Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.99/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_99/2008

Urteil vom 23. Juli 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Hungerbühler, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Bundesrichter Donzallaz,
Gerichtsschreiber Klopfenstein.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwältin Ruth Dönni,

gegen

Migrationsamt des Kantons Zürich,
Regierungsrat des Kantons Zürich.

Gegenstand
Familiennachzug,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4.
Kammer,
vom 28. Dezember 2007.

Sachverhalt:

A.
Die aus Serbien stammende X.________ (geb. 1969) reiste im Juli 1986 in die
Schweiz ein und heiratete am 22. November 1989 ihren Landsmann Y.________ (geb.
1966). Aus dieser mit Urteil des Bezirksgerichts Uster vom 1. Oktober 1992
geschiedenen Ehe ging der Sohn A.________ (geb. 1991) hervor, der bei der
Scheidung unter die elterliche Sorge der Mutter gestellt wurde. Während diese
arbeitete, wurde er tagsüber von der Grossmutter mütterlicherseits (geb. 1948)
betreut. Ende Dezember 1996 kehrte die Grossmutter mit ihrem Enkel nach Serbien
zurück. Seither lebt A.________ bei ihr und besuchte in seiner Heimat auch die
Schule.
Am 17. Juli 1997 heiratete X.________ ihren Landsmann Z.________, mit dem sie
die beiden Kinder B.________ (geb. 1997) und C.________ (geb. 1999) hat. Sie,
der Ehemann und die beiden Kinder erwarben im Jahre 2003 das Schweizer
Bürgerrecht.
In den Jahren 2003 und 2005 hielt sich A.________ jeweils besuchsweise bei
seiner Mutter und ihrer neuen Familie in Wallisellen auf. Auch besuchte
X.________ ihren Sohn regelmässig in seinem Heimatland.

B.
Mit Verfügung vom 6. Oktober 2006 wies die Sicherheitsdirektion des Kantons
Zürich (Migrationsamt) das von X.________ am 29. Mai 2006 gestellte Gesuch um
Familiennachzug ihres Sohnes A.________ ab, im Wesentlichen mit der Begründung,
die Mutter könne keine vorrangige Beziehung zu ihrem Sohn aus erster Ehe
nachweisen und lege auch keine stichhaltigen Gründe dar, welche eine
Veränderung der bisherigen Betreuungsverhältnisse gebieten würden.
Ein gegen diese Verfügung erhobener Rekurs beim Regierungsrat des Kantons
Zürich blieb erfolglos, und mit Urteil vom 28. Dezember 2007 wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich die gegen den regierungsrätlichen
Entscheid vom 18. September 2007 erhobene Beschwerde ebenfalls ab.

C.
Mit Eingabe vom 1. Februar 2008 führt X.________ beim Bundesgericht Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit den Anträgen, das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 28. Dezember 2007 aufzuheben und das
Migrationsamt des Kantons Zürich anzuweisen, dem Sohn A.________ die Einreise
in die Schweiz zwecks Verbleibs bei der Mutter zu bewilligen bzw. A.________
die Niederlassungsbewilligung (eventuell eine Aufenthaltsbewilligung) zu
erteilen.
Die Staatskanzlei des Kantons Zürich beantragt - für den Regierungsrat -
Abweisung der Beschwerde. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hat auf
Vernehmlassung verzichtet. Das Bundesamt für Migration schliesst ebenfalls auf
Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.
1.1 Gemäss Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG ist die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten auf dem Gebiet des Ausländerrechts
unzulässig gegen Entscheide betreffend Bewilligungen, auf die weder das
Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt.

1.2 Zwar ist am 1. Januar 2008 das Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die
Ausländerinnen und Ausländer (AuG, SR 142.20) in Kraft getreten, doch bestimmt
dessen Art. 126 Abs. 1, dass auf Gesuche, die vor dem Inkrafttreten dieses
Gesetzes eingereicht worden sind, noch das bisherige Recht anwendbar bleibt.
Das streitige Familiennachzugsgesuch wurde vor Inkrafttreten des
Ausländergesetzes gestellt und beurteilt sich daher - soweit nationales
Gesetzesrecht Anwendung findet - noch nach dem inzwischen aufgehobenen
Bundesgesetz vom 26. Mai 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer
(ANAG) und seinen Ausführungserlassen.

1.3 Ledige ausländische Kinder unter 18 Jahren von Schweizer Bürgern haben
gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung gestützt auf Art. 7 ANAG in Analogie
zu Art. 17 Abs. 2 Satz 3 ANAG Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung, wenn
sie mit diesen zusammen wohnen (BGE 130 II 137 E. 2.1 S. 141; 129 I 249 E. 1.2
S. 252 mit Hinweisen). Die Beschwerdeführerin ist Schweizer Bürgerin. Sie hat
demnach einen grundsätzlichen Anspruch auf den Nachzug ihres im Zeitpunkt der
Gesuchseinreichung 15 Jahre alten Sohnes (vgl. BGE 129 II 11 und 126 II 329).
Da dieser auch heute noch nicht volljährig ist, ist zudem die Berufung auf das
in Art. 8 Ziff. 1 EMRK bzw. in Art. 13 Abs. 1 BV garantierte Recht auf Achtung
des Familienlebens zulässig (vgl. BGE 129 II 249 E. 1.2 S. 252 mit Hinweisen).
Auf die Beschwerde ist deshalb einzutreten.

