Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.149/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_149/2008

Urteil vom 24. Oktober 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller, Karlen, Bundesrichterin Aubry Girardin,
Gerichtsschreiber Küng.

Parteien
X.________ und Y.________,
Beschwerdeführer,
gesetzlich vertreten durch die Eltern A.________ und B.________,
diese vertreten durch Rechtsanwalt Gerold Meier,

gegen

Stadtschulrat Schaffhausen,

Erziehungsrat des Kantons Schaffhausen.

Gegenstand
Art. 15 BV und Art. 9 EMRK (Dispensation vom Schwimmunterricht aus religiösen
Gründen).

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom
14. Dezember 2007.

Sachverhalt:

A.
Der tunesische Staatsangehörige A.________ ersuchte am 25. Oktober 2006 den
Stadtschulrat der Stadt Schaffhausen, seine beiden Söhne X.________ (geb. 1995)
und Y.________ (geb. 1997) vom obligatorischen Schwimmunterricht an der
Primarschule Steingut (5. bzw. 4. Klasse) zu dispensieren. Er verwies darauf,
dass seine Familie dem Islam angehöre und ein geschlechtlich gemischter
Schwimmunterricht mit ihren religiösen Überzeugungen nicht vereinbar sei. Die
zuständige Kreisschulbehörde des Stadtschulrats lehnte das Gesuch am 1.
November 2006 ab. Der Erziehungsrat des Kantons Schaffhausen wies den Rekurs,
den X.________ und Y.________ gegen diesen Entscheid erhoben hatten, am 11.
April 2007 ebenfalls ab. Die beim Obergericht des Kantons Schaffhausen dagegen
eingereichte Beschwerde blieb ohne Erfolg.

B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen X.________
und Y.________ dem Bundesgericht, den Entscheid des Obergerichts des Kantons
Schaffhausen vom 14. Dezember 2007 aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid
an dieses zurückzuweisen, eventuell sie vom gemeinsamen Schwimmunterricht mit
den Mädchen zu dispensieren.
Der Stadtschulrat und der Erziehungsrat stellen gemeinsam den Antrag, die
Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Das Obergericht hat sich zur Beschwerde vernehmen lassen, ohne einen
ausdrücklichen Antrag zu stellen.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde in öffentlicher Sitzung beurteilt.
Erwägungen:

1.
1.1 Das in Frage stehende Gesuch um Befreiung vom Schwimmunterricht wurde vor
mehr als zwei Jahren gestellt. Ob die Beschwerdeführer heute noch ein aktuelles
Rechtsschutzinteresse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheides haben
(Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG), kann offen bleiben, da sich die mit der Beschwerde
aufgeworfene Frage jederzeit und unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder
stellen könnte, an ihrer Beantwortung wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung ein
hinreichendes öffentliches Interesse besteht und eine rechtzeitige
bundesgerichtliche Prüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre (vgl. BGE 131 II
670 E. 1.2).

1.2 Die vorliegende Beschwerde ist von den beiden Beschwerdeführern (geb. 1995
und 1997), gesetzlich vertreten durch ihre Eltern, erhoben worden. Die beiden
Knaben sind heute noch nicht 16 Jahre alt, womit gemäss Art. 303 Abs. 1 ZGB
noch die Eltern über ihre religiöse Erziehung verfügen. Vor Vollendung des 16.
Altersjahres kann sich das urteilsfähige Kind (Art. 11 Abs. 2 BV) zwar selber
auf seine Glaubens- und Gewissensfreiheit berufen; wahrzunehmen sind seine
Rechte jedoch grundsätzlich durch die Eltern (Art. 304 Abs. 1 ZGB; BGE 119 Ia
178 E. 2b). Auf deren form- und fristgerechte Beschwerde ist daher einzutreten.

2.
2.1 Streitgegenstand bildet die Frage, ob die beiden Beschwerdeführer
männlichen Geschlechts gestützt auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art.
15 BV und Art. 9 EMRK) Anspruch auf Dispensation vom Besuch des
gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterrichts an der Primarschule Schaffhausen
haben.

