Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.391/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_391/2008 /ber

Urteil vom 1. September 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Bundesrichter Donzallaz,
Gerichtsschreiber Häberli.

Parteien
A.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Bruno Beeler,

gegen

Kanton Schwyz,
Beschwerdegegner, vertreten durch den
Regierungsrat des Kantons Schwyz,
Bahnhofstrasse 9, 6430 Schwyz.

Gegenstand
Staatshaftung (öffentliche Gerichtsverhandlung gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK),

Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz, Kammer III, vom 2. April 2008.

Sachverhalt:

A.
A.________ war als Kollektivgesellschafter an einer Gärtnerei für
ethnobotanische Pflanzen in Brunnen beteiligt. Im Rahmen des Strafverfahrens,
welches die Untersuchungsbehörden des Kantons Schwyz gegen ihn und die übrigen
Gesellschafter (wegen Verdachts auf Produktion von Hanf zur
Betäubungsmittelgewinnung) eröffnet hatten, wurden am 7. Juni 2004 sämtliche
Hanfpflanzen und Produktionsanlagen der Gärtnerei mit Beschlag belegt. Im
anschliessenden Rechtsmittelverfahren erstritten die Gesellschafter die
Freigabe von Hanf und Produktionsanlagen unter "geeigneten Auflagen und
Kontrollen" (Beschluss des Schwyzer Kantonsgerichts vom 26. Mai 2006). Nachdem
die Kollektivgesellschaft am 5. Juli 2006 gelöscht worden war, reichte
A.________ am 30. Mai 2007 Klage gegen den Kanton Schwyz ein und verlangte eine
Schadenersatzleistung in der Höhe von 391'141.60 Franken; seine ehemaligen
Mitgesellschafter hatten ihm vorgängig ihre allfälligen Ansprüche abgetreten.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz wies die Klage mit Urteil vom 2.
April 2008 ab, soweit es darauf eintrat.

B.
Am 23. Mai 2008 hat A.________ beim Bundesgericht Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht mit dem Antrag, den
angefochtenen Entscheid aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen; Letztere sei zudem anzuweisen, eine öffentliche
mündliche Verhandlung durchzuführen. Eventuell sei der angefochtene Entscheid,
soweit er die Schadenersatzforderung aus unsachgemässer Lagerung des
Hanfrohstoffes betreffe, aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an das
Verwaltungsgericht zurückzuweisen oder der Kanton Schwyz zu verpflichten, dem
Beschwerdeführer einen Betrag von 105'612 Franken nebst Zins zu 5 Prozent seit
7. Juni 2004 zu bezahlen. Gleichzeitig ersucht der Beschwerdeführer um
Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung.
Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz beantragen je, die
Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.

Erwägungen:

1.
Streitig ist vorliegend, ob dem Beschwerdeführer ein Ersatzanspruch aus
Staatshaftung zusteht. Es handelt sich mithin um eine Angelegenheit des
öffentlichen Rechts im Sinne von Art. 82 lit. a BGG, welche nicht unter eine
der Ausnahmen gemäss Art. 83 BGG fällt. Weil zudem die Streitwertgrenze von
Art. 85 Abs. 1 lit. a BGG erreicht wird und der Beschwerdeführer gemäss Art. 89
Abs. 1 BGG zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten legitimiert
ist, ist auf die form- und fristgerechte Eingabe einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer hatte im vorinstanzlichen Verfahren die Durchführung einer
öffentlichen mündlichen Verhandlung verlangt. Weil seinem Antrag nicht
entsprochen worden ist, sieht er nun Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt.

2.1 Nach dieser Konventionsbestimmung ist in Streitigkeiten über
"zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen" eine (mündliche) öffentliche
Verhandlung durchzuführen, sofern die Parteien nicht ausdrücklich oder
stillschweigend darauf verzichten. Von Art. 6 Ziff. 1 EMRK werden nicht nur
zivilrechtliche Streitigkeiten im eigentlichen Sinne erfasst, sondern auch
Verwaltungsakte hoheitlich handelnder Behörden, die massgeblich in private
Rechtspositionen eingreifen. In diesem Sinne als zivilrechtlich gelten unter
anderem Schadenersatzforderungen gegenüber dem Gemeinwesen (vgl. BGE 130 I 388
E. 5.1 S. 394 und E. 5.3 S. 397). Hinsichtlich der vorliegenden
Staatshaftungsstreitigkeit wird deshalb zu Recht von keiner Seite in Frage
gestellt, dass der Beschwerdeführer an sich Anspruch auf Durchführung einer
öffentlichen Verhandlung gehabt hätte (vgl. BGE 126 I 144 E. 3a S. 150 f.). Die
vom Gericht zu beurteilenden Fragen waren weder ausschliesslich rechtlicher
noch hochtechnischer Natur, so dass eine persönliche Befragung bzw.
Äusserungsmöglichkeit der Parteien nicht sinnlos - und damit zum Vornherein
überflüssig - erschienen wäre (vgl. hierzu BGE 122 V 47 E. 3 S. 54 ff.; Urteil
9C_555/2007 vom 6. Mai 2008, E. 3.2).