1.4 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei
offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG (Art. 105 Abs. 2 bzw. Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und
Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der
Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). Echte tatsächliche Noven, das
heisst solche Tatsachen, die erst nach dem Ergehen des angefochtenen
Entscheides eingetreten sind, können im bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren
nicht berücksichtigt werden (BGE 134 IV 342 E. 2.1 S. 343). Die
Beschwerdeführerin ist daher mit ihren Einwänden, der Gesundheitszustand der
Grossmutter habe sich in den letzten Wochen erneut verschlechtert, nicht zu
hören. Als unzulässiges neues Beweismittel unbeachtlich bleibt auch das
ärztliche Zeugnis vom 18. Januar 2008.

2.
2.1 Die in der Rechtsprechung zu Art. 7 und 17 ANAG entwickelten
Voraussetzungen für den nachträglichen Nachzug von Kindern, welche sinngemäss
auch für Ansprüche aus Art. 8 EMRK gelten, sind unterschiedlich, je nachdem ob
es sich um die Vereinigung mit den gemeinsamen Eltern oder aber mit einem
getrennt lebenden Elternteil handelt. Im ersten Fall bedarf es, unter Vorbehalt
des Rechtsmissbrauches, keiner besonderen Rechtfertigung dafür, dass das
Nachzugsrecht erst nachträglich geltend gemacht wird; im zweiten Fall dagegen
wird ein nachträglicher Familiennachzug nur bewilligt, wenn besondere familiäre
Gründe bzw. eine Änderung der Betreuungssituation dies gebieten (BGE 130 II 1
E. 2.2 S. 4; 129 II 11 E. 3.1 S. 14 f.; 126 II 329 E. 2a und 3b S. 330/332).
Das ist regelmässig nicht der Fall, wenn im Heimatland alternative
Pflegemöglichkeiten bestehen, die dem Kindeswohl besser entsprechen,
beispielsweise weil dadurch vermieden werden kann, dass das Kind aus seiner
bisherigen Umgebung und dem ihm vertrauten Beziehungsnetz gerissen wird (BGE
133 II 6 E. 3.1.2 S. 11 f.; 125 II 585 E. 2c S. 588 mit Hinweisen).
Auf die Frage der vorrangigen Beziehung kommt es nach der jüngeren Praxis nicht
mehr an (vgl. etwa Urteile 2C_2008 vom 14. Mai 2008, E. 2.1, und 2C_290/2007
vom 9. November 2007, E. 2.1).
Vorliegend kommen die Regeln über den Familiennachzug von Kindern getrennt
lebender Eltern zur Anwendung. Dass der Sohn A.________ seinen in der Schweiz
lebenden Stiefvater seit längerer Zeit kennt, ändert entgegen der Auffassung
der Beschwerdeführerin (S. 5 der Beschwerdeschrift) nichts. Sie kann den
nachträglichen Nachzug ihres Sohnes aus erster Ehe nur verlangen, wenn
stichhaltige Gründe dessen Übersiedlung zur Mutter in die Schweiz gebieten.
Diese Gründe müssen angesichts der drohenden Integrationsschwierigkeiten umso
gewichtiger sein, je älter die nachzuziehenden Kinder sind (vgl. BGE 129 II 11
E. 3.3.2 S. 16, vgl. dazu auch BGE 133 II 6, E. 5.3, u.a. mit Hinweis auf das
Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte i. S. Tuquabo-Tekle
[Nr. 60665 vom 1. Dezember 2005]).

2.2 Das Verwaltungsgericht stellte fest, A.________ sei seit der Scheidung der
Eltern im Oktober 1992 - also bereits als Einjähriger - tagsüber von seiner
Grossmutter betreut worden, welche zusammen mit ihm im Dezember 1996 nach
Serbien zurückgekehrt sei und ihn seither aufgezogen habe. Damit rechtfertige
sich ohne weiteres die Annahme, dass die Grossmutter die Hauptverantwortung für
die Erziehung von A.________ trage. Zwar werde damit nicht in Abrede gestellt,
dass auch die Beschwerdeführerin eine intakte Beziehung mit ihrem Sohn pflege,
diese erreiche jedoch nicht die Intensität, die für die Annahme einer
vorrangigen Beziehung erforderlich sei. Dafür spreche vor allem der Umstand,
dass die Mutter, die im Jahr 1997 eine neue Familie gegründet hat, nicht schon
viel früher ein Gesuch um Nachzug ihres Sohnes gestellt habe.
Dem Verwaltungsgericht lag sodann ein ärztliches Zeugnis vor, wonach die
Grossmutter seit dem Tod ihres Gatten an Depressionen und Angstzuständen leide,
bei ihr erhöhte Blutdruck- und Blutzuckerwerte gemessen würden und sie mit
gelegentlichen rheumatischen Beschwerden leben müsse. Das Gericht erwog, es
solle nicht in Abrede gestellt werden, dass diese Krankheiten ernst zu nehmen
seien. Es handle sich aber um häufige und in der Regel gut behandelbare
Krankheiten, die die Betreuung eines bald 17-jährigen und weitgehend
selbständigen Jugendlichen nicht verunmöglichten. Überdies sei zu
berücksichtigen, dass ausser der Grossmutter noch ein Bruder der
Beschwerdeführerin mit A.________ zusammenlebe. Auch wenn dieser selber - was
in keiner Weise belegt sei - an Diabetes und Nierenproblemen leide, gelte für
diese Beschwerden das Gleiche wie für diejenigen der Grossmutter, nämlich, dass
dadurch die Wahrnehmung gewisser, wenig intensiver Betreuungsaufgaben
regelmässig nicht ausgeschlossen sei.

