Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.334/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_334/2008 / zga

Urteil vom 30. Mai 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Gerichtsschreiber Klopfenstein.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Guy Ehrler,

gegen

Migrationsdienst des Kantons Bern, Eigerstrasse 73, 3011 Bern.
Gegenstand
Ausschaffungshaft,

Beschwerde gegen den Entscheid des Haftgerichts III Bern-Mittelland vom 22.
April 2008.

Das Bundesgericht stellt fest und zieht in Erwägung:

1.
Der aus dem Kosovo stammende X.________ (geb. 1971) reiste 1999 illegal in die
Schweiz ein. Nachdem sein Asylgesuch abgewiesen worden war, heiratete er am 18.
Februar 2002 die Schweizer Bürgerin Z.________ (geb. 1947) und erhielt in der
Folge eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei ihr. X.________ wurde in der
Schweiz wiederholt straffällig. So verurteilte ihn etwa das Berner Obergericht
am 12. September 2006 zweitinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe von 26 Monaten
(unbedingt) u.a. wegen mehrfachen banden- und gewerbsmässigen Diebstahls,
mehrfachen Hausfriedensbruchs sowie wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und
Beamte. Nachdem er im vorzeitigen Strafvollzug zunächst wegen aggressiven
Verhaltens für sechs Monate in die Sicherheitsabteilung hatte verlegt werden
müssen, wurde er rückwirkend auf den 24. Januar 2006 bedingt entlassen.

Mit Verfügung vom 6. März 2007 lehnte es der Migrationsdienst des Kantons Bern
ab, die Aufenthaltsbewilligung von X.________ zu verlängern und wies diesen
gestützt auf Art.10 Abs. 1 lit. a ANAG für unbestimmte Zeit aus der Schweiz
aus. Am 5. April 2007 erhob X.________, vertreten durch Fürsprecher Guy Ehrler,
gegen diese Verfügung Beschwerde bei der Polizei- und Militärdirektion des
Kantons Bern. Das Verfahren vor dieser Instanz ist zur Zeit hängig.

Am 31. Januar 2008 verurteilte das Bezirksgericht Zürich X.________ u.a. wegen
mehrfacher Drohung, versuchter Nötigung und versuchter Anstiftung zur
Falschaussage zu einer unbedingten Gesamtfreiheitsstrafe von 20 Monaten.
X.________ meldete hiegegen Berufung an (so dass das genannte Urteil heute noch
nicht in Rechtskraft erwachsen ist), verbüsste aber auch diese Strafe im
vorzeitigen Strafvollzug; mit Verfügung des Bezirksgerichts Zürich vom 3. April
2008 wurde er daraus entlassen und am 21. April 2008 dem Migrationsdienst des
Kantons Bern zugeführt, der gegen ihn am 11. April 2008 Ausschaffungshaft
angeordnet hatte. Auf der entsprechenden Haftanordnung war vermerkt, dass
X.________ durch Fürsprecher Guy Ehrler vertreten werde, was von diesem mit
Schreiben vom 9. April 2008 mitgeteilt worden war. Mit Verfügung vom 21. April
2008 setzte das Haftgericht III Bern-Mittelland den Haftprüfungstermin auf den
folgenden Tag an, ohne diese Verfügung dem betreffenden Rechtsvertreter zu
eröffnen, und es führte die mündliche Verhandlung am 22. April 2008 ohne dessen
Anwesenheit durch. Mit Entscheid vom selben Tag genehmigte es die
Ausschaffungshaft bis zum 19. Juli 2008.

2.
Mit Eingabe vom 2. Mai 2008 führt X.________ beim Bundesgericht Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit den Anträgen, den Entscheid des
Haftgerichts III Bern-Mittelland vom 22. April 2008 aufzuheben (Ziff. 1) und
ihn - den Beschwerdeführer - aus der Ausschaffungshaft zu entlassen (Ziff. 2).
Gleichzeitig wird um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ersucht.

Das Haftgericht III Bern-Mittelland hat unter Hinweis auf den angefochtenen
Entscheid auf Vernehmlassung verzichtet und beantragt, die Beschwerde
abzuweisen. Der Migrationsdienst des Kantons Bern hat sich nicht vernehmen
lassen. Das Bundesamt für Migration verzichtete ebenfalls auf eine
Stellungnahme. Mit Eingabe vom 16. Mai 2008 hat sich der Beschwerdeführer noch
einmal geäussert.

