Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.382/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_382/2008

Urteil vom 12. November 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller, Karlen, Donzallaz,
Gerichtsschreiber Merz.

Parteien
X.________ und Y.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Hagmann,

gegen

Katholische Kirchgemeinde Amriswil,
Alleestrasse 17, 8580 Amriswil,
Beschwerdegegnerin,

Steuerverwaltung des Kantons Thurgau, Schlossmühlestrasse 15, 8510 Frauenfeld.

Gegenstand
Art. 15 Abs. 4 BV (Zeitpunkt des Kirchenaustritts),

Beschwerde gegen den Beschluss des Katholischen Kirchenrats des Kantons Thurgau
vom 11. April 2008.

Sachverhalt:

A.
X.________ und seine Schwester Y.________ erklärten mit Schreiben vom 29.
Dezember 2004 den Austritt aus der katholischen Kirche. Die Kirchgemeinde
Amriswil erhielt die Briefe am 31. Dezember 2004. Sie bestätigte am 25. Januar
2005 den Austritt und erklärte, die Einwohnerkontrolle darüber zu informieren.

Das Steueramt Amriswil erachtete in der Folge X.________ und Y.________ bis
Ende 2004 für kirchensteuerpflichtig. Die Einsprache und der Rekurs, den
X.________ gegen die verfügte Kirchensteuerpflicht für das Jahr 2004 erhob,
blieben ohne Erfolg. Das Steueramt Amriswil sowie die Steuerverwaltung des
Kantons Thurgau stützten sich auf die Mitteilung der Katholischen Kirchgemeinde
Amriswil, mit welcher der Kirchenaustritt per 1. Januar 2005 bestätigt worden
war, und lehnten eine selbständige Überprüfung des Austrittszeitpunktes ab.

Am 3. Oktober 2006 machte X.________ gegenüber der katholischen Kirchgemeinde
Amriswil geltend, er und seine Schwester seien per 30. Dezember 2004 aus der
katholischen Kirche ausgetreten und nicht erst per 1. oder per 25. Januar 2005.
Der Katholische Kirchenrat des Kantons Thurgau nahm dieses Schreiben als
Beschwerde entgegen, da die Austrittsbestätigungen vom 25. Januar und vom 26.
August 2005 mit keiner Rechtsmittelbelehrung versehen gewesen seien. Er wies
die Beschwerde am 11. April 2008 ab und stellte fest, dass die
Austrittserklärung per 1. Januar 2005 rechtswirksam geworden sei.

B.
X.________ und Y.________ beantragen dem Bundesgericht mit Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 19. Mai 2008, den Entscheid des
Katholischen Kirchenrats vom 11. April 2008 aufzuheben und festzustellen, dass
sie am 30. Dezember 2004 bzw. eventualiter am 31. Dezember 2004 im Zeitpunkt
der Aushändigung ihrer Schreiben an die Kirchgemeinde aus der katholischen
Kirche ausgetreten seien.

C.
Der Katholische Kirchenrat und die Steuerverwaltung des Kantons Thurgau
ersuchen um Abweisung der Beschwerde. Die Katholische Kirchgemeinde Amriswil,
vertreten durch ihre Kirchenvorsteherschaft, hat auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Endentscheid in einer
Angelegenheit des öffentlichen Rechts, die unter keinen Ausschlussgrund gemäss
Art. 83 BGG fällt und daher mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten an das Bundesgericht weitergezogen werden kann (Art. 86 Abs. 1
lit. d und 90 BGG). Das für die katholische Kirche im Kanton Thurgau geltende
Recht sieht nicht vor, dass gegen Beschwerdeentscheide des Kirchenrates, die
den Zeitpunkt des Kirchenaustritts zum Gegenstand haben, weitere kantonale
Rechtsmittel zur Verfügung stehen; es verweist insoweit ebenso wenig auf
entsprechende Bestimmungen des staatlichen Rechts (vgl. §§ 8 und 48 ff. des
Gesetzes vom 1. Juli 1968 über die Organisation der Katholischen Landeskirche
des Kantons Thurgau [KOG/TG] und § 1 Abs. 3 des Thurgauer Gesetzes vom 23.
Februar 1981 über die Verwaltungsrechtspflege). Diesem Schluss steht auch nicht
Art. 86 Abs. 2 BGG entgegen, der als unmittelbare Vorinstanzen des
Bundesgerichts obere Gerichte vorsieht, zumal die Anpassungsfrist nach Art. 130
Abs. 3 BGG noch nicht verstrichen ist.

2.
2.1 Streitgegenstand bildet der Zeitpunkt, in dem der Kirchenaustritt der
Beschwerdeführer erfolgt ist und ab welchem dieser Austritt
kirchensteuerrechtliche Wirkungen entfaltet. Es steht fest, dass das
Austrittsschreiben am 30. Dezember 2004 der Post übergeben und am 31. Dezember
2004 von der Katholischen Kirchgemeinde Amriswil in Empfang genommen wurde.

