Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.804/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_804/2008

Urteil vom 5. Dezember 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Donzallaz,
Gerichtsschreiber Klopfenstein.

Parteien
X.________ alias Y.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwältin Antigone Schobinger,

gegen

Kantonspolizei Zürich.

Gegenstand
Fortsetzung Ausschaffungshaft,

Beschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter, vom 24.
Oktober 2008.

Sachverhalt:

A.
Die nach eigenen Angaben aus Zimbabwe stammende X.________ (geb. 1973) landete
am 8. März 2008 von Johannesburg via Dubai herkommend auf dem Flughafen Zürich
Kloten und wollte, wie sie sagte, nach England (London) weiterreisen. Sie hatte
ihren kleinen Sohn (geb. 2002) bei sich und wies für Mutter und Kind zwei
gültige südafrikanische Reisepässe vor. Als Reisegrund gab sie "Tourismus" an.
Da die zuständigen Polizeibehörden den von ihr mitgeführten Geldbetrag als
ungenügend erachteten, verweigerten sie den beiden die Einreise. Daraufhin gab
X.________ an, sie heisse Y.________ und stamme aus Zimbabwe. Sie sei im Jahre
2002 aus ihrem Heimatland nach Südafrika geflohen. Am 10. März 2008 stellte sie
für sich und ihren Sohn am Flughafen ein Asylgesuch.

B.
Am 29. März 2008 lehnte das Bundesamt für Migration die gestellten Asylgesuche
ab und wies Mutter und Sohn aus dem Transitbereich des Flughafens Zürich weg.
Mit Entscheid vom 21. April 2008 wies das Bundesverwaltungsgericht eine
hiegegen erhobene Beschwerde ab. Es erwog im Wesentlichen, da gültige
südafrikanische Reisepässe vorlägen, sei von der südafrikanischen
Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer auszugehen. Nähere Hinweise bzw.
Aufschlüsse für eine asylrelevante Gefährdungssituation in Südafrika seien
unterblieben und weder die allgemeine Lage im Heimatstaat noch individuelle
Gründe liessen im Falle einer Rückkehr auf eine konkrete Gefährdung schliessen.
Die Wegweisung sei deshalb zumutbar und möglich.

C.
Am 29. April 2008 verweigerte X.________ eine begleitete Rückführung nach
Südafrika. Sie randalierte vor dem Start des Flugzeuges und musste zusammen mit
ihrem Kind wieder von Bord gebracht werden. Gleichentags wurde sie von der
Kantonspolizei Zürich (Flughafenpolizei) in Ausschaffungshaft genommen. Ihr
Sohn wurde vorübergehend im Kinderheim Tipi in Birmensdorf einquartiert; er
lebt seit dem 5. Mai 2008 in einer Pflegefamilie.
Mit Verfügung vom 2. Mai 2008 prüfte und genehmigte das Bezirksgericht Zürich
(Haftrichter) die angeordnete Haft bis zum 29. Juli 2008, mit Verfügung vom 24.
Juli 2008 deren Verlängerung bis zum 29. Oktober 2008 und mit Verfügung vom 24.
Oktober 2008 deren weitere Verlängerung bis zum 29. Januar 2009.

D.
Am 10./12. Juni 2008 hatte X.________ beim Bundesamt für Migration ein
Wiedererwägungsgesuch mit den Anträgen eingereicht, es sei die vorläufige
Aufnahme anzuordnen und festzustellen, dass sich der Vollzug der Wegweisung als
unzumutbar erweise. Mit Schreiben vom 16. Juni 2008 wies das Bundesamt für
Migration das kantonale Migrationsamt an, im Moment von einem Vollzug der
Wegweisung abzusehen ("de renoncer pour le moment à l'exécution du renvoi");
die Bemühungen zur Papierbeschaffung seien jedoch fortzusetzen.
Im Zeitpunkt des haftrichterlichen Entscheides vom 24. Oktober 2008 - und auch
bei Einreichung der Beschwerde beim Bundesgericht (vgl. nachfolgend lit. E) -
war das erwähnte Wiedererwägungsverfahren beim Bundesamt für Migration noch
hängig.