3.
Wurde ein erstinstanzlicher Weg- oder Ausweisungsentscheid eröffnet, so kann
die zuständige Behörde den betroffenen Ausländer zur Sicherstellung des
Vollzugs u.a. dann in Ausschaffungshaft nehmen bzw. in dieser belassen, wenn er
andere. Personen ernsthaft bedroht oder an Leib und Leben erheblich gefährdet
und deshalb strafrechtlich verfolgt wird oder verurteilt worden ist (Art. 76
Abs. 1 lit. b Ziff. 1 in Verbindung mit Art. 75 Abs. 1 lit. g AuG), oder wenn
konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass er sich der Ausschaffung entziehen
will (Untertauchensgefahr, Art. 76 Abs. 1 Ziff. 3 AuG). Die Haft darf höchstens
drei Monate dauern; stehen dem Vollzug der Weg- oder Ausweisung besondere
Hindernisse entgegen, so kann sie mit Zustimmung der kantonalen richterlichen
Behörde für volljährige Personen um höchstens 15 Monate verlängert werden (Art.
76 Abs. 3 AuG). Die für den Vollzug der Weg- oder Ausweisung notwendigen
Vorkehren sind umgehend zu treffen (Beschleunigungsgebot, Art. 76 Abs. 4 AuG);
die Haft wird u.a. beendet, wenn der Haftgrund entfällt oder sich erweist, dass
der Vollzug der Weg- oder Ausweisung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen
undurchführbar ist (Art. 80 Abs. 6 lit. a AuG). Die Verhafteten können mit
ihren Rechtsvertretern mündlich und schriftlich verkehren (Art. 81 Abs. 1 Satz
2 AuG). Sodann ist die Haft in geeigneten Räumlichkeiten zu vollziehen (Art. 81
Abs. 2 Satz 1 AuG).

4.
4.1 Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, weil das Haftgericht
Fürsprecher Guy Ehrler nicht zum Haftprüfungsverfahren vorgeladen habe, sei
sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Sodann bestreitet er das
Vorliegen eines Haftgrundes und macht geltend, im Falle der Entlassung aus der
Ausschaffungshaft gefährde er die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht;
auch bestünden keine Anhaltspunkte, dass er sich den Ausländerbehörden
entziehen würde. Seine Frau nähme ihn jederzeit bei sich auf. Schliesslich
wendet er ein, die Ausweisung lasse sich innert nützlicher Frist gar nicht
vollziehen: Er habe gegen die Ausweisungsverfügung Beschwerde eingereicht, über
welche noch nicht entschieden worden sei (wobei der spätere Entscheid
gegebenenfalls noch beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern angefochten werden
könne). Die Aufrechterhaltung der Ausschaffungshaft erweise sich daher als
unverhältnismässig.

4.2 Der erste Einwand des Beschwerdeführers erscheint offensichtlich begründet:
Indem die Haftrichterin die Haftverhandlung ohne den vom Betroffenen
mandatierten Rechtsvertreter durchführte, verletzte sie dessen Anspruch auf
rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV, vgl. Urteil 2A.236/2002 vom 27. Mai 2002,
E. 3, in Pra 2002 Nr. 142 S. 769). Zwar hat der Beschwerdeführer an der
Verhandlung vor der Haftrichterin gegen die Abwesenheit seines Vertreters nicht
protestiert; entscheidend ist jedoch, dass die Vorladung zu dieser Verhandlung
nicht auch an den Rechtsvertreter zugestellt wurde, welcher gegebenenfalls auf
seiner Anwesenheit an der Verhandlung beharrt bzw. den Beschwerdeführer
entsprechend beraten hätte. Die Beschwerde ist in diesem Punkt begründet und
der angefochtene Entscheid deshalb aufzuheben.

4.3 Nicht jede Verletzung von Verfahrensvorschriften bei der Haftprüfung führt
indessen auch zur Haftentlassung. Es kommt darauf an, welche Bedeutung
einerseits den verletzten Vorschriften für die Wahrung der Rechte des
Betroffenen und andererseits dem Interesse an einer reibungslosen Durchsetzung
der Ausschaffung zukommt. Wenn etwa der Ausländer die öffentliche Sicherheit
gefährden könnte, besteht die Sanktion allein in einer Wiederholung der
Haftrichterverhandlung unter Beizug des gewählten Rechtsvertreters (BGE 122 II
154 E. 3a S. 158 mit Hinweisen, Urteile 2A.296/1996 vom 24. Juni 1996, E. 4,
und 2A.236/2002 vom 27. Mai 2002, E. 4.1 und 4.2). Voraussetzung für die
Aufrechterhaltung der Haft ist in jedem Falle, dass sich den Akten zumindest
gewisse Hinweise für das Vorliegen eines Haftgrundes entnehmen lassen (BGE 121
II 110 E. 2 S. 114/115).

