Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.70/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_70/2008 / aka

Urteil vom 27. Mai 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Müller, Karlen,
Gerichtsschreiber Küng.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Joachim Lerf,

gegen

Steuerverwaltung des Kantons Freiburg,
Rue Joseph-Piller 13, 1700 Freiburg.

Gegenstand
Art. 29 und 32 BV, Art. 6 EMRK, Art. 14 Ziff. 3 lit. g UNO-Pakt II und Art. 132
Abs. 3 DBG (Ermessensveranlagung bei hängigem Strafverfahren wegen
Betäubungsmitteldelikten)

Beschwerde gegen den Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Freiburg,
Steuergerichtshof, vom 30. November 2007.

Sachverhalt:

A.
Die Steuerverwaltung des Kantons Freiburg veranlagte X.________ am 16. November
2000 für die Steuerperioden 1997/98 und 1999/2000. Dabei wurde das erzielte
Einkommen aus der Landwirtschaft in den Jahren 1995-1998 nach Ermessen
festgesetzt: auf Fr. 40'886.-- (1995), Fr. 750'000.-- (1996), Fr. 1'000'000.--
(1997) und Fr. 2'700'000.-- (1998); das bewegliche Betriebsvermögen wurde auf
Fr. 695'000.-- (1997) und Fr. 1'525'000.-- (1999) geschätzt. Gegen diese
Einschätzungen erhob X.________ erfolglos Einsprache. Das von ihm darauf
angerufene Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg hiess seine Beschwerde am
20. Mai 2005 teilweise gut und wies die Sache zur Neubeurteilung an die
Steuerverwaltung zurück. Das Gericht hielt fest, die Steuerverwaltung habe
nicht genügend begründet, wie sie die nach pflichtgemässem Ermessen
festgesetzten Steuerfaktoren geschätzt habe. Die Steuerverwaltung wies am 14.
März 2006 die Einsprache erneut ab. Dabei legte sie die ermessensweise
Schätzung einzelner Steuerfaktoren näher dar. Das Verwaltungsgericht wies am
30. November 2007 die gegen den neuen Einspracheentscheid erhobene Beschwerde
sowohl hinsichtlich der Kantonssteuer als auch hinsichtlich der direkten
Bundessteuer ab, soweit es darauf eintrat.

B.
X.________ beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 30. November 2007
aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen;
eventuell seien die Veranlagungen für die Kantonssteuer und die direkte
Bundessteuer 1997/98 und 1999/2000 unter Weglassung der vorgenommenen Korrektur
Warenlager (1996: Fr. 540'000.--, 1997: Fr. 880'000.--) sowohl für das
Einkommen als auch für das Vermögen neu vorzunehmen.

Das Verwaltungsgericht stellt den Antrag, die Beschwerde abzuweisen, soweit
darauf einzutreten sei.

Die kantonale Steuerverwaltung verzichtet auf eine Stellungnahme zur Beschwerde
und verweist auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid.

Die eidgenössische Steuerverwaltung ersucht um Abweisung der Beschwerde.

C.
Der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts hat
das Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der aufschiebenden Wirkung am 4.
März 2008 abgewiesen.

Erwägungen:

1.
1.1 Der Beschwerdeführer betrieb in den Jahren 1996 und 1997 zusammen mit
Y.________ die einfache Gesellschaft "Z.________", die sich dem Anbau von Hanf
und der Vermarktung von Hanfprodukten widmete. Nach Eröffnung eines
Strafverfahrens wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz fanden
Hausdurchsuchungen statt, bei denen Buchhaltungs- und Geschäftsunterlagen
beschlagnahmt wurden. Das Strafverfahren war im Zeitpunkt des angefochtenen
Entscheids noch nicht abgeschlossen.

