Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.157/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_157/2008/ble

Urteil vom 28. April 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Müller, Karlen,
Gerichtsschreiber Feller.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegner,
Anwaltskammer des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, 3012 Bern.
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung,
Speichergasse 12, 3011 Bern,

Gegenstand
Unentgeltliche Prozessführung (Befreiung vom Berufsgeheimnis),

Beschwerde gegen die Verfügung des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern,
Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 15. Januar 2008.

Erwägungen:

1.
Fürsprecher Y.________ war von X.________ mit einem Anwaltsmandat betraut
worden. Er will offene Honorarforderungen von Fr. 27'827.95 geltend machen,
wobei es die Klientin ablehnt, ihn im Hinblick darauf vom Berufsgeheimnis zu
befreien. Y.________ gelangte daher am 20. Juni 2007 an die Anwaltskammer des
Kantons Bern mit dem Ersuchen, ihn vom Berufsgeheimnis zu entbinden. Die
Anwaltskammer räumte X.________ Gelegenheit zur Stellungnahme ein; diese
stellte unter anderem das Gesuch, das Verfahren betreffend Befreiung vom
Berufsgeheimnis sei zu sistieren, bis ihre gegen Y.________ am 29. August 2007
eingereichte Disziplinaranzeige behandelt worden sei. Die Anwaltskammer lehnte
eine Verfahrenssistierung ab, und mit Entscheid vom 16. Oktober 2007 erkannte
sie, Fürsprecher Y.________ werde von der beruflichen Schweigepflicht befreit,
soweit dies zur gerichtlichen Geltendmachung seiner Honorarforderung gemäss
Rechnung vom 16. Januar 2007 erforderlich sei.
Gegen diesen Entscheid der Anwaltskammer erhob X.________ am 23. November 2007
Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, wobei sie um Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege ersuchte. Der Instruktionsrichter der
Verwaltungsrechtlichen Abteilung des Verwaltungsgerichts wies das Gesuch mit
Verfügung vom 15. Januar 2008 wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde ab und
forderte X.________ zugleich auf, bis zum 30. Januar 2008 einen
Gerichtskostenvorschuss von Fr. 1'500.-- einzubezahlen.
Mit vom 1. Februar 2008 datierter, am 14. Februar 2008 zur Post gegebener
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt X.________ dem
Bundesgericht, die Verfügung des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und dieses
sei zu verpflichten, ihr für das dort hängige Verfahren die unentgeltliche
Rechtspflege zu gewähren.
Der Beschwerdegegner und das Verwaltungsgericht beantragen Abweisung der
Beschwerde; die Anwaltskammer hat sich nicht vernehmen lassen.
Dem Gesuch um aufschiebende Wirkung hat der Abteilungspräsident am 19. Februar
2008 insofern superprovisorisch entsprochen, als er bis zu weiterem Entscheid
alle Vollziehungsvorkehrungen untersagte. Damit blieb es dem Verwaltungsgericht
verwehrt, wegen Nichtleisten des Kostenvorschusses einen
Nichteintretensentscheid zu fällen.

2.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Verwaltungsgericht verletze Art. 29
BV und Art. 26 KV/BE, wenn es ihr die unentgeltliche Rechtspflege wegen
Aussichtslosigkeit der Beschwerde verweigere.

2.1 Gemäss Art. 26 Abs. 3 KV/BE haben Minderbemittelte ein Recht auf
unentgeltlichen Rechtsschutz. Dieser allgemeine Grundsatz bedarf der
Konkretisierung; er erfährt sie durch Art. 111 Abs. 1 des bernischen Gesetzes
vom 23. Mai 1989 über die Verwaltungsrechtspflege (VRPG), wonach die
Verwaltungsjustizbehörde eine Partei von der Kosten- und Vorschusspflicht
(bloss dann) befreit, wenn sie die Prozessbedürftigkeit nachweist und das
Verfahren nicht von vornherein aussichtslos ist. Gemäss Art. 29 Abs. 3 Satz 1
BV sodann hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt,
nur dann Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren
nicht aussichtslos erscheint. Die Rüge, die Bedingung der fehlenden
Aussichtslosigkeit sei nirgendwo vorgesehen, ist offensichtlich unbegründet.

