Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.175/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_175/2008

Urteil vom 22. August 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Müller,
nebenamtlicher Bundesrichter Locher,
Gerichtsschreiber Matter.

Parteien
X.________ und Y.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Kantonales Steueramt St. Gallen,
Steuerverwaltung des Kantons Thurgau.

Gegenstand
Art. 127 Abs. 3 BV (Doppelbesteuerung),
Steuerpflicht in der Steuerperiode 2005.

Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 22. Januar 2008.

Sachverhalt:

A.
Die seit 2001 in A.________/SG wohnhaften X.________ und Y.________ erwarben am
3. Mai 2005 im vier Kilometer entfernten B.________/TG ein Grundstück zu
hälftigem Miteigentum. Darauf erstellten sie ein Einfamilienhaus, das sie im
Winter 2005/06 bezogen, wobei sie den Hausrat nach und nach selber
transferierten, ohne ein Umzugsunternehmen zu beauftragen. Am 30. Dezember 2005
erfolgte die polizeiliche und militärische Abmeldung in A.________, Ende
Februar 2006 die Aufgabe der bisherigen Wohnung.

B.
Für die Steuerperiode 2005 reichte das Ehepaar X.________ - Y.________ seine
Steuererklärung - trotz entsprechender Aufforderung - nicht im Kanton St.
Gallen ein, sondern am neuen Wohnort. Der Kanton Thurgau übermittelte die
Deklaration den St. Galler Behörden auf deren Ersuchen hin. Darauf veranlagte
das Steueramt St. Gallen die Ehegatten am 12. Juli 2006 für die genannte
Periode mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 90'900.-- (ohne steuerbares
Vermögen). Die dagegen gerichtete Einsprache hiess es am 25. Oktober 2006 in
materieller Hinsicht teilweise gut, bestätigte aber die Steuerpflicht der
Eheleute im Kanton St. Gallen für das Jahr 2005. Auf Rekurs hin beschränkte die
Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen ihre Prüfung auf die Frage
der subjektiven Steuerpflicht, verneinte eine solche und hob den
Einspracheentscheid mit Entscheid vom 21. Juni 2007 auf. Diesen focht das
Steueramt St. Gallen beim Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen an, das die
Beschwerde mit Urteil vom 22. Januar 2008 insoweit teilweise guthiess, als es
die subjektive Steuerpflicht der Eheleute X.________ - Y.________ für 2005 im
Kanton St. Gallen bejahte.

C.
Mit Eingabe vom 21. Februar 2008 haben X.________ und Y.________ Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben. Sie beantragen, den
verwaltungsgerichtlichen Entscheid aufzuheben; ihr steuerrechtlicher Wohnsitz
am 31. Dezember 2005 sei in B.________ anzunehmen und die Steuerhoheit für 2005
somit dem Kanton Thurgau zuzusprechen; sämtliche Veranlagungsverfügungen des
Kantons St. Gallen für die Steuerperiode seien aufzuheben und durch solche des
Kantons Thurgau zu ersetzen. Weiter seien die Schuldzinsen anders zu
berücksichtigen, eine Steuerausscheidung mit dem Kanton Appenzell-Ausserrhoden
vorzunehmen und die korrigierte Sondersteuer auf einer Kapitalleistung
aufzuheben.

D.
Das kantonale Steueramt St. Gallen, die Steuerverwaltung des Kantons Thurgau
sowie das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen schliessen auf Abweisung
der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.

Erwägungen:

1.
1.1 Bestreitet eine zur Veranlagung herangezogene Person die Steuerhoheit des
Kantons, muss grundsätzlich in einem Vorentscheid rechtskräftig über die
Steuerpflicht entschieden werden, bevor das Veranlagungsverfahren fortgesetzt
werden darf. Gegen den kantonal letztinstanzlichen Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen betreffend die Feststellung der
Steuerpflicht für 2005 ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten zulässig (vgl. Art. 82 lit. a in Verbindung mit Art. 86 Abs. 1
lit. d BGG), aber nur in dem Ausmass, als sie sich auf die subjektive
Steuerpflicht bezieht. Hingegen kann auf die weiteren Rechtsbegehren
(betreffend Steuerausscheidung, Schuldzinsen und Kapitalleistung, d.h. Fragen
der objektiven Steuerpflicht), nicht eingetreten werden. Dasselbe gilt
insoweit, als die Beschwerdeführer die Aufhebung sämtlicher
Veranlagungsverfügungen fordern (zum sog. Devolutiveffekt vgl. u.a. BGE 129 II
438 E. 1 S. 441, mit Hinweisen).

