Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.791/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_791/2008

Urteil vom 25. November 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Gerichtsschreiber Zähndler.

Parteien
X.________, Regionalgefängnis Bern,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Fürsprecher Thomas Wenger,

gegen

Migrationsdienst des Kantons Bern, Eigerstrasse 73, 3011 Bern.

Gegenstand
Ausschaffungshaft,

Beschwerde gegen den Entscheid des Haftgerichts III Bern-Mittelland
(Haftrichterin 7) vom 15. Oktober 2008.

Sachverhalt:

A.
X.________, geb. 3. März 1991, stammt nach eigenen Angaben aus Bangladesch. Er
reiste am 25. Juli 2002 zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder illegal in
die Schweiz ein und stellte am Folgetag ein Asylgesuch. Das Bundesamt für
Migration (BFM) lehnte dieses am 3. Mai 2004 ab und wies sowohl X.________ als
auch dessen Mutter und Bruder aus der Schweiz weg. Es setzte ihnen für die
Ausreise aus der Schweiz Frist bis zum 28. Juni 2004. Die gegen diese Verfügung
erhobenen Rechtsmittel blieben erfolglos. X.________ hat die Schweiz bis heute
nicht verlassen.
Am 13. Oktober 2008 wurde X.________ vom Migrationsdienst des Kantons Bern in
Ausschaffungshaft genommen. Mit Entscheid vom 15. Oktober 2008 bestätigte das
Haftgericht III Bern-Mittelland die Anordnung der Ausschaffungshaft für die
Zeit bis zum 12. Januar 2009.

B.
Gegen den Entscheid des Haftgerichts III Bern-Mittelland führt X.________ mit
Eingabe vom 29. Oktober 2008 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten. Er beantragt, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und
er sei aus der Ausschaffungshaft zu entlassen. Am 17. November 2008 reichte der
Beschwerdeführer eine ergänzende Eingabe ein.
Das Haftgericht III Bern-Mittelland und der Migrationsdienst des Kantons Bern
schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das BFM verzichtet in seiner
Vernehmlassung auf einen Antrag.

Erwägungen:

1.
1.1 Auf die Beschwerde kann eingetreten werden, da sie unter Einhaltung der
gesetzlichen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42 BGG) von einer durch
die Entscheidung besonders berührten Partei mit einem schutzwürdigen Interesse
an deren Aufhebung oder Änderung (Art. 89 Abs. 1 BGG) eingereicht wurde. Sie
richtet sich gegen einen von einer letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1
lit. d BGG) gefällten Endentscheid (Art. 90 BGG) in einer Angelegenheit des
öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG). Keine der in Art. 83 BGG erwähnten
Ausnahmen ist anwendbar.

1.2 Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden
Begründung abweisen.

1.3 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Der Beschwerdeführer, welcher die
Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz anfechten will, muss substantiiert
darlegen, inwiefern die qualifizierten Voraussetzungen gemäss Art. 105 Abs. 2
BGG gegeben sind. Andernfalls kann ein von dem im angefochtenen Entscheid
festgestellten abweichender Sachverhalt nicht berücksichtigt werden (vgl. BGE
130 III 138 E. 1.4 S. 140).

2.
2.1 Zu prüfen ist, ob das Haftgericht III Bern-Mittelland die Voraussetzungen
für die Anordnung der Ausschaffungshaft zu Recht bejaht hat. Im angefochtenen
Entscheid führt die Vorinstanz aus, es bestehe beim Beschwerdeführer
Untertauchensgefahr. Sie begründet dies im Wesentlichen damit, dass dieser
einerseits falsche Angaben zu seiner Nationalität gemacht habe, und
andererseits auch der Verdacht bestehe, der Beschwerdeführer handle mit
Betäubungsmitteln. Zudem sei er mittel- und obdachlos und habe auch zu erkennen
gegeben, dass er nicht zurück in sein Heimatland wolle. Der Beschwerdeführer
bestreitet diese Vorhalte vollumfänglich.

2.2 Wurde ein erstinstanzlicher Weg- oder Ausweisungsentscheid eröffnet, so
kann die zuständige Behörde die betroffene Person zur Sicherstellung des
Vollzugs nach Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 AuG (SR 142.20) in Haft nehmen,
wenn konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass sie sich der Ausschaffung
entziehen will. Gemäss dieser Bestimmung ist dies insbesondere dann der Fall,
wenn die Person ihrer Mitwirkungspflicht nach Art. 90 AuG sowie Artikel 8 Abs.
1 lit. a oder Art. 8 Abs. 4 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG; SR
142.31) nicht nachkommt. Art. 90 AuG besagt, dass die Ausländerinnen und
Ausländer insbesondere verpflichtet sind, zutreffende und vollständige Angaben
über die für die Regelung des Aufenthalts wesentlichen Tatsachen zu machen
(lit. a), die erforderlichen Beweismittel unverzüglich einzureichen oder sich
darum bemühen, sie innerhalb einer angemessenen Frist zu beschaffen (lit. b)
und Ausweispapiere zu beschaffen oder bei deren Beschaffung durch die Behörden
mitzuwirken (lit. c). Gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. a AsylG sind Asylsuchende
verpflichtet, an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken und
insbesondere ihre Identität offen zu legen. Art. 8 Abs. 4 AsylG statuiert
darüber hinaus die Verpflichtung, nach Vorliegen eines vollziehbaren
Wegweisungsentscheides bei der Beschaffung gültiger Reisepapiere mitzuwirken.