E.
Mit Eingabe vom 5. November 2008 führt X.________ Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit den Anträgen, den Entscheid des
Bezirksgerichts Zürich (Haftrichter) vom 24. Oktober 2008 aufzuheben und sie
umgehend aus der Ausschaffungshaft zu entlassen. Gleichzeitig wird um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ersucht.
Die Kantonspolizei Zürich (Flughafenpolizei) beantragt, die Beschwerde
abzuweisen. Der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich hat auf eine
Stellungnahme verzichtet. Das Bundesamt für Migration hat sich vernehmen
lassen, ohne einen ausdrücklichen Antrag zu stellen. Mit Eingabe vom 26.
November 2008 hat sich X.________ nochmals geäussert und an ihren Anträgen
festgehalten.

Erwägungen:

1.
Sowohl gegen den letztinstanzlichen Entscheid über die Anordnung der
Ausschaffungshaft als auch gegen jeden kantonal letztinstanzlichen Entscheid
über die Haftverlängerung steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG an das Bundesgericht offen. Die
vorliegende Beschwerde erweist sich daher als zulässig.

2.
Wurde ein erstinstanzlicher Weg- oder Ausweisungsentscheid eröffnet, so kann
die zuständige Behörde den betroffenen Ausländer zur Sicherstellung des
Vollzugs u.a. dann in Ausschaffungshaft nehmen bzw. in dieser belassen, wenn
konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass er sich der Ausschaffung entziehen
will (Untertauchensgefahr, Art. 76 Abs. 1 Ziff. 3 AuG). Die Haft darf höchstens
drei Monate dauern; stehen dem Vollzug der Weg- oder Ausweisung besondere
Hindernisse entgegen, so kann sie mit Zustimmung der kantonalen richterlichen
Behörde für volljährige Personen um höchstens 15 Monate verlängert werden (Art.
76 Abs. 3 AuG). Die für den Vollzug der Weg- oder Ausweisung notwendigen
Vorkehren sind umgehend zu treffen (Beschleunigungsgebot, Art. 76 Abs. 4 AuG);
die Haft wird u.a. beendet, wenn der Haftgrund entfällt oder sich erweist, dass
der Vollzug der Weg- oder Ausweisung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen
undurchführbar ist (Art. 80 Abs. 6 lit. a AuG). Die Verhafteten können mit
ihren Rechtsvertretern mündlich und schriftlich verkehren (Art. 81 Abs. 1 Satz
2 AuG). Sodann ist die Haft in geeigneten Räumlichkeiten zu vollziehen (Art. 81
Abs. 2 Satz 1 AuG).

3.
Die Beschwerdeführerin und ihr Sohn sind rechtskräftig aus der Schweiz
weggewiesen worden. Das Vorliegen eines Haftgrundes gemäss den vorangegangenen
Haftrichterentscheiden wird in der Beschwerdeschrift nicht (mehr) ernsthaft
bestritten: Zwar stellt die Beschwerdeführerin in Frage, wie sie denn "mit
einem kleinen Kind hier in der Schweiz während der kalten Jahreszeit
untertauchen" solle (S. 12 der Beschwerdeschrift). Dies ändert jedoch nichts
daran, dass der festgestellte Haftgrund der Untertauchensgefahr nach wie vor
gegeben ist: Die Beschwerdeführerin hat sich bereits einmal gegen einen
Ausschaffungsversuch per Flugzeug zur Wehr gesetzt. Darüber hinaus will sie
erklärtermassen weder nach Südafrika noch nach Zimbabwe zurückkehren, weshalb
nicht damit gerechnet werden kann, dass sie sich im Falle einer Haftentlassung
den Behörden zum Vollzug der Wegweisung freiwillig zur Verfügung halten würde.

