Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.440/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_440/2008

Urteil vom 10. November 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller, Karlen,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Gerichtsschreiber Moser.

Parteien
Kanton Appenzell A.Rh., 9100 Herisau,
Beschwerdeführer, vertreten durch das Departement Volks- und Landwirtschaft,
Regierungsgebäude, 9102 Herisau,

gegen

X.________ GmbH & Co. KG, Deutschland,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Elias Bischof,

Arbeitsinspektorat des Kantons Appenzell A.Rh., Regierungsgebäude, 9100
Herisau.

Gegenstand
Busse gemäss Art. 9 Abs. 2 des Entsendegesetzes,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts von Appenzell Ausserrhoden,
2. Abteilung, vom 29. August 2007.

Sachverhalt:

A.
Das Arbeitsinspektorat des Kantons Appenzell A.Rh. auferlegte der X.________
GmbH & Co. KG, gestützt auf Art. 9 Abs. 2 lit. a des Bundesgesetzes vom 8.
Oktober 1999 über die minimalen Arbeits- und Lohnbedingungen für in die Schweiz
entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und flankierende Massnahmen
(Entsendegesetz, EntsG; SR 823.20) eine Verwaltungsbusse von Fr. 1500.-- wegen
Verletzung von Meldevorschriften. Das kantonale Departement Volks- und
Landwirtschaft bestätigte diesen Entscheid auf Rekurs hin am 17. Januar 2007.
Das Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden, an welches sich die gebüsste
Firma daraufhin gewandt hatte, hob den Entscheid des Departementes mit Urteil
vom 29. August 2007 (versandt am 14. Mai 2008) auf, und zwar vorab mit der
Begründung, dass die Befugnis zur Ausfällung der streitigen Sanktion nicht beim
Arbeitsinspektorat, sondern gemäss der allgemeinen Vorschrift von Art. 1 der
kantonalen Strafprozessordnung bei den Strafverfolgungsorganen liege; die durch
regierungsrätliche Verordnung erfolgte Kompetenzzuweisung an das
Arbeitsinspektorat entbehre der erforderlichen formellgesetzlichen Grundlage.
Die Beschwerde wäre zudem, wie das Verwaltungsgericht in einer
Eventualbegründung darlegte, selbst bei Bejahung der Zuständigkeit des
Arbeitsinspektorates aus materiellen Gründen gutzuheissen.

B.
Das Departement Volks- und Landwirtschaft führt hiegegen namens des Kantons
Appenzell A.Rh. Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Begehren, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 29. August 2007 aufzuheben und
die ausgefällte Busse zu bestätigen; eventuell sei wenigstens festzustellen,
dass das kantonale Arbeitsinspektorat als "zuständige kantonale Behörde" im
Sinne von Art. 7 Abs. 1 lit. d EntsG befugt sei, Sanktionen nach Art. 9 Abs. 2
EntsG auszusprechen.

C.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Appenzell A.Rh. beantragt Abweisung der
Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Die Beschwerdegegnerin hat auf eine
Stellungnahme verzichtet.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Endentscheid in einer
Angelegenheit, deren tatsächliches Schwergewicht - es geht aus der Sicht des
Beschwerdeführers vor allem um die Vereinbarkeit der auf Verordnungsstufe
verankerten Bussenkompetenz des kantonalen Arbeitsinspektorates mit der
Kompetenzordnung der Kantonsverfassung - kantonales öffentliches Recht
betrifft, wobei der Streitgegenstand an sich unter keinen der Ausschlussgründe
gemäss Art. 83 BGG fällt. Insofern könnte - entsprechend der dem angefochtenen
Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung - das Rechtsmittel der Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen stehen. Formeller
Verfahrensgegenstand bildet jedoch die Ausfällung einer Verwaltungsbusse gemäss
Art. 9 Abs. 2 lit. a EntsG, womit als zu ergreifendes Rechtsmittel auch die
Beschwerde in Strafsachen in Betracht fällt (vgl. dazu Urteil 6B_205/2007 vom
27. Oktober 2007, E. 1). Welches dieser beiden Rechtsmittel bei der hier
gegebenen Konstellation gegeben ist, kann aufgrund der folgenden Erwägungen
offen bleiben.