1.2 Die kantonale Steuerverwaltung hat bei der Veranlagung der direkten
Bundessteuer und der Kantonssteuer 1997/98 sowie 1999/2000 beim Einkommen des
Beschwerdeführers ein Warenlager von Hanfduftöl berücksichtigt, dessen Wert sie
nach pflichtgemässem Ermessen auf Fr. 540'000.-- (1996) bzw. Fr. 880'000.--
(1997) schätzte. Sie berücksichtigte dieses Warenlager ebenfalls bei der
kantonalen Besteuerung des Vermögens in den Jahren 1997/98 sowie 1999/2000.

1.3 Der Beschwerdeführer bestreitet zwar nicht, dass an sich die
Voraussetzungen für eine Ermessensveranlagung erfüllt waren. Er macht jedoch
geltend, die Veranlagung sei verfrüht erfolgt; die Steuerbehörden hätten das
entsprechende Verfahren sistieren müssen, bis das gegen ihn hängige
Strafverfahren wegen Betäubungsmitteldelikten abgeschlossen sei. Ausserdem
verletze der angefochtene Entscheid seine Verfahrensrechte. Weiter kritisiert
der Beschwerdeführer die vorgenommenen Ermessensveranlagungen als
offensichtlich unrichtig.

2.
2.1 Nach Ansicht des Beschwerdeführers verstossen die Veranlagungen 1997/98 und
1999/2000 der direkten Bundessteuer und der Kantonssteuer gegen die
Unschuldsvermutung gemäss Art. 32 BV und Art. 6 EMRK bzw. gegen die Garantie
von Art. 14 Ziff. 3 lit. g UNO-Pakt II, wonach niemand gezwungen werden darf,
gegen sich selbst als Zeuge auszusagen oder sich schuldig zu bekennen. Jede
gegenüber den Steuerveranlagungsbehörden gemachte Angabe würde "eins zu eins"
Eingang in die Akten des gegen ihn geführten Strafverfahrens wegen
Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz finden. Es liege auf der Hand,
dass den Steuerbehörden bekanntgegebene Angaben über Umsatz und Gewinn für die
Strafverfolgungsorgane von grosser Bedeutung seien, etwa wenn sie über das
Vorliegen eines schweren Falles oder über allfällige Ersatzforderungen
entscheiden müssten. Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe seinen
Mitwirkungspflichten im Steuerveranlagungsverfahren nicht nachkommen können,
weil er sonst sein Recht, nicht gegen sich selber aussagen zu müssen, nicht
hätte wahren können. Um eine solche Situation zu vermeiden, hätten die
kantonalen Instanzen das Veranlagungsverfahren bis zum Abschluss des
Strafverfahrens sistieren müssen. Der Beschwerdeführer leitet einen
Sistierungsanspruch direkt aus den zitierten verfassungs- und völkerrechtlichen
Normen ab; dagegen rügt er keine Verletzung des für die direkte Bundessteuer
und die Kantonssteuer massgeblichen Gesetzesrechts.

2.2 Der Grundsatz der Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1
EMRK) sowie das daraus abgeleitete (BGE 130 I 126 E. 2.1) und durch Art. 14
Ziff. 3 lit. g UNO-Pakt II ausdrücklich garantierte Verbot des Zwangs zur
Selbstbezichtigung gelten nicht im Nachsteuerverfahren (BGE 121 II 273 E. 3b S.
282 f.) und erst recht nicht im ordentlichen Veranlagungsverfahren. Die
Vorinstanz räumt - durch Verweis auf den früheren Entscheid ihres Präsidenten
vom 29. April 2005 - zwar ein, dass im Fall einer Mitwirkung des
Beschwerdeführers im Steuerveranlagungsverfahren Sachverhaltselemente zu Tage
treten könnten, die sich im Rahmen des gegen ihn geführten Strafverfahrens
belastend auszuwirken vermöchten; das gelte insbesondere für Informationen über
Bestand und Ausmass des Hanfanbaus sowie der entsprechenden Geschäftstätigkeit.
Zutreffend weist die Vorinstanz jedoch ebenfalls darauf hin, dass dieser
Umstand an der Mitwirkungspflicht in einem - getrennt vom Strafverfahren
geführten - Veranlagungs- bzw. Nachsteuerverfahren nichts ändere. Für solche
Informationen bestehe aber allenfalls im Strafverfahren ein
Beweisverwertungsverbot, damit die genannten verfassungs- und völkerrechtlichen
Garantien nicht unterlaufen werden könnten.

