Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.428/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_428/2008

Urteil vom 27. Januar 2009
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Müller, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Karlen,
Gerichtsschreiberin Dubs.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin Anita Hug,

gegen

Departement des Innern des Kantons Solothurn.

Gegenstand
Familiennachzug,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom
7. Mai 2008.

Sachverhalt:

A.
Der ursprünglich aus Guinea stammende X.________ (geb. 1979) reiste am 3.
Dezember 1999 als Asylbewerber in die Schweiz ein. Am 7. August 2000 heiratete
er eine Schweizer Bürgerin (geb. 1958), worauf ihm der Aufenthalt bei der
Ehefrau bewilligt wurde. Am 4. Oktober 2005 wurde ihm die
Niederlassungsbewilligung erteilt. Inzwischen hat X.________ das Schweizer
Bürgerrecht erworben.

B.
Am 23. September 2003 ersuchte X.________ um Nachzug seines 1997 in Guinea
geborenen ausserehelichen Sohnes Y.________. Er gibt an, erst im Jahre 2002 von
seiner Vaterschaft Kenntnis erhalten zu haben. Das Gesuch wurde am 29. Juli
2004 abgelehnt, weil keine Beziehung zwischen Vater und Sohn bestehe.
Mit Eingaben vom 9. und 19. November 2007 stellte X.________ erneut ein
Familiennachzugsgesuch für seinen Sohn. Er machte geltend, die Mutter von
Y.________ habe sich wieder verheiratet und der Sohn sei ihr in dieser Ehe zur
Last geworden, weshalb das Sorgerecht dem Vater übertragen worden sei. Mangels
vorrangiger Beziehung zwischen Y.________ und seinem Vater wies das Departement
des Innern des Kantons Solothurn, Abteilung Ausländerfragen, das Gesuch mit
Verfügung vom 20. Februar 2008 ab. Dagegen beschwerte sich X.________ erfolglos
beim Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 6. Juni 2008
beantragt X.________, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 7. Mai 2008 aufzuheben und das Departement des Innern des Kantons
Solothurn, Abteilung Ausländerfragen, zu verpflichten, den Familiennachzug zu
bewilligen; eventuell sei die Angelegenheit zwecks zusätzlicher Abklärungen an
die Vorinstanz bzw. an die Abteilung Ausländerfragen zurückzuweisen.

D.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn schliesst auf Abweisung der
Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne. Das Departement des Innern
des Kantons Solothurn, Abteilung Ausländerfragen, und das Bundesamt für
Migration beantragen, die Beschwerde abzuweisen.

E.
Mit Verfügung vom 25. August 2008 wies das Bundesamt für Migration das Gesuch
um Erteilung eines Touristenvisums für Y.________ ab, da dessen fristgerechte
Wiederausreise nicht als gesichert erachtet werden konnte.

Erwägungen:

1.
1.1 Gemäss Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG ist die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten auf dem Gebiet des Ausländerrechts
unzulässig gegen Entscheide betreffend Bewilligungen, auf die weder das
Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt.

1.2 Da das Gesuch um Familiennachzug vor dem 1. Januar 2008 eingereicht worden
ist, sind für das vorliegende Verfahren noch das Bundesgesetz vom 26. Mai 1931
über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG) und dessen
Ausführungserlasse massgeblich (Art. 126 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 16.
Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer [AuG; SR 142.20]). Die
Ausführungen des Beschwerdeführers zu den - somit hier noch nicht anwendbaren -
Vorschriften des neuen Ausländergesetzes sind daher unbehelflich; im Übrigen
setzt auch das neue Gesetz dem nachträglichen Familiennachzug zeitliche Grenzen
(vgl. Art. 47 AuG).

