Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.701/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_701/2008

Urteil vom 26.Februar 2009
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Müller, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Karlen,
Gerichtsschreiber Merz.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Franz Dörig,

gegen

Amt für Migration des Kantons Luzern, Fruttstrasse 15, 6002 Luzern.

Gegenstand
Ausländerrecht,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 20.
August 2008.

Sachverhalt:

A.
Der aus dem Libanon stammende X.________ (geb. 1976) reiste im März 2002
illegal in die Schweiz ein und stellte unter einer falschen Identität ein
Asylgesuch. Nachdem er für die Behörden nicht mehr erreichbar war, trat das
Bundesamt für Flüchtlinge (heute Bundesamt für Migration) auf das Asylgesuch
mit Entscheid vom 16. September 2002 nicht ein. Im April 2003 heiratete
X.________ in seiner Heimat die Schweizer Bürgerin Y.________ (geb. 1964). Im
Oktober 2003 reiste er im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz ein und
erhielt eine bis zum 24. Oktober 2004 gültige Jahresaufenthaltsbewilligung.

Im Dezember 2003 wurde X.________ verhaftet und anschliessend während rund
einem Jahr in Untersuchungshaft gehalten. Das Kriminalgericht des Kantons
Luzern verurteilte ihn am 12. Januar 2007 unter anderem wegen mehrfacher
Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, begangen als schwerer Fall im
Sinne von Art. 19 Ziff. 2 BetmG, zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von
drei Jahren. Davon waren 18 Monate unbedingt zu vollziehen; für die restlichen
18 Monate wurde der bedingte Vollzug gewährt. Unter Anrechnung der erwähnten
Untersuchungshaft wurde X.________ vom 12. November 2007 bis 3. Mai 2008 in den
Strafvollzug genommen.

B.
Unter Hinweis auf die strafrechtliche Verurteilung lehnte das Amt für Migration
des Kantons Luzern mit Verfügung vom 14. Februar 2008 das Gesuch um
Verlängerung der am 24. Oktober 2004 ausgelaufenen Aufenthaltsbewilligung ab.
Gleichzeitig verfügte es die Ausweisung von X.________ für unbestimmte Zeit
gemäss Art. 10 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und
Niederlassung der Ausländer (ANAG, BS 1 121, in der Fassung vom 9. Oktober
1948, AS 1949 I 221). Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wies die
dagegen erhobene Beschwerde am 20. August 2008 ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und subsidiärer
Verfassungsbeschwerde vom 23. September 2008 beantragt X.________ dem
Bundesgericht, seine Beschwerden "gutzuheissen". Eventualiter sei die Sache zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Das kantonale Amt für Migration, das Verwaltungsgericht sowie das Bundesamt für
Migration stellen den Antrag, die Beschwerden abzuweisen.

D.
Der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts hat
der Beschwerde mit Verfügung vom 2. Oktober 2008 antragsgemäss die
aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Erwägungen:

1.
Der vom Beschwerdeführer vor Bundesgericht gestellte Antrag auf Gutheissung der
Beschwerden ist aus sich allein nicht verständlich (vgl. Art. 42 Abs. 1 BGG).
Es lässt sich allerdings aus der Beschwerdebegründung gerade noch hinreichend
entnehmen, was er begehrt (vgl. BGE 134 III 235 E. 2 S. 236 f.): Das
angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts soll aufgehoben, von einer
Ausweisung soll abgesehen und ihm die Aufenthaltsbewilligung erneuert werden;
eventualiter sei die Ausweisung auf eine Dauer von zwei Jahren zu beschränken
(siehe Ziff. 55 der Beschwerde).

2.
Am 1. Januar 2008 ist das neue Ausländerrecht in Kraft getreten. Dennoch bleibt
gemäss Art. 126 Abs. 1 AuG (SR 142.20) auf Gesuche um Verlängerung der
Aufenthaltsbewilligung, die - wie hier - vorher eingereicht worden sind, das
bisherige Recht (ANAG) anwendbar. Diese Übergangsregelung gilt entsprechend für
die Ausweisung. Wie sich aus dem Schreiben des kantonalen Migrationsamtes vom
13. Dezember 2007, mit welchem dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör
gewährt wurde, ergibt, ist das Ausweisungsverfahren vor dem 1. Januar 2008
eröffnet worden. Unerheblich ist, dass dieses nicht auf ein Gesuch hin, sondern
von Amtes wegen eingeleitet wird, und dass die Ausweisung selber erst nach dem
Inkrafttreten des neuen Rechts verfügt worden ist (vgl. Urteil 2C_745/2008 vom
24. Februar 2009, E. 1.2.2 - 1.2.4 mit Hinweisen).

