber hinaus fest, dass mehrere in einer vermögensrechtlichen Sache
von Streitgenossen geltend gemachte Begehren zusammengerechnet werden, sofern
sie sich nicht gegenseitig ausschliessen. Diese Regel wurde aus Art. 47 Abs. 1
aOG übernommen und die dazu ergangene Rechtsprechung behält auch unter dem BGG
ihre Gültigkeit (Urteil 4A_438/2007 vom 29. Januar 2008 E. 1.2). Danach ist die
Zusammenrechnung zulässig, sofern die Begehren im kantonalen Verfahren
vereinigt wurden und in diesem Verfahren Gegenstand eines einzigen Urteils
waren. Bei der subjektiven Klagehäufung müssen die Kläger bzw. die Beklagten
darüber hinaus Streitgenossen im Sinn von Art. 24 Abs. 2 BZP sein. Nach Abs. 2
lit. b dieser Norm können mehrere Personen in der gleichen Klage als Kläger
auftreten oder als Beklagte belangt werden, wenn gleichartige, auf einem im
Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhende
Ansprüche den Streitgegenstand bilden (BGE 128 IV 53 E. 6a S. 70).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Beschwerdeführer verlangen
von der Beschwerdegegnerin die nachträgliche Bezahlung von Überstunden gestützt
auf den GAV; dabei schadet es nicht, dass die Zeiträume, für die die einzelnen
Ansprüche geltend gemacht werden, nicht vollständig übereinstimmen (Urteil
4C.238/1993 vom 26. Oktober 1993 E. 1b). Die Zusammenrechnung der Begehren
ergibt einen Streitwert von Fr. 22'652.60. Auf die Beschwerde in Zivilsachen
ist damit grundsätzlich einzutreten.

1.2 Gegen Appellationsentscheide des Einzelrichters des Obergerichts von
Appenzell Ausserrhoden kann gestützt auf Art. 280 ZPO AR
Rechtsverweigerungsbeschwerde wegen Willkür erhoben werden (Max Ehrenzeller,
Zivilprozessordnung des Kantons Appenzell A.Rh. vom 27. April 1980, N. 4 zu
Art. 280 ZPO AR). Soweit die Beschwerdeführer bei der Feststellung des
Sachverhalts oder bei der Begründung des Entscheids eine Verletzung von Art. 9
BV geltend machen, kann darauf mangels Erschöpfung des Instanzenzuges nicht
eingetreten werden.

2.
Die Beschwerdeführer rügen zunächst eine Verletzung des rechtlichen Gehörs für
den Fall, dass die Feststellung der Vorinstanz, den Vertragsparteien sei bis
Ende 2006 nicht bewusst gewesen, dass der GAV existiere, tatsächlich - wie in
E. 2.2.1.3 des angefochtenen Entscheides dargelegt - anhand des Protokolls der
Hauptverhandlung des erstinstanzlichen Richters getroffen worden sei.

2.1 Der aus Art. 29 Abs. 2 BV fliessende Anspruch auf rechtliches Gehör dient
einerseits der Sachaufklärung und stellt anderseits ein
persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheids dar,
welcher in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu gehört insbesondere
das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines solchen Entscheids zur Sache
zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen,
mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung
wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum
Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu
beeinflussen (BGE 132 V 368 E. 3.1 S. 370 f. mit Hinweisen).

2.2 Der erstinstanzliche Richter hielt in seinem Entscheid fest, beide Parteien
hätten anlässlich der Hauptverhandlung ausführen lassen, dass ihnen die
Existenz des GAV nicht bewusst gewesen sei. Die Vorinstanz bezog sich in lit. B
der Sachverhaltsschilderung und in E. 2.2.2.3 bzw. E. 2.2.3.3 auf dieses
Zugeständnis an der Hauptverhandlung. Wie die Vorinstanz in ihrem Entscheid
ausführt, macht sich der Richter in Appenzell Ausserhoden nach ständiger Praxis
in einem einzelrichterlichen Verfahren Handnotizen von den wesentlichsten
Vorbringen der Parteien. In der Regel werden sodann die wesentlichsten Aussagen
der Parteien im Entscheid kurz zusammengefasst wiedergegeben. Soweit die
Vorinstanz in E. 2.2.1.3 ihres Entscheids mit dem dort erwähnten "Protokoll"
derartige Handnotizen des Einzelrichters gemeint haben sollte, hat sie aus
diesen jedenfalls nichts anderes abgeleitet, als bereits im erstinstanzlichen
Entscheid festgehalten wird. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht
vor.