2.3 Diese Ansicht hat in der Zwischenzeit Eingang in die Bundesgesetzgebung
gefunden. Für den Bereich der direkten Bundessteuern sieht Art. 183 Abs. 1bis
des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG; SR
642.11) vor, dass Beweismittel aus einem Nachsteuerverfahren in einem
Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung nur dann verwendet werden, wenn sie
weder unter Androhung einer Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen (Art. 130
Abs. 2 DBG) mit Umkehr der Beweislast nach Art. 132 Abs. 3 DBG noch unter
Androhung einer Busse wegen Verletzung von Verfahrenspflichten beschafft
wurden. Dasselbe gilt aufgrund von Art. 57a Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 14.
Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und
Gemeinden (StHG; SR 642.14). Es kann offen bleiben, ob diese Bestimmungen, die
am 1. Januar 2008 in Kraft traten, im vorliegenden Verfahren anwendbar sind.
Aus ihnen geht jedenfalls hervor, dass nach Auffassung des Bundesgesetzgebers
aus dem Verbot des Zwangs zur Selbstbezichtigung kein Dahinfallen der
Mitwirkungspflichten im Nachsteuerverfahren oder gar eine Pflicht zur
Sistierung dieses Verfahrens abgeleitet werden kann. Was im Verhältnis zwischen
Nach- und Strafsteuerverfahren gilt, muss umso mehr zwischen einem ordentlichen
Veranlagungsverfahren und einem nicht fiskalischen Strafverfahren gelten.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, soweit eine Verletzung der
Unschuldsvermutung und des Verbots des Zwangs zur Selbstbezichtigung gerügt
wird.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer hält ebenfalls Art. 29 Abs. 1 BV für verletzt, weil
dem Einspracheentscheid die personelle Zusammensetzung der Behörde nicht zu
entnehmen war und er deshalb nicht in der Lage gewesen sei, allfällige
Ausstandsbegehren zu stellen.

3.2 Die genannte Verfassungsbestimmung gewährleistet die Unabhängigkeit und
Unparteilichkeit auch der nicht richterlichen Entscheidungsorgane (BGE 125 I
209 E. 8a S. 217 f.) und gibt dem Rechtsuchenden Anspruch auf Bekanntgabe von
deren Zusammensetzung. Die Namen der mitwirkenden Personen müssen indessen
nicht ausdrücklich genannt werden; es genügt, dass sich die Partei darüber ins
Bild setzen kann (BGE 117 Ia 322 E. 1c S. 322).

Die Vorinstanz räumt zwar ein, dass die Unterschrift des Beamten, der den
Einspracheentscheid fällte, nicht leserlich war. Sie weist jedoch darauf hin,
dass aufgrund der angegebenen Referenznummer und dem Kürzel der Name durch eine
kurze Nachfrage bei der Steuerverwaltung ohne weiteres hätte in Erfahrung
gebracht werden können. Eine Verletzung des angerufenen verfassungsmässigen
Rechts liegt unter diesen Umständen nicht vor.

4.
4.1 Die Steuerverwaltung fällte am 14. März 2006 den neuen Einspracheentscheid
ohne Anhörung des Beschwerdeführers, nachdem das Verwaltungsgericht die Sache
an sie zurückgewiesen hatte. Nach Auffassung des Beschwerdeführers ist dadurch
sein Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt worden.

4.2 Im Entscheid vom 20. Mai 2005 wurde die Sache "zwecks Eröffnung genügend
begründeter Entscheide (genauere Darlegung der vorgenommenen
Ermessensveranlagung)" an die Steuerverwaltung zurückgewiesen. Die Vorinstanz
erklärt, die Rückweisung sei nicht zwecks ergänzender Instruktion, sondern
bloss zur Begründung erfolgt. Eine erneute Anhörung des Beschwerdeführers sei
deshalb nicht erforderlich gewesen.

