Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.906/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_906/2008

Urteil vom 28. April 2009
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Müller, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Zünd,
Gerichtsschreiber Hugi Yar.

Parteien
X.________, z.Zt. Flughafengefängnis,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Nideröst,

gegen

Migrationsamt des Kantons Zürich, Berninastrasse 45, 8090 Zürich.

Gegenstand
Verbeiständung (Bestätigung der Ausschaffungshaft),

Beschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichterin, vom
28. November 2008.

Sachverhalt:

A.
X.________ (geb. 1976) stammt aus der Türkei. Das Bundesamt für Flüchtlinge
(heute: Bundesamt für Migration) gewährte ihm am 16. Januar 2001 Asyl, das es
am 16. Februar 2007 widerrief, nachdem das Geschworenengericht des Kantons
Zürich X.________ wegen versuchter vorsätzlicher Tötung zu 7 ½ Jahren Zuchthaus
verurteilt hatte. Am 4. November 2008 lehnte das Migrationsamt des Kantons
Zürich es ab, die Aufenthaltsbewilligung von X.________ zu verlängern, wogegen
dieser an den Regierungsrat des Kantons Zürich gelangte. Mit Verfügung vom 17.
November 2008 entschied die Staatskanzlei, dass vom Vollzug der damit
verbundenen Wegweisung vorläufig abzusehen sei.

B.
Mit Verfügung vom 26. November 2008 nahm das Migrationsamt des Kantons Zürich
X.________ in Ausschaffungshaft, welche die Haftrichterin am Bezirksgericht
Zürich am 28. November 2008 prüfte und bis zum 24. Februar 2009 bestätigte. Das
Gesuch von X.________, seinen Rechtsvertreter als unentgeltlichen
Rechtsbeistand zu ernennen, wies sie mit der Begründung ab, dass sich weder in
tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht komplexe Fragen stellten.

C.
X.________ ist am 29. Dezember 2008 mit dem Antrag an das Bundesgericht
gelangt, den haftrichterlichen Entscheid insoweit aufzuheben, als darin sein
Gesuch um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands abgewiesen wurde
(Ziffer 1 des Dispositivs); allenfalls sei die Sache zu neuem Entscheid
hierüber an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bezirksgericht Zürich und das
Bundesamt für Migration haben darauf verzichtet, sich vernehmen zu lassen.

Erwägungen:

1.
Gegen kantonal letztinstanzliche Entscheide über Zwangsmassnahmen im
Ausländerrecht und damit verbundene Verfügungen betreffend die Verbeiständung
ist die öffentlich-rechtliche Beschwerde an das Bundesgericht zulässig. Nach
Art. 86 Abs. 2 BGG setzen die Kantone als unmittelbare Vorinstanzen des
Bundesgerichts obere Gerichte ein, soweit nicht nach einem anderen Bundesgesetz
Entscheide richterlicher Behörden direkt der Beschwerde an das Bundesgericht
unterliegen. Die entsprechende Anpassungsfrist ist am 1. Januar 2009 abgelaufen
(vgl. Art. 130 Abs. 3 BGG). Da der angefochtene Entscheid indessen noch vor
diesem Zeitpunkt erging, ist auf die frist- und formgerecht eingereichte
Beschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts einzutreten (Urteil 2C_35/
2009 vom 13. Februar 2009 E. 1; vgl. auch BGE 2C_10/2009 vom 5. Februar 2009 E.
3 - 5).