2.3 Die Beschwerdeführerin macht geltend, aus den eingereichten Arztzeugnissen
sei ersichtlich, dass die Grossmutter offensichtlich nicht mehr in der Lage
sei, sich um ihren Enkel zu kümmern. Ebenfalls verkenne die Vorinstanz den
Umfang an Betreuung, den ein 17-jähriger brauche; es könne A.________ zudem
nicht zugemutet werden, sich noch länger in seinem gegenwärtigen Umfeld von
Trauer, Krankheit und Elend aufzuhalten. Dass sich auch der Bruder der
Beschwerdeführerin um seinen Neffen kümmern könnte, sei nicht möglich. Dieser
habe im Haushalt noch nie einen Finger gerührt und sich auch noch nie um
A.________ gekümmert. Hier in der Schweiz dagegen habe A.________ seine Mutter
sowie seine beiden Halbgeschwister um sich; da er im Übrigen bereits sechs
Jahre in unserem Land gelebt habe, werde es ihm vergleichsweise leicht fallen,
sich hier zu integrieren.

2.4 Wieso vorliegend das Nachzugsgesuch nicht schon früher gestellt wurde, ist
nicht von Bedeutung und kann dahingestellt bleiben (vgl. vorne E. 2.1).
Jedenfalls war A.________ schon im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung 15 Jahre
alt; inzwischen steht er kurz vor Erreichung der Volljährigkeit und bedarf
nicht mehr derselben intensiven Betreuung wie ein Schulkind. Die geltend
gemachten gesundheitlichen Beschwerden der 60 Jahre alten Grossmutter
schliessen die altersgerechte Weiterbetreuung des Enkels bis zu dessen
Volljährigkeit nicht aus und begründen, wie die Vorinstanz zulässigerweise
annehmen durfte, keine zwingende Notwendigkeit für seine Übersiedlung in die
Schweiz. Das Verwaltungsgericht hat diesbezüglich zu Recht hohe
Beweisanforderungen gestellt: Je älter die nachzuziehenden Kinder sind, desto
grösser sind die zu erwartenden Integrationsschwierigkeiten und desto strengere
Anforderungen dürfen alsdann an den Nachweis der Notwendigkeit eines Nachzuges
gestellt werden (vgl. BGE 129 II 11 E. 3.3.2 S. 16).
Bei einer Übersiedlung in die Schweiz würde A.________ nicht nur von seiner
Grossmutter getrennt, die ihn bisher aufgezogen hat, sondern er würde auch aus
seiner vertrauten sonstigen Umgebung gerissen und wäre in der Schweiz mit
erheblichen Integrationsschwierigkeiten konfrontiert. Dass er seine früheste
Jugendzeit (Vorschulalter) hier verbracht hat, bevor er mit seiner Grossmutter
ins Heimatland zurückkehrte, vermag daran nichts zu ändern. Der Verbleib bei
ihr, die lange Zeit für ihn gesorgt hat und die heute vielleicht ihrerseits in
gewissen Situationen auf die Hilfe ihres Enkels angewiesen sein könnte, ist ihm
zuzumuten. Hinzu kommt, dass auch ein Bruder seiner Mutter zusammen mit der
Grossmutter lebt, der sich ebenfalls an einer altersgerechten Betreuung seines
Neffen beteiligen kann.
Bei dieser Sachlage durfte die Vorinstanz das Vorliegen stichhaltiger Gründe
für einen nachträglichen Nachzug des Sohnes verneinen. Sie musste A.________
hiezu - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin (S. 4 der
Beschwerdeschrift) - auch nicht persönlich anhören (vgl. BGE 124 II 361 E. 3c
S. 368, mit Hinweisen), umso weniger, als er selber seine Wünsche schriftlich
ins Verfahren eingebracht hat.

3.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind nicht geschuldet
(Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4.
Kammer, und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 23. Juli 2008
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:

Hungerbühler Klopfenstein