2.2 Die kantonalen Instanzen haben dies verneint und änderten damit ihre eigene
bisherige Praxis, nach welcher Knaben und Mädchen islamischen Glaubens eine
solche Dispensation gewährt wurde. Die zuvor eingenommene Haltung der Behörden
stützte sich auf einen Entscheid des Bundesgerichts aus dem Jahre 1993, in dem
ein Recht muslimischer Schülerinnen auf Befreiung vom Schwimmunterricht
grundsätzlich anerkannt worden war (BGE 119 Ia 178 ff.). Die inzwischen
eingetretenen soziokulturellen Veränderungen haben bei den kantonalen Behörden
in dieser Frage zu einem Meinungsumschwung geführt. Die Vorinstanz legt im
angefochtenen Entscheid die Gründe, die eine Praxisänderung rechtfertigten,
näher dar. So spreche eine Güterabwägung unter den heute gegebenen
tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen gegen eine Dispensation
muslimischer Schulkinder - Knaben und Mädchen - vom gemischtgeschlechtlichen
Schwimmunterricht, da es einerseits nicht um eine zentrale, allgemein
anerkannte Forderung muslimischen Glaubens gehe und anderseits erhebliche und
überwiegende Interessen der Geschlechtergleichstellung und der
gesellschaftlichen Integration der Ausländer eine Teilnahme aller Schüler an
diesem Unterricht erforderten.
Die Beschwerdeführer bestreiten, dass triftige Gründe für die vorgenommene
Praxisänderung vorliegen. Die Vorinstanz übersehe, dass die Religionsfreiheit
alle Glaubenssätze - auch die weniger zentralen - schütze, eine erfolgreiche
Integration Toleranz in Glaubensfragen voraussetze und sich die Verhältnisse
seit dem letzten Entscheid des Bundesgerichts überhaupt nicht verändert hätten.

3.
Eine Änderung der Praxis lässt sich regelmässig nur begründen, wenn die neue
Lösung besserer Erkenntnis der ratio legis, veränderten äusseren Verhältnissen
oder gewandelter Rechtsanschauung entspricht; andernfalls ist die bisherige
Praxis beizubehalten (BGE 132 III 770 E. 4 S. 777). Eine Praxisänderung muss
sich deshalb auf ernsthafte sachliche Gründe stützen können, die - vor allem im
Interesse der Rechtssicherheit - umso gewichtiger sein müssen, je länger die
als falsch oder nicht mehr zeitgemäss erachtete Rechtsanwendung gehandhabt
worden ist (BGE 126 II 122 E. 5 S. 129). Es ist zu prüfen, ob die von der
Vorinstanz angeführten Argumente so gewichtig sind, dass sich eine Änderung der
vom Bundesgericht eingehend begründeten Rechtsprechung rechtfertigt.

4.
4.1 Knaben und Mädchen streng islamischen Glaubens ist es untersagt, an einem
gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht teilzunehmen. Das gilt aus
religiös-erzieherischen Gründen bereits für die Zeit vor Eintritt der
Geschlechtsreife. Eine Ausnahme besteht nur für im Koran näher umschriebene
Angehörige (BGE 119 Ia 178 E. 4d S. 186).

4.2 Die Beschwerdeführer berufen sich auf diese Glaubensregel. Sie haben im
kantonalen Verfahren eine am 5. Februar 2007 verfasste Erklärung des Imams der
Grossen Moschee von Genf eingereicht, woraus hervorgeht, dass Schwimmen nicht
erlaubt sei, wo Mädchen und Knaben zusammen seien; es gelte zu verhindern, dass
sie gegenseitig ihre Reize betrachteten. Die Beschwerdeführer machen
ausdrücklich geltend, nach den muslimischen Geboten dürften sie als Gläubige
nicht den weitgehend nackten Körper des anderen Geschlechts sehen; beim
Schwimmen träfen sie auf Mädchen, die viel weniger bekleidet seien, als dies
der Glaube erlaube; der Koran auferlege dem Gläubigen, den Blick zu senken,
wenn ihm Menschen begegneten, deren Awra (Körper zwischen Bauchnabel und Knie)
nicht bedeckt sei; dieses Gebot könnten die Beschwerdeführer beim gemeinsamen
Schwimmen mit den Mädchen nicht einhalten (Beschwerde S. 7 f.). Da die
Beschwerdeführer insoweit keine Einschränkung anbringen, ist davon auszugehen,
dass dieses Gebot für sie unabhängig von der Glaubenszugehörigkeit der Mädchen
gilt.