2.
2.1 Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet ausschliesslich die Frage, ob
die Vorinstanz das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung zu Recht abgewiesen
hat; die Haftgenehmigung als solche ist nicht angefochten. Der Beschwerdeführer
rügt keine Verletzung kantonaler Verfahrensbestimmungen, sondern macht
ausschliesslich geltend, sein bundesverfassungsrechtlich gewährleisteter
Anspruch auf Verbeiständung (Art. 29 BV) sei verletzt worden. Die Frage ist mit
freier Kognition zu prüfen (BGE 131 I 185 E. 2.1 mit Hinweis).
2.2
2.2.1 Nach Art. 29 Abs. 3 BV hat die bedürftige Partei einen Anspruch darauf,
dass ihr ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bestellt wird, soweit dies zur
Wahrung ihrer Rechte notwendig ist und ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos
erscheint. Unter diesen Voraussetzungen besteht ein Anspruch auf amtliche
Vertretung. Daraus lässt sich indessen kein Recht auf eine obligatorische
(notwendige) Verbeiständung ableiten; eine solche kann sich allenfalls aus
anderen Verfassungsbestimmungen ergeben (BGE 131 I 350 E. 3.1 und E. 4). Im
Unterschied zur amtlichen Verbeiständung, auf die ein verfassungsrechtlicher
Anspruch nur besteht, wenn das gestellte Begehren nicht aussichtslos erscheint,
darf die Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsvertreters im Bereich der
notwendigen Vertretung nicht davon abhängig gemacht werden, dass die
Erfolgsaussichten die Verlustgefahren überwiegen; dieser Anspruch findet seine
Schranken allein im Rechtsmissbrauchsverbot (BGE 129 I 281 E. 4.5).
2.2.2 Im Bereich der ausländerrechtlichen Administrativhaft hat das
Bundesgericht erkannt, dass im Haftverlängerungsverfahren einem bedürftigen
Häftling nach drei Monaten auf dessen Gesuch hin der unentgeltliche
Rechtsbeistand in der Regel - unabhängig von den Erfolgsaussichten seiner
Begehren - nicht verweigert werden darf (BGE 122 I 49 E. 2c/cc). Nach Art. 31
Abs. 2 Satz 2 BV muss jede Person, welcher die Freiheit entzogen wird, die
Möglichkeit haben, ihre Rechte in einer den Umständen angemessenen, wirksamen
Weise geltend zu machen, weshalb das Erfordernis der fehlenden
Aussichtslosigkeit bei einem Freiheitsentzug von einer gewissen Intensität bzw.
Dauer sachgerecht zu relativieren und differenziert zu handhaben ist (BGE 134 I
92 E. 3.2.3). In der Regel droht dem Ausländer bei der Haftverlängerung nach
drei Monaten eine schwere Freiheitsbeschränkung, die für ihn mit rechtlichen
und tatsächlichen Schwierigkeiten verbunden ist, denen er auf sich selber
gestellt selbst in "einfachen" Fällen ohne anwaltliche Hilfe kaum (mehr)
gewachsen erscheint (BGE 134 I 92 E. 3.2.3). Bei der erstmaligen Haftprüfung
ist eine unentgeltliche Verbeiständung demgegenüber nicht vorbehaltlos geboten,
sondern nur, wenn besondere Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher
Natur bestehen, welche eine solche (ausnahmsweise) rechtfertigen, was jeweils
aufgrund der Umstände im Einzelfall zu prüfen ist (BGE 134 I 92 E. 3.2.2; 122 I
275 E. 3b).
2.2.3 Entgegen den hierzu bloss summarischen Ausführungen im angefochtenen
Entscheid bestanden vorliegend Schwierigkeiten, welche den Beizug eines Anwalts
bereits bei der erstmaligen Haftgenehmigung rechtfertigten: Der
Beschwerdeführer befindet sich seit dem 19. März 2003 in Haft; am 16. Februar
2007 wurde ihm das Asyl entzogen, doch blieb seine Flüchtlingseigenschaft
erhalten. In solchen Fällen besteht ein komplexes Verhältnis zwischen den asyl-
und ausländerrechtlichen Verfahren bzw. Zuständigkeiten (vgl. BGE 2C_710/ 2008
vom 16. Februar 2009 E. 2 und 3), die vom Betroffenen nicht ohne anwaltliche
Beratung verstanden und im Haftprüfungsverfahren sachgerecht geltend gemacht
werden können. Zwar bildet der Wegweisungsentscheid selber nicht Gegenstand der
Haftprüfung (vgl. BGE 128 II 193 E. 2.2) und sind die damit verbundenen Fragen
in erster Linie in den - hier inzwischen eingeleiteten - asyl- oder
ausländerrechtlichen Verfahren zu prüfen, doch beeinflusst deren Komplexität
die Problematik der Absehbarkeit des Wegweisungsvollzugs (Art. 80 Abs. 6 lit. a
AuG) und damit verbunden die Verhältnismässigkeit bzw. Konventionskonformität
der Zwangsmassnahme (vgl. BGE 122 II 148 ff.). Es ist nicht ausgeschlossen,
dass der Wegweisungsvollzug in einer solchen Situation nicht mehr als schwebend
im Sinne von Art. 5 lit. f EMRK gelten kann, womit eine Haft zu dessen
Sicherung nicht mehr konventionskonform erschiene (vgl. BGE 130 II 56 ff.).
Auch ist es im Hinblick auf das Beschleunigungsgebot (vgl. Art. 76 Abs. 4 AuG)
nicht unproblematisch, wenn zwischen dem Asylwiderruf und dem
ausländerrechtlichen Wegweisungsentscheid ohne sachlichen Grund ein Zeitraum
liegt, welcher es erschwert, allfällige mit dem Vollzug der Wegweisung
verbundene Rechtsmittelverfahren noch während des Strafvollzugs einleiten zu
können, was die anschliessende Ausschaffungshaft verkürzen würde (vgl. HUGI
YAR, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, in: Uebersax et al. [Hrsg.],
Ausländerrecht, 2. Aufl., 2009, Rz. 10.99 ff., insbesondere 10.101).
Schliesslich hat sich das Bundesgericht, soweit ersichtlich, im Zusammenhang
mit den Zwangsmassnahmen noch nie mit einer Problematik der vorliegenden Art
befassen müssen. Der Fall bot damit Schwierigkeiten in tatsächlicher und
rechtlicher Hinsicht, welche es nötig machten, dem Gesuch des Beschwerdeführers
um die Beigabe seines Vertreters als Rechtsbeistand zu entsprechen. Es war ihm
als Laien nicht möglich, ohne rechtskundigen Vertreter seine Interessen im
Haftprüfungsverfahren wirksam geltend zu machen und in den Genuss eines (mit
dem Migrationsamt) waffengleichen, fairen Verfahrens zu gelangen (vgl. Art. 5
Ziff. 4 EMRK; BGE 134 I 92 E. 3.2.4 mit Hinweisen).

3.
3.1 Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen, die Ziffer 1 des Dispositivs des
Entscheids des Bezirksgerichts Zürich vom 28. November 2008 aufzuheben und die
Sache zu neuem Entscheid (Bestellung des Beistands und Festsetzung der
Entschädigung) an die Vorinstanz zurückzuweisen.

3.2 Dem Verfahrensausgang entsprechend sind keine Kosten zu erheben (vgl. Art.
66 Abs. 4 BGG; HANSJÖRG SEILER, Bundesgerichtsgesetz [BGG], 2007, Rz. 52 zu
Art. 66 BGG). Der Kanton Zürich muss den anwaltlich vertretenen
Beschwerdeführer für dessen Aufwand jedoch angemessen entschädigen (vgl. Art.
68 Abs. 2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
wird damit gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, Ziffer 1 des Dispositivs des Entscheids des
Bezirksgerichts Zürich vom 28. November 2008 wird aufgehoben und die Sache wird
zu neuem Entscheid über die Verbeiständung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.

2.3 Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird als
gegenstandslos abgeschrieben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichterin, und
dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 28. April 2009
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Müller Hugi Yar