Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.89/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_89/2008

Urteil vom 26. Juni 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Bundesrichterin Yersin, Bundesrichter Karlen,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Gerichtsschreiber Merz.

Parteien
Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG), Zweigniederlassung SF
Schweizer Fernsehen,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Rudolf Mayr von Baldegg,

gegen

Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen,
A.________, als weiterer Beteiligter.

Gegenstand
Sendung Kassensturz vom 6. Februar 2007, Beitrag über einen prominenten
Schönheitschirurgen,

Beschwerde gegen den Entscheid der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und
Fernsehen vom 31. August 2007.

Sachverhalt:

A.
Das Schweizer Fernsehen strahlte am 6. Februar 2007 in der Sendung
"Kassensturz" einen Beitrag über Schönheitschirurgen aus. Dieser sollte -
gleich wie ein früherer Beitrag vom 19. Dezember 2006 und ein späterer vom 13.
Februar 2007 - die Zuschauer auf fragwürdige Praktiken aufmerksam machen.
Insbesondere sollte belegt werden, dass der bekannte Schönheitschirurg Dr. med.
R.________ bereit sei, selbst bei einer Frau mit perfekten Körpermassen eine
Brustvergrösserung vorzunehmen. Um dies nachzuweisen, suchte die 19-jährige
M.________, damals Miss Z.________, zusammen mit einer Fernsehjournalistin die
Praxis von R.________ auf. Letztere filmte in der Arztpraxis mit versteckter
Kamera. In der Sendung vom 6. Februar 2007 wurden Ausschnitte der dabei
aufgenommenen Bilder ausgestrahlt. Diese zeigten unter anderem den nicht
anonymisierten Arzt bei der Untersuchung von M.________ und bei einem Gespräch
mit ihr.

B.
A.________ beanstandete die erwähnte Sendung bei der zuständigen Ombudsstelle.
Nachdem diese am 4. April 2007 einen Schlussbericht ausgefertigt hatte, erhob
A.________ am 2. Mai 2007 Beschwerde bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für
Radio und Fernsehen (UBI). Er kritisierte, dass der Beitrag vom 6. Februar 2007
durch illegale Filmaufnahmen und unzureichende Recherchierarbeit zustande
gekommen sei.

Die UBI hiess die Beschwerde am 31. August 2007 gut und stellte fest, dass der
erwähnte Beitrag die Programmbestimmungen verletze. Weiter forderte sie die
Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft auf, sie innert 60 Tagen über die
getroffenen Vorkehrungen zu unterrichten, um den Mangel zu beheben und in
Zukunft gleiche oder ähnliche Rechtsverletzungen zu vermeiden.

C.
Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) beantragt dem
Bundesgericht mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 30.
Januar 2008, den Entscheid der UBI vom 31. August 2007 aufzuheben und
festzustellen, dass der Beitrag vom 6. Februar 2007 in der Sendung
"Kassensturz" über Schönheitschirurgen die Programmrechtsbestimmungen nicht
verletze.

D.
A.________ und die UBI stellen den Antrag, die Beschwerde abzuweisen.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgesetz vom 24. März 2006 über Radio und Fernsehen (RTVG; SR 784.40)
ist am 1. April 2007 in Kraft getreten. Noch vor diesem Datum wurde der
beanstandete Beitrag ausgestrahlt und das aufsichtsrechtliche Verfahren bei der
Ombudsstelle eingeleitet, so dass sich die materielle Beurteilung gemäss Art.
113 Abs. 2 RTVG nach den Vorschriften des alten gleichnamigen Bundesgesetzes
vom 21. Juni 1991 (aRTVG; AS 1992 601) richtet. Hingegen ist bereits das neue
Verfahrensrecht anzuwenden, da das Verfahren am 1. April 2007 noch hängig war
(Art. 113 Abs. 1 RTVG).

