Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.164/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_164/2008

Urteil vom 28. Juli 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Karlen,
Gerichtsschreiber Merz.

Parteien
A.________ und B.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Steueramt des Kantons Solothurn, Rechtsdienst, Schanzmühle, Werkhofstrasse 29c,
4509 Solothurn.

Gegenstand
Art. 30 Abs. 1 BV (Ausstand),

Beschwerde gegen das Urteil des Steuergerichts
des Kantons Solothurn vom 17. September 2007.

Sachverhalt:

A.
Das Steueramt des Kantons Solothurn nahm am 9. September 2004 gegenüber
A.________ und B.________ Nach- und Strafsteuerveranlagungen für die Jahre
1997, 1998 und 1999 (Staatssteuer) und 1999/2000 (direkte Bundessteuer) vor.
Die Einsprache sowie der Rekurs und die Beschwerde, welche die
Steuerpflichtigen dagegen beim Steueramt und anschliessend - am 10. Juni 2006 -
beim Steuergericht des Kantons Solothurn erhoben, blieben ohne Erfolg.

Die umstrittenen Veranlagungen stehen im Zusammenhang mit einem Strafverfahren
gegen C.________, der von A.________ zur Anlage übergebene Gelder veruntreut
hatte. Rechtsanwalt D.________ verteidigte im Jahre 2005 C.________ im
Strafverfahren. Er wirkte ausserdem als Präsident des Steuergerichts, als
dieses mit Urteil vom 17. September 2007 über die Rechtsmittel der Eheleute
A.________ und B.________ entschied.

B.
A.________ und B.________ beantragen dem Bundesgericht mit Beschwerde vom 18.
Februar 2008, das Urteil des Steuergerichts vom 17. September 2007 aufzuheben
und die Sache zur Neubeurteilung an dieses Gericht zurückzuweisen, da
D.________ wegen seiner Mitwirkung im Strafverfahren hätte in den Ausstand
treten müssen.

C.
Das Steueramt und die Eidgenössische Steuerverwaltung verzichten auf eine
Stellungnahme zur Ausstandsfrage und äussern sich lediglich zu den umstrittenen
Veranlagungen. Das Steuergericht beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit
darauf einzutreten sei.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerdeführer begründen ihr Rechtsmittel nicht näher. Sie erklären
einzig, D.________ hätte "gemäss der geltenden Strafprozessordnung" wegen
Befangenheit in den Ausstand treten müssen, da er bereits als Strafverteidiger
von C.________ tätig war. Aus der Rechtsschrift geht jedoch nicht hervor,
welche Bestimmungen der Strafprozessordnung den Ausstand geboten hätten.
Tatsächlich finden sich die Ausstandsbestimmungen für steuergerichtliche
Verfahren nicht in der Strafprozessordnung, sondern in §§ 92 ff. des
Solothurner Gesetzes über die Gerichtsorganisation vom 13. März 1977 (GOG/SO).
Mangels einer genügenden Rüge ist nicht zu untersuchen, ob der unterbliebene
Ausstand von D.________ diese Vorschriften verletzte, was ohnehin nur unter dem
Gesichtspunkt der Willkür geprüft werden könnte (vgl. Art. 42 Abs. 2, Art. 95
und Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. auch BGE 131 I 113 E. 3.3 S. 115 f.). Hingegen
machen die Beschwerdeführer sinngemäss und in genügend begründeter Weise
ebenfalls einen Verstoss gegen das verfassungsmässige Recht auf ein
unabhängiges und unparteiisches Gericht gemäss Art. 30 Abs. 1 BV geltend.

