Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.351/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_351/2008

Urteil vom 22. Oktober 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Müller, Karlen,
Gerichtsschreiber Matter.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin Séverine Zimmermann,

gegen

Kantonales Ausländeramt St. Gallen.

Gegenstand
Ausweisung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom
3. April 2008.

Sachverhalt:

A.
X.________, geb. 1959, ist Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina. Er
kam im Jahr 1988 als Saisonnier in die Schweiz. Seit 2000 ist er hier
niederlassungsberechtigt. Seine im Jahr 1991 geheiratete Ehefrau und die
gemeinsamen vier Kinder (geb. 1991, 1992, 1995 und 1997) verfügen ebenfalls
über die Niederlassungsbewilligung.

B.
Im September 2006 verurteilte das Bezirksgericht Zürich X.________ wegen
mehrfachen Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz zu fünfeinhalb Jahren
Zuchthaus. Auf Berufung hin reduzierte das Obergericht des Kantons Zürich das
Strafmass auf drei Jahre und neun Monate. Im Dezember 2007 wies das
Ausländeramt des Kantons St. Gallen X.________ für die Dauer von zehn Jahren
aus der Schweiz aus. Dagegen gelangte der Betroffene erfolglos an das kantonale
Sicherheits- und Justizdepartement und danach an das Verwaltungsgericht des
Kantons St. Gallen.

C.
Am 8. Mai 2008 hat X.________ Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten beim Bundesgericht eingereicht. Er beantragt, das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 3. April 2008 aufzuheben. Es sei
vom Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung und von seiner Wegweisung
abzusehen und ihm der weitere Aufenthalt in der Schweiz zu gestatten.
Eventualiter sei eine Verwarnung auszusprechen und die Wegweisung lediglich
anzudrohen.
Das Sicherheits- und Justizdepartement sowie das Verwaltungsgericht des Kantons
St. Gallen schliessen - gefolgt vom Bundesamt für Migration - auf Abweisung der
Beschwerde.

Erwägungen:

1.
1.1 Am 1. Januar 2008 ist das Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die
Ausländerinnen und Ausländer (AuG; SR 142.20) in Kraft getreten. Massgebend für
die Überprüfung der vorliegend streitigen, vor dem 1. Januar 2008 verfügten
Ausweisung ist aber in analoger Anwendung von Art. 126 Abs. 1 AuG das bisherige
Recht, nämlich das Bundesgesetz vom 26. Mai 1931 über Aufenthalt und
Niederlassung der Ausländer (ANAG).

1.2 Gegen die sich auf Art. 10 ANAG stützende Ausweisungsverfügung ist die
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig (Art. 83 lit. c
Ziff. 4 BGG e contrario). Der Beschwerdeführer ist hierzu legitimiert (Art. 89
Abs. 1 BGG). Auf die form- und fristgerechte Beschwerde ist einzutreten.

1.3 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei
offensichtlich unrichtig oder in Verletzung eines Beschwerdegrunds im Sinne von
Art. 95 BGG ermittelt worden (Art. 105 Abs. 2 bzw. Art. 97 Abs. 1 BGG). Hier
besteht kein Grund, von den Sachverhaltsfeststellungen des Verwaltungsgerichts
abzuweichen. Deren blosse Bestreitung oder die Wiederholung einer davon
abweichenden Behauptung (z.B. bezüglich der Integration des Beschwerdeführers
in der Schweiz oder seiner weiter bestehenden Kontakte zu seinem Heimatland)
reicht nicht aus, um eine Feststellung als qualifiziert mangelhaft erscheinen
zu lassen (vgl. Art. 97 BGG).

2.
2.1 Nach Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG kann ein Ausländer aus der Schweiz
ausgewiesen werden, wenn er wegen eines Verbrechens oder Vergehens gerichtlich
bestraft wurde. Durch die Ausweisung erlischt die Niederlassungsbewilligung
(Art. 9 Abs. 3 lit. b ANAG). Der erwähnte Ausweisungsgrund ist hier
unbestrittenermassen gegeben. Der Beschwerdeführer macht allerdings geltend,
dass seine Ausweisung unangemessen sei.

2.2 Gemäss Art. 11 Abs. 3 ANAG soll die Ausweisung nur verfügt werden, wenn sie
nach den gesamten Umständen angemessen bzw. verhältnismässig erscheint (vgl.
hierzu auch BGE 125 II 521 E. 2a S. 523 und Art. 8 Ziff. 2 EMRK). Es sollen
unnötige Härten vermieden werden. Bei der vorzunehmenden Abwägung sind vor
allem die Schwere des Verschuldens des Ausländers, die Dauer seiner Anwesenheit
in der Schweiz und die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile zu
berücksichtigen (Art. 16 Abs. 3 der Vollziehungsverordnung vom 1. März 1949 zum
Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer, ANAV; SR
142.201).

