Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.611/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_611/2008

Urteil vom 29. Mai 2009
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Müller, Präsident,
Bundesrichter Zünd,
nebenamtlicher Bundesrichter Locher,
Gerichtsschreiber Matter.

Parteien
X.________ und Y.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch lic. iur. Christoph Niederer und M.A. HSG Andrea Scherrer,

gegen

Steueramt des Kantons Aargau,
Steuerverwaltung des Kantons Zug.

Gegenstand
Art. 127 Abs. 3 BV; interkantonale Doppelbesteuerung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 29.
Mai 2008.

Sachverhalt:

A.
X.________ und Y.________ wohnten bis Ende 2000 in E.________ AG. Für die
Staats- und Gemeindesteuern der Steuerperiode 1999/2000 wurden sie nicht nur
vom Kanton Aargau, sondern auch vom Kanton Zug veranlagt, wegen Eröffnung einer
Geschäftsniederlassung in F.________ ab dem 1. Oktober 1999. Eine
Zwischenveranlagung auf diesen Zeitpunkt verweigerte das Kantonale Steueramt
Aargau, nahm eine solche aber (in seinem Einspracheentscheid) auf den 1. Juli
2000 vor. Dagegen gelangten die Eheleute X.________ und Y.________ erfolglos an
das Steuerrekursgericht und danach an das Verwaltungsgericht des Kantons
Aargau.

B.
Am 25. August 2008 haben die Ehegatten X.________ und Y.________ beim
Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht.
Sie beantragen, den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom
29. Mai 2008 aufzuheben und die Sache an die Steuerkommission E.________
zurückzuweisen zwecks Vornahme einer Zwischenveranlagung ab 1. Oktober 1999
(bzw. 6. Oktober 1999), eventuell auf einen gerichtlich zu bestimmenden
Zeitpunkt, jedenfalls vor dem 30. Juni 2000; subeventuell sei die
rechtskräftige Veranlagungsverfügung des Kantons Zug vom 27. August 2002
aufzuheben bzw. an den gerichtlich bestimmten Zwischenveranlagungszeitpunkt
anzupassen.

C.
Das Kantonale Steueramt Aargau schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Die
Steuerverwaltung des Kantons Zug, das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau und
die Eidgenössische Steuerverwaltung haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Gegen den kantonal letztinstanzlichen Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Aargau ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
zulässig (vgl. Art. 82 lit. a in Verbindung mit Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG). Die
Beschwerdeführer sind gestützt auf Art. 89 Abs. 1 BGG zur Anfechtung des
vorinstanzlichen Urteils legitimiert. Auf die frist- und formgerecht
eingereichte Beschwerde ist einzutreten (Art. 100 BGG).

1.1 Im vorliegend zu entscheidenden interkantonalen Kompetenzkonflikt kann die
bereits rechtskräftige Veranlagung des Kantons Zug für die Steuerperiode 1999/
2000 mit angefochten werden (vgl. Art. 100 Abs. 5 BGG, BGE 131 I 145 E. 2.1 S.
145), obwohl sie kein Urteil im Sinne von Art. 86 BGG darstellt (vgl. BGE 133 I
300 E. 2.4 S. 307, 308 E. 2.4 S. 313).

2.
2.1 Eine gegen Art. 127 Abs. 3 BV verstossende Doppelbesteuerung liegt vor,
wenn eine steuerpflichtige Person von zwei oder mehreren Kantonen für das
gleiche Steuerobjekt und für die gleiche Zeit zu Steuern herangezogen wird
(aktuelle Doppelbesteuerung) oder wenn ein Kanton in Verletzung der geltenden
Kollisionsnormen seine Steuerhoheit überschreitet und eine Steuer erhebt, die
einem anderen Kanton zusteht (virtuelle Doppelbesteuerung). Ausserdem darf ein
Kanton eine steuerpflichtige Person grundsätzlich nicht deshalb stärker
belasten, weil sie nicht in vollem Umfang seiner Steuerhoheit untersteht,
sondern zufolge ihrer territorialen Beziehungen auch noch in einem anderen
Kanton steuerpflichtig ist (Schlechterstellungsverbot, vgl. BGE 132 I 29 E. 2.1
S. 31 f.; 131 I 285 E. 2.1 S. 286; ASA 74, 684 E. 2.1 S. 685, je mit
Hinweisen).
Im vorliegenden Fall ist die Veranlagung der Beschwerdeführer für die
Steuerperiode 1999/2000 im Kanton Aargau an sich unbestritten. Streitig ist nur
noch der Zeitpunkt der Zwischenveranlagung. Für den Zeitraum vom 1. Oktober
1999 bis zum 30. Juni 2000 besteht eine aktuelle Doppelbesteuerung.

