Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.579/2008
Zurück zum Index II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008
Retour à l'indice II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_579/2008

Urteil vom 29. April 2009
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Müller, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Karlen,
Gerichtsschreiber Küng.

Parteien
Kantonales Steueramt Zürich, 8090 Zürich,
Beschwerdeführer,

gegen

X.________ AG,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Akribis Treuhand AG.

Gegenstand
Art. 48 Abs. 2 StHG (Begründungsanforderungen an die Einsprache gegen eine
Ermessenseinschätzung).

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom
11. Juni 2008.

Sachverhalt:

A.
Das kantonale Steueramt Zürich schätzte am 20. Oktober 2006 die X.________ AG
für die Staats- und Gemeindesteuern 2004 nach pflichtgemässem Ermessen ein, da
diese trotz Mahnung keine Steuererklärung eingereicht hatte. Auf die von der
Steuerpflichtigen dagegen erhobene Einsprache trat das kantonale Steueramt am
30. August 2007 mangels gleichzeitiger Einreichung der vollständigen
Steuererklärung nicht ein. Die Steuerrekurskommission II des Kantons Zürich
hiess am 18. Dezember 2007 das von der X.________ AG gegen diesen Entscheid
ergriffene Rechtsmittel gut und wies die Sache zur weiteren Behandlung und zum
Neuentscheid im Einspracheverfahren an das kantonale Steueramt zurück.
Letzteres wandte sich dagegen an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, das
die Beschwerde am 11. Juni 2008 abwies.

B.
Das kantonale Steueramt Zürich beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, den Entscheid des Verwaltungsgerichts
vom 11. Juni 2008 aufzuheben und seinen Einspracheentscheid vom 30. April 2007
zu bestätigen.
Die Beschwerdegegnerin und das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich ersuchen
um Abweisung der Beschwerde.
Die ebenfalls zur Vernehmlassung eingeladene Eidgenössische Steuerverwaltung
stellt Antrag auf Gutheissung des Rechtsmittels.

Erwägungen:

1.
1.1 Streitgegenstand bildet die Frage, ob die Einsprache der Beschwerdegegnerin
vom 17. November 2006 eine genügende Begründung enthält und das kantonale
Steueramt darauf eintreten muss.

1.2 Die Vorinstanz stützt ihren bejahenden Entscheid auf § 140 Abs. 2 des
zürcherischen Steuergesetzes vom 8. Juni 1997 (StG/ZH). Diese Norm stimmt
wörtlich mit Art. 48 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die
Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14)
und ausserdem - mit dem hier allerdings nicht anwendbaren - Art. 132 Abs. 3 DBG
(SR 642.11) überein. Danach kann der Steuerpflichtige eine Veranlagung nach
pflichtgemässem Ermessen nur wegen offensichtlicher Unrichtigkeit anfechten.
Die Einsprache ist zu begründen und muss allfällige Beweismittel nennen.

1.3 Nach Ansicht der Vorinstanz dürfen die Anforderungen an die Begründung
einer Einsprache gegen eine pflichtgemässe Einschätzung nicht überspannt
werden. Es genüge, dass die vom Steuerpflichtigen verlangte Einschätzung
nachvollzogen und beweismässig überprüft werden könne. Dagegen sei nicht ein
Unrichtigkeitsnachweis zu verlangen, denn es bilde Gegenstand der materiellen
Prüfung, ob der Beweis der offensichtlichen Unrichtigkeit der nach
pflichtgemässem Ermessen erfolgten Einschätzung erbracht sei. Die
Beschwerdegegnerin habe unter Verweis auf den in der Jahresrechnung 2004
ausgewiesenen Verlust von Fr. 45'123.18 klar zum Ausdruck gebracht, dass sie
statt mit dem ermessensweise festgesetzten Reingewinn von Fr. 100'000.-- mit
einem solchen von Fr. 0.-- eingeschätzt werden wolle. Die Einsprache sei damit
hinreichend begründet.