2.2 Die Vorinstanz führte trotz ausdrücklichem dahingehendem Antrag des
Beschwerdeführers keine (mündliche) öffentliche Verhandlung durch. Ihre
ablehnende Haltung hat sie damit begründet, dass der betreffende Antrag nicht
rechtzeitig gestellt worden sei. Gemäss § 70 der kantonalen Verordnung über die
Verwaltungsrechtspflege (VRP/SZ) in Verbindung mit § 109 Abs. 1 der Schwyzer
Zivilprozessordnung (ZPO/SZ) könne der Gerichtspräsident für Replik und Duplik
das mündliche oder schriftliche Verfahren anordnen. Der Antrag auf Durchführung
einer mündlichen Verhandlung müsse deshalb frühzeitig - jedenfalls vor
Einreichung der schriftlichen Replik - gestellt werden. Würde einem erst in der
Replik gestellten Antrag noch entsprochen, so käme es neben dem doppelten
Schriftenwechsel zusätzlich noch zu einer mündlichen Triplik und Quadruplik,
was eine ungerechtfertigte "Verfahrensaufblähung" bedeuten würde.

2.3 Weil die Parteien auch stillschweigend auf ihren Anspruch auf eine
mündliche öffentliche Verhandlung verzichten können, haben sie in jenen
Verfahren, für die das anwendbare Prozessrecht eine solche nicht zwingend
vorschreibt, einen dahingehenden Verfahrensantrag zu stellen; unterlassen sie
dies, wird angenommen, sie hätten auf ihren Anspruch aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK
verzichtet (BGE 127 I 44 E. 2e/aa S. 48; Näheres bei Ruth Herzog, Art. 6 EMRK
und kantonale Verwaltungsrechtspflege, Bern 1995, S. 350 ff.). Liegt ein
entsprechender Antrag vor, so kann unter anderem dann ausnahmsweise doch von
einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden, wenn er "nicht frühzeitig
genug" gestellt worden ist, als schikanös erscheint oder auf eine
Verzögerungstaktik schliessen lässt und damit dem Grundsatz der Einfachheit und
Raschheit des Verfahrens zuwiderläuft oder gar rechtsmissbräuchlich ist (BGE
122 V 47 E. 3b S. 56). Zu prüfen ist hier also, ob das Verwaltungsgericht zu
Recht von einer verspäteten Antragstellung ausgegangen ist.
2.3.1 Ausser Frage steht die Rechtzeitigkeit des Antrags auf Durchführung einer
öffentlichen Gerichtsverhandlung, wenn dieser bereits in der das betreffende
Verfahren einleitenden Rechtsschrift gestellt wurde (vgl. etwa Urteil 8C_67/
2007, in: SZZP 2008 S. 6, E. 3.1; Urteil 4D_22/ 2007 vom 16. Juli 2007, E. 2.4
in Verbindung mit Lit. C). Als rechtzeitig wurde weiter ein Antrag betrachtet,
der zwar nicht bereits in der Beschwerdeschrift, sondern erst in einer
anschliessenden Eingabe, aber noch innerhalb des ordentlichen Schriftenwechsels
gestellt und im Rahmen der Replik bekräftigt worden war (Urteil I 98/07 vom 18.
April 2007, E. 4.1). Demgegenüber beurteilte das Eidgenössische
Versicherungsgericht einen Antrag als verspätet, der mehr als 14 Monate nach
Abschluss des Schriftenwechsels, aber noch während der Rechtshängigkeit des
betreffenden Verfahrens gestellt wurde (Urteil K 116/03 vom 23. November 2004,
E. 1).
2.3.2 Vorliegend hat der Beschwerdeführer in seiner Klageschrift wiederholt
eine Parteibefragung sowie die Einvernahme von verschiedenen Zeugen verlangt.
Diesen Anträgen mochte zwar stillschweigend die Erwartung zugrunde liegen, dass
das Gericht eine mündliche Verhandlung durchführen werde, doch haben solche
Begehren praxisgemäss bloss den Charakter von Beweisanträgen; sie lassen für
sich allein noch nicht hinreichend klar auf den Wunsch der Partei nach einer
konventionskonformen publikumsöffentlichen Gerichtsverhandlung schliessen (BGE
122 V 47 E. 3a S. 55). Unmissverständlich verlangte der Beschwerdeführer die
Durchführung einer entsprechenden mündlichen Verhandlung erstmals in seiner
Replik. Einen genügenden Antrag stellte er damit - auch wenn er die betreffende
Eingabe erst nach gewährter zweimaliger Fristverlängerung einreichte (nachdem
der Regierungsrat seinerseits eine Fristverlängerung für die Klageantwort
erhalten hatte) - noch im Rahmen des Schriftenwechsels. Mit Blick auf die
Rechtsprechung (vgl. E. 2.3.1) sowie auf Sinn und Zweck von Art. 6 Ziff. 1 EMRK
können seine konventionsrechtlichen Ansprüche deshalb nicht verwirkt sein. In
der Regel muss ein Antrag auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung dann
als rechtzeitig gelten, wenn er während des ordentlichen Schriftenwechsels
gestellt wird (im gleichen Sinne bezüglich einer entsprechenden kantonalen
Verfahrensgarantie: nicht publizierte E. 2.2 von BGE 134 II 108).
2.3.3 Der blosse Umstand, dass Replik und Duplik gemäss dem einschlägigen
kantonalen Verfahrensrecht auf Anordnung des Gerichtspräsidenten auch mündlich
hätten vorgetragen werden können (vgl. § 109 ZPO/SZ) und dass deshalb bei einer
frühzeitigen Stellung des Antrags auf eine (mündliche) öffentliche Verhandlung
im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK von einem zweiten Schriftenwechsel hätte
abgesehen werden können, lässt den in der (schriftlichen) Replik gestellten
Antrag nicht missbräuchlich erscheinen: Zum einen erschöpft sich der Sinn einer
öffentlichen Gerichtsverhandlung nicht darin, auf die Vorbringen der
Gegenpartei mündlich antworten zu können, sondern die Verfahrensbeteiligten
erhalten damit auch die Möglichkeit eines direkten Kontakts mit dem Richter.
Des Weiteren hätte der Verfahrensleiter hier den mit der Replik gestellten
Antrag, eine öffentliche Verhandlung durchzuführen, zum Anlass nehmen können,
auf einen zweiten Schriftenwechsel (allenfalls unter Zurückweisung der
eingereichten Rechtsschrift) zu verzichten und die Parteien stattdessen für
Replik und Duplik auf die mündliche öffentliche Verhandlung zu verweisen. Aus
diesen Überlegungen erhellt, dass § 109 ZPO/SZ keineswegs zwingend voraussetzt,
dass das durch Art. 6 Ziff. 1 EMRK gewährleistete Recht auf eine mündliche
Verhandlung bereits mit der Klageschrift geltend gemacht wird.