2.
Das rekurrierende kantonale Departement bezeichnet seine Eingabe als Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Es kann sich für die Ergreifung
dieses Rechtsmittels unbestrittenermassen auf keine besondere Ermächtigungsnorm
im Sinne von Art. 89 Abs. 2 BGG stützen. Das Departement handelt nicht als
Behörde, sondern tritt explizit als Vertreter des Kantons auf, der durch das
ergangene Verwaltungsgerichtsurteil in schutzwürdigen eigenen Interessen
betroffen und damit gestützt auf Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG zur Beschwerde
legitimiert sei. Die Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen wird darin
erblickt, dass der Kanton Appenzell A.Rh. die ihm aufgrund des Entsendegesetzes
zukommende Kontrolle faktisch nicht mehr ausüben könne, bis der kantonale
Gesetzgeber die geforderte formellgesetzliche Grundlage für die Bussenkompetenz
des administrativen Kontrollorgans geschaffen habe. Darüber wäre mit einem
volkswirtschaftlichen Schaden (Benachteilung des einheimischen Gewerbes sowie
Wettbewerbsverzerrungen) zu rechnen, weil ausländische Arbeitgeber im Kanton
sanktionsfrei Lohn- und Sozialdumping betreiben könnten. Schliesslich bestehe
die Gefahr, dass bereits gebüsste Arbeitgeber bei Feststellung der
Unzuständigkeit des Arbeitsinspektorates die bezahlten Bussgelder zurückfordern
könnten.

3.
Wenn ein Kanton gestützt auf Art. 89 Abs. 1 BGG als Rechtsmittelkläger handeln
will, obliegt seine prozessuale Vertretung in der Regel dem Regierungsrat als
oberster Exekutivbehörde. Will eine nachgeordnete Behörde namens des Kantons
Beschwerde führen, hat sie ihre Vertretungsbefugnis explizit darzutun, sei es
durch einen entsprechenden speziellen Ermächtigungsbeschluss der
Kantonsregierung oder durch Angabe der sie zur Prozessführung namens des
Kantons berechtigenden kantonalen Vorschriften (zur Publ. bestimmtes Urteil
2C_15/2008 vom 13. Oktober 2008, E. 1.2.3). Diese Rechtsprechung war dem
beschwerdeführenden kantonalen Departement bei Einreichung seiner Eingabe noch
nicht bekannt. Auf eine Fristansetzung zur nachträglichen Begründung der
beanspruchten Beschwerdelegitimation bzw. zur Einreichung eines
Ermächtigungsbeschlusses wird daher verzichtet. Für künftige Verfahren bleibt
dieser Nachweis vorbehalten.

4.
4.1 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann das allgemeine
Beschwerderecht von Art. 89 Abs. 1 BGG auch vom Gemeinwesen in Anspruch
genommen werden, wenn es durch den angefochtenen Entscheid gleich oder ähnlich
wie ein Privater betroffen ist. Darüber hinaus kann die Legitimation des
Gemeinwesens ebenfalls gegeben sein, wenn es in schutzwürdigen eigenen
hoheitlichen Interessen berührt ist. Das kann bei vermögensrechtlichen
Interessen zutreffen, aber auch bei Eingriffen in spezifische eigene
öffentliche Sachanliegen. Das blosse allgemeine Interesse an der richtigen
Rechtsanwendung verschafft aber noch keine Rechtsmittelbefugnis nach Art. 89
Abs. 1 BGG. Ebensowenig genügt auch nicht jedes beliebige, mit der Erfüllung
einer öffentlichen Aufgabe direkt oder indirekt verbundene finanzielle
Interesse des Gemeinwesens für eine Inanspruchnahme des allgemeinen
Beschwerderechts (BGE 134 II 45 E. 2.2.1 S. 46 f. mit Hinweisen).