2.
Entscheide der UBI über den Inhalt redaktioneller Sendungen können unmittelbar
mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht
angefochten werden (Art. 99 RTVG, Art. 86 Abs. 1 lit. c BGG). Die SRG als
Veranstalterin des beanstandeten Fernsehbeitrags ist zur Beschwerde legitimiert
(Art. 89 Abs. 1 BGG; BGE 131 II 253 E. 1.1 S. 255). Die Eingabe erfüllt auch
die Frist- und Formerfordernisse (Art. 42 und 100 BGG), so dass auf sie
einzutreten ist.

3.
Die UBI hat geprüft, ob der streitige Beitrag das Sachgerechtigkeitsgebot (dazu
allgemein BGE 134 I 2 E. 3.3.1 S. 6 f.; 131 II 253 E. 2.1 S. 256 mit Hinweisen)
verletzt. Sie verneint dies. Aufgrund der vermittelten Informationen habe sich
das Publikum ein eigenes Bild über die Relevanz der gegen R.________ erhobenen
Vorwürfe machen können.

Hingegen ist die UBI der Auffassung, die SRG habe in gravierender Weise in die
Privatsphäre des Schönheitschirurgen eingegriffen. Da keine sachliche
Notwendigkeit bzw. keine Rechtfertigung bestanden habe, die mit versteckter
Kamera aufgenommenen und nicht anonymisierten Bilder ohne Einwilligung des
Chirurgen auszustrahlen, verletze die beanstandete Sendung den
"rundfunkrechtlichen Persönlichkeitsschutz". Deshalb hat die UBI die Beschwerde
von A.________ gutgeheissen.

4.
Das Bundesgericht wendet das Recht - unter Vorbehalt von Art. 106 Abs. 2 BGG -
von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist weder an die in der Beschwerde
vorgetragene Begründung der Rechtsbegehren noch an die Erwägungen der
Vorinstanz gebunden (vgl. BGE 133 IV 150 E. 1.2 S. 152).

5.
Ob und inwieweit der Veranstalter einer Radio- oder Fernsehsendung auch die
Grundrechte als Programmrechtsbestimmungen beachten muss, ist eine Frage der
materiellen Beurteilung, die gemäss Art. 113 RTVG nach altem Recht vorzunehmen
ist (siehe E. 1 hievor). Die UBI ist in ihrem Entscheid denn auch davon
ausgegangen, dass sich ihre Prüfungsbefugnis noch nach dem Bundesgesetz vom 21.
Juni 1991 über Radio und Fernsehen richtet.

6.
6.1 Nach Art. 58 Abs. 2 aRTVG beurteilt die UBI Beschwerden gegen ausgestrahlte
Radio- und Fernsehsendungen schweizerischer Veranstalter. Gemäss Art. 62 Abs. 2
aRTVG muss die Beschwerde mit kurzer Begründung angeben, wodurch
Programmbestimmungen des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen, seiner
Ausführungsbestimmungen oder der Konzession verletzt worden sind. Die UBI
stellt anschliessend fest, ob eine Verletzung der erwähnten
Programmbestimmungen oder derjenigen einschlägiger internationaler
Übereinkommen gegeben ist (Art. 65 Abs. 1 aRTVG).

6.2 Gemäss ständiger Rechtsprechung bildet Gegenstand dieses
Aufsichtsverfahrens ausschliesslich die Einhaltung rundfunkrechtlicher Regeln.
Für angebliche Verletzungen anderer Normen (z.B. Strafrecht,
Persönlichkeitsrecht, unlauterer Wettbewerb usw.) bleiben die ordentlichen
(Zivil- und Straf-)Gerichte zuständig. Die Programmaufsicht dient dem Schutz
der unverfälschten Willens- und Meinungsbildung der Öffentlichkeit und nicht in
erster Linie der Durchsetzung privater Anliegen (vgl. BGE 132 II 290 E. 3.2.3
S. 296 f.; 122 II 471 E. 2b S. 475 f.; 121 II 359 E. 2a S. 362 f., je mit
Hinweisen). Die Veranstalter haben zwar auch die Grundrechte und namentlich die
Menschenwürde zu beachten (vgl. Botschaft vom 18. Dezember 2002 zur
Totalrevision des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen, in BBl 2003 S. 1668
Ziff. 2.1.2.1.2; Art. 4 Abs. 1 RTVG sowie nachfolgende E. 6.6). Diese gehören
aber nur insoweit zu den rundfunkrechtlichen Regeln, deren Einhaltung von der
UBI überprüft werden kann, als es sich um programmrelevante, objektive
Schutzziele handelt, wie zum Beispiel der Religionsfrieden, die Vermeidung von
Rassenhass, der Jugendschutz; dementsprechend sind gemäss Art. 6 Abs. 1 aRTVG
etwa Sendungen unzulässig, welche die öffentliche Sittlichkeit gefährden oder
in denen Gewalt verharmlost oder verherrlicht wird.