2.2 Gemäss § 57 Abs. 1 lit. c des hier noch anwendbaren Steuergesetzes des
Kantons Aargau vom 13. Dezember 1983 (aStG/AG) ist eine Zwischenveranlagung
vorzunehmen bei "Änderung der für die interkantonale oder internationale
Steuerausscheidung massgebenden Verhältnisse". Gemäss der Praxis des
Bundesgerichts zum Doppelbesteuerungsverbot liegt eine solche Änderung der
Verhältnisse bei Begründung eines ausserkantonalen Spezialsteuerdomizils vor:
Das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit, das in einer
Geschäftsniederlassung mit ständigen Einrichtungen erzielt wird, und das dieser
Tätigkeit dienende bewegliche Vermögen sind nach der Rechtsprechung am
Geschäftsort zu versteuern. Die Annahme einer solchen Niederlassung setzt
einerseits voraus, dass dort ständige körperliche Anlagen und Einrichtungen
bestehen. Andererseits hat sich die geschäftliche Tätigkeit hauptsächlich am
Ort des Spezialsteuerdomizils abzuspielen (vgl. u.a. BGE 121 I 259 E. 2b S.
261; StE 2004 A 24.31 Nr. 1 E. 3.1; ASA 57 582 E. 4 mit Hinweisen).

2.3 Bezüglich der Beweislast gilt Folgendes: Der Kanton des neuen
Spezialsteuerdomizils (Geschäftsortes) bzw. die steuerpflichtige Person hat
darzutun, dass die Voraussetzungen für eine Steuerausscheidung erfüllt sind
(vgl. dazu allgemein: AJP 2008 1288 E. 2.3; Pra 2000 Nr. 7 S. 29 E. 3c; mit
weiteren Hinweisen; siehe auch das Urteil 2C_770/2008 vom 4. März 2009 E. 3).

3.
3.1 Vorliegend kann angenommen werden, dass ab anfangs Oktober 1999 eine
ständige Anlage und Einrichtung in F.________ bestand. Auf diesen Zeitpunkt hin
wurde dort ein bedürfnisgerechtes Büro gemietet. Im November 1999 erfolgte die
Eintragung der Einzelfirma im Handelsregister des Kantons Zug. Der genaue
Zeitpunkt des Wechsels von einer unselbständigen zu einer selbständigen
Erwerbstätigkeit ist hier indessen nicht als solcher entscheidend. Vielmehr
fragt sich, ab wann der Beschwerdeführer seiner selbständigen Erwerbstätigkeit
tat- bzw. hauptsächlich in der Geschäftsniederlassung in F.________ nachging.

3.2 Wie das Verwaltungsgericht als massgeblich erachtet hat, war das Büro in
F.________ erst gegen Ende Januar 2000 möbliert und eingerichtet; erst ab
Februar 2000 verfügte es über einen Telefon- und Internetanschluss, wurde die
Firmenanschrift am Eingang des Gebäudes angebracht und mietete der
Beschwerdeführer einen festen Parkplatz. Weiter hat sich die Vorinstanz darauf
gestützt, dass die Telefonkosten in F.________ bis Ende Juni 2000 bescheiden
waren und erst im Juli 2000 eine grössere Computeranlage angeschafft wurde;
erst in der zweiten Jahreshälfte ist ein Lohn der Ehefrau des Beschwerdeführers
ausgewiesen und wurden die Dienste der Vermieterin für die Buchhaltung in
Anspruch genommen.
In Anbetracht sämtlicher Indizien verstösst es nicht gegen das
Doppelbesteuerungs- und erst recht nicht gegen das Willkürverbot, dass im
Kanton Aargau die Zwischenveranlagung erst auf den 1. Juli 2000 vorgenommen
worden ist. Jedenfalls gelingt es den Beschwerdeführern bzw. dem Kanton Zug
nicht, überzeugend einen früheren Zeitpunkt als Stichtag darzutun, geschweige
denn, den Nachweis zu erbringen (vgl. oben E. 2.3), dass die hauptsächliche
Tätigkeit des Beschwerdeführers in der ständigen Anlage und Einrichtung in
F.________ vor dem 1. Juli 2000 aufgenommen wurde.

4.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gegenüber dem Kanton Aargau unbegründet.
Soweit sie sich gegen den Kanton Zug richtet, ist sie gutzuheissen; die
angefochtene Veranlagungsverfügung vom 27. August 2002 ist aufzuheben, und die
Sache ist zur Neuveranlagung im Sinne der Erwägungen an die Kantonale
Steuerverwaltung Zug zurückzuweisen.
Bei diesem Verfahrensausgang rechtfertigt es sich, die bundesgerichtlichen
Kosten zu zwei Dritteln den Beschwerdeführern und zu einem Drittel dem Kanton
Zug aufzuerlegen (Art. 65, 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist den
Beschwerdeführern nicht zuzusprechen, da sie mit ihrem Hauptantrag, auf den
sich die Beschwerdebegründung praktisch beschränkt, unterliegen (Art. 68 Abs. 1
und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit sie sich gegen den Kanton Aargau
richtet.

2.
Die Beschwerde wird gegenüber dem Kanton Zug gutgeheissen; die
Veranlagungsverfügung der Kantonalen Steuerverwaltung Zug vom 27. August 2002
wird aufgehoben und die Sache zur Neuveranlagung im Sinne der Erwägungen an die
Veranlagungsbehörde zurückgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden den Beschwerdeführern unter
Solidarhaft zu zwei Dritteln sowie dem Kanton Zug zu einem Drittel auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau und
der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. Mai 2009

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Müller Matter