Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.657/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_657/2008

Urteil vom 28. November 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Müller,
nebenamtlicher Bundesrichter Locher,
Gerichtsschreiber Zähndler.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Steueramt des Kantons Aargau, Rechtsdienst,
Telli-Hochhaus, 5004 Aarau,
A.________.

Gegenstand
Staats- und Gemeindesteuern 1997/98,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 7.
April 2008.

Sachverhalt:

A.
X.________ war Inhaber der 1991 gegründeten Einzelfirma "E.________", welche
zur Hauptsache im Hard- und Softwarehandel tätig war. Nach Einreichung der
Steuererklärung für die hier massgebende Veranlagungsperiode 1997/98 sowie nach
einer eingehenden Buchprüfung durch die zuständigen Steuerbehörden wurde ihm am
13. März 2003 persönlich mitgeteilt und protokollarisch festgehalten, der von
ihm geführten Buchhaltung müsse die Beweiskraft aufgrund verschiedener
Unstimmigkeiten (nicht vollständig erfasster Barverkehr, Bareinzahlungen
teilweise ohne Nachweis der Finanzierung und der Mittelherkunft, erhebliche
Differenz zwischen deklariertem Einkommen und Lebenshaltungskosten einerseits
sowie Vermögensentwicklung andererseits) abgesprochen werden. In Abweichung von
der Selbstdeklaration wurden der Beschwerdeführer sowie seine inzwischen von
ihm geschiedene Ehefrau A.________ mit Verfügung vom 15. Mai 2003 durch die
Steuerkommission Wettingen für die Staats- und Gemeindesteuer der
Veranlagungsperiode 1997/98 auf ein steuerbares Einkommen von Fr. 301'582.--
und auf ein steuerbares Vermögen von Fr. 55'335.-- eingeschätzt. Als Grundlage
ging die Steuerkommission dabei von einem nach Ermessen festgesetzten Einkommen
aus selbständiger Erwerbstätigkeit von Fr. 360'000.-- aus. Im
Einspracheentscheid vom 9. November 2006 reduzierte sie ihre Einschätzung des
Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit auf Fr. 254'445.--; sie rechnete
zum deklarierten Erwerbseinkommen von Fr. 141'945.-- einen Ermessenszuschlag
von Fr. 112'500.-- auf. Als steuerbar bezeichnete die Steuerkommission im
Einspracheentscheid ein Einkommen von Fr. 196'027.-- und ein Vermögen von Fr.
82'335.--.

B.
Das Steuerrekursgericht des Kantons Aargau hiess am 21. Juni 2007 einen von
X.________ erhobenen Rekurs (nur) teilweise gut, indem es u.a. das steuerbare
Einkommen auf Fr. 192'000.-- herabsetzte. Eine hiergegen erhobene Beschwerde an
das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau wurde von diesem mit Urteil vom 7.
April 2008 abgewiesen.

C.
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau führt X.________
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Er
beantragt sinngemäss, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 7. April 2008 sei
aufzuheben, und die Sache sei wegen "fahrlässiger Verschleppung bei der
Erledigung von Amtsgeschäften" neu zu beurteilen. Die Ermessensveranlagung sei
sodann "unter dem Gebot der rechtlichen Beachtung der Willkür zu überprüfen".
Er rügt mithin implizit eine Verletzung des Beschleunigungsgebots (Art. 29 Abs.
1 BV) sowie eine willkürliche Anwendung des kantonalen Rechts.
Das kantonale Steueramt beantragt die Abweisung der Beschwerde, während das
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau auf einen Antrag verzichtet.

Erwägungen:

1.
1.1 Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Endentscheid in einer
Angelegenheit des öffentlichen Rechts, die unter keinen Ausschlussgrund gemäss
Art. 83 BGG fällt und daher mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten an das Bundesgericht weitergezogen werden kann (Art. 82 lit. a,
Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG). Der Beschwerdeführer ist gestützt auf
Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
legitimiert; auf das frist- und formgerecht eingereichte Rechtsmittel ist
grundsätzlich einzutreten (vgl. aber nachfolgend E. 1.3).