2.
Die Beschwerdeführer haben im vorinstanzlichen Verfahren kein Ausstandsbegehren
gestellt, sondern erheben den Vorwurf der Befangenheit des Gerichtspräsidenten
erstmals vor Bundesgericht. Nach der Rechtsprechung verstösst es gegen Treu und
Glauben (Art. 5 Abs. 3 BV), Einwände dieser Art erst nach einem ungünstigen
Entscheid im Rechtsmittelverfahren vorzubringen, wenn der Mangel schon vorher
hätte festgestellt werden können. Insoweit wird der Anspruch auf Anrufung der
Garantie von Art. 30 Abs. 1 BV verwirkt (BGE 132 II 485 E. 4.3 S. 496 f.; 128 V
82 E. 2b S. 85; 124 I 121 E. 2 S. 122 f.). Die Pflicht zur sofortigen Stellung
von Ausstandsbegehren ergibt sich überdies aus dem kantonalen Recht (§ 95 Abs.
1 GOG/SO).

3.
3.1 Die Geltendmachung von Ausstandsgründen setzt die Kenntnis der personellen
Zusammensetzung des Gerichts voraus. Das verfassungsmässige Recht auf einen
unabhängigen und unparteiischen Richter umfasst deshalb auch den Anspruch auf
Bekanntgabe, welche Richter am Entscheid mitwirken. Das bedeutet indessen
nicht, dass dem Rechtsuchenden die Namen der entscheidenden Richter
ausdrücklich genannt werden müssen. Es genügt vielmehr, dass er die Namen aus
einer allgemein zugänglichen Quelle (Staatskalender oder Internet) entnehmen
kann. Nach der Rechtsprechung müssen die Parteien damit rechnen, dass das
Gericht in seiner ordentlichen Besetzung tagen wird. Ausstandsgründe sind
deshalb gegenüber den ordentlichen Gerichtsmitgliedern sofort zu erheben und
können nicht erst nach dem Entscheid in einem anschliessenden
Rechtsmittelverfahren geltend gemacht werden. Das Bundesgericht hielt zunächst
fest, dass zumindest eine Partei, die durch einen Anwalt vertreten ist, die
ordentliche Besetzung des Gerichts kennen müsse (BGE 117 Ia 322 E. 1c S. 323
mit Hinweisen; vgl. auch BGE 132 II 485 E. 4.4 S. 497).
Später hat es erklärt, diese Kenntnis dürfe in Bezug auf die Mitglieder des
Bundesgerichts auch von einem Laien erwartet werden; es verwies darauf, dass
die ordentliche Zusammensetzung aus dem Eidgenössischen Staatskalender und
neuerdings ohne weiteres auf dem Internet in Erfahrung zu bringen sei (Urteil
1P.63/1999 vom 15. Februar 1999 E. 2). An dieser Praxis ist festzuhalten, wobei
sie ebenso für andere Gerichte Geltung beansprucht. Wenn ein Rechtsuchender vom
Beizug eines Anwalts absieht, entbindet ihn dies nicht davon, bei der
Prozessführung mit der gebotenen Sorgfalt vorzugehen. Dazu gehört auch,
rechtzeitig das Vorliegen allfälliger Ausstandsgründe zu prüfen und sich zu
diesem Zweck die nötige Kenntnis der ordentlichen Besetzung des Gerichts zu
verschaffen.

3.2 Im Kanton Solothurn kann die Zusammensetzung der Gerichte dem jährlich
aktualisiertem kantonalen Staatskalender (Solothurner Jahrbuch) oder dem
Internet entnommen werden. Die Beschwerdeführer hätten deshalb wissen müssen,
dass D.________ in den Jahren 2006 und 2007 als Präsident des Steuergerichts
amtete, und seinen Ausstand bereits im vorinstanzlichen Verfahren verlangen
können. Nach der erwähnten Rechtsprechung haben sie mit der nicht rechtzeitigen
Geltendmachung den aus Art. 30 Abs. 1 BV folgenden Anspruch verwirkt. Auf die
Beschwerde ist demnach nicht einzutreten.

4.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten den Beschwerdeführern
aufzuerlegen (Art. 65 und 66 Abs. 1 und 5 BGG). Parteientschädigungen werden
nicht geschuldet (vgl. Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden den Beschwerdeführern zu gleichen
Teilen und unter solidarischer Haftung auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Steuergericht des Kantons Solothurn und
der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 28. Juli 2008
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Merz