4.
4.1 Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes,
weil seitens der Behörden vom 3. Juli 2008 bis zum 21. Oktober 2008 keine
Vorkehrungen mehr zur Durchführung der Ausschaffung unternommen worden seien.

4.2 In der Regel ist das Beschleunigungsgebot verletzt, wenn während mehr als
zwei Monaten keinerlei Vorkehren mehr im Hinblick auf die Ausschaffung
getroffen wurden (Untätigkeit der Behörden), ohne dass die Verzögerung in
erster Linie auf das Verhalten ausländischer Behörden oder des Betroffenen
selber zurückgeht (BGE 124 II 49 E. 3a S. 51 mit Hinweisen). Vorliegend bestand
jedoch insofern eine besondere Sachlage, als die Beschwerdeführerin nach
Abweisung ihrer Beschwerde gegen den abschlägigen Asylentscheid am 10./12. Juni
2008 beim Bundesamt für Migration ein Wiedererwägungsgesuch stellen liess,
worauf das Bundesamt die zürcherischen Behörden anwies, mit dem Vollzug der
Ausschaffung einstweilen zuzuwarten, die Bemühungen zur Papierbeschaffung aber
dennoch fortzusetzen (vgl. vorne lit. D). Wie in der Vernehmlassung der
kantonalen Behörden zu Recht ausgeführt wird, lagen für die Beschwerdeführerin
und ihren Sohn gültige südafrikanische Reisepässe bereits vor; es brauchte
einzig noch ein Sonderflug organisiert zu werden, wofür aber der Abschluss des
Wiedererwägungsverfahrens abgewartet werden musste. Dass die Organisation eines
(kostspieligen) Sonderfluges eine gewisse Zeit beanspruchen kann, liegt in der
Natur der Sache, und eine entsprechende Verlängerung der Ausschaffungshaft muss
von den Betroffenen, welche durch renitentes Verhalten zu einer solchen
Massnahme Anlass gegeben haben, in Kauf genommen werden.

4.3 Die Einreichung einer Beschwerde oder eines Wiedererwägungsgesuches gegen
einen Wegweisungsentscheid lässt eine zur Sicherung des Vollzugs desselben
verfügte Ausschaffungshaft nicht dahinfallen, selbst dann nicht, wenn einer
solchen Eingabe, wie hier, aufschiebende Wirkung zuerkannt wird (vgl. Urteil
2A.64/2007 vom 22. Februar 2008, E. 2.2.1). Eine Entlassung aus der
Ausschaffungshaft hätte sich vorliegend aus Gründen der Verhältnismässigkeit
bloss dann aufgedrängt, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem
gutheissenden Wiedererwägungsentscheid oder aber zumindest mit einer längeren
Dauer bis zur Ausfällung des Entscheides über das Wiedererwägungsgesuch zu
rechnen gewesen wäre (vgl. Urteil 2A. 304/2005 vom 26. Mai 2005, E. 2.1). Wenn
der Haftrichter vorliegend davon ausging, es sei trotz des - zum Zeitpunkt
seines Entscheides noch hängigen - Wiedererwägungsverfahrens mit dem Vollzug
der Ausschaffung binnen drei Monaten zu rechnen (vgl. S. 5 des angefochtenen
Entscheides), so hielt er sich mit dieser Einschätzung im Rahmen des
Zulässigen. Das Bundesamt für Migration hat denn auch inzwischen - am 24.
November 2008 - über das fragliche Wiedererwägungsgesuch abschlägig entschieden
und erklärt, dass eine Rückführung mittels Sonderflug "baldmöglichst" (gemäss
eigenen Angaben der Beschwerdeführerin in der Stellungnahme vom 26. November
2008: "noch vor Weihnachten" 2008) stattfinden werde.
Wenn vorliegend während rund drei Monaten keine konkreten Vorkehren zur
Ausschaffung der Beschwerdeführerin getroffen wurden, so war dies nach dem
Gesagten bei der gegebenen besonderen Sachlage kein fehlerhaftes Verhalten der
zum Vollzug der Wegweisung zuständigen Behörden, sondern die Folge der von der
Beschwerdeführerin mit dem Wiederwägungsgesuch erwirkten einstweiligen
Suspendierung der Ausschaffung. Da die Beschwerdeführerin eine Rückkehr nach
Südafrika strikte ablehnte und sie sich gegen eine begleitete Rückführung
bereits einmal gewaltsam zur Wehr gesetzt hatte, durfte sie angesichts der
offenkundigen Untertauchensgefahr auch während der Hängigkeit des
Wiederwägungsverfahrens in Ausschaffungshaft behalten werden. Von einer
Verletzung des Beschleunigungsgebotes kann nicht gesprochen werden.