1.2 Mit der Beschwerde kann namentlich die Verletzung von Bundesrecht
(einschliesslich der verfassungsmässigen Rechte) gerügt werden (Art. 95 Abs. 1
lit. a BGG). Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann lediglich
beanstandet werden, wenn sie offensichtlich unrichtig oder Folge einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG ist (Art. 105 Abs. 2 bzw. Art. 97
Abs. 1 BGG).

1.3 Gemäss Art. 42 Abs. 1 BGG hat die Rechtsschrift die Begehren und deren
Begründung zu enthalten; im Rahmen der Begründung ist in gedrängter Form
darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2
BGG). Die Vorbringen müssen sachbezogen sein, damit aus der Beschwerdeschrift
ersichtlich ist, in welchen Punkten und weshalb der angefochtene Entscheid
beanstandet wird. Dies setzt voraus, dass sich der Beschwerdeführer wenigstens
kurz mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheides auseinandersetzt (BGE 134
II 244). Eine qualifizierte Rügepflicht gilt hinsichtlich der Verletzung von
Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht. Das Bundesgericht
prüft eine solche Rüge nur insofern, als sie in der Beschwerde präzise
vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E.
1.4.2 S. 254). Ob die vorliegende Beschwerde unter diesen Gesichtspunkten eine
genügende Begründung enthält, ist fraglich. Die Frage kann jedoch offen
bleiben, zumal sich die Beschwerde als unbegründet erweist, wie die
nachfolgenden Ausführungen zeigen.

2.
Verfahrensgegenstand bilden kantonale Steuern der Veranlagungsperiode 1997/98.
Das Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten
Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG, SR 642.14) ist im vorliegenden Fall
nicht anwendbar, weil es um eine Steuerperiode geht, die in die Frist fällt,
die den Kantonen gemäss Art. 72 Abs. 1 StHG zur Anpassung ihrer Steuergesetze
offen stand (BGE 123 II 588 E. 2 S. 591 ff.; vgl. auch Urteil 2C_636/2007 vom
7. April 2008 E. 1.4). In Frage steht mithin einzig die Anwendung des
kantonalen Rechts. Diese wird vom Bundesgericht aber nur unter dem
Gesichtspunkt der verfassungsmässigen Rechte geprüft, insbesondere daraufhin,
ob der angefochtene Entscheid willkürlich ist (Art. 9 BV). Nach konstanter
Rechtsprechung (BGE 133 I 149 E. 3.1, 132 I 113 E. 5.1, je mit Hinweisen) liegt
Willkür nicht bereits dann vor, wenn der angefochtene Entscheid falsch oder
diskutabel ist oder eine andere Lösung vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht hebt
einen Entscheid nur dann wegen Willkür auf, wenn er schlechthin unhaltbar ist,
mit der tatsächlichen Situation in klarem und offensichtlichem Widerspruch
steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder
in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft.

3.
3.1 § 144 des hier noch anwendbaren Steuergesetzes des Kantons Aargau vom 13.
Dezember 1983 (aStG) bestimmt, dass die Veranlagung nach pflichtgemässem
Ermessen vorzunehmen ist, wenn der Steuerpflichtige trotz Mahnung seine
Verfahrenspflichten nicht erfüllt oder wenn nach durchgeführter Untersuchung
Ungewissheit über die Höhe der steuerbaren Faktoren besteht. Fehlen
Beweismittel oder sind sie unglaubwürdig, muss die Veranlagung nach dem
Lebensaufwand des Steuerpflichtigen, nach der Vermögensvermehrung oder nach
Erfahrungszahlen getroffen werden.
Gemäss § 147 Abs. 2 aStG haben nach pflichtgemässem Ermessen veranlagte
Steuerpflichtige im Einspracheverfahren die Unrichtigkeit der Veranlagung
nachzuweisen. Unterlagen und Beweismittel, welche trotz Aufforderung unter
Hinweis auf die Säumnisfolgen fahrlässig oder vorsätzlich nicht vorgelegt
wurden, können im Rekurs- und Beschwerdeverfahren nicht mehr berücksichtigt
werden.