2.4 Ferner gibt es keine Hinweise auf ein schikanöses, auf blosse Verzögerung
ausgerichtetes oder sonstwie missbräuchliches prozessuales Verhalten des
Beschwerdeführers. Weil das gegen Letzteren ergangene (erstinstanzliche)
Straferkenntnis, welches für die Beurteilung der streitigen Ersatzforderung von
erheblicher Bedeutung sein dürfte, im Zeitpunkt der Urteilsfällung durch das
Verwaltungsgericht noch nicht rechtskräftig war (bzw. noch nicht einmal
schriftlich begründet war und mit der Möglichkeit eines Weiterzugs gerechnet
werden musste), sprachen auch keine Gründe der zeitlichen Dringlichkeit gegen
die Ansetzung der beantragten mündlichen Parteiverhandlung.

3.
3.1 Nach dem Gesagten hat das Verwaltungsgericht, indem es den Antrag des
Beschwerdeführers auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung zu Unrecht
als verspätet betrachtet hat, Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt. Eine Heilung dieses
Mangels durch eine öffentliche Parteiverhandlung im Verfahren vor Bundesgericht
ist schon mit Blick auf dessen wesentlich engere Kognition ausgeschlossen (vgl.
BGE 132 V 387 E. 5.1 S. 390; 126 I 68 E. 2 S. 72). Das Bundesgericht kann die
Anwendung der Haftungsbestimmungen des kantonalen Rechts nicht frei, sondern
nur unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots prüfen (vgl. Art. 95 BGG), und
es wäre überdies grundsätzlich an die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz
gebunden (vgl. Art. 97 und Art. 105 BGG). Mithin ist die Beschwerde
gutzuheissen und die Sache zu neuem Entscheid an das Verwaltungsgericht
zurückzuweisen, ohne dass es darauf ankäme, ob Aussichten auf eine günstigere
Beurteilung der streitigen Schadenersatzforderung bestehen.

3.2 Auch wenn im vorliegenden bundesgerichtlichen Entscheid nur
formell-rechtliche Fragen erörtert werden, geht es im Verfahren letztlich doch
um Vermögensinteressen, weshalb der unterliegende Kanton Schwyz kostenpflichtig
wird (Art. 66 Abs. 1 und Abs. 4 BGG e contrario). Er hat zudem den
Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu
entschädigen (Art. 68 BGG), so dass das gestellte Gesuch um unentgeltliche
Prozessführung und Verbeiständung hinfällig wird.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird gutgeheissen, das
Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom 2. April 2008 aufgehoben
und die Sache zu neuem Entscheid an dieses zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'500.-- werden dem Kanton Schwyz auferlegt.

3.
Der Kanton Schwyz hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

4.
Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung wird als
gegenstandslos abgeschrieben.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Regierungsrat des Kantons Schwyz
und dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Kammer III, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 1. September 2008

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Häberli