2.3 Ausgangspunkt und Massstab sowohl für die Schwere des Verschuldens als auch
für die fremdenpolizeiliche Interessenabwägung ist hier die vom Strafrichter
verhängte Strafe. Der Beschwerdeführer ist zu einer mehrjährigen
Zuchthausstrafe verurteilt worden. Sowohl das Bezirksgericht (dessen
Beurteilung entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers keineswegs "völlig
irrelevant" ist) als auch das Obergericht des Kantons Zürich haben das
Verschulden des Beschwerdeführers als schwer beurteilt. Es ist nicht zu
beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht gestützt auf die Ausführungen in
beiden Strafurteilen zum Schluss gekommen ist, dass der Beschwerdeführer beim
Handel mit Heroin im Kilobereich tätig war und eine nicht unerhebliche Rolle
bei einem organisierten internationalen Drogenhandel spielte. Es hat das
Verschulden des Beschwerdeführers in fremdenpolizeirechtlicher Sicht zutreffend
als gravierend bewertet. Entgegen der Darstellung in der Beschwerde handelte es
sich nicht um eine einmalige Straftat, sondern um sechs zu unterscheidende
Drogentransporte, bei denen der Beschwerdeführer wiederholt beträchtliche
kriminelle Energie entwickelte und die ohne das Eingreifen der Polizei wohl
nicht so schnell aufgehört hätten. Sein Verhalten war umso verwerflicher, als
seinem Tätigwerden pekuniäre Interessen zugrunde lagen, war er doch nicht
selber drogenabhängig und auch nicht in einer finanziellen Notlage.
Die vorinstanzliche Beurteilung entspricht der Rechtsprechung des
Bundesgerichts, welches bei schwereren Betäubungsmitteldelikten im Hinblick auf
den Kampf gegen den Drogenhandel sowie auf die damit zusammenhängende
Gefährdung der Gesundheit einer Vielzahl von Menschen bei der Ausweisung eine
strenge Praxis verfolgt; das Interesse an der Fernhaltung von Ausländern, die
an der Verbreitung von Drogen teilnehmen, ist als gewichtig einzustufen (vgl.
BGE 125 II 521 E. 4a S. 527). Das ist nicht nur schweizerische Auffassung,
sondern entspricht der in Europa herrschenden Rechtsüberzeugung (vgl. dazu
insb. BGE 129 II 215 E. 6 u. 7 S. 220 ff.). Nach der bisherigen Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte stellt die Bekämpfung des
Betäubungsmittelhandels denn auch ein gewichtiges öffentliches Interesse dar,
das eine Ausweisung, trotz eines allenfalls damit verbundenen Eingriffs in das
Familienleben, in weitgehendem Masse zu rechtfertigen vermag (vgl. Urteil vom
19. Februar 1998 i.S. Dalia c. France [Recueil CourEDH 1998 76] Rz. 52-55).

2.4 An der Entfernung und Fernhaltung des Beschwerdeführers besteht somit ein
(sehr) grosses sicherheitspolizeiliches Interesse, das nur durch entsprechend
gewichtige private Interessen aufgewogen werden könnte, d.h. wenn
aussergewöhnlich schwerwiegende Umstände gegen eine Ausweisung sprechen würden.
Die Vorinstanz hat ausführlich und umfassend geprüft, inwieweit der
Beschwerdeführer solche besonderen Gründe für einen weiteren Verbleib in der
Schweiz geltend machen kann. In Würdigung aller wesentlichen Kriterien (wie
Anwesenheitsdauer in der Schweiz, familiäre Situation bzw.
Beziehungsverhältnisse, Arbeits- und Ausbildungssituation,
Resozialisierungschancen, Integration, finanzielle Lage, Sprachkenntnisse,
persönliches Umfeld) hat sie erkannt, es sei ihm auf Grund seiner familiären
Situation zwar ein erhöhtes Interesse am Verbleib in der Schweiz zuzubilligen;
insgesamt überwiege jedoch das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung.
Diese verletze weder nationales Recht noch Art. 8 EMRK.