3.2 Implizit macht der Beschwerdeführer zunächst geltend, die Voraussetzungen
zur Vornahme einer Ermessensveranlagung seien nicht erfüllt.
Allgemeine Voraussetzung einer Ermessensveranlagung ist stets eine Ungewissheit
über die steuerlich massgebenden Verhältnisse. Diese kann entweder durch
Nichterfüllen der Verfahrenspflichten durch den Steuerpflichtigen verursacht
sein, oder sie kann andere Gründe haben, z.B. fehlende oder unglaubwürdige
Beweismittel, ohne dass eine unmittelbar Verletzung der Mitwirkungspflicht
vorliegt (Jürg Baur in: Baur/Klöti-Weber/Koch/Meier/Ursprung, Kommentar zum
Aargauer Steuergesetz, 1991, Rz. 5 zu § 144 aStG). Zwar wirft die Vorinstanz
dem Beschwerdeführer nicht ausdrücklich eine unmittelbare Verletzung der
Mitwirkungspflicht vor; sie legt jedoch ausführlich und nachvollziehbar dar,
dass der umfangreiche Bargeldverkehr des Beschwerdeführers nicht vollständig
und nicht ordnungsgemäss erfasst und belegt worden sei, weshalb es an den für
eine Festsetzung des Einkommens notwendigen Aufzeichnungen fehle (E. 3.3 des
angefochtenen Entscheids). Der Beschwerdeführer bestreitet dies nicht
substantiiert; vielmehr räumt er sogar selbst ein, dass er für diverse
Buchungen keine Belege beizubringen vermochte, weshalb er sich diesbezüglich
auf "mündliche Glaubhaftmachung" berief. Gerade für Kleinbetriebe und
insbesondere für bargeldintensive Unternehmen ist die ordnungsgemässe Führung
eines Kassabuches aber von zentraler Bedeutung (vgl. auch Urteil 2A.657/2005
vom 9. Juni 2007 E. 3, StR 62, 44 S. 45 f.). Es erscheint daher nicht
willkürlich, wenn die Vorinstanz die Voraussetzungen für die Anwendung von §
144 aStG als erfüllt erachtet hat.

3.3 Der Beschwerdeführer beanstandet sodann die Höhe des Ermessenszuschlags
bezüglich seines Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit. Diesbezüglich
ist ihm entgegenzuhalten, dass ihm die Zusammensetzung dieses Zuschlags bereits
in der vom Kantonalen Steueramt ausgearbeiteten Stellungnahme vom 30. Oktober
2006 sowie im Einspracheentscheid vom 9. November 2006 einlässlich begründet
worden war. Weder in seiner Eingabe zuhanden des Steuerrekursgerichts noch in
jener zuhanden des Verwaltungsgerichts setzte sich der Beschwerdeführer
substantiiert mit dieser Begründung auseinander. Auch in seiner
Beschwerdeschrift an das Bundesgericht weist er lediglich in pauschaler Weise
darauf hin, dass die Steuerbehörde Ermessensveranlagungen "realistisch und
aufgrund branchenüblicher Möglichkeiten" vorzunehmen habe; das angenommene
Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit sei "um 345% höher als der
Durchschnittswert der Vorjahre". Die Argumentation des Beschwerdeführers vermag
die Berechtigung des Ermessenszuschlags jedoch schon deshalb nicht in Zweifel
zu ziehen, weil die Veranlagungen der Vorperioden allenfalls zu tief
ausgefallen sein können und sich mithin nicht als verlässliche Vergleichsgrösse
eignen. Zudem haben die Steuerbehörden gemäss konstanter Rechtsprechung bei
einer Ermessensveranlagung zwar eine vorsichtige Schätzung vorzunehmen; sie
sind jedoch nicht verpflichtet, im Zweifelsfall die für die steuerpflichtige
Person günstigste Annahme zu treffen. Vielmehr ist es zu vermeiden, dass
diejenige steuerpflichtige Person, die für die Möglichkeit der Nachprüfung der
von ihr erklärten Verhältnisse Sorge getragen hat, höhere Steuern zu bezahlen
hat als diejenige, bei der eine solche Nachprüfung aus von ihr zu vertretenen
Gründen unmöglich ist (Urteil 2A.384/2003 vom 29. Januar 2004 E. 2.2; Urteil
2A.53/2003 vom 13. August 2003 E. 4.1). Im vorliegenden Fall ging die
Steuerbehörde davon aus, dass sich die verbleibende Ungewissheit hinsichtlich
des Erwerbseinkommens des Beschwerdeführers in einem Bereich zwischen Fr.
75'000.-- und Fr. 150'000.-- bewege, und sie stellte für die Höhe des
Ermessenszuschlags auf den Mittelwert, d.h. auf Fr. 112'500.-- ab. Willkür ist
in dieser Vorgehensweise nicht zu erkennen.