2.2 Die Vorinstanz stellt bei der Beurteilung der aufgeworfenen Fragen auf
Grundsätze des Obligationenrechts ab, da das Gesetz über die Organisation der
katholischen Landeskirche des Kantons Thurgau den Austritt nicht regle. Sie
erachtet den Kirchenaustritt als empfangsbedürftige Willenserklärung. Wie bei
den Verzugszinsen, die erst am Tag nach dem Eintreffen der Mahnung zu laufen
beginnen, zeitige auch die Erklärung des Kirchenaustritts Wirkungen erst am Tag
nach ihrem Eingang bei der Kirchgemeinde. Dementsprechend erklärt sie, der
Austritt der Beschwerdeführer sei per 1. Januar 2005 und nicht bereits früher
rechtswirksam geworden.

2.3 Nach Auffassung der Beschwerdeführer verstösst diese Beurteilung gegen ihr
in Art. 15 Abs. 4 BV verbrieftes Recht, jederzeit aus der Kirche austreten zu
können. Eine Austrittserklärung sei sofort, d.h. ab dem Zeitpunkt, in dem sie
abgegeben werde, wirksam. Da sie ihren Brief mit der Austrittserklärung am 30.
Dezember 2004 zur Post gebracht hätten, sei der Austritt an diesem Tag erfolgt
und sofort rechtswirksam geworden. Selbst wenn es sich beim Austritt um eine
empfangsbedürftige Erklärung handeln sollte, habe dieser ab dem Zeitpunkt des
Empfangs am 31. Dezember 2004 Wirkungen entfaltet. Die gegenteilige Ansicht der
Vorinstanz sei willkürlich und verstosse gegen Treu und Glauben. Bei einem
Austritt am 31. Dezember 2004 entfalle gemäss § 55 der Verordnung des
Regierungsrats des Kantons Thurgau vom 10. November 1992 zum Gesetz über die
Staats- und Gemeindesteuern (StV/TG) ihre Kirchensteuerpflicht für das Jahr
2004. Denn nach dieser Bestimmung seien die Verhältnisse am Ende der
Steuerperiode, hier mithin am 31. Dezember 2004, massgebend.

3.
3.1 Nach Art. 15 Abs. 4 BV darf niemand gezwungen werden, einer
Religionsgemeinschaft anzugehören. Daraus ergibt sich das Recht, jederzeit aus
der Kirche auszutreten. Weiter folgt daraus, dass für einen Zeitraum, in dem
ein Ausgetretener der Kirche nicht mehr angehört, keine Kirchensteuer mehr
erhoben werden darf. Verfassungsrechtlich ist es deshalb nur zulässig, die
letzte Steuer pro rata temporis, d.h. bis zum Zeitpunkt des Austritts, zu
erheben (BGE 104 Ia 79 E. 4 S. 86 f.). Art. 15 Abs. 4 BV schliesst jedoch nicht
aus, dass die Kirchen den Austritt an gewisse formelle Erfordernisse knüpfen,
um ein überstürztes Handeln unter dem Einfluss von Drittpersonen zu verhindern.
Insbesondere dürfen die Kirchen eine klare Äusserung verlangen, aus welcher der
Wille, der Kirche nicht mehr anzugehören, eindeutig hervorgeht. Unzulässig ist
es jedoch, den Kirchenaustritt durch schikanöse Vorschriften zu erschweren oder
unnötig zu verzögern (BGE 134 I 75 E. 4.2 und 4.3 S. 78; 104 Ia 79 E. 3 S. 84
ff.).

3.2 Es liegt im Interesse der Rechtssicherheit, eine Erklärung des
Kirchenaustritts erst beim Eintreffen bei den zuständigen Behörden als gültig
anzuerkennen. Denn es ist oft nur schwer zu beweisen, wann eine
Willenserklärung abgegeben wurde. Ausserdem können die kirchlichen Organe die
sich aus einer Austrittserklärung ergebenden Konsequenzen ohnehin erst ziehen,
wenn sie von ihr Kenntnis haben. Daher ist es keine schikanöse Erschwerung des
Austrittsrechts, einer entsprechenden Erklärung erst ab dem Empfang durch die
zuständige Behörde Geltung zuzuerkennen, soweit - wie hier - keine ausdrücklich
anders lautende Regelung besteht. Verfassungsrechtlich ist somit nicht zu
beanstanden, wenn die Vorinstanz in der Austrittserklärung eine
empfangsbedürftige Willensäusserung erblickt (vgl. Béatrice Blum, in:
Klöti-Weber und andere, Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, 2. Aufl. 2004, N.
28 und 30 zu § 154 StG/AG; zur Empfangsbedürftigkeit von Gestaltungserklärungen
im Allgemeinen: Guillaume Vionnet, L'exercice des droits formateurs, 2008, S.
174 und 412).