6.3 In dieser Richtung hatte sich im Wesentlichen bereits der Bundesrat in
seiner Botschaft vom 28. September 1987 zum Bundesgesetz über Radio und
Fernsehen geäussert. Demnach war das Verfahren vor der UBI nicht als
Rechtsschutz für Einzelne gedacht, sondern zur Überprüfung von Sendungen im
Interesse der Öffentlichkeit und ihrer ungehinderten Willensbildung als
wichtiges Element der Demokratie (BBl 1987 III 689, insbes. S. 708 Ziff. 126).

Dies wollte das Parlament verdeutlichen, als es dem Gesetzesentwurf des
Bundesrates auf Vorschlag von Ständerat Rhinow unter anderem die Regelung des
Art. 64 Abs. 3 aRTVG hinzufügte (vgl. im neuen Recht die entsprechende Regelung
in Art. 96 Abs. 3 RTVG). Dieser Bestimmung zufolge kann die UBI die Behandlung
einer Beschwerde ablehnen oder sistieren, soweit zivil- oder strafrechtliche
Rechtsbehelfe offenstehen oder unbenützt geblieben sind. Die Kann-Formulierung
dieser Bestimmung ist nicht im Sinne einer Kompetenzerweiterung der UBI zu
verstehen. Sie wurde vielmehr nur gewählt, weil es Fälle geben kann, in denen
verschiedene Aspekte derart nahe beieinander liegen, dass eine
Kompetenzattraktion nötig wird; das soll aber die Ausnahme bleiben. Die UBI
soll demnach keine umfassende Rechtspflegeinstanz sein, die alle möglichen
Rügen und Rechtsverletzungen prüft. Wenn es in erster Linie um
Persönlichkeitsverletzungen geht, soll sie nicht entscheiden. Eine
Doppelspurigkeit verschiedener Instanzen in Bezug auf gleiche Rügen ist zu
vermeiden (vgl. Begründung des Antrags des Ständerats Rhinow in AB 1990 S 615
und 616).

Auch im Zusammenhang mit anderen Bestimmungen hat das Parlament erklärt, dass
das Tätigkeitsfeld der UBI einzugrenzen sei und diese demnach im
Kompetenzbereich der Straf- und Zivilgerichte keine Entscheide treffen solle
(vgl. Voten der Nationalräte David, Zölch, Uchtenhagen, Frey und von Bundesrat
Ogi in AB 1989 N 1676 f.).

6.4 Ein Bedürfnis zu einer Ausweitung der Zuständigkeit der UBI auf den
individualrechtlichen Persönlichkeitsschutz besteht nicht, da dieser durch die
Zivil- und Strafinstanzen genügend gewährleistet wird (ähnlich Peter Nobel/Rolf
H. Weber, Medienrecht, 3. Aufl. 2007, N. 184 zum 8. Kapitel, S. 458). Eine
derartige Kompetenzerweiterung der UBI stünde zudem im Widerspruch zum
eigentlichen Sinn und Zweck der rundfunkrechtlichen Aufsicht, welche in erster
Linie im Interesse der Allgemeinheit ausgeübt wird.

6.5 Diese Lösung steht auch im Einklang mit Art. 93 Abs. 5 BV, wonach
"Programmbeschwerden" einer unabhängigen Beschwerdeinstanz vorgelegt werden
können. Diese Verfassungsbestimmung verlangt nicht, dass der
Individualrechtsschutz im Zusammenhang mit Radio- und Fernsehsendungen von
einer solchen Instanz gewährleistet wird (vgl. Jean-François Aubert, in: Aubert
/Mahon [Hrsg.], Petit commentaire de la Constitution fédérale de la
Confédération suisse, 2003, N. 23 zu Art. 93).