4.3 Die Vorinstanz anerkennt, dass die Beachtung der erwähnten religiösen
Vorschrift verfassungsrechtlichen Schutz geniesst. Sie führt jedoch aus, dass
nur ein Teil der muslimischen Bevölkerung den Koran in diesem strengen Sinn
interpretiere. Für die anderen genüge es, dass der Körper hinreichend bedeckt
und die Intimsphäre geschützt sei. Das Verbot des gemischtgeschlechtlichen
Schwimmens zähle deshalb nicht zu den zentralen Forderungen des muslimischen
Glaubens, sondern sei Ausfluss einer sehr strengen dogmatischen bzw.
patriarchalischen Auffassung, die von vielen Muslimen nicht geteilt werde.
Dafür könne zwar der Schutz der Religionsfreiheit beansprucht werden, doch
komme ihm bei der Interessenabwägung ein geringeres Gewicht zu als anderen
Glaubensinhalten.

4.4 Der religiös neutrale Staat kann Glaubensregeln nicht auf ihre theologische
Richtigkeit - insbesondere nicht auf ihre Übereinstimmung mit den heiligen
Schriften - überprüfen (vgl. BGE 119 Ia 178 E. 4c S. 185). Ebenso ist es ihm
verwehrt, die Bedeutung einer religiösen Vorschrift und damit ihr Gewicht bei
der Interessenabwägung selber festzustellen. In diesem Punkt haben die
staatlichen Organe vielmehr von der Bedeutung auszugehen, welche die religiöse
Norm für die Beschwerdeführer hat. In einem neuen Entscheid hat das
Bundesgericht in Bestätigung dieser Rechtsprechung erklärt, Glaubensinhalte,
die ein religiös motiviertes Verhalten begründen oder bestimmte
Bekleidungsweisen nahelegen, seien grundsätzlich nicht zu überprüfen (BGE 134 I
56 E. 4 und 5.2).
Das verkennt die Vorinstanz, wenn sie dem Verbot des gleichgeschlechtlichen
Schwimmens deshalb einen geringen Stellenwert einräumt, weil es für die
Mehrheit der Muslime nicht zu den zentralen Forderungen ihres Glaubens gehöre.
Die Beschwerdeführer teilen in dieser Hinsicht gerade nicht die religiösen
Auffassungen der Mehrheit der hier lebenden Muslime. Sie machen vielmehr
geltend, es stehe für sie ein absolutes Verbot in Frage, über das sie sich
nicht hinwegsetzen könnten. Im kantonalen Verfahren ist die Glaubwürdigkeit
dieser Behauptung nicht in Zweifel gezogen worden. Wie das Bundesgericht
bereits früher festgestellt hat, hängt eine erfolgreiche Berufung auf die
Religionsfreiheit nicht davon ab, ob eine religiöse Überzeugung stark vom
Landesüblichen abweicht oder ob sie von allen Glaubensangehörigen
gleichermassen befolgt wird. Dieses Grundrecht schützt vielmehr ebenso die
Überzeugungen religiöser Minderheiten (BGE 119 Ia 178 E. 7e S. 193 und E. 8a S.
194).

4.5 Indem die Vorinstanz der von den Beschwerdeführern angerufenen religiösen
Glaubensregel nur einen beschränkten Stellenwert einräumt, weicht sie von der
bisherigen und erst kürzlich bestätigten Rechtsprechung in einem zentralen
Punkt ab. Ihre dafür angeführte Begründung vermag nicht zu überzeugen, so dass
insoweit kein Anlass für eine Praxisänderung besteht.

4.6 Es ist demnach davon auszugehen, dass die Verpflichtung zur Teilnahme am
gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht einen Eingriff in die
Religionsfreiheit der Beschwerdeführer darstellt.

5