2.3 Das Haftgericht III Bern-Mittelland hat ausgeführt, es sei zur Zeit davon
auszugehen, dass der Beschwerdeführer nicht wie von ihm angegeben aus
Bangladesch stamme, sondern vielmehr indischer Staatsangehöriger sei. Die
Vorinstanz stützt sich dabei auf Erkenntnisse des BFM, welche wiederum auf
entsprechenden Informationen der Behörden von Bangladesch, Abklärungen durch
Vertrauensanwälte in Bangladesch und Indien sowie auf Aussagen von mehreren
Drittpersonen beruhen. Der Beschwerdeführer zeigt nicht substantiiert auf,
inwiefern die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz offensichtlich unrichtig
sein soll; vielmehr beschränkt er sich auf ein blosses Bestreiten seiner
indischen Staatsangehörigkeit, was für eine Sachverhaltsrüge gemäss Art. 97
Abs. 1 BGG und Art. 105 Abs. 1 BGG nicht genügt (BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246;
133 II 249 E. 1.4.3 S. 255).
Der Beschwerdeführer machte in diesem Zusammenhang eventualiter geltend, das
BFM und der Migrationsdienst des Kantons Bern hätten das Beschleunigungsgebot
verletzt, indem sie nach Erhalt der Information der Behörden von Bangladesch
über seine Staatsangehörigkeit keinerlei Bemühungen unternommen hätten,
indische Reisepapiere zu beschaffen. Diese Rüge geht fehl: Der Vernehmlassung
des BFM kann entnommen werden, dass dieses die betreffende Auskunft am 29.
April 2008 erhielt und am 11. Juni 2008 Vertrauensanwälte sowohl in Bangladesch
als auch in Indien eingesetzt hat, um weitere Informationen erhältlich zu
machen; es begründet sein Vorgehen damit, dass die indische Vertretung in der
Schweiz nur dann in der Lage sei, ein Ersatzreisedokument auszustellen, wenn
die Herkunft und Identität der betroffenen Person zweifelsfrei feststünden.
Nach Erhalt der ersten Abklärungsergebnisse am 19. August bzw. 11. September
2008 wurden am 19. September 2008 weitere Abklärungen via Vertrauensanwalt in
Indien in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse dem BFM am 6. November 2008
zugingen. Von einer Verletzung des Beschleunigungsgebots kann bei dieser
Sachlage keine Rede sein.
Auch die in der ergänzenden Eingabe des Beschwerdeführers vom 17. November 2008
behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht zu erkennen: Der
Beschwerdeführer rügt, dass ihm der Bericht des Vertrauensanwaltes aus Indien
nie zugestellt worden sei. Es wäre dem Beschwerdeführer jedoch freigestanden,
beim BFM bzw. beim Migrationsdienst des Kantons Bern um Einsicht in die ihn
interessierenden Akten zu ersuchen. Dass ihm eine solche Einsicht verweigert
wurde, wird selbst vom Beschwerdeführer nicht behauptet.
Die einstweilige Annahme des Haftgerichtes III Bern-Mittelland, dass der
Beschwerdeführer aus Indien und nicht wie von ihm angegeben aus Bangladesch
stamme, lässt sich daher nicht beanstanden.

2.4 Der Beschwerdeführer führt ins Feld, dass durch seine Inhaftierung vor
allem Druck auf seine Mutter gemacht und deren Verhalten sanktioniert werden
soll. Er übersieht dabei jedoch, dass die Pflicht, wahrheitsgemässe Angaben zu
seiner Herkunft zu machen bzw. falsche Angaben zu korrigieren, nicht nur seine
Mutter, sondern auch ihn persönlich trifft. Da er die zuständigen Behörden
dennoch nicht über seine tatsächliche Nationalität aufklärte, hat die
Vorinstanz zu Recht auf Verletzung seiner Mitwirkungspflichten und somit auf
Untertauchensgefahr i.S.v. Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 AuG (i.V.m. Art. 90
AuG sowie Art. 8 Abs. 1 lit. a und Abs. 4 AsylG) geschlossen.