4.4 Die genannten Voraussetzungen treffen hier zu: Allein schon der Umstand,
dass der Beschwerdeführer während der Verbüssung seiner ersten Freiheitsstrafe
für sechs Monate in die Sicherheitsabteilung der entsprechenden Strafanstalt
verlegt werden musste, zeigt, dass er über hohes aggressives Potential verfügt.
Nur kurze Zeit nach der Entlassung aus dem Strafvollzug hat er erneut schwer
delinquiert: Zwar hat er gegen das entsprechende Urteil des Bezirksgerichts
Zürich vom 31. Januar 2008, in welchem er u.a. wegen Drohungen zu einer
weiteren Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt worden ist, Berufung
eingelegt, doch ergibt sich bereits aus den im vorliegenden Verfahren von ihm
selber eingereichten Akten, dass er laut den Polizeiprotokollen den Versand von
so genannten "Droh-SMS" eingestanden hat (vgl. S. 3 der Ausweisungsverfügung
vom 6. März 2007). Es bestehen nach dem Gesagten gewichtige Indizien, dass vom
Beschwerdeführer eine erhebliche Gefahr für andere Personen ausgeht und
diesfalls der Haftgrund von Art. 75 Abs. 1 lit. g AuG erfüllt erscheint. Das
öffentliche Interesse an einer Aufrechterhaltung der Ausschaffungshaft besteht
damit fort.

4.5 Auch der Einwand, mit dem Vollzug der Ausweisung könne nicht innert
nützlicher Frist gerechnet werden, was gemäss Art. 80 Abs. 6 AuG zur Beendigung
der Haft führen müsse und diese als unverhältnismässig erscheinen lasse, ist
unbegründet: Zwar versteht sich nicht von selbst, dass der Vollzug der
Ausweisung innert der für die Dauer der Ausschaffungshaft zulässigen Frist
durchführbar bleibt, wenn - wie hier - der erstinstanzliche Beschwerdeentscheid
über die genannte fremdenpolizeiliche Sanktion noch aussteht und der Betroffene
hernach gegebenenfalls noch zwei weitere Rechtsmittelinstanzen (kantonales
Verwaltungsgericht, Bundesgericht) anrufen kann. Wie sich aus den vom
Beschwerdeführer selber eingereichten Akten ergibt (vgl. Beschwerdebeilage 11),
hat die zuständige kantonale Polizei- und Militärdirektion nach Kenntnisnahme
der neuesten Unterlagen aus dem strafrechtlichen Dossier den bereits
geschlossenen Schriftenwechsel und das Beweisverfahren aber kürzlich wieder
geöffnet (Verfügung vom 10. April 2008) und den Beteiligten Gelegenheit zur
Stellungnahme bis zum 2. Mai 2008 eingeräumt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass
die instruierende Rechtsmittelbehörde die aufschiebende Wirkung der Beschwerde
nach Massgabe von Art. 68 des kantonalen Gesetzes vom 23. Mai 1989 über die
Verwaltungsrechtspflege (VRPG) entziehen wird, was umso eher möglich erscheint,
als mit der angeordneten Ausweisung nicht etwa in ein gefestigtes
Anwesenheitsrecht des Beschwerdeführers - dessen Aufenthaltsbewilligung bereits
abgelaufen ist - eingegriffen wird.
Jedenfalls sind die Voraussetzungen für eine sofortige Entlassung des
Beschwerdeführers aus der Ausschaffungshaft vorliegend klarerweise nicht
gegeben; es wird Sache des Haftgerichts sein, an der ohne Verzug neu
anzusetzenden mündlichen Verhandlung - unter korrekter Gewährung des
rechtlichen Gehörs - über die Zulässigkeit dieser Administrativmassnahme neu zu
befinden.

5.
Dies führt zur teilweisen Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des
angefochtenen Entscheides. Die Sache ist zur unverzüglichen Durchführung einer
neuen mündlichen Verhandlung an das Haftgericht zurückzuweisen. Im Übrigen ist
die Beschwerde abzuweisen.

Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs.
1 und 3 BGG). Der Kanton Bern hat dem nur teilweise obsiegenden
Beschwerdeführer eine reduzierte Parteientschädigung auszurichten (Art. 68
BGG). Dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist
insoweit gegenstandslos geworden. Im Übrigen muss dieses Gesuch mangels
ernsthafter Erfolgsaussichten des Beschwerdebegehrens Ziff. 2 (Haftentlassung)
abgewiesen werden (Art. 64 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des Haftgerichts
III Bern-Mittelland vom 22. April 2008 aufgehoben.

2.
Die Sache wird zur unverzüglichen Durchführung einer neuen mündlichen
Verhandlung an das genannte Haftgericht zurückgewiesen.

3.
Das Begehren um sofortige Entlassung aus der Haft wird abgewiesen.

4.
Es werden keine Kosten erhoben.

5.
Der Kanton Bern hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
eine reduzierte Parteientschädigung von Fr. 1'000.-- auszurichten.

6.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird, soweit es
nicht gegenstandslos geworden ist, abgewiesen.

7.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Haftgericht III Bern-Mittelland, der
Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern und dem Bundesamt für Migration
schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 30. Mai 2008
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Klopfenstein