Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.542/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_542/2008

Urteil vom 26. August 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Gerichtsschreiber Uebersax.

Parteien
X.________, z.Zt. Flughafengefängnis,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Urs Ebnöther,

gegen

Kantonspolizei Zürich, Flughafenpolizei, Postfach, 8058 Zürich,
Migrationsamt des Kantons Zürich, Berninastrasse 45, 8090 Zürich Amtsstellen Kt
ZH.

Gegenstand
Bestätigung der Ausschaffungshaft,

Beschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter, vom 18.
Juni 2008.

Sachverhalt:
-
Der aus dem Iran stammende X.________, geb. 12. August 1984, landete am 22. Mai
2008 mit einem Flugzeug von Nairobi her kommend im Flughafen A.________ in der
Absicht, nach Paris weiterzureisen, wobei er unter Gebrauch eines verfälschten
österreichischen Reisepasses eine falsche Identität verwendete. Das Einchecken
zum Weiterflug wurde ihm jedoch verweigert, und er wurde der Flughafenpolizei
übergeben. Nachdem diese ihm eröffnet hatte, er werde formlos weggewiesen,
machte er Probleme im Heimatland geltend. Daraufhin wurde er dem Bundesamt für
Migration zugewiesen zur Durchführung eines Asylverfahrens. Am 4. Juni 2008
lehnte das Bundesamt das Asylgesuch ab und verfügte die Wegweisung aus der
Schweiz. Mit Urteil vom 13. Juni 2008 wies das Bundesverwaltungsgericht eine
dagegen erhobene Beschwerde ab.
-
Nachdem sich X.________ in der Folge geweigert hatte, die Schweiz freiwillig zu
verlassen, nahm ihn die Kantonspolizei Zürich, Flughafenpolizei, am 17. Juni
2008 im Flughafentransit fest und ordnete die Ausschaffungshaft bis zum 16.
September 2008 an. Die Haftrichterin am Bezirksgericht Zürich prüfte und
bestätigte die Haft am 18. Juni 2008.
-
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 18. Juli 2008 an
das Bundesgericht beantragt X.________, den Haftentscheid aufzuheben,
festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung der Ausschaffungshaft
nicht gegeben seien, und ihn aus der Haft zu entlassen. Überdies ersucht er um
Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung.

Die Kantonspolizei Zürich, Flughafenpolizei, schliesst auf Abweisung der
Beschwerde. Das Bundesamt für Migration reichte dem Bundesgericht einen
Amtsbericht ein zu den Möglichkeiten der Rückschaffung von iranischen
Staatsangehörigen in ihr Heimatland. X.________ hat sich in zwei Eingaben vom
11. und 22. August 2008 nochmals zur Sache geäussert.