1.2 Bei staatsrechtlichen Beschwerden wegen Verletzung des
Doppelbesteuerungsverbots prüfte das Bundesgericht Rechts- und Tatfragen frei;
es konnte auch neue Tatsachen und Beweismittel berücksichtigen (vgl. u.a. BGE
131 I 145 E. 2.4 S. 149, mit Hinweisen). Für die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erwog es, angesichts der Besonderheiten
des Beschwerdeverfahrens in Doppelbesteuerungssachen sei es selbst bei
Vorliegen des Entscheids einer letztinstanzlichen kantonalen richterlichen
Behörde nicht in jedem Fall davon entbunden, den Sachverhalt frei zu
überprüfen. Zudem sei das Novenverbot wohl zu relativieren, wenn bzw. soweit
der Instanzenzug nur in einem Kanton durchlaufen worden sei (vgl. BGE 133 I 300
E. 2.3 S. 306). Weil hier nur der letztinstanzliche Entscheid eines Kantons
angefochten ist, sind neue Tatsachen und Beweismittel nur in dem Ausmass
zuzulassen, als dieser Entscheid dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).

2.
Eine gegen Art. 127 Abs. 3 BV verstossende Doppelbesteuerung liegt vor, wenn
eine steuerpflichtige Person von zwei oder mehreren Kantonen für das gleiche
Steuerobjekt und für die gleiche Zeit zu Steuern herangezogen wird (aktuelle
Doppelbesteuerung) oder wenn ein Kanton in Verletzung der geltenden
Kollisionsnormen seine Steuerhoheit überschreitet und eine Steuer erhebt, die
einem anderen Kanton zusteht (virtuelle Doppelbesteuerung). Ausserdem darf ein
Kanton eine steuerpflichtige Person grundsätzlich nicht deshalb stärker
belasten, weil sie nicht in vollem Umfang seiner Steuerhoheit untersteht,
sondern zufolge ihrer territorialen Beziehungen auch noch in einem anderen
Kanton steuerpflichtig ist (Schlechterstellungsverbot, vgl. BGE 132 I 29 E. 2.1
S. 31 f.; 131 I 285 E. 2.1 S. 286; ASA 74, 684 E. 2.1, je mit Hinweisen).
Im vorliegenden Fall wird das Hauptsteuerdomizil der Beschwerdeführer in der
Steuerperiode 2005 nur vom Kanton St. Gallen beansprucht. Weil der Kanton
Thurgau diese Steuerhoheit für den fraglichen Zeitraum anerkennt, ist die
aktuelle Doppelbesteuerung an sich beseitigt. Das Einlenken des Kantons Thurgau
vermag indessen die Beschwerdeführer nicht zu binden (vgl. Urteil 2P.149/2005
vom 13. Dezember 2005 E. 2.2, mit Hinweis). Mit ihrem Rechtsbegehren, die
Besteuerungskompetenz dem Kanton Thurgau zuzusprechen, rügen sie implizit einen
Verstoss gegen das Verbot der virtuellen Doppelbesteuerung.

3.
3.1 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 127 Abs. 3 BV ist der
steuerrechtliche Wohnsitz (Hauptsteuerdomizil) einer unselbständig erwerbenden
Person derjenige Ort, wo sich die betreffende Person mit der Absicht dauernden
Verbleibens aufhält bzw. wo sich der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen
befindet (vgl. Art. 23 Abs. 1 ZGB; Art. 3 Abs. 2 DBG; Art. 3 Abs. 2 StHG;
neuerdings BGE 132 I 29 E. 4.1 S. 35 f.). Dieser Mittelpunkt der
Lebensinteressen bestimmt sich nach der Gesamtheit der objektiven, äusseren
Umstände, aus denen sich diese Interessen erkennen lassen, nicht nach den bloss
erklärten Wünschen der steuerpflichtigen Person. Auf die gefühlsmässige
Bevorzugung eines Ortes kommt es nicht an; der steuerrechtliche Wohnsitz ist
insofern nicht frei wählbar. Dem polizeilichen Domizil, wo die Schriften
hinterlegt sind oder wo die politischen Rechte ausgeübt werden, kommt dagegen
keine entscheidende Bedeutung zu; das sind bloss äussere Merkmale, die ein
Indiz für den steuerrechtlichen Wohnsitz bilden können, wenn auch das übrige
Verhalten der Person dafür spricht (vgl. statt vieler: BGE 132 I 29 E. 4.1 S.
36). Wenn sich eine Person abwechslungsweise an zwei Orten aufhält, namentlich
wenn ihr Arbeitsort und ihr sonstiger Aufenthaltsort auseinanderfallen, ist für
die Bestimmung des steuerrechtlichen Wohnsitzes darauf abzustellen, zu welchem
Ort sie die stärkeren Beziehungen unterhält. Bei unselbständig erwerbenden
Steuerpflichtigen ist das gewöhnlich der Ort, wo sie für längere oder
unbestimmte Zeit Aufenthalt nehmen, um von dort aus der täglichen Arbeit
nachzugehen, ist doch der Zweck des Lebensunterhalts dauernder Natur. Die
Frage, zu welchem der Aufenthaltsorte die steuerpflichtige Person die stärkeren
Beziehungen unterhält, ist jeweils aufgrund der Gesamtheit der Umstände des
Einzelfalls zu beurteilen (vgl. BGE 132 I 29 E. 4.2 S. 36 f., mit Hinweisen).