1.4 Der Beschwerdeführer macht demgegenüber geltend, eine genügende Begründung
setze namentlich bei juristischen Personen regelmässig voraus, dass eine
vollständig ausgefüllte Steuererklärung mit einer lückenlosen und nicht
offensichtlich fehlerhaften Jahresrechnung eingereicht werde. Andernfalls
bleibe der Sachverhalt mangels ausreichender Angaben weiterhin derart unklar,
dass von vornherein keine offensichtliche Unrichtigkeit der
Ermessensveranlagung nachgewiesen werden könne. Die Beschwerdegegnerin verweise
lediglich auf ihre Jahresrechnung, die dazu noch an offensichtlichen Mängeln
leide. Eine Steuererklärung habe sie nicht nachgereicht. Ihre Einsprache
erlaube keine Nachprüfung der Ermessenseinschätzung und sei deshalb ungenügend
begründet.

2.
2.1 Art. 48 Abs. 2 StHG und der damit übereinstimmende § 140 Abs. 2 StG/ZH
verlangen bei der Anfechtung von Ermessenseinschätzungen eine Begründung und
die Nennung der Beweismittel. Diese Regelung unterscheidet sich von der
ordentlichen Einsprache, bei der keine Begründung und nicht einmal ein Antrag
nötig sind (Art. 48 Abs. 1 StHG; § 140 Abs. 1 StG/ZH). Die Erfordernisse der
Begründung und der Nennung der Beweismittel stellen bei Einsprachen, die gegen
eine Ermessenseinschätzung erhoben werden, Prozessvoraussetzungen dar (BGE 131
II 548 E. 2.3 S. 551; 123 II 552 E. 4c S. 557 f.).
Die genannten erhöhten prozessualen Anforderungen finden ihre Erklärung in der
besonderen Natur der Ermessensveranlagung. Da die Steuerbehörde mangels
genügender Unterlagen nicht alle Steuerfaktoren genau ermitteln kann, muss sie
diese schätzen. Dabei hat sie notwendigerweise auf Annahmen und Vermutungen
abzustellen. Weil eine Ermessenseinschätzung somit naturgemäss eine gewisse
Unschärfe aufweist, ist die Möglichkeit, sie anzufechten, entsprechend
eingeschränkt. Der Steuerpflichtige kann sie nur wegen offensichtlicher
Unrichtigkeit in Frage stellen. Er hat nachzuweisen, dass die
Ermessensveranlagung den tatsächlichen Verhältnissen nicht entspricht. Mittels
umfassendem Unrichtigkeitsnachweis hat er die bisher vorhandene Ungewissheit
bezüglich des Sachverhalts zu beseitigen; blosse Teilnachweise genügen nicht.
In der Begründung der Einsprache ist daher der Sachverhalt in substanziierter
Weise darzulegen, und es sind die Beweismittel für diese
Sachverhaltsdarstellung zu nennen. Es reicht nicht aus, die Einschätzung bloss
in pauschaler Weise zu bestreiten oder lediglich einzelne Positionen der
Einschätzung als zu hoch zu bezeichnen. Vielmehr wird der Steuerpflichtige, der
seine Mitwirkungspflichten im Veranlagungsverfahren nicht erfüllt und dadurch
eine Ermessensveranlagung bewirkt hat, in der Regel die versäumten
Mitwirkungshandlungen nachholen - also eine bisher nicht vorgelegte
Steuererklärung nachträglich einreichen - müssen, um die Einsprache genügend
begründen zu können (Urteile des Bundesgerichts 2A.72/2004 vom 4. Juli 2005 E.
5, in: StR 60/2005 973, und 2C_620/2007 vom 2. Juli 2008 E. 2.1).