4.2 Durch einen Beschwerdeentscheid, welcher die kantonale Behörde in einem
Einzelfall zur Erteilung einer streitigen Bewilligung verpflichtet, wird der
Kanton als Gemeinwesen regelmässig noch nicht in einem relevanten Ausmass in
schutzwürdigen hoheitlichen Interessen berührt, welches ihm ein Beschwerderecht
nach Art. 89 Abs. 1 BGG zu verschaffen vermöchte (so betreffend eine
ausländerrechtliche Bewilligung: BGE 134 II 45 E. 2.2.2 S. 47 f.; betreffend
eine Bewilligung zur selbständigen Berufsausübung: zur Publ. vorgesehenes
Urteil 2C_15/2008 vom 13. Oktober 2008, E. 1.2.2). Nicht anders verhält es
sich, wenn, wie vorliegend, eine von einer kantonalen Behörde ausgefällte
Verwaltungsbusse durch eine Rechtsmittelinstanz aufgehoben oder korrigiert
wird. Für eine Inanspruchnahme des allgemeinen Beschwerderechts durch das mit
der Rechtsanwendung betraute Gemeinwesen besteht in solchen Fällen kein Raum;
der Weiterzug bleibt jenen Behörden oder Organisationen vorbehalten, die sich
hiefür auf eine besondere gesetzliche Ermächtigung stützen können (Art. 89 Abs.
2 BGG; vgl. auch Art. 81 BGG).

5.
5.1 Soweit die richtige Anwendung der Meldevorschriften des Entsendegesetzes im
Verwaltungsverfahren in Frage steht, kommt die Befugnis zur Beschwerdeführung
gestützt auf Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG dem für diesen Aufgabenbereich
zuständigen Departement des Bundes (Eidgenössisches
Volkswirtschaftsdepartement, EVD) sowie den allenfalls hierzu besonders
ermächtigten, diesem unterstellten Dienststellen zu. Der Kanton kann die
beschwerdeberechtigte Bundesbehörde zur Ergreifung des Rechtsmittels einladen,
aber nicht - als Gemeinwesen - selber Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten führen. Entsprechendes gilt, wenn die Ausfällung einer
Strafsanktion wegen Verletzung der genannten Verwaltungsvorschriften in Frage
steht; zur Erhebung der Beschwerde in Strafsachen sind nur die in Art. 81 BGG
genannten Parteien und Behörden berechtigt.

5.2 Es fragt sich, ob die dem Kanton Appenzell A.Rh. aus dem angefochtenen
Verwaltungsgerichtsurteil für den Vollzug des Entsendegesetzes erwachsenden
Erschwernisse eine Beschwerdelegitimation nach Art. 89 Abs. 1 BGG zu begründen
vermögen. Das seitens des Kantons angeführte Risiko, durch das
Arbeitsinspektorat bereits ausgefällte Verwaltungsbussen zurückerstatten zu
müssen, dürfte kaum bestehen; die allfällige Unzuständigkeit des
Arbeitsinspektorates wäre nicht derart offensichtlich, dass frühere,
rechtskräftig gewordene Entscheide als geradezu nichtig erscheinen könnten.
Mehr Gewicht kommt dem Einwand zu, dass der Kanton bis zum Erlass einer
formellgesetzlichen Regelung die ihm gemäss Entsendegesetz zukommenden Aufgaben
nicht mehr oder nicht mehr effizient erfüllen könne. Zur prozessualen
Geltendmachung dieses Interesses wären nach dem Gesagten wohl wiederum in
erster Linie die nach Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG beschwerdeberechtigten
Bundesorgane berufen. Im vorliegenden Fall stützt sich das angefochtene Urteil
allerdings auf die innerkantonale verfassungsrechtliche Kompetenzordnung, mit
deren Auslegung und Wahrung sich die Bundesbehörden nicht zu befassen haben.
Durch das seitens des Verwaltungsgerichts geltend gemachte
verfassungsrechtliche Hindernis wird der Kanton Appenzell A.Rh. bis zum Erlass
einer dahingehenden formellgesetzlichen Regelung daran gehindert, die in Art. 9
Abs. 2 lit. a EntsG vorgesehene Sanktionsbefugnis zur Durchsetzung der
minimalen Arbeits- und Lohnbedingungen für in die Schweiz entsandte
Arbeitnehmer durch das Arbeitsinspektorat ausüben zu lassen. Dem Kanton bleibt
jedoch nach den Erwägungen des Verwaltungsgerichts die Möglichkeit, auf dem
Verordnungsweg kurzfristig eine Übergangslösung vorzusehen, wonach die
betreffenden Sanktionen - auf Anzeige des Arbeitsinspektorates hin - von einer
Strafbehörde verhängt werden. Das angefochtene Urteil beruht möglicherweise auf
einer Verkennung der Tragweite der organisationsrechtlichen Vorgaben des
Entsendegesetzes, doch ist zweifelhaft, ob der Kanton dadurch in einem Masse in
schutzwürdigen eigenen hoheitlichen Interessen beeinträchtigt wird, welches die
Anerkennung eines Beschwerderechts nach Art. 89 Abs. 1 BGG zu rechtfertigen
vermöchte.