Die Einsprachebehörde hat am 14. März 2006 ihren früheren Entscheid bestätigt
und lediglich die ermessensweise veranlagten Elemente näher begründet; sie hat
weder Sachverhaltsabklärungen getroffen noch eine neue rechtliche Beurteilung
vorgenommen. Nach der Rechtsprechung (BGE 119 Ia 136 E. 2e S. 139) musste sie
dem Beschwerdeführer in dieser Situation nicht nochmals Gelegenheit geben, sich
zu äussern.

5.
5.1 Schliesslich kritisiert der Beschwerdeführer die ermessensweise Veranlagung
bei der direkten Bundessteuer auch in inhaltlicher Hinsicht. Gegen die
Ermessensveranlagung der Kantonssteuer erhebt er keine Rügen, so dass darauf
nicht einzugehen ist.

5.2 Nach Art. 132 Abs. 3 DBG kann der Steuerpflichtige eine Veranlagung nach
pflichtgemässem Ermessen nur wegen offensichtlicher Unrichtigkeit anfechten.
Die Vorinstanz erklärt, dass diese für das Einspracheverfahren aufgestellte
Regel auch für die anschliessende Beschwerde gelte. Das wird vom
Beschwerdeführer zu Recht nicht in Frage gestellt (vgl. Martin Zweifel, in:
Martin Zweifel/Peter Athanas [Hrsg.], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht
I/2b, Basel 2000, Art. 132 DBG N. 54). Er macht jedoch geltend, dass die
Schätzung des Warenlagers von Hanfduftöl durch die Veranlagungsbehörde
offensichtlich unrichtig sei und daher von der Vorinstanz nicht hätte geschützt
werden dürfen.

5.3 Da sich bereits der angefochtene Entscheid mit den Einwänden, die der
Beschwerdeführer vorbringt, eingehend auseinandersetzt, erübrigen sich weitere
Erwägungen dazu; es kann auf die vorinstanzlichen Ausführungen verwiesen
werden. Ergänzend sei bemerkt, dass sich die Gutachten der Solida Treuhand AG
auf die vorhandenen Unterlagen sowie eine Betriebsbesichtigung, an welcher der
Beschwerdeführer teilnahm, stützen. Aus einem bei den Akten liegenden Schreiben
von Y.________ geht hervor, dass ein Lager von 36 Litern Duftöl produziert
worden sein soll, was bei einem Preis von Fr. 150.-- pro Fläschchen à 10 Gramm
die Summe von Fr. 540'000.-- ergibt (kant. act. 10122, ohne Datum:
"Unrechtmässige Aneignung o. Veruntreuung"), auf die das Warenlager für das
Jahr 1996 ermessensweise geschätzt wurde. Der Beschwerdeführer bringt nichts
vor, was die Ermessensveranlagung als offensichtlich unrichtig erscheinen
lassen könnte.

5.4 Die im Zusammenhang mit der ermessensweisen Veranlagung erhobene weitere
Rüge, es sei offensichtlich tatsachenwidrig, das geschätzte Warenlager als
Einkommen bzw. bei der Kantonssteuer auch als Vermögen anzusehen, ist ebenfalls
unbegründet. Der angefochtene Entscheid setzt sich (E. 5b, S. 21) mit der
Zusammensetzung des Warenlagers auseinander. In Bezug auf dessen rechtliche
Qualifikation kann es keinem Zweifel unterliegen, dass sich Änderungen im
Warenbestand unmittelbar auf die Erfolgsrechnung auswirken.

6.
Die Beschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen. Bei diesem Ausgang sind die
Kosten des Verfahrens vor Bundesgericht dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art.
66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 12'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Steuerverwaltung und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg sowie der Eidgenössischen
Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 27. Mai 2008
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Küng