2.5 Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, vermag an dieser Beurteilung
nichts zu ändern:
2.5.1 Angesichts der Schwere der begangenen Straftaten vermögen dem
Beschwerdeführer weder die relativ lange Aufenthaltsdauer noch seine familiären
Bande zu helfen. Er befindet sich zwar schon seit 20 Jahren in der Schweiz,
wuchs aber in Bosnien-Herzegowina auf und hielt sich dort bis zum 29.
Altersjahr auf. Er ist demnach kein Ausländer der zweiten Generation. Er ist
nach seiner Haftentlassung wieder in dieselben Lebensverhältnisse zurückgekehrt
wie zuvor. Diese erscheinen zwar stabil, haben ihn aber in der Vergangenheit
nicht davon abgehalten, schwer straffällig zu werden. Nach den verbindlichen
Feststellungen der Vorinstanz ist er in der Schweiz sprachlich sowie
gesellschaftlich nur beschränkt integriert. Daran ist nichts auszusetzen (vgl.
dazu schon oben E. 1.3), nicht zuletzt angesichts des Umstands, dass gegen den
Beschwerdeführer zwischen 1997 und 2005 nach Strassenverkehrsdelikten insgesamt
sechs schwere Bussen (von Fr. 600.-- bis Fr. 2'000.--) ausgesprochen werden
mussten. Daraus ist mit der Vorinstanz nicht nur auf eine gewisse
Uneinsichtigkeit zu schliessen, sondern auch auf den mangelnden Willen, sich an
die hier für alle zwingend geltenden Normen und Verpflichtungen zu halten.
Selbst wenn der Beschwerdeführer nach seiner Haftentlassung wieder eine feste
Arbeitsstelle gefunden hat, kann bei ihm somit nicht von einem den hiesigen
Verhältnissen angepassten Leben oder gar einer Verwurzelung in der Schweiz
gesprochen werden.
2.5.2 Eine Rückkehr in die Heimat ist dem Beschwerdeführer entgegen seinen
Ausführungen zumutbar: Er ist - wie schon hervorgehoben - erst relativ spät in
die Schweiz gekommen und hat seine Jugend sowie längere Jahre seines
Erwachsenenlebens in seiner Heimat verbracht. Dorthin scheint er zudem in den
vergangenen Jahren aussergewöhnlich oft zurückgekehrt zu sein (seinen eigenen
Angaben gemäss zweimal pro Monat). Er hat in Bosnien-Herzegowina noch ein Haus
und zwei Brüder, mit denen er offenbar im Transportwesen zusammengearbeitet
hat. Er ist somit nicht nur mit der Sprache und der Kultur seines Landes,
sondern auch mit dessen Wirtschaftsleben nach wie vor verbunden (vgl. dazu auch
oben E. 1.3). Es sollte ihm daher möglich sein, ohne allzu grosse
Schwierigkeiten zu Hause wieder Fuss zu fassen.
2.5.3 Das Verwaltungsgericht hat auch die familiäre Situation zutreffend
gewürdigt. Es hat nicht übersehen, dass eine Rückkehr in die Heimat für die
Familie, insbesondere für die beiden ältesten Kinder, hart und wohl kaum
zumutbar wäre. Dennoch hat es an der Ausweisung des Beschwerdeführers zu Recht
festgehalten: Wohl können familiäre Beziehungen dazu führen, dass von einer
Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers abzusehen ist, wenn die
Massnahme wegen der Unzumutbarkeit der Ausreise für die Familienangehörigen zu
einer Trennung der Familiengemeinschaft führt. Die Art und Schwere der hier
begangenen Betäubungsmitteldelikte sowie das Verschulden des Beschwerdeführers
lassen eine solche Rücksichtnahme indessen nicht zu. Das - wie dargelegt (vgl.
oben E. 2.4) - (sehr) grosse öffentliche Interesse an der Ausweisung des
Beschwerdeführers überwiegt sein und seiner Angehörigen privates Interesse an
einem weiteren Verbleib in der Schweiz, selbst wenn die familiäre Beziehung
deshalb unter Umständen kaum mehr bzw. nur noch unter erschwerten Bedingungen
gelebt werden kann (vgl. BGE 129 II 215 E. 3.4 und 4.1 S. 218; zu der von der
Rechtsprechung entwickelten, hier aber nicht anwendbaren Zweijahresregel vgl.
BGE 120 Ib 6 E. 4b S. 14, unter Hinweis auf das Urteil i.S. Reneja, BGE 110 Ib
201).
Unter diesen Umständen steht der Ausweisung des Beschwerdeführers auch der in
Art. 8 Ziff. 1 EMRK (und Art. 13 BV) verankerte Anspruch auf Achtung des
Familien- und Privatlebens nicht entgegen. Zwar hat der Beschwerdeführer
aufgrund der gelebten Beziehung zu seiner Ehefrau und seinen Kindern gestützt
auf Art. 8 Ziff. 1 EMRK grundsätzlich einen Anspruch auf Aufenthalt in der
Schweiz (vgl. BGE 129 II 215 E. 4.1 S. 218, mit Hinweis); im vorliegenden Fall
ist aber ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
gemäss Ziff. 2 dieser Bestimmung gerechtfertigt: Er stützt sich auf Art. 10
ANAG und verfügt damit über eine gesetzliche Grundlage im Landesrecht. Er
bezweckt die Aufrechterhaltung der hiesigen Ordnung sowie die Verhinderung
weiterer strafbarer Handlungen und verfolgt öffentliche Interessen, die in Art.
8 Ziff. 2 EMRK ausdrücklich genannt sind; schliesslich hält der Eingriff der
Verhältnismässigkeitsprüfung im Sinne von Art. 11 Abs. 3 ANAG, bei welcher die
familiären Verhältnisse und damit grundsätzlich auch der Aspekt von Art. 8 EMRK
vollumfänglich miteinbezogen werden, stand (vgl. BGE 125 II 521 E. 5 S. 529).

3.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Für eine Verwarnung bzw. eine
blosse Androhung der Ausweisung besteht kein Raum mehr.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig
(Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen
und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. Oktober 2008
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Matter