Erwägungen:
-
Gegen den kantonal letztinstanzlichen Entscheid über die Anordnung der
Ausschaffungshaft steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG an das Bundesgericht offen. Die
vorliegende Beschwerde erweist sich daher als zulässig.
-
- Nach Art. 76 Abs. 1 AuG kann die zuständige Behörde einen Ausländer, dem ein
erstinstanzlicher Weg- oder Ausweisungsentscheid eröffnet wurde, zur
Sicherstellung des Vollzugs in Ausschaffungshaft nehmen, wenn ein im Gesetz
genannter Haftgrund erfüllt ist. Ein solcher liegt insbesondere vor, wenn
konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass sich der Ausländer der Ausschaffung
entziehen will (sog. Untertauchensgefahr; vgl. Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3
AuG). Die für den Vollzug notwendigen Vorkehren sind umgehend zu treffen (Art.
76 Abs. 4 AuG), und die Haft ist unter anderem dann zu beenden, wenn sich
erweist, dass der Vollzug aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen
undurchführbar ist (Art. 80 Abs. 6 lit. a AuG).
- Der Beschwerdeführer macht nicht ausdrücklich geltend, die materiellen
Voraussetzungen der Ausschaffungshaft nach Art. 76 AuG seien nicht erfüllt.
Darüber ist daher nicht zu befinden (vgl. 42 Abs. 2 BGG). Immerhin rechtfertigt
sich der Hinweis darauf, dass der Haftgrund der Untertauchensgefahr mit Blick
auf die verwendete falsche Identität und den gefälschten Pass und die
wiederholte, auch im bundesgerichtlichen Verfahren geäusserte Weigerung des
Beschwerdeführers, freiwillig in seinen Heimatstaat zurückzukehren,
offensichtlich erfüllt ist.
- Der Beschwerdeführer macht hingegen geltend, der Vollzug der Ausschaffung in
den Iran sei nicht möglich, weil sein Heimatstaat seine zwangsweise
zurückgeführten Angehörigen nicht zurücknehme. Er beruft sich dafür auf das
Urteil des Bundesgerichts 2A.416/2006 vom 7. August 2006. Die Haftrichterin
hielt dazu, ohne auf dieses Urteil einzugehen, im angefochtenen Entscheid fest,
aus den Akten gingen keine Hinweise hervor, die derzeit einer Ausschaffung des
Beschwerdeführers in den Iran im Wege stünden.
-
- Wie es sich mit der Durchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs im Einzelnen
verhält, bildet Gegenstand einer nach pflichtgemässem Ermessen vorzunehmenden
Prognose. Massgebend ist, ob die Ausschaffung mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit innert absehbarer Zeit möglich sein wird oder nicht. Die
Haft ist dann unverhältnismässig und damit auch unzulässig, wenn triftige
Gründe für die Undurchführbarkeit des Vollzugs sprechen oder praktisch
feststeht, dass er sich innert vernünftiger Frist kaum wird realisieren lassen.
Dies ist in der Regel bloss der Fall, wenn die Ausschaffung auch bei
gesicherter Kenntnis der Identität oder der Nationalität des Betroffenen bzw.
trotz seines Mitwirkens bei der Papierbeschaffung mit grosser
Wahrscheinlichkeit als ausgeschlossen erscheint. Zu denken ist etwa an eine
länger dauernde Transportunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen oder an eine
ausdrückliche oder zumindest klar erkennbare und konsequent gehandhabte
Weigerung eines Staates, gewisse Staatsangehörige zurückzunehmen. Nur falls
keine oder bloss eine höchst unwahrscheinliche, rein theoretische Möglichkeit
besteht, die Wegweisung zu vollziehen, ist die Haft aufzuheben, nicht indessen
bei einer ernsthaften, wenn auch allenfalls (noch) geringen Aussicht hierauf.
Eine Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung durch den Betroffenen
vorbehalten, welche die Verhältnismässigkeit der Aufrechterhaltung der Haft
wegen eines überwiegenden öffentlichen Interesses in einem anderen Licht
erscheinen lassen kann, ist dabei nicht notwendigerweise auf die maximale
Haftdauer, sondern vielmehr auf einen den gesamten Umständen des konkreten
Falles angemessenen Zeitraum abzustellen (vgl. BGE 130 II 56 E. 4.1.3 S. 61,
127 II 168 E. 2c S. 172; 125 II 217 E. 2; 122 II 148 E. 3 S. 152 f.).
Namentlich macht der Umstand allein, dass die Ausreise nur schwer organisiert
werden kann und im Rahmen der entsprechenden Bemühungen mit ausländischen
Behörden erst noch verhandelt werden muss, was erfahrungsgemäss eine gewisse
Zeit in Anspruch nimmt, die Ausschaffung nicht bereits undurchführbar (vgl. BGE
125 II 217 E. 2 S. 220).
- In seinem Urteil 2A.416/2006 vom 7. August 2006 ging das Bundesgericht davon
aus, die Ausschaffungshaft gegen einen nicht zur Heimkehr bereiten Iraner dürfe
zurzeit (d.h. im damaligen Zeitpunkt) nur angeordnet werden, wenn besondere
Gründe des Einzelfalles darauf schliessen liessen, dass eine Ausschaffung gegen
seinen Willen ausnahmsweise allenfalls doch möglich sein könnte. Dabei war
nicht auszuschliessen, dass ein geplantes Gespräch bei der iranischen
Vertretung, für das die Haft gerade angeordnet worden war, die
Vollzugsbemühungen voranbringen könnte, wobei allerdings im Anschluss an das
Gespräch eine neue Lagebeurteilung vorzunehmen wäre. Die Haft sei nur für die
entsprechende Dauer, nicht aber vorbehaltlos für eine solche von drei Monaten
zulässig.
- Das vom Beschwerdeführer angerufene Urteil bezieht sich auf die Lage im Jahre
2006 und auf den damals konkret zu beurteilenden Fall. Es verweist ausdrücklich
auf die Besonderheiten jedes Einzelfalles. Zu prüfen ist daher, ob die
damaligen Schwierigkeiten bei der zwangsweisen Rückführung in den Iran auch
heute noch gelten und ob gegebenenfalls im vorliegenden Fall besondere Gründe
bestehen, dass eine Ausschaffung gegen den Willen des Beschwerdeführers doch
möglich sein könnte.
- Aus dem Amtsbericht des Bundesamts für Migration ergibt sich, dass die
Rückkehr in den Iran mit einem gültigen Reisepass jederzeit möglich ist. Ohne
Reisepass ist die betroffene Person gehalten, sich ein Ersatzreisepapier zu
beschaffen. Sie muss dazu persönlich auf der iranischen Botschaft in Bern
vorsprechen und ihre freiwillige Rückkehr vor dem Konsul bestätigen. Für nicht
freiwillige Rückkehrer stellt die iranische Vertretung aufgrund einer
innerstaatlichen Direktive allerdings keine Ersatzreisepapiere aus.