3.2 In Bezug auf die Beweisführung gilt das Folgende: Der steuerrechtliche
Wohnsitz als steuerbegründende Tatsache ist grundsätzlich von der Steuerbehörde
nachzuweisen (vgl. Pra 2000 Nr. 7 S. 29 E. 3c). Allerdings kann der
steuerpflichtigen Person der Gegenbeweis für die von ihr behauptete subjektive
Steuerpflicht an einem neuen Ort auferlegt werden, wenn die von der
Steuerbehörde angenommene bisherige subjektive Steuerpflicht als sehr
wahrscheinlich gilt (vgl. schon ASA 39, 284 E. 3c). Diese ursprünglich für das
internationale Verhältnis aufgestellte Regel ist nach der Praxis des
Bundesgerichts auch im interkantonalen Verhältnis anwendbar. Dabei besteht bei
Wechsel des steuerrechtlichen Wohnsitzes innerhalb der Schweiz gemäss Art. 68
Abs. 1 StHG die Steuerpflicht aufgrund persönlicher Zugehörigkeit für die
laufende Steuerperiode im Kanton, in welchem die steuerpflichtigen Personen am
Ende dieser Periode ihren Wohnsitz haben (vgl. zum Ganzen u.a. Urteil 2C_183/
2007 E. 3.2).

4.
4.1 Hier ist die Vorinstanz aufgrund umfangreicher Abklärungen zum Ergebnis
gekommen, eine Wohnsitzverlegung der Beschwerdeführer vor dem 31. Dezember 2005
lasse sich weder bestätigen noch widerlegen. Namentlich sei sie nicht schon
allein aus der polizeilichen und militärischen Abmeldung abzuleiten. Wenn aber
eine rechtserhebliche Tatsache nach der Beweiswürdigung nicht als erwiesen
angesehen werden könne, sei gemäss der Beweislast (vgl. oben E. 3.2) zu
entscheiden. Nachdem die Beschwerdeführer ihr Hauptsteuerdomizil während rund
vier Jahren unangefochten in A.________ hatten, sei es nicht an den St. Galler
Behörden, das Weiterbestehen dieses Domizils in ihrem Kanton darzutun, sondern
vielmehr an den Beschwerdeführern, die Wohnsitzverlegung in den Kanton Thurgau
nachzuweisen.

4.2 Dieser Argumentation hätten die Beschwerdeführer selbst dann nichts
Beweiskräftiges entgegenzusetzen, wenn ihre zusätzlich eingereichten Belege
berücksichtigt werden könnten (vgl. oben E. 1.2). Die Bestätigungen der
Nachbarn am Wegzugs- und am Zuzugsort sagen über den genauen Zeitpunkt, in
welchem die Beschwerdeführer den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen von
A.________ nach B.________ verlegt haben, nichts aus. Dasselbe gilt für die
Zahlen über den Gasverbrauch, ist es doch notorisch, dass ein neu erstelltes
Haus - zumal in den Wintermonaten - selbst dann stark beheizt werden muss, wenn
es noch unbewohnt ist. Aus der Abrechnung über den Stromverbrauch geht hervor,
dass bis zum 31. Dezember 2005 nur Baustrom verrechnet wurde, was eher auf eine
Wohnsitznahme nach diesem Datum schliessen lässt. Insgesamt bleibt es bei der
Feststellung, dass den Beschwerdeführern der Nachweis nicht gelungen ist, sie
hätten ihren Lebensmittelpunkt und damit ihr Hauptsteuerdomizil am 31. Dezember
2005 bereits nach B.________ verlegt. Dieser Betrachtungsweise hat sich die
Steuerverwaltung des Kantons Thurgau angeschlossen. Der steuerrechtliche
Wohnsitz für die Steuerperiode 2005 ist deshalb weiterhin im Kanton St. Gallen
anzunehmen.

5.
Die Beschwerde erweist sich mithin als unbegründet und ist abzuweisen, soweit
darauf eingetreten werden kann.
Bei diesem Verfahrensausgang werden die bundesgerichtlichen Kosten den
Beschwerdeführern unter Solidarhaft auferlegt (Art. 65 f. BGG). Eine
Parteientschädigung ist nicht geschuldet (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden den Beschwerdeführern unter
Solidarhaft auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem kantonalen Steueramt St. Gallen,
der Steuerverwaltung des Kantons Thurgau sowie dem Verwaltungsgericht des
Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. August 2008
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Matter