5.
Die Beschwerdeführerin beanstandet die Haftbedingungen im Flughafengefängnis
bezüglich der Ausgestaltung der Kontaktmöglichkeiten zu ihrem zur Zeit bei
einer Pflegefamilie untergebrachten sechsjährigen Sohn. Die jetzige Regelung
(offenbar in der Regel ein wöchentlicher Besuch des Kindes bei der Mutter für
die Dauer von jeweils eineinhalb Stunden, vgl. S. 4 der Beschwerdeschrift)
führe zu einer sprachlichen und emotionalen Entfremdung zwischen Mutter und
Kind. Die Beschwerdeführerin tut aber nicht dar (Art. 42 Abs. 2 BGG), wie die
Besuchsregelung ihrer Meinung nach zu verbessern wäre, sondern erachtet die
Aufrechterhaltung der Haft wegen der Erschwerung der Kontakte zu ihrem Kind
überhaupt als unverhältnismässig. Auch mit diesem Einwand vermag sie nicht
durchzudringen: Gemäss der Rechtsprechung darf im Interesse der Durchsetzung
und Vorbereitung einer fremdenpolizeilichen Ausschaffung auch bei
Administrativgefangenen der Besuch naher Familienangehöriger eingeschränkt
werden. So erachtete das Bundesgericht in der nicht veröffentlichen Erwägung II
/5 von BGE 123 I 221 eine Bestimmung, wonach nahen Familienangehörigen "pro
Woche mindestens eine Stunde Besuchszeit" einzuräumen sei, als
"grundrechtskonform anwendbar". Es oblag unter diesen Umständen der
Beschwerdeführerin, bei der Leitung des Flughafengefängnisses gegebenenfalls
Ausnahmen von der gehandhabten Besuchsregelung zu beantragen und zu begründen.
Sie hat es im Übrigen in der Hand, sich dem gegen sie ergangenen
rechtskräftigen Wegweisungsentscheid zu unterziehen und zusammen mit ihrem Kind
die Ausreise anzutreten.

6.
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet. Sie ist
abzuweisen.
Bei diesem Verfahrensausgang würde die unterliegende Beschwerdeführerin an sich
kostenpflichtig (Art. 65 und 66 BGG). Weil ihr Wiedererwägungsgesuch beim
Bundesamt für Migration im Zeitpunkt der Beschwerdeführung schon relativ lange
hängig war und aus ihrer Sicht insoweit eine gewisse Erfolgsaussicht der beim
Bundesgericht erhobenen Beschwerde gegen die Verlängerung der Ausschaffungshaft
bestehen mochte, kann angesichts ihrer Mittellosigkeit indessen dem gestellten
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung entsprochen werden
(Art. 64 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen:
a) es werden keine Kosten erhoben.
b) Frau Rechtsanwältin Antigone Schobinger wird zur unentgeltlichen
Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin bestellt und es wird ihr für das
bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse ein Honorar von Fr.
1'500.-- ausgerichtet.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Kantonspolizei Zürich, dem
Bezirksgericht Zürich (Haftrichter) und dem Bundesamt für Migration schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 5. Dezember 2008
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Klopfenstein