3.
Gegen die Verweigerung der Bewilligungsverlängerung steht die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen, da der Beschwerdeführer noch mit
der Schweizer Bürgerin verheiratet ist und somit gemäss Art. 7 ANAG (in der
Fassung vom 23. März 1990, AS 1991 1034) und Art. 8 EMRK einen
Aufenthaltsanspruch geltend machen kann, so dass der Ausschlussgrund des Art.
83 lit. c Ziff. 2 BGG nicht greift (vgl. BGE 126 II 265 E. 1b S. 266; 128 II
145 E. 1.1.5 S. 149 f.). Diese Beschwerde ist ebenfalls gegen die Ausweisung
zulässig (Urteil 2C_32/2008 vom 25. April 2008 E. 1.1, in: ZBl 109/2008 S.
497). Deshalb ist gemäss Art. 113 BGG auf die zusätzlich erhobene subsidiäre
Verfassungsbeschwerde nicht einzutreten.

4.
Der Beschwerdeführer macht die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
im Sinne von Art. 29 Abs. 2 BV und der daraus abgeleiteten Pflicht zur
Begründung eines Entscheids geltend. Er habe bei der Vorinstanz dargelegt, dass
das kantonale Amt für Migration diffamierende Schreiben des Stiefvaters seiner
Ehefrau, die auf das Jahr 1996 zurückgehen, in sein Dossier überführt habe. Das
Verwaltungsgericht habe sich damit nicht befasst, insbesondere nicht
ausgeführt, inwieweit diese Unterlagen sein Verfahren beeinflusst hätten.

Soweit diese Rüge überhaupt den Anforderungen des Art. 42 Abs. 2 BGG genügt,
stösst sie ins Leere. Die Behörden können sich in der Begründung auf die für
ihren Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken (vgl. Näheres in BGE
133 I 270 E. 3.1 S. 277 mit Hinweisen). Das hat die Vorinstanz getan.
Jedenfalls spielten die besagten Unterlagen für den Ausgang des
fremdenpolizeilichen Verfahrens ihrer Auffassung nach keine Rolle, weshalb sie
unerwähnt blieben. Es ist nicht ersichtlich und vom Beschwerdeführer auch nicht
dargelegt worden, warum sie sich damit dennoch hätte explizit befassen müssen.
Ob die von der Vorinstanz in ihrem Entscheid ausdrücklich aufgeführten Umstände
im Übrigen genügen, um die fremdenpolizeilichen Massnahmen zu rechtfertigen,
ist eine Frage des materiellen Rechts und wird nachfolgend behandelt.

Ebenso geht die Rüge des Beschwerdeführers fehl, er habe nie die Möglichkeit
gehabt, sich zu den erwähnten Schreiben des Stiefvaters zu äussern. Seinen
Ausführungen zufolge sind ihm diese erstmals anlässlich der seinem
Rechtsvertreter gewährten Akteneinsicht bekannt geworden. Aus den Akten ergibt
sich aber, dass diese Akteneinsicht vor Ergehen der Verfügung der
Fremdenpolizei vom 14. Februar 2008 ermöglicht worden war, wobei der
Rechtsvertreter die Akten am 14. Januar 2008 zurücksandte, so dass er genügend
Gelegenheit zur vorherigen Äusserung gehabt hätte. Zwar gibt der - sich
insoweit widersprechende - Beschwerdeführer an anderer Stelle seiner Eingabe
an, er habe erst "im Rahmen der nach Erlass der Verfügung" erfolgten
Akteneinsicht entsprechende Kenntnis erlangt. Doch auch in diesem Fall kann er
nichts zu seinen Gunsten ableiten, da er zumindestens vor dem
Verwaltungsgericht, das über eine umfassende Überprüfungsbefugnis verfügt, die
Möglichkeit zur Stellungnahme hatte oder dort allenfalls eine Gehörsverletzung
hätte rügen können. Dass er Letzteres getan hat, behauptet er jedoch nicht,
weswegen er eine diesbezügliche Rüge wegen Verwirkung nicht mehr bzw. nicht
erst vor Bundesgericht erheben kann (vgl. Art. 5 Abs. 3 BV; BGE 132 II 485 E.
4.3 S. 496 f.; 122 I 120 E. 4b S. 126; 121 V 150 E. 5b S. 155).

5.
5.1 Materiell macht der Beschwerdeführer geltend, die fremdenpolizeilichen
Massnahmen seien unverhältnismässig. Die Behörden hätten die für seinen
Verbleib in der Schweiz sprechenden Umstände "minimiert" und wären entgegen
seinen Darstellungen davon ausgegangen, dass er kein inniges Verhältnis zu
seiner Ehefrau habe. Auch habe die Vorinstanz zu Unrecht ausschliesslich auf
den vom Bundesgericht entwickelten Richtwert der zweijährigen Freiheitsstrafe
abgestellt, obwohl dieser seit der Veränderung des Sanktionssystems im
Strafgesetzbuch nicht mehr haltbar sei.