6.6 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem für die Schweiz seit dem 1.
Mai 1993 verbindlichen Europäischen Übereinkommen vom 5. Mai 1989 über das
grenzüberschreitende Fernsehen (EÜGF; SR 0.784.405). Zwar müssen nach Art. 7
Ziff. 1 EÜGF alle - grenzüberschreitend ausgestrahlten - Sendungen eines
Programms im Hinblick auf ihre Aufmachung und ihren Inhalt "die Menschenwürde
und die Grundrechte anderer" achten; insbesondere dürfen sie nicht unsittlich
sein und namentlich keine Pornographie enthalten (lit. a) sowie Gewalt nicht
unangemessen herausstellen und nicht geeignet sein, zum Rassenhass
aufzustacheln (lit. b). Das schliesst aber nicht aus, dass individuelle
Persönlichkeitsverletzungen nur vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht
werden können. Das Abkommen verlangt hiefür kein spezielles Verfahren vor der
UBI oder einer vergleichbaren Instanz.

6.7 Im Übrigen handelt es sich beim hier angerufenen Persönlichkeitsrecht des
Arztes, das zumindest zivilrechtlich auch das berufliche und gesellschaftliche
Ansehen mitumfasst, um höchstpersönliche Rechte, die nicht übertragbar sind
(vgl. BGE 118 II 1 E. 5b S. 5; Urteil 5A_78/2007 vom 24. August 2007, E. 4,
publ. in: sic! 2007 S. 895). Bereits dies schliesst aus, dass Dritte diese
Rechte anrufen und gestützt darauf Massnahmen verlangen können. Demzufolge
scheint es auch nicht angezeigt, dass sich die UBI auf Beschwerde eines Dritten
hin damit befasst, ob eine Persönlichkeitsverletzung des Arztes gegeben ist.

7.
Wie ausgeführt, betrachtet die UBI im vorliegenden Fall das
Sachgerechtigkeitsgebot als eingehalten; das Publikum werde nicht der Gefahr
einer verfälschten Willens- oder Meinungsbildung ausgesetzt. Die
diesbezüglichen Erwägungen der UBI sind nicht zu beanstanden. Nach dem Gesagten
überschreitet diese aber mit ihrer Feststellung, die Persönlichkeit des
Schönheitschirurgen R.________ sei verletzt worden, die ihr nach dem
Bundesgesetz vom 21. Juni 1991 über Radio und Fernsehen (aRTVG) eingeräumte
Prüfungskompetenz bzw. Zuständigkeit. Die Beschwerde der SRG erweist sich
demnach als begründet und ist gutzuheissen; der angefochtene Entscheid der UBI
ist aufzuheben. Damit ist nicht gesagt, dass keine Persönlichkeitsverletzung
vorliegt. Darüber werden aber die zuständigen Stellen, die der direkt
Betroffene angerufen hat, befinden müssen.

8.
Gemäss Art. 66 Abs. 4 BGG sind für das bundesgerichtliche Verfahren keine
Kosten zu erheben. Der unterliegende Popularbeschwerdeführer A.________, dem
vor Bundesgericht keine Parteistellung zukommt, ist als weiterer Beteiligter
praxisgemäss nicht kostenpflichtig (unveröffentlichte E. 4 von BGE 131 II 253,
mit Hinweisen). Der im Programmbereich mit öffentlichen Aufgaben betrauten
Beschwerdeführerin (SRG) ist keine Parteientschädigung geschuldet (Art. 68 Abs.
3 BGG; unveröffentlichte E. 7b/bb von BGE 126 II 7; vgl. auch unveröffentlichte
E. 5 von BGE 134 I 2).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, und der Entscheid der Unabhängigen
Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen vom 31. August 2007 wird aufgehoben.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Unabhängigen Beschwerdeinstanz
für Radio und Fernsehen sowie A.________ schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. Juni 2008
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Merz