3.3 Die Rüge der Beschwerdeführer, als Datum ihres Austritts hätte der 30.
Dezember 2004, als sie ihre Schreiben der Post übergaben, anerkannt werden
müssen, erweist sich demnach als unbegründet. Vielmehr ist als Austrittsdatum
der 31. Dezember 2004 anzusehen, als die Austrittsschreiben bei der
katholischen Kirchgemeinde eingingen. Das bestreitet auch die Vorinstanz nicht;
sie räumt jedoch dem Austritt Wirkungen erst ab dem folgenden Tag, dem 1.
Januar 2005, ein.

4.
4.1 Die Feststellung des Zeitpunkts des Kirchenaustritts ist für das Stimm- und
Wahlrecht in kirchlichen Angelegenheiten, den Anspruch auf kirchliche
Handlungen und die Kirchensteuerpflicht von Bedeutung. Es kann offen bleiben,
ob ein Kirchenaustritt in allen genannten Bereichen erst mit dem folgenden Tag
- vorliegend mithin am 1. Januar 2005 - wirksam wird. Die Beschwerdeführer
wenden sich gegen eine solche Betrachtungsweise nur mit Bezug auf ihre
Kirchensteuerpflicht. Die Vorinstanz hat die Frage denn auch offensichtlich nur
mit Blick auf die Kirchensteuerpflicht beurteilt, zumal die Steuerbehörden
diesbezüglich unter Hinweis auf § 57 StV/TG auf den Entscheid der kirchlichen
Organe abstellen. Gemäss dieser Bestimmung ist der Austritt aus einer
Landeskirche durch eine Bestätigung der zuständigen kirchlichen Behörde zu
belegen.

4.2 Erfüllt eine Person zu Beginn eines Tages die Voraussetzungen der
Steuerpflicht, besteht diese gewöhnlich für den ganzen Tag fort. Daran ändert -
vorbehältlich einer besonderen abweichenden Regelung - nichts, dass die
Voraussetzungen der Steuerpflicht etwa durch Ableben oder Wechsel des
Wohnsitzes während dieses Tages wegfallen. Erst nach Ablauf dieses Tages endet
die Steuerpflicht (Urteil des Bundesgerichts vom 22. November 1946, E. 1, in:
ASA 15 S. 284; Peter Locher, Kommentar zum DBG, 2001, N. 9 zu Art. 8 DBG; Ernst
Känzig, Die eidgenössische Wehrsteuer, 2. Aufl. 1982, N. 1 zu Art. 9 WStB).
Auch bei der Kirchensteuerpflicht ist anerkannt, dass sie bei einem Austritt
pro rata temporis bis zum Tag des Eintreffens der entsprechenden Erklärung bei
der Kirchgemeinde zu erheben ist (vgl. Felix Richner und andere, Kommentar zum
harmonisierten Zürcher Steuergesetz, 2. Aufl. 2006, N. 14 zu § 201 StG/ZH; Urs
Josef Cavelti, Der Kirchenaustritt nach staatlichem Recht, in: Louis Carlen
[Hrsg.], Austritt aus der Kirche - Sortir de l'Eglise, Freiburg 1982, S. 94).

Es entspricht der dargestellten Lehre und Rechtsprechung, die steuerrechtliche
Wirkung eines Kirchenaustritts erst am darauffolgenden Tag eintreten zu lassen,
d.h. die Kirchensteuerpflicht für den ganzen Tag, an dem der Austritt erfolgt,
noch zu bejahen. § 55 StV/TG, wonach sich die Kirchensteuerpflicht für das
ganze Jahr nach den Verhältnissen am Ende der Steuerperiode oder der
Steuerpflicht beurteilt, enthält keine gegenteilige Regelung, sondern setzt die
Feststellung der Dauer der Kirchenzugehörigkeit in steuerrechtlicher Hinsicht
bereits voraus. Besteht somit keine ausdrückliche Regelung des
Kirchenaustritts, ist es nicht willkürlich, wenn die Vorinstanz dem Austritt
die kirchensteuerrechtliche Wirkung erst ab dem 1. Januar 2005 zuerkennt. Der
angefochtene Entscheid verletzt daher weder Art. 9 noch Art. 15 Abs. 4 BV. Dass
die Vorinstanz ihren Entscheid auf teilweise andere Erwägungen stützt, ist
unerheblich, da dies an der Rechtsfolge nichts ändert (vgl. BGE 133 II 249 E.
1.4.1 S. 254; zum Willkürbegriff BGE 133 I 149 E. 3.1 S. 153 mit Hinweisen).

5.
Die Beschwerde ist dem Gesagten zufolge abzuweisen.

Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten den
Beschwerdeführern zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung
aufzuerlegen (Art. 65 und Art. 66 Abs. 1 und 5 BGG). Parteientschädigungen
werden nicht geschuldet (vgl. Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden den Beschwerdeführern zu gleichen
Teilen und unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Katholischen Kirchenrat sowie der
Steuerverwaltung des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. November 2008
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Merz