Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.476/2008
Zurück zum Index II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008
Retour à l'indice II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008


Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_476/2008

Urteil vom 8. August 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Gerichtsschreiber Feller.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer,
Y.________,
Beschwerdeführerin,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard Zollinger,

gegen

Amt für Migration des Kantons Luzern, Fruttstrasse 15, 6002 Luzern.

Gegenstand
Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei der Ehegattin,
Sistierung des Bewilligungsverfahrens,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 23.
Mai 2008.

Erwägungen:

1.
1.1 X.________, Serbe, geb. 1975, reiste erstmals im Oktober 1992 in die
Schweiz ein. Sein Asylgesuch wurde am 17. Februar 1993 abgewiesen, wobei das
Bundesamt für Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration) wegen des damals
unzumutbaren Vollzugs der Wegweisung die vorläufige Aufnahme von X.________ und
der damaligen Lebenspartnerin und des gemeinsamen Kindes anordnete. Der nach
Aufhebung der gruppenweisen vorläufigen Aufnahme zuletzt von der
Schweizerischen Asylrekurskommission auf Ende November 1999 angesetzten
Ausreisefrist wurde keine Folge geleistet. Im Rahmen der "humanitären Aktion
2000" wurden X.________, seine damalige Lebenspartnerin und die mittlerweile
zwei gemeinsamen Kinder erneut vorläufig aufgenommen. Ein Gesuch um Erteilung
der Aufenthaltsbewilligung von X.________ wies das Amt für Migration des
Kantons Luzern am 28. Juli 2003 wegen eines Strafbefehls (45 Tage Gefängnis
bedingt und Fr. 800.-- Busse wegen Gebrauchs gefälschter fremdenpolizeilicher
Ausweispapiere) und mangels gefestigter Arbeitsstelle ab. Am 19. Mai 2004
sodann hob das Bundesamt für Flüchtlinge die vorläufige Aufnahme von X.________
auf und ordnete die sofort vollziehbare Wegweisung aus; Grund waren zwei
laufende Strafverfahren (im Fürstentum Liechtenstein wegen Verdachts auf
Freiheitsberaubung und Raub [eingestellt am 28. November 2006] sowie in den
Kantonen Luzern und Uri wegen verschiedener Einbruchdiebstähle). Das Bundesamt
für Zuwanderung, Integration und Auswanderung (heute: Bundesamt für Migration)
erliess am 9. Juli 2004 angesichts der gerichtlichen Verurteilung
(Ausweisfälschung) und der laufenden Strafverfahren eine bis 11. Juli 2014
gültige Einreisesperre. Im Oktober 2004 reiste X.________ nach Novi Pazar,
Serbien, zurück. Er lebte dort während rund zwei Jahren mit seiner Freundin
Y.________, einer aus Bosnien-Herzegowina stammenden Schweizer Bürgerin,
zusammen. Am 26. Oktober 2006 heiratete er sie in Belgrad.

Am 14. Mai 2007 reiste X.________ wieder in die Schweiz ein und stellte ein
zweites Asylgesuch, auf welches das Bundesamt für Migration am 19. Juli 2007
nicht eintrat (bestätigt durch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.
August 2007).

1.2 Am 16. August 2007 stellte Y.________ beim Amt für Migration des Kantons
Luzern ein Gesuch um Familiennachzug für ihren Ehemann X.________. Das Amt
sistierte das Bewilligungsverfahren im Hinblick auf das noch hängige
Strafverfahren wegen Diebstahls und wies X.________, unter Ansetzung einer
Ausreisefrist, aus dem Kanton Luzern weg. Mit Urteil vom 23. Mai 2008 wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern die gegen die entsprechende Verfügung vom
14. September 2007 erhobene Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat; das Amt
für Migration wurde angewiesen, X.________ eine neue Ausreisefrist anzusetzen.

Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 30. Juni 2008
beantragen X.________ und Y.________ dem Bundesgericht, das Amt für Migration
sei anzuweisen, X.________ in Abänderung der angefochtenen Verfügung eine
Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei seiner Ehefrau zu erteilen.

Es ist weder ein Schriftenwechsel noch sind andere Instruktionsmassnahmen
angeordnet worden.