2.2 Die erwähnten gesetzlichen Bestimmungen schreiben indessen nicht vor, dass
eine Einsprache gegen eine Ermessenseinschätzung wegen versäumter
Mitwirkungshandlungen nur gültig ist, wenn damit gleichzeitig das Versäumte
nachgeholt wird. Nach der Rechtsprechung ist daher das Nachreichen einer bisher
nicht vorgelegten Steuererklärung nicht Gültigkeitsvoraussetzung der Einsprache
(Urteile des Bundesgerichts 2A.72/2004 vom 4. Juli 2005 E. 6, in: StR 60/2005
973, und 2C_620/2007 vom 2. Juli 2008 E. 3.2; ebenso Martin Zweifel, in: Martin
Zweifel/Peter Athanas (Hrsg.), Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht I/2b,
2. Aufl. 2008, Art. 132 DBG N. 35a). Auch der Beschwerdeführer räumt ein, dass
der Steuerpflichtige unter Umständen auch ohne Nachholung der versäumten
Mitwirkungshandlung die offensichtliche Unrichtigkeit einer
Ermessenseinschätzung substanziiert begründen und mit anderen Beweismitteln
belegen kann.

2.3 Die Vorinstanz entnimmt dem Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 17.
November 2008 eine genügende Einsprachebegründung. Es gehe daraus hervor, dass
Letztere eine Einschätzung des Reingewinns mit Fr. 0.-- verlange und zum Beleg
auf die eingereichte Jahresrechnung verweise. Tatsächlich erscheint das
Begehren der Beschwerdegegnerin klar. Es handelt sich dabei nicht um eine
blosse pauschale Infragestellung der Ermessenseinschätzung, sondern um die
Beanstandung eines Steuerfaktors, der offensichtlich unrichtig sein soll. Wie
die Vorinstanz zutreffend ausführt, leitet die Beschwerdegegnerin die
Unrichtigkeit daraus ab, dass die Jahresrechnung keinen Gewinn, sondern einen
Verlust von Fr. 45'123.18 ausweise.

2.4 Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass die von der Beschwerdegegnerin
vorgebrachte Begründung verständlich ist, auch wenn nicht gleichzeitig die
Steuererklärung nachgereicht wurde. Er hält die Begründung jedoch für
unzutreffend, da der blosse Verweis auf eine - erst noch unvollständige -
Jahresrechnung die offensichtliche Unrichtigkeit der Ermessensveranlagung in
keiner Weise belege. Dafür hätte eine Steuererklärung vorgelegt werden müssen.
Wie es sich damit verhält, ist jedoch - wie die Vorinstanz zu Recht darlegt -
eine materielle Frage und berührt nicht die Begründungspflicht. Das
Bundesgericht hat seine frühere - nicht immer einheitliche - Rechtsprechung in
diesem Sinne verdeutlicht (Urteil 2A.72/2004 vom 4. Juli 2005 E. 6, in: StR 60/
2005 973). Der Beschwerdeführer befürchtet zu Unrecht, dass er infolge dieser
Praxis auch dann zu weiteren Untersuchungshandlungen verpflichtet ist, wenn
eine Einsprachebegründung formell zwar ausreichend erscheint, materiell aber
unzutreffend ist, weil sie die offensichtliche Unrichtigkeit der
Ermessenseinschätzung von vornherein nicht nachzuweisen vermag. Nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung lebt die Untersuchungspflicht der
Steuerbehörde erst wieder auf, wenn die Ungewissheit des Sachverhalts, die zur
ermessensweisen Einschätzung geführt hat, durch den Steuerpflichtigen beseitigt
worden ist (Urteil 2A.39/2004 vom 29. März 2005 E. 5.1, in: StR 60/2005 520).

3.
Die Beschwerde erweist sich aus diesen Erwägungen als unbegründet und ist
abzuweisen.
Die bundesgerichtlichen Kosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen, da er
unterliegt und seine Vermögensinteressen auf dem Spiel stehen (Art. 66 Abs. 3
BGG). Der nicht anwaltschaftlich vertretenen Beschwerdegegnerin ist
praxisgemäss keine Parteientschädigung zuzusprechen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich und
der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. April 2009

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Müller Küng