2.5 Wie alle staatlichen Massnahmen muss auch die Ausschaffungshaft
verhältnismässig sein. Es ist jeweils aufgrund der konkreten Umstände zu
klären, ob sie geeignet bzw. erforderlich ist und nicht gegen das
Übermassverbot, d.h. das sachgerechte und zumutbare Verhältnis von Mittel und
Zweck, verstösst (BGE 133 II 97 E. 2.2 S. 100). Dabei ist dem Verhalten des
Betroffenen, den die Papierbeschaffung allenfalls erschwerenden objektiven
Umständen sowie dem Umfang der von den Behörden bereits getroffenen Abklärungen
Rechnung zu tragen. Ebenso ist zu berücksichtigen, wieweit der Betroffene es
tatsächlich in der Hand hat, seine Festhaltung zu beenden, indem er seiner
Mitwirkungs- bzw. Ausreisepflicht nachkommt. Im vorliegenden Fall haben die
schweizerischen Behörden Abklärungen mittels Vertrauensanwälten in Indien und
Bangladesch getätigt, um die Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers zu
eruieren. Das BFM führt in seiner Vernehmlassung zudem aus, dass die
Einreichung eines Identitätsdokuments, aber auch bereits die Angabe der
korrekten heimatlichen Adresse das Verifikationsverfahren in Indien
beschleunigen könnte. Bei Indien handle es sich zudem um einen
verfolgungssicheren Staat, wo aufgrund seiner hohen Bevölkerungszahl zwar
Verzögerungen nicht ausgeschlossen seien, sich aber regelmässig keine Probleme
hinsichtlich der Rückkehr ergäben. Der Beschwerdeführer bestreitet noch immer,
indischer Staatsangehöriger zu sein, und hat soweit ersichtlich keinerlei
Bemühungen gezeigt, zur Beschaffung seiner Reisepapiere beizutragen. Damit ist
die Anordnung von Ausschaffungshaft zur Sicherstellung des Wegweisungsvollzuges
geeignet und erforderlich; dass der Beschwerdeführer erst am 3. März 2009 die
Volljährigkeit erreicht, vermag daran nichts zu ändern.

2.6 Die Beschwerde erweist sich bereits aufgrund des bisher Gesagten als
unbegründet. Ob der Beschwerdeführer darüber hinaus mit Betäubungsmitteln
gehandelt hat, ob er mittel- und obdachlos ist und ob er zu erkennen gab, dass
er nicht zurück in sein Heimatland wolle, ist daher für den vorliegenden
Entscheid nicht mehr relevant: Diese Umstände würden zwar die
Untertauchensgefahr erhöhen; nach dem Ausgeführten bestehen jedoch auch ohne
Berücksichtigung der erwähnten Umstände Haftgründe.

3.
Der Beschwerdeführer beantragt, es sei ihm für das Verfahren vor Bundesgericht
die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren.
Das Bundesgericht befreit eine Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel
verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der Gerichtskosten und von der
Sicherstellung der Parteientschädigung, sofern ihr Rechtsbegehren nicht
aussichtslos erscheint (Art. 64 Abs. 1 BGG). Wenn es zur Wahrung ihrer Rechte
notwendig ist, bestellt das Bundesgericht der Partei einen Anwalt. Nach der
Rechtsprechung ist ein Gesuchsteller bedürftig, der die Leistung der
erforderlichen Prozess- und Parteikosten nur erbringen kann, wenn er die Mittel
angreift, die er zur Deckung des Grundbedarfs für sich und seine Familie
benötigt. Als aussichtslos gelten jene Prozessbegehren, deren Gewinnaussichten
beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als
ernsthaft bezeichnet werden können. Massgeblich ist, ob sich eine vernünftige,
nicht mittellose Partei ebenfalls zur Beschwerde entschlossen hätte. Eine
Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen
würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE 129 I
129 E. 2.3.1; 128 I 225 E. 2.5.3). Das Gesetz bezieht sich auf die
Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren und nicht einzelner Rügen, weswegen die
Chancen der Beschwerde als Ganzes massgebend sind (Urteil 6B_588/2007 vom 11.
April 2008 E. 6.2).
Von der Mittellosigkeit des Beschwerdeführers ist aufgrund der Akten ohne
weiteres auszugehen. Die Beschwerde ist in ihrer Gesamtheit nicht geradezu als
offensichtlich unbegründet und aussichtslos zu bezeichnen. Die Minderjährigkeit
des Beschwerdeführer rechtfertigt unter den vorliegenden Umständen eine
anwaltliche Vertretung. Dem Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung kann demnach entsprochen werden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung für das Verfahren vor Bundesgericht wird gutgeheissen:

2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Dem Beschwerdeführer wird Fürsprecher Thomas Wenger, Bern, als
unentgeltlicher Rechtsbeistand beigegeben; dieser wird für das
bundesgerichtliche Verfahren mit insgesamt Fr. 1'000.-- aus der
Bundesgerichtskasse entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Haftgericht III Bern-Mittelland
(Haftrichterin 7) und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. November 2008
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Zähndler