4.
Weiter rügt der Beschwerdeführer sinngemäss einen Verstoss gegen das
Beschleunigungsgebot von Art. 29 Abs. 1 BV. Gemäss dieser Bestimmung hat jede
Person in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsbehörden unter anderem
Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist. Die Angemessenheit der
Dauer eines Verfahrens bestimmt sich nicht absolut, sondern unter
Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls (Urteil 2A.455/2006 vom
1. März 2007 E. 3.3, mit Hinweisen).
Im vorliegenden Fall dauerte das bisherige Verfahren seit der
Veranlagungsverfügung vom 15. Mai 2003 rund 5 ½ Jahre. Davon beanspruchte das
Einspracheverfahren allein mehr als die Hälfte (Einspracheentscheid vom 9.
November 2006). Die Berechnungsgrundlagen für die Ermessenseinschätzung vom 15.
Mai 2003 wurden trotz mehrfacher Rückfragen seitens des Beschwerdeführers bzw.
seiner Vertreter erst am 24. Februar 2006 geliefert. Eine solche
Verfahrensdauer kann allerdings unabhängig von einer allenfalls hohen
Geschäftsbelastung der Steuerbehörde und der mangelhaften Mitwirkung des
Beschwerdeführers nicht mehr als "angemessen" im Sinn von Art. 29 Abs. 1 BV
bezeichnet werden.
Aus der Verletzung des Beschleunigungsgebots vermag der Beschwerdeführer indes
im vorliegenden Fall nichts zu seinen Gunsten abzuleiten: Eine solche führt in
Steuerangelegenheiten nicht dazu, dass die geschuldete Steuer nicht mehr zu
bezahlen wäre (Urteil 2A.455/2006 vom 1. März 2007 E. 3.3.2, mit Hinweisen).
Dass der Steueranspruch verjährt oder verwirkt wäre (vgl. § 179 aStG), wird
selbst vom Beschwerdeführer nicht behauptet.
Soweit die Kritik des Beschwerdeführers als generelle Beanstandung der
Amtsführung der Veranlagungsbehörde zu verstehen ist, ist festzuhalten, dass
die allgemeine Aufsicht über die Amtsführung der Steuerbehörden des Kantons
Aargau nicht dem Bundesgericht obliegt, sondern dem Finanzdepartement des
Kantons Aargau (vgl. § 113 aStG bzw. § 161 StG).

5.
Die Beschwerde erweist sich nach dem Gesagten als unbegründet und ist
abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.

Entsprechend diesem Verfahrensausgang sind die Kosten des bundesgerichtlichen
Verfahrens dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 65 f. BGG). Eine
Parteientschädigung ist nicht auszurichten (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau und
der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 28. November 2008
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Zähndler