5.2 Das Vorliegen eines Ausweisungsgrundes nach Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG ist
unbestritten. Der Beschwerdeführer war vor allem wegen gewerbsmässigem und
teilweisem bandenmässigem Betäubungsmittelhandels verurteilt worden. Zwischen
Juni und September 2002 hatte er an verschiedene Abnehmer über 1,4 kg Kokain
verkauft oder vermittelt. Dabei spielte er nicht bloss eine untergeordnete
Rolle als sog. "Läufer". Auch war er selber nicht drogensüchtig. Durch sein
Verhalten hatte er das Leben und die Gesundheit vieler Menschen gefährdet. Kaum
in der Schweiz angelangt, nahm er am Drogenhandel teil. Insoweit besteht ein
sehr starkes Interesse an seiner Fernhaltung.

Zwar ist der Beschwerdeführer nach seiner bis Dezember 2004 dauernden
Untersuchungshaft meist einer (legalen) Arbeitstätigkeit nachgegangen. Auch
relativ kurze Zeit nach Verbüssung des Strafvollzugs fand er erneut eine
Beschäftigung. Betreibungen und Verlustscheine liegen nicht vor. Auch mag seine
Ehe intakt sein und mögen die Eheleute einen - bisher nicht erfüllten -
Kinderwunsch hegen. Daraus allein ergibt sich indes noch nicht, dass beim
Beschwerdeführer eine gelungene Integration gegeben ist und die anderslautenden
Feststellungen der Vorinstanz deshalb falsch sind. Eine vollständige bzw. gute
Integration umfasst weitere Komponenten als bloss ein geregeltes Berufs- und
intaktes Eheleben. Zudem hat der Beschwerdeführer den überwiegenden Teil seines
Lebens in der Heimat verbracht, wo er auch heute noch Kontakte hat und wohin
eine Rückkehr zumutbar ist.

Schliesslich ist davon auszugehen, dass die Ehefrau bei Heirat damit rechnete,
die Ehe möglicherweise nicht in der Schweiz führen zu können. Dafür sprechen
die Umstände im Zusammenhang mit dem Kennenlernen, der Eheschliessung im
Libanon und dem Nachzugsgesuch. Zwar wurde der Beschwerdeführer erst nach der
Eheschliessung und Wiedereinreise in die Schweiz im Herbst 2003 wegen den schon
im Jahre 2002 begangenen Delikten belangt. Die Ehefrau lernte ihn jedoch über
ihren ehemaligen Dealer bereits im Frühjahr 2002 kennen. Als sie anlässlich des
ersten Nachzugsgesuchs im Juli 2003 gefragt wurde, wie sie ihn kennengelernt
hatte, gab sie indes das Internet an. Auf den Vorhalt dieser Aussage erklärte
der Beschwerdeführer, seine Ehefrau habe seinerzeit befürchtet, ihn
strafrechtlich zu belasten.

5.3 Nach dem Gesagten überwiegen die Interessen an der Fernhaltung des
Beschwerdeführers diejenigen an seinem Verbleib in der Schweiz deutlich, und
zwar nicht nur für eine vorübergehende Zeit von zwei Jahren. Daran ändert auch
der nachträglich im bundesgerichtlichen Verfahren eingereichte Führungsbericht
der Strafanstalt vom 3. Mai 2008 nichts. Für alles Weitere kann auf die
Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden. Ob unter dem neuen Strafrecht,
das auf den Beschwerdeführer - immerhin als lex mitior gemäss Art. 2 Abs. 2 StG
- Anwendung gefunden hat, am Richtwert gemäss der sog. Reneja-Praxis
festzuhalten ist (vgl. dazu BGE 130 II 176 E. 4.1 S. 185 mit Hinweisen; zuletzt
bestätigt mit Urteil 2C_299/2008 vom 30. Januar 2009, E. 3.2), kann offen
gelassen werden, da dieser vorliegend nicht ausschlaggebend ist; auch die
Vorinstanz hat sich nicht starr an ihm orientiert. Damit erweisen sich die
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung sowie die verfügte Ausweisung als
verhältnismässig im Sinne von Art. 11 Abs. 3 ANAG und insoweit auch als
bundesrechtmässig.

6.
Dem Gesagten zufolge ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten abzuweisen, soweit auf sie einzutreten ist. Diesem Ausgang
entsprechend hat der Beschwerdeführer die Kosten des bundesgerichtlichen
Verfahrens zu tragen (Art. 65 und 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen werden
nicht geschuldet.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist.

2.
Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Amt für Migration sowie dem
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern und dem Bundesamt für Migration
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. Februar 2009
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Müller Merz