2.
2.1 Angefochten ist ein Urteil, das eine Zwischenverfügung zum Gegenstand hat
(Sistierung des Bewilligungsverfahrens, Verweigerung der Landesanwesenheit
während dessen Hängigkeit [Wegweisung]). Die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist zur Anfechtung eines
Zwischenentscheids, der nicht die Zuständigkeit oder Ausstandsfragen betrifft
(vgl. Art. 92 BGG), nur zulässig, wenn sie einerseits gegen den Endentscheid
zulässig sein wird und wenn andererseits die Voraussetzungen von Art. 93 BGG
erfüllt sind.
2.1.1 Im Hauptverfahren streitig ist die Erteilung einer
Aufenthaltsbewilligung, auf die der mit einer Schweizerin verheiratete
Beschwerdeführer im Grundsatz Anspruch hat, sodass weder Art. 83 lit. c Ziff. 2
BGG noch sonst ein Ausschlussgrund zum Tragen kommt. Sodann kann das
angefochtene Urteil für die Beschwerdeführer insofern einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken (vgl. Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG), als sie ihre
Ehe vorläufig nicht in der Schweiz leben können. Die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist insofern zulässig.
2.1.2 Das angefochtene Urteil stützt sich ausschliesslich auf kantonales
(Verfahrens-)Recht. Vor Bundesgericht kann nicht unmittelbar die Verletzung
kantonalen Rechts gerügt werden. Vielmehr muss geltend gemacht werden, dass die
kantonalen Behörden bei dessen Anwendung schweizerisches Recht im Sinne von
Art. 95 BGG verletzt haben. In Frage kommen vorliegend Bundes(verfassungs)
recht, Völkerrecht und kantonale verfassungsmässige Rechte. Dabei prüft das
Bundesgericht, was verfassungsmässige Rechte betrifft, den angefochtenen
Entscheid nur insoweit, als entsprechende Rechtsverletzungen spezifisch
dargelegt werden (Art. 106 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 42 Abs. 2 BGG).
Vorliegend ist, da das Hauptanliegen der Beschwerdeführer an sich darin
besteht, X.________ müsse vorerst und jedenfalls bis zum Abschluss des
Bewilligungsverfahrens im Land bleiben können, im Ergebnis eine vorsorgliche
Massnahme (Vollzugsstopp betreffend Wegweisung) streitig, sodass sich die
Beschränkung der Beschwerdegründe auch aus Art. 98 BGG ergibt.

2.2 Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung von Art. 8 EMRK. Sie tun dies
weitgehend in einer Weise, wie sie dies im Rahmen einer Beschwerde gegen den
die Aufenthaltsbewilligung verweigernden Endentscheid tun könnten. Insofern
tragen ihre Rügen dem beschränkten Gegenstand der vorliegenden Beschwerde nur
zum Teil Rechnung (Recht- bzw. Verfassungsmässigsmässigkeit der getroffenen
verfahrensrechtlichen Anordnungen).

2.3 Nicht näher substantiiert und ohnehin offensichtlich unbegründet ist
zunächst die Behauptung (s. Beschwerdeschrift S. 6 am Ende), Art. 8 EMRK lasse
es nicht zu, den Ausländer zu verpflichten, den materiellen Entscheid über die
Aufenthaltsbewilligung im Ausland abzuwarten (vgl. dazu Urteil 2C_11/2007 vom
21. Juni 2007 E. 2.3.3). Offensichtlich unbegründet ist sodann die Rüge, für
die Verfahrenssistierung bzw. die vorläufige Wegweisung fehle es an einer
gesetzlichen Grundlage. § 41 des Luzerner Gesetzes vom 3. Juli 1972 über die
Verwaltungsrechtspflege (VRG) bzw. Art. 1a ANAG und Art. 1 ANAV, ferner auch
ganz allgemein § 45 VRG ermächtigen das Amt für Migration zu den umstrittenen
getroffenen verfahrensleitenden Anordnungen. Nicht nachvollziehbar ist sodann
die Rüge der Gehörsverweigerung durch angeblich fehlende Begründung; dem
angefochtenen Urteil ist klar und nachvollziehbar zu entnehmen, aus welchen
Gründen das Verwaltungsgericht die Anordnungen des Amtes für Migration als
rechtmässig erachtet. Zu prüfen bleibt, ob die Verfahrenssistierung und die
damit verbundene Ausreiseverpflichtung sonstwie - inhaltlich - gegen den
Beschwerdeführern zustehende verfassungsmässige Rechte verstossen.