6.
Die aufgeworfene Frage kann jedoch offen bleiben. Das Verwaltungsgericht
begründet die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsbusse nicht allein mit der
fehlenden Zuständigkeit des Arbeitsinspektorates, sondern rechtfertigt seinen
Entscheid in einer Eventualbegründung zusätzlich damit, dass seitens der
sanktionierten Firma gar keine Verletzung der Meldevorschriften gemäss
Entsendegesetz vorliege. Beruht eine Entscheidung auf zwei oder mehreren
Begründungen, muss jede derselben angefochten werden (vgl. BGE 133 III 221 E. 7
S. 228; 132 I 13 E. 3 S. 17). Die vorliegende Beschwerdeschrift befasst sich im
Wesentlichen einzig mit der umstrittenen Bussenkompetenz des kantonalen
Arbeitsinspektorates. Zwar wird auch die Bestätigung der ausgefällten Busse von
Fr. 1500.-- beantragt und unter Hinweis auf eine beigelegte 15-seitige
Stellungnahme des Arbeitsinspektorates vom 12. Juni 2008 geltend gemacht, die
erwähnte Eventualbegründung beruhe auf unrichtigen Sachverhaltsannahmen und
verneine zu Unrecht eine Verletzung der Meldepflichten gemäss Entsendegesetz.
Die Begründung einer Beschwerde muss in der Rechtsmitteleingabe selber
enthalten sein; blosse Verweise auf andere Rechtsschriften oder sonstige
Dokumente genügen nicht (BGE 133 II 396 E. 3.2 S. 400). Ob die beigelegte
Stellungnahme des kantonalen Arbeitsinspektorates hier als Beschwerdebegründung
entgegenzunehmen wäre, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist der Kanton,
soweit es allein darum geht, ob die Meldevorschriften in einem einzelnen Fall
richtig angewendet worden sind, nach dem Gesagten (oben E. 4.2 und 5.1) zur
Beschwerde nicht legitimiert. Die prozessuale Sachlage ist damit gleich wie im
Fall, dass von zwei selbständigen Begründungen eine gar nicht angefochten wird.
Sofern die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vorliegend
überhaupt zulässig sein sollte (oben E. 1), stünde einer materiellen
Beurteilung jedenfalls die fehlende Legitimation des Kantons zur Anfechtung der
erwähnten Eventualbegründung entgegen. Entsprechendes würde gelten, wenn das
vorliegende Rechtsmittel als Beschwerde in Strafsachen zu behandeln wäre (E.
1). Auf die Beschwerde ist daher nicht einzutreten.

7.
Da der Kanton Appenzell A.Rh. keine vermögensrechtlichen Interessen verfolgt,
ist er von der Bezahlung der Gerichtskosten befreit (Art. 66 Abs. 4 BGG). Die
Beschwerdegegnerin hat auf eine Stellungnahme verzichtet, womit die Zusprechung
einer Parteientschädigung entfällt (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Arbeitsinspektorat des Kantons Appenzell
A.Rh. und dem Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden, 2. Abteilung,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. November 2008
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Moser