1.3 Nach Art. 17 Abs. 2 dritter Satz ANAG haben ledige Kinder unter 18 Jahren
Anspruch auf Einbezug in die Niederlassungsbewilligung ihrer Eltern, wenn sie
mit diesen zusammen wohnen. Die genannte Bestimmung gilt sinngemäss auch für
ausländische Kinder eines Schweizers (grundlegend: BGE 118 Ib 153 E. 1b S. 155
f.; ferner: BGE 130 II 137 E. 2.1 S. 141; 129 II 249 E. 1.2 S. 252).
Der Beschwerdeführer verfügt über das Schweizer Bürgerrecht. Sein
nachzuziehender Sohn, der nicht Schweizer Bürger ist, war zum Zeitpunkt der
Gesuchseinreichung, auf den es im Rahmen von Art. 17 Abs. 2 ANAG für die
Eintretensfrage ankommt (statt vieler: BGE 129 II 249 E. 1.2 S. 252 mit
Hinweisen), noch nicht 18 Jahre alt, womit ein grundsätzlicher Anspruch auf
dessen Nachzug besteht. Da das Kind auch heute noch nicht volljährig ist, kann
sich der Beschwerdeführer zudem auf das in Art. 8 Ziff. 1 EMRK bzw. in Art. 13
Abs. 1 BV garantierte Recht auf Achtung des Familienlebens berufen (vgl. BGE
129 II 249 E. 1.2 S. 252 mit Hinweisen). Auf die Beschwerde ist somit
einzutreten.
Auf die Regelung über den Familiennachzug des Abkommens vom 21. Juni 1999
zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen
Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit
(Freizügigkeitsabkommen, FZA; SR 0.142.112.681), namentlich auf Art. 3 Anhang I
zum FZA, kann sich der Beschwerdeführer nicht berufen, wenn sich der
nachzuziehende Drittstaatsangehörige - wie vorliegend - nicht bereits
rechtmässig in einem Vertragsstaat aufhält (BGE 130 II 1 E. 3.6 S. 9 ff.). Dies
gälte auch, wenn der Beschwerdeführer EU-Bürger wäre.

1.4 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei
offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG (Art. 105 Abs. 2 bzw. Art. 97 Abs. 1 BGG). Eine entsprechende Rüge,
welche rechtsgenüglich substantiiert vorzubringen ist (Art. 42 Abs. 2 BGG),
setzt zudem voraus, dass die Behebung des Mangels sich für den Ausgang des
Verfahrens als entscheidend erweist (Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und
Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der
Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). Echte tatsächliche Noven, das
heisst solche Tatsachen, die erst nach dem Ergehen des angefochtenen
Entscheides eingetreten sind, können im bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren
nicht berücksichtigt werden (BGE 134 IV 342 E. 2.1 S. 343).

2.
2.1 Die in der Rechtsprechung zu Art. 7 und 17 ANAG entwickelten
Voraussetzungen für den nachträglichen Nachzug von Kindern sind
unterschiedlich, je nachdem ob es sich um die Vereinigung mit den gemeinsamen
Eltern oder aber mit einem getrennt lebenden Elternteil handelt. Im ersten Fall
bedarf es, unter Vorbehalt des Rechtsmissbrauches, keiner besonderen
Rechtfertigung dafür, dass das Nachzugsrecht erst nachträglich geltend gemacht
wird; im zweiten Fall dagegen wird ein nachträglicher Familiennachzug nur
bewilligt, wenn besondere familiäre Gründe bzw. eine Änderung der
Betreuungssituation dies gebieten (BGE 133 II 6 E. 3.1 S. 8; 130 II 1 E. 2.2 S.
4; 129 II 11 E. 3.1.2 S. 14). Der Nachzug des Kindes muss sich zu dessen
Betreuung aus stichhaltigen Gründen als erforderlich erweisen (vgl. BGE 124 II
361 E. 3a S. 366); dies ist regelmässig nicht der Fall, wenn im Heimatland
alternative Pflegemöglichkeiten bestehen, die dem Kindeswohl besser
entsprechen, beispielsweise weil dadurch vermieden werden kann, dass das Kind
aus seiner bisherigen Umgebung und dem ihm vertrauten Beziehungsnetz gerissen
wird (BGE 133 II 6 E. 3.1.2 S. 11 f.; 125 II 585 E. 2c S. 588 mit Hinweisen).
Auf die Frage der vorrangigen Beziehung kommt es nach der jüngeren Praxis nicht
mehr an (vgl. etwa Urteil 2C 99/2008 vom 23. Juli 2008 E.2.1 mit Hinweisen).

2.2 Der Beschwerdeführer kann als getrennt lebender Elternteil den
nachträglichen Nachzug seines Kindes nur verlangen, wenn stichhaltige Gründe
für dessen Übersiedelung zum Vater in die Schweiz bestehen. Solche Gründe
dürfen nicht leichthin bejaht werden. Es gelten hohe Beweisanforderungen (BGE
133 II 6 E. 3.3 S. 13; 129 II 11 E. 3.3.2 S. 16 mit Hinweisen). An den Nachweis
der fehlenden Betreuungsmöglichkeit im Heimatland sind umso höhere
Anforderungen zu stellen, je älter das nachzuziehende Kind ist bzw. je grösser
die ihm in der Schweiz drohenden Integrationsschwierigkeiten sind (vgl. BGE 129
II 11 E. 3.3.2 S. 16 sowie BGE 133 II 6 E. 5.3 S. 19 f. mit Hinweis auf das
Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte i.S. Tuquabo-Tekle u.
andere gegen die Niederlande [Nr. 60665 vom 1. Dezember 2005]).