2.4
2.4.1 Gemäss § 41 VRG kann die Behörde das Verfahren aus Gründen der
Zweckmässigkeit aussetzen, namentlich wenn ihr Entscheid von einem anderen
abhängt oder wesentlich beeinflusst wird. Dass der zuständigen Behörde bei
einem solchen Entscheid, wie das Verwaltungsgericht darlegt, grosses Ermessen
zusteht, liegt auf der Hand. Dasselbe gilt beim Erlass vorsorglicher
Verfügungen im Sinne von § 45 VRG. Was insbesondere letztere betrifft, so
ergehen sie aufgrund einer bloss provisorischen Prüfung der Sach- und
Rechtslage. Erforderlich ist eine Interessenabwägung, wofür die Behörde nicht
gehalten ist, zeitraubende Abklärungen zu treffen; vielmehr kann sie sich mit
einer summarischen Beurteilung der Situation aufgrund der ihr zur Verfügung
stehenden Akten begnügen (vgl. BGE 130 II 149 E. 2.2 S.155; 129 II 286 E. 3 S.
289; 127 II 132 E. 3 S. 137 f.; 117 V 185 E. 2b S. 191, je mit Hinweisen). Auf
Beschwerde hin kann das Bundesgericht entsprechende verfahrensleitende
Anordnungen nur aufheben, wenn die Behörde wesentliche Interessen und wichtige
Gesichtspunkte ausser Acht gelassen oder offensichtlich falsch bewertet haben
sollte und die von ihr vorgenommene Interessenabwägung jeglicher vernünftigen
Grundlage entbehrte (vgl. BGE 129 II 286 E. 3 S. 289; Urteil 2C_11/2007 vom 21.
Juni 2007 E. 2.3.2 mit Hinweisen).
2.4.2 Die Zweckmässigkeit der Sistierung des Bewilligungsverfahrens liegt
vorliegend auf der Hand. Der Beschwerdeführer hat zwar gestützt auf Art. 8 EMRK
einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltsbewilligung. Nach der Aktenlage ist
indessen nicht gewiss, ob ihm eine solche erteilt werden muss, wenn es im
Strafverfahren betreffend verschiedene Einbruchdiebstähle zu einer Verurteilung
kommen sollte. Insbesondere kommt im Falle des Beschwerdeführes der sog.
Zweijahresregel bei der Interessenabwägung gemäss Art. 8 Ziff. 2 EMRK
angesichts der weiteren Umstände nicht die gleiche Bedeutung zu wie in anderen
Fällen. Er ist bereits früher straffällig geworden, hat mehrfach
fremdenpolizeiliche Anordnungen missachtet (zuletzt Einreise trotz
Einreisesperre und Stellung eines untauglichen Asylgesuchs), und zudem bis vor
relativ kurzer Zeit die Beziehung mit der Beschwerdeführerin, seiner heutigen
Ehefrau, während rund zwei Jahren in seiner Heimat gelebt, welche ihn im Wissen
um die prekäre ausländerrechtliche Situation geheiratet hat. Ein definitiver
Entscheid über das Nachzugsgesuch vor Abschluss des Strafverfahrens erscheint
nicht geboten. Dass die Verfahrenssistierung bei dieser Konstellation nicht die
Unschuldsvermutung verletzt, bedarf, auch angesichts der diesbezüglich bloss
rudimentären Ausführungen in der Beschwerdeschrift, keiner näheren Erläuterung.
Der Sistierungsentscheid verstösst in keiner Weise gegen verfassungsmässige
Rechte der Beschwerdeführer.

Dieselben Überlegungen sind von Belang in Bezug auf die Anordnung, dem in
Missachtung einer rechtskräftigen Einreisesperre und damit unrechtmässig
eingereisten Beschwerdeführer (vgl. Art. 1 ANAV) während der Hängigkeit des
(sistierten) Bewilligungsverfahrens die Anwesenheit in der Schweiz zu
verweigern; die entsprechende Massnahme hält der im dargelegten Sinne
beschränkten bundesgerichtlichen Prüfung grundsätzlich stand. Auch die
Hängigkeit eines Strafverfahrens ist dabei insofern nicht von entscheidender
Bedeutung, als der Beschwerdeführer für eine wirksame Verteidigung nicht darauf
angewiesen ist, sich dauernd in der Schweiz aufzuhalten; die Beschwerdeführer
machen dies in ihrer Beschwerdebegründung denn auch nicht etwa geltend.

2.5 Eine Besonderheit liegt darin, dass die Sistierung des
Bewilligungsverfahrens hier mit der (vorsorglichen) Wegweisung des
Beschwerdeführers verknüpft ist. Damit droht dessen als solche grundsätzlich
nicht zu beanstandende vorläufige Fernhaltung aus der Schweiz, welche die
Gestaltung des Ehelebens der Beschwerdeführer beeinflusst, länger zu dauern als
bei einem wie üblich laufenden Bewilligungsverfahren. Zum heutigen Zeitpunkt
stellt sich jedoch die Frage einer Rechtsverzögerung nicht ernsthaft. Die
diesbezüglich rudimentären Vorbringen in der Beschwerdeschrift gebieten keine
näheren Erwägungen darüber, ob und wann bei zunehmender Dauer des
Strafverfahrens unter dem Gesichtswinkel von Art. 29 Abs. 1 BV allenfalls eine
Wiederaufnahme des Bewilligungsverfahrens oder die Erteilung einer
Wiedereinreisebewilligung an den Beschwerdeführer in Betracht zu ziehen wäre.

2.6 Die Beschwerde erweist sich, soweit darauf eingetreten werden kann, als
offensichtlich unbegründet (Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG), und sie ist im
vereinfachten Verfahren gemäss Art. 109 BGG abzuweisen.

Mit diesem Urteil wird das in der Beschwerdeschrift gestellte Gesuch, dem
Beschwerdeführer sei für die Dauer des Beschwerdeverfahrens im Sinne einer
vorsorglichen Massnahme der weitere Aufenthalt im Kanton Luzern zu bewilligen,
gegenstandslos.

2.7 Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten (Art. 65 BGG)
den Beschwerdeführern zu gleichen Teilen unter solidarischer Haftung
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden den Beschwerdeführern je zur Hälfte
unter solidarischer Haftung auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Amt für Migration und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern sowie dem Bundesamt für Migration
schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 8. August 2008
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Feller