2.2 Nach der Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 3 BV sind Prozessbegehren als
aussichtslos anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer
sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet
werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich
Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur
wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die
nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem
Prozess entschliessen würde. Eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene
Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil
er sie nichts kostet (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 f.; 128 I 225 E. 2.5.3 S.
235 f.). Die über die unentgeltliche Rechtspflege befindende Behörde prüft die
Prozessaussichten aufgrund einer bloss summarischen Prüfung der Angelegenheit
und begründet ihre Einschätzung entsprechend bloss summarisch.
2.3
2.3.1 Die Beschwerdeführerin macht unter Berufung auf Art. 26 Abs. 2 KV/BE,
wonach die Parteien Anspruch auf einen begründeten Entscheid haben, geltend,
die angefochtene Verfügung sei nicht genügend begründet. Wie eben dargelegt (E.
2.2 am Ende), kann sich die über die Gewährung oder Verweigerung der
unentgeltlichen Rechtspflege entscheidende Behörde mit einer summarischen
Begründung genügen, ohne sich bereits vertieft mit den Rügen zu befassen, die
sie im eigentlichen Verfahren zu prüfen haben wird. Der Verfügung des
Verwaltungsgerichts lässt sich, auch unter Berücksichtigung der Erwägungen des
bei ihm angefochtenen Entscheids der Anwaltskammer vom 16. Oktober 2007, mit
genügender Bestimmtheit entnehmen, warum es die Beschwerde als aussichtslos
erachtet; die Rüge, Art. 26 Abs. 2 KV/BE sei verletzt, ist offensichtlich
unbegründet.
2.3.2 Die Beschwerdeführerin rügt, das Verwaltungsgericht sei absolut
unzutreffend zum Ergebnis gekommen, dass ihr Sistierungsantrag vor der
Anwaltskammer keine Erfolgschancen gehabt habe.
Die Anwaltskammer hatte die Ablehnung des Sistierungsgesuchs damit begründet,
dass selbst die Feststellung allfälliger Berufsregelverletzungen durch den
Fürsprecher und damit eventuell verbundene Disziplinarsanktionen nicht erlauben
würden, ihm die zivilprozessuale Geltendmachung seiner Honorarforderungen zu
untersagen; ob die Honorarforderung übersetzt oder unspezifiziert sei oder auf
Tätigkeiten beruhe, die ohne Vollmacht ausgeübt worden seien, könnten eben
gerade erst durch das hierfür allein zuständige Zivilgericht beurteilt werden.
Das Verwaltungsgericht hat dazu unter anderem ergänzend festgehalten, dass im
Verfahren über die Entbindung vom Berufsgeheimnis nicht über die gleichen
Fragen zu befinden sei wie im (allfälligen) Diszplinarverfahren oder im
Honorarforderungsprozess selber. Zu beachten ist auch, dass die
Beschwerdeführerin ihre Disziplinaranzeige lange nach Anmeldung der
Honorarforderung und über zwei Monate nach Einreichung des Gesuchs um
Entbindung vom Berufsgeheimnis erstattete, welches sie dadurch zu kontern
versuchte. Wird schliesslich berücksichtigt, dass der Behörde beim Entscheid
über die Sistierung ein erhebliches Ermessen zukommt, lässt sich die
Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die bei ihm hängige Beschwerde erscheine
in Bezug auf die verweigerte Verfahrenssistierung als aussichtslos, in keiner
Weise beanstanden.
2.3.3 Das Verwaltungsgericht hat die Beschwerdeführung sodann auch in Bezug auf
die Frage der Entbindung von der Schweigepflicht selber als nicht
"aussichtsreich" gewertet.
Das Berufsgeheimnis wird in Art. 13 des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000 über
die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA [SR 935.61])
als zentrale Berufspflicht festgeschrieben. Die Entbindung vom Berufsgeheimnis
ist nicht bundesrechtlich geregelt; die kantonalen Aufsichtsbehörden sind im
Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit (Art. 14 BGFA) hierzu befugt. Gemäss Art. 38
Abs. 1 des kantonalbernischen Anwaltsgesetzes vom 28. März 2006 (KAG) verfügt
die Anwaltskammer die Befreiung vom Berufsgeheimnis, wenn das Interesse des
Anwalts an der Offenbarung wesentlich höher ist als das Interesse des
Auftraggebers an der Geheimhaltung. Das Interesse an der Offenbarung ist -
unter anderem dann - höher zu gewichten, wenn das Berufsgeheimnis den Anwalt
daran hindert, einen ungerechtfertigten erheblichen Vermögensnachteil
abzuwenden (Art. 38 Abs. 2 KAG). Gestützt darauf entbindet die Anwaltskammer
des Kantons Bern den Anwalt vom Berufsgeheimnis, wenn er eine umstrittene
Honorarforderung gerichtlich geltend machen muss, es sei denn, es bestehe ein
überwiegendes Interesse des Auftraggebers an der Geheimhaltung. Im Falle der
Beschwerdeführerin schloss sie, wie anschliessend das Verwaltungsgericht,
zutreffend auf ein erhebliches Interesse des Anwalts, liege doch eine
Honorarforderung in beträchtlicher Höhe vor, deren Bezahlung die
Beschwerdeführerin offensichtlich verweigere. Die Anwaltskammer gab in ihrem
Entscheid auch wieder, was die Beschwerdeführerin zur Darlegung ihres angeblich
überwiegenden Geheimhaltungsinteresses geltend machte. Das Verwaltungsgericht
hielt dafür, die Beschwerdeführerin habe dieses Interesse damit nicht näher
substantiiert. Diese begnügt sich damit zu behaupten, sie habe das Bestehen
eines solchen auf mehreren Seiten dargelegt, ohne vor Bundesgericht
aufzuzeigen, welche massgeblichen Äusserungen die Anwaltskammer oder - im
Rahmen seiner summarischen Prüfung - das Verwaltungsgericht übersehen hätten
oder welche konkreten relevanten Erkenntnisse sich aus den Disziplinarakten,
deren Beizug sie angeregt habe, gewinnen liessen.
Insgesamt vermag die Beschwerdeführerin den Vorwurf nicht zu begründen, das
Verwaltungsgericht habe die bei ihm hängige Beschwerde hinsichtlich des
Hauptgegenstandes (Frage der Entbindung vom Berufsgeheimnis) zu Unrecht als
aussichtslos erachtet.

2.4 Die der Beschwerdeführerin die unentgeltliche Prozessführung verweigernde
Verfügung des Verwaltungsgerichts verletzt in keinerlei Hinsicht
schweizerisches Recht im Sinne von Art. 95 BGG. Die Beschwerde ist im Sinne von
Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG offensichtlich unbegründet und im vereinfachten
Verfahren abzuweisen.

2.5 Die Beschwerdeführerin hat auch vor Bundesgericht um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege ersucht. Dem Gesuch kann wegen Aussichtslosigkeit
der Beschwerde nicht entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 BGG).
Damit sind die Gerichtskosten (Art. 65 BGG) dem Verfahrensausgang entsprechend
der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Verwaltungsrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.

5.
Lausanne, 28. April 2008
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Feller