Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.366/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_366/2008

Urteil vom 1. September 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Gerichtsschreiber Uebersax.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Marco Bivetti,

gegen

Kantonales Ausländeramt St. Gallen, Oberer Graben 32, 9001 St. Gallen,
Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons
St. Gallen, Oberer Graben 32, 9001 St. Gallen.

Gegenstand
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom
3. April 2008.

Erwägungen:

1.
1.1 X.________, geb. 1976, Staatsangehörige von Montenegro, heiratete am 31.
Juli 2003 den in der Schweiz niedergelassenen Landsmann Y.________. Am 20.
Februar 2004 reiste sie in die Schweiz ein. In der Folge erhielt sie die
Aufenthaltsbewilligung im Kanton St. Gallen. Am 23. Oktober 2005 wurde der Sohn
Z.________ geboren.

Nach einem gemeinsamen Besuch der Heimat reist der Ehemann am 21. Mai 2006
allein in die Schweiz zurück. X.________ blieb zunächst in Montenegro, kehrte
dann zwar auch in die Schweiz zurück, lebte aber nicht mehr beim Ehemann.
Nachdem sie am 17. Oktober 2006 Eheschutzmassnahmen beantragt hatte, regelte
der zuständige Familienrichter am 5. Dezember 2006 das Getrenntleben, übertrug
die elterliche Sorge für den Sohn der Mutter und ordnete das Besuchsrecht des
Vaters.

1.2 Am 5. Juni 2007 wies das kantonale Ausländeramt St. Gallen ein Gesuch von
X.________ um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ab. Ein Rekurs beim
Justiz- und Polizeidepartement des Kantons St. Gallen (heute: Sicherheits- und
Justizdepartement) sowie im Anschluss daran eine Beschwerde beim
Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen blieben erfolglos.

1.3 Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 13. Mai 2008
an das Bundesgericht beantragt X.________, das Urteil des Verwaltungsgerichts
vom 3. April 2008 aufzuheben und ihr die Aufenthaltsbewilligung zu verlängern;
eventuell sei die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen zur Vornahme
weiterer Abklärungen und zu neuem Entscheid. Prozessual wird um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung ersucht.

Das kantonale Sicherheits- und Justizdepartement sowie das Bundesamt für
Migration schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Verwaltungsgericht
stellt Antrag auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.

1.4 Mit Verfügung vom 19. Mai 2008 erteilte der Präsident der II.
öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde die
aufschiebende Wirkung.

2.
2.1 Nach Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG ist die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unzulässig gegen Entscheide auf dem
Gebiet des Ausländerrechts über Bewilligungen, auf die weder das Bundesrecht
noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt.

2.2 Am 1. Januar 2008 ist das Bundesgesetz über die Ausländerinnen und
Ausländer vom 16. Dezember 2005 (AuG; SR 142.20) in Kraft getreten. Nach Art.
126 AuG bleibt das alte Recht anwendbar auf Gesuche, die vor dem Inkrafttreten
des neuen Gesetzes eingereicht worden sind. Das Verfahren richtet sich jedoch
nach dem neuen Recht. Im vorliegenden Verfahren ist vor dem Bundesgericht nicht
mehr strittig, dass in materiell-rechtlicher Hinsicht auf das alte Recht
abzustellen ist. Die Beschwerdeführerin erhebt im Unterschied zum
vorinstanzlichen Verfahren keine entsprechende Rüge, weshalb darauf nicht
zurückzukommen ist (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG). Ob ein Anspruch auf eine
Bewilligung besteht, ist eine Frage des materiellen Rechts. Für die
anspruchsabhängige Zulässigkeit eines Rechtsmittels, wie dies bei der
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht
zutrifft, bedeutet das, dass anhand des alten Rechts zu prüfen ist, ob ein
Anspruch auf Bewilligung besteht.

2.3 Die Beschwerdeführerin kann weder aus Art. 17 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom
26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; BS 1 S.
121) noch aus Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 BV mit Blick auf ihre Ehe bzw. auf ihre
Beziehung zum in der Schweiz niedergelassenen Ehemann einen Anspruch auf
Anwesenheit ableiten. Art. 17 Abs. 2 ANAG würde dafür voraussetzen, dass die
Eheleute zusammen wohnen; für eine Berufung auf Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 BV
wäre erforderlich, dass die Ehe intakt ist und tatsächlich gelebt wird (vgl.
BGE 127 II 60 E. 1d/aa S. 64 f., mit Hinweisen). Beide Voraussetzungen sind
nicht mehr erfüllt, seitdem die Eheleute getrennt leben und dies auch
gerichtlich so geregelt worden ist. Dass die gerichtliche Anordnung des
Getrenntlebens lediglich in einem Eheschutzverfahren erging, ist insoweit nicht
erheblich, kommt es doch in erster Linie auf die faktischen Umstände an. Das
Eheschutzverfahren gibt immerhin einen zusätzlichen Anhaltspunkt dafür, ob eine
Ehe noch gelebt wird oder nicht.