2.3 Das 1997 geborene Kind des Beschwerdeführers wurde bis anhin von dessen
Mutter und/oder sonstigen Verwandten aufgezogen. Die Notwendigkeit seines
Nachzuges in die Schweiz wird vom Beschwerdeführer damit begründet, dass durch
ein Gericht im Heimatland am 9. Februar 2007 die elterliche Sorge von der
Mutter, welche sich inzwischen mit einem Dritten verheiratet habe, auf den
Vater übertragen worden sei. Der Ehemann der Mutter sei nicht bereit, für das
Kind zu sorgen, und die Mutter könne es aus finanziellen Gründen nicht mehr
betreuen. Die beabsichtigte diesbezügliche Befragung der Mutter konnte wegen
Unerreichbarkeit derselben nicht stattfinden. Die blosse formelle Übertragung
des Sorgerechts, die auf Antrag der Mutter erfolgte, vermag den Nachweis der
fehlenden weiteren Betreuung des Kindes durch die Mutter oder durch sonstige
Verwandte väterlicher- oder mütterlicherseits, wie sie im afrikanischen
Kulturkreis üblich ist und im vorliegenden Fall bereits bisher gewährleistet
wurde, jedoch nicht zu ersetzen.
Aufgrund der den Beschwerdeführer treffenden Mitwirkungspflicht wäre es an ihm
gelegen, durch entsprechende Erklärungen der Familienangehörigen, bei denen der
Sohn bis anhin gelebt hat bzw. immer noch lebt, und sonstigen Belegen darzutun,
dass die bisherigen Betreuungsmöglichkeiten nicht mehr genügen, zumal es sich
dabei um Tatsachen handelt, welche eine Partei besser kennt als die Behörden
und welche diese ohne ihre Mitwirkung gar nicht oder nicht mit vernünftigem
Aufwand erheben können (BGE 124 II 361 E. 2b S. 365). Der Beschwerdeführer
macht in seiner Eingabe an das Bundesgericht erstmals geltend, der Sohn
riskiere vom Ehemann seiner Mutter misshandelt oder sogar getötet zu werden und
die Grosseltern seien nicht mehr die Jüngsten und könnten sich auch aus
gesundheitlichen Gründen nicht weiter um das Kind kümmern. Diese Vorbringen
sind neu und können daher im vorliegenden Verfahren nicht gehört werden (vgl.
E. 1.4). Abgesehen davon handelt es sich dabei um blosse Behauptungen, die in
keiner Weise belegt werden. Das Verwaltungsgericht hat bezüglich des
Nachweises, dass die bisherigen Betreuungsmöglichkeiten nicht mehr genügen, zu
Recht hohe Beweisanforderungen gestellt. Bei einer Übersiedlung in die Schweiz
würde der Sohn Y.________ nicht nur von seinen Verwandten getrennt, die ihn
bisher aufgezogen haben, sondern er würde auch aus seiner vertrauten sonstigen
Umgebung gerissen und wäre in der Schweiz mit erheblichen
Integrationsschwierigkeiten konfrontiert. Zudem kennt der inzwischen Elfjährige
den Beschwerdeführer wenig und dessen Ehefrau überhaupt nicht. Was der
Beschwerdeführer vorbringt, ändert nichts am entscheidenden Umstand, dass nach
den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (vgl. 105
Abs. 1 bzw. Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 97 Abs. 1 BGG) die
Notwendigkeit des Nachzugs des Kindes bzw. eine entsprechende nachträgliche
Änderung der Betreuungssituation vorliegend nicht nachgewiesen ist. Eine nähere
Überprüfung der eingereichten ausländischen Zivilstandsurkunden erübrigte sich
daher.
Der Beschwerdeführer kann seinem Sohn weiterhin von der Schweiz aus die nötige
finanzielle Unterstützung zukommen lassen. Eine Übersiedlung des Kindes in die
Schweiz ist dafür nicht erforderlich. Zudem kann der Beschwerdeführer den
Kontakt zu seinem Sohn im bisherigen Rahmen durch Besuche in Guinea
aufrechterhalten. Wenn die kantonale Behörde bei der gegebenen Sach- und
Beweislage den Nachzug des Kindes nicht bewilligte, verstiess sie damit weder
gegen Bundesrecht noch gegen Art. 8 EMRK.

3.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und ist abzuweisen. Dem
Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind
nicht geschuldet (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Departement des Innern, Abteilung
Ausländerfragen, und dem Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn sowie dem
Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 27. Januar 2009
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Müller Dubs