3.
Die Beschwerdeführer machen weiter geltend, die Vorinstanz habe zu Unrecht das
Bestehen eines Vertrags zugunsten eines Dritten verneint. Sie vertreten die
Auffassung, die Beschwerdegegnerin sei durch den Abzug der Solidaritätsbeiträge
und deren Ablieferung an den Arbeitgeberverband in eine vertragliche Beziehung
zur GAV-Gemeinschaft (die Gemeinschaft aller vertragsschliessenden Verbände)
getreten und habe damit einen Vertrag zugunsten Dritter abgeschlossen.

3.1 Hat sich jemand, der auf eigenen Namen handelt, eine Leistung an einen
Dritten zu dessen Gunsten versprechen lassen, so ist er nach Art. 112 Abs. 1 OR
berechtigt zu fordern, dass an den Dritten geleistet werde. Der Dritte kann
gestützt auf Art. 112 Abs. 2 OR selbständig die Erfüllung fordern, wenn es die
Willensmeinung der beiden anderen war, oder wenn es der Übung entspricht.

3.2 Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz war der
Beschwerdegegnerin die Existenz des GAV bis Ende 2006 nicht bewusst. Was die
Beschwerdeführer dagegen vorbringen, kann nicht gehört werden (Art. 97 Abs. 1
BGG und oben E. 1.2). Sollten die Beschwerdeführer mit ihrem Hinweis auf den
Anschein, den die Beschwerdegegnerin mit dem Abzug der Solidaritätsbeiträge
gegenüber der "GAV-Gemeinschaft" geschaffen habe, die Auffassung vertreten,
allein auf Grund des Abzugs und der Ablieferung der Solidaritätsbeiträge sei
nach dem Vertrauensprinzip der Abschluss eines Vertrags zugunsten eines Dritten
mit der "GAV-Gemeinschaft" anzunehmen, dessen Erfüllung der Dritte selbständig
fordern könne, ist ihnen nicht zu folgen. Abgesehen davon, dass das
angefochtene Urteil nicht feststellt, die "GAV-Gemeinschaft" habe das Verhalten
der Beschwerdegegnerin in diesem Sinn verstanden, kann keinesfalls davon
ausgegangen werden, dass sie es in guten Treuen so hätte verstehen dürfen und
müssen. Schliesslich ist nicht ersichtlich, warum und inwiefern die
Beschwerdeführer das Bundesgericht um Überprüfung der in BGE 123 III 129
wiedergegebenen Rechtsprechung ersucht, halten sie doch selber fest, dass sich
der vorliegende Fall von der damals zu beurteilenden Konstellation
unterscheidet.

4.
Weiter machen die Beschwerdeführer geltend, es müssten für den Fall, dass kein
Vertrag zugunsten Dritter vorliege, entweder die Einzelarbeitsverträge normativ
ausgelegt werden oder aber es sei ein Anschluss an den GAV im Sinn von Art.
356b OR ohne Rücksicht auf die fehlende Schriftform gemäss Art. 356c OR
anzunehmen, um eine Vergütung der geleisteten Überstunden zu ermöglichen.

4.1 Soweit die Beschwerdeführer aus dem Abzug der Solidaritätsbeiträge gestützt
auf Art. 1 OR i.V.m. Art. 2 ZGB und Art. 18 OR auf eine entsprechende Absprache
in den Einzelarbeitsverträgen schliessen will, kann ihnen schon deshalb nicht
gefolgt werden, weil den Parteien nach den verbindlichen Feststellungen der
Vorinstanz das Vorliegen des GAV bei Abschluss dieser Verträge gar nicht
bewusst war.

4.2 Die Beschwerdeführer begründen ihre Auffassung, der Anschluss im Sinn von
Art. 356b OR könne auch ohne die erforderliche Schriftform angenommen werden,
damit, dass die Anrufung von Art. 356c Abs. 1 OR durch die Beschwerdegegnerin
als rechtsmissbräuchlich erscheine.
Die Partei, die der anderen Rechtsmissbrauch vorwirft, hat die besonderen
Umstände nachzuweisen, auf Grund derer anzunehmen ist, dass Rechtsmissbrauch
vorliegt (BGE 134 III 52 E. 2.1 S. 58 f.). Die Beschwerdeführer begründen den
angeblichen Rechtsmissbrauch jedoch mit keinem Wort. Schon aus diesem Grund
kann ihnen nicht gefolgt werden.

5.
Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, als sie mangels
Rechtsgrundlage die Klage auf Zahlung von Überstundenentschädigungen für die
Zeit vor dem Beitritt der Beschwerdeführer zur Gewerkschaft SYNA abwies. Die
Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang
des Verfahrens werden die Beschwerdeführer unter solidarischer Haftbarkeit
kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und 5 sowie Art. 68 Abs. 2
und 4 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden den Beschwerdeführern unter
solidarischer Haftbarkeit auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführer haben die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren unter solidarischer Haftbarkeit mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergerichtspräsidenten von Appenzell
Ausserrhoden schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 16. April 2008
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Corboz Hürlimann