Anstelle eines Reisepasses ermöglicht ausnahmsweise auch eine iranische
Geburtsurkunde ("Shenasnameh") die Einreise in den Iran. Ist eine solche
vorhanden, so kann das Bundesamt für Migration gestützt darauf, wenn auch mit
relativ grossem Aufwand und unter Einbezug der schweizerischen Vertretung im
Iran, die Rückkehr organisieren. Bei der Einreise muss die betroffene Person
allerdings weitgehend kooperieren, da andernfalls das Risiko besteht, dass die
Einreise von den iranischen Behörden verweigert wird. Das Bundesamt verweist
dazu auf einen Fall aus dem Jahre 2007, in dem eine Rückkehr gestützt auf eine
Geburtsurkunde organisiert und die betroffene Person in Begleitung von zwei
Polizisten in den Iran zurückgeführt werden und dort erfolgreich einreisen
konnte. Auch die Kantonspolizei verweist auf diesen Fall und führt ergänzend
aus, bei der Übergabe des ursprünglich renitenten Ausländers an die iranischen
Grenzkontrollbehörden habe es zwar Probleme gegeben, die Ausschaffung sei
jedoch gelungen. Die Kantonspolizei weist überdies darauf hin, dass im Jahr
2007 über den Flughafen Zürich noch sechs weitere zwangsweise Rückführungen in
den Iran erfolgreich abgewickelt worden seien.
- Im vorliegenden Fall verfügen die Behörden über eine iranische Geburtsurkunde
("Shenasnameh") im Original. Wieweit alle angerufenen Parallelfälle mit dem
vorliegenden Fall vergleichbar sind, ist nicht klar. Wenigstens der
detaillierter beschriebene Fall aus dem letzten Jahr scheint aber in
verschiedener Hinsicht mit dem vorliegenden Fall vergleichbar. Aufgrund der
vorhandenen Geburtsurkunde steht den Behörden die Möglichkeit offen, eine
Rückkehr in den Iran auch ohne Kooperation des Beschwerdeführers vorzubereiten.
Unter den gegebenen Umständen kann daher zwar weiterhin nicht allgemein davon
ausgegangen werden, dass sich zwangsweise Rückführungen in den Iran ohne
Schwierigkeiten durchführen lassen; aufgrund der besonderen Ausgangslage im
Einzelfall besteht aber eine gewisse konkrete Möglichkeit der Rückführung.
Bevor sich ein entsprechender Versuch nicht als erfolglos erweist, kann daher
nicht davon ausgegangen werden, dass der Vollzug der Wegweisung im Sinne des
Gesetzes tatsächlich unmöglich ist. Im Hinblick darauf ist die
Ausschaffungshaft daher aufgrund der zurzeit bekannten und zu
berücksichtigenden Umstände zulässig.
- Im Übrigen wäre selbst im Fall, dass sich die Ausschaffungshaft wegen
tatsächlicher Unmöglichkeit eines zwangsweisen Wegweisungsvollzugs als
unzulässig erwiese, der Beschwerdeführer nicht ohne weiteres aus der Haft zu
entlassen. Diesfalls wäre nämlich wegen seiner Renitenz die Anordnung einer
Durchsetzungshaft gemäss Art. 78 AuG zu prüfen. Im Urteil 2A.416/2006 vom 7.
August 2006 spielte das deshalb noch keine Rolle, weil es damals die neue
Haftart noch gar nicht gab.
-
- Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erweist sich als
unbegründet und ist abzuweisen.
- Der Beschwerdeführer war im haftrichterlichen Verfahren nicht anwaltlich
vertreten. Die Haftrichterin hat nicht näher begründet, weshalb einer
Ausschaffung in den Iran nichts im Wege stehen sollte, und sich damit, soweit
ersichtlich, auch nicht vertieft auseinandergesetzt. Das Urteil des
Bundesgerichts 2A.416/2006 vom 7. August 2006 sowie die im vorliegenden
Verfahren eingeholten Vernehmlassungen belegen aber die Komplexität der Frage.
Aufgrund dieser schwierigen tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhänge erwies
sich der Beizug eines Anwalts für den Beschwerdeführer als notwendig und ist
die Beschwerde nicht als von vornherein aussichtslos zu beurteilen. Dem
mittellosen Beschwerdeführer ist daher die unentgeltliche Rechtspflege zu
bewilligen, und es ist ihm sein Rechtsvertreter als unentgeltlicher Beistand
beizugeben. Damit sind für das bundesgerichtliche Verfahren keine Kosten zu
erheben, und der Vertreter des Beschwerdeführers ist aus der
Bundesgerichtskasse angemessen zu entschädigen (vgl. Art. 64 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:
-
Die Beschwerde wird abgewiesen.
-
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt.
-
Es werden keine Kosten erhoben.
-
Rechtsanwalt Urs Ebnöther wird als unentgeltlicher Rechtsbeistand des
Beschwerdeführers bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'000.--
ausgerichtet.
-
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, und
dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 26. August 2008
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Uebersax