2.4 Die Beschwerdeführerin kann sich jedoch mit Blick auf ihren Sohn auf Art. 8
EMRK und Art. 13 BV berufen, da dieser über die Niederlassungsbewilligung und
damit über eine gefestigte Anwesenheit in der Schweiz verfügt und ihre
Beziehung zum Sohn, für den sie die elterliche Sorge ausübt, tatsächlich gelebt
wird und intakt ist (vgl. BGE 130 II 281 E. 3 S. 284 ff.; 127 II 60 E. 1d/bb S.
65 f., mit Hinweisen). Insoweit ist auf die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten einzutreten.

2.5 Unzulässig ist die Beschwerde jedoch, soweit die Beschwerdeführerin rügt,
der angefochtene Entscheid verletze Bundesrecht auch im Bereich des
behördlichen Ermessens. Das betrifft insbesondere die Frage, ob ihr -
namentlich wegen der angeblichen psychischen ehelichen Gewalt - auch ohne
Anspruch die Aufenthaltsbewilligung hätte verlängert werden müssen. Insofern
ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mangels Anspruchs
in Anwendung von Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG ausgeschlossen. In der Sache kann
die Beschwerde auch nicht als subsidiäre Verfassungsbeschwerde entgegengenommen
werden, da es der Beschwerdeführerin dafür am nach Art. 115 lit. b BGG
erforderlichen rechtlich geschützten Interesse fehlt (vgl. BGE 133 I 185).
Trotz fehlender Legitimation in der Sache kann mit subsidiärer
Verfassungsbeschwerde allenfalls die Verletzung von Parteirechten im kantonalen
Verfahren gerügt werden, wenn darin eine formelle Rechtsverweigerung liegt.
Damit kann an sich auch ein Verstoss gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör
geltend gemacht werden, doch sind solche Rügen unzulässig, die auf eine
materielle Prüfung hinauslaufen; namentlich ist die Anfechtung der
Beweiswürdigung ausgeschlossen (vgl. das Urteil des Bundesgerichts 2D_13/2007
vom 14. Mai 2007, E. 2.3). Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten
Verstösse gegen ihren Anspruch auf rechtliches Gehör, insbesondere die
angeblich verweigerten Beweisabnahmen, laufen in diesem Sinne auf eine
Anfechtung der Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht hinaus und sind
daher unzulässig. Auf die Beschwerde kann damit nicht eingetreten werden,
soweit sie sich darauf bezieht, ob der Beschwerdeführerin eine im Ermessen der
Behörden liegende Verlängerung der Bewilligung hätte gewährt werden müssen.

3.
3.1 In der Sache ist unter dem Gesichtspunkt von Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 BV zu
berücksichtigen, dass der Sohn der Beschwerdeführerin noch nicht drei Jahre alt
ist und sich in einem anpassungsfähigen Alter befindet. Das Sorgerecht steht
der Mutter, nicht dem in der Schweiz niedergelassenen Vater zu. In einem
solchen Fall ist zu beachten, dass das Kind unter die Sorge desjenigen
Elternteils gestellt wurde, der in der Schweiz kein selbständiges
Anwesenheitsrecht hat; grundsätzlich hat es als Konsequenz der im Eheschutz-
oder Scheidungsverfahren getroffenen Regelung dessen Lebensschicksal zu teilen
und diesem ins Ausland zu folgen (Urteil 2A.508/2005 vom 16. September 2005, E.
2.2.2). Für ein Kind in dieser Lage ist das regelmässig zumutbar (vgl. BGE 127
II 61 E. 2a S. 67). So verhält es sich vorbehaltlos dann, wenn der nicht
sorgeberechtigte Elternteil kein Anwesenheitsrecht in der Schweiz hat, aber
auch dann, wenn kein Besuchsrecht eines in der Schweiz anwesenheitsberechtigten
Elternteils besteht oder aber wenn ein solches nicht ausgeübt wird und damit
belanglos bleibt (vgl. BGE 127 II 61 E. 2 S. 67 ff.; 122 II 289 E. 3c S. 298).
Vorliegend ist der Vater des Kindes in der Schweiz niedergelassen, und es ist
ihm ein Besuchsrecht eingeräumt. Damit ist eine Verhältnismässigkeitsprüfung
gemäss Art. 8 Ziff. 2 EMRK erforderlich.

3.2 Anknüpfungspunkt für die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte
Bewilligung bildet allein die Erschwerung der Ausübung des Besuchsrechts durch
den hier niedergelassenen Vater. Anders als der sorgeberechtigte Elternteil
kann der Ausländer mit Besuchsrecht die familiäre Beziehung zu einem Kind zum
Vornherein nur in einem beschränkten Rahmen, nämlich durch Ausübung des ihm
eingeräumten Besuchsrechts, leben; ein Zusammenwohnen fällt ausser Betracht.
Dazu ist nicht unabdingbar, dass er sich dauernd im gleichen Land aufhält wie
das Kind. Beansprucht nicht der besuchsberechtigte, sondern der
sorgeberechtigte Elternteil gestützt auf die Anwesenheitsberechtigung des
Kindes eine ausländerrechtliche Bewilligung, so verlangt die bundesgerichtliche
Rechtsprechung dafür folgende Voraussetzungen, damit dem Anspruch Folge zu
leisten ist: Erforderlich ist einerseits eine besondere Intensität der
Beziehung zwischen dem hier anwesenden besuchsberechtigten Elternteil und dem
Kind in affektiver und wirtschaftlicher Hinsicht, andererseits ein tadelloses
Verhalten des sorgeberechtigten Elternteils, welcher um Bewilligung ersucht.
Dabei ist mit noch grösserer Zurückhaltung auf eine Pflicht zur
Bewilligungserteilung zu schliessen als im Falle des besuchsberechtigten
Ausländers, der selber, im Hinblick auf die Ausübung seines Besuchsrechts, um
Bewilligung ersucht; der sorgeberechtigte Elternteil, der die Bewilligung
einzig zur Erleichterung der Ausübung des Besuchsrechts zwischen dem Kind und
dem andern Elternteil erhältlich machen will, soll dies nur bei Vorliegen
besonderer Umstände tun können (vgl. die Urteile 2A.562/2006 vom 16. Februar
2007, E. 3.4.1, und 2A.508/2005 vom 16. September 2005, E. 2.2.3, mit
Hinweisen).

3.3 Solche besonderen Umstände liegen hier nicht vor. Zwar haben sich beide
Eheleute nie nachweisbar ein Fehlverhalten zuschulden kommen lassen und scheint
der Vater das ihm eingeräumte Besuchsrecht wahrzunehmen und die
Unterhaltsbeiträge zu bezahlen. Die Beziehung zum Kind ist aber nicht besonders
eng. Während längerer Zeit hatte der Vater sogar gar keinen Kontakt zum Sohn.
Der Eheschutzrichter räumte ihm in der Folge nur ein minimales Besuchsrecht
ein, wobei er es für erforderlich hielt, zu dessen Überwachung eine
Erziehungsbeistandschaft anzuordnen. Im Übrigen ist die Distanz zwischen der
Schweiz und dem Heimatland der Beschwerdeführerin zwar nicht zu unterschätzen,
aber auch nicht derart gross, dass sich ein Kontakt zwischen Vater und Kind
überhaupt nicht aufrechterhalten liesse. Schliesslich hat die
Beschwerdeführerin den grössten Teil ihres Lebens und insbesondere ihre Jugend
in ihrer Heimat verbracht. Sie lebt heute erst seit rund vier Jahren in der
Schweiz und weist keine besonders engen Beziehungen zu diesem Land auf.

3.4 Die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung erweist sich demnach als
verhältnismässig, weshalb der angefochtene Entscheid nicht gegen Bundesrecht
verstösst.

4.
Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet und im vereinfachten Verfahren
nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.

Das Gesuch um Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung ist
wegen Aussichtslosigkeit des Begehrens abzuweisen (vgl. Art. 64 BGG). Mit Blick
auf den Verfahrensausgang wird die unterliegende Beschwerdeführerin somit
kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 65 BGG), wobei ihren angespannten
finanziellen Verhältnissen bei der Festlegung der Gerichtsgebühr angemessen
Rechnung getragen werden kann (vgl. Art. 65 Abs. 2 BGG). Eine
Parteientschädigung ist nicht geschuldet (vgl. Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht im Verfahren nach
Art. 109 BGG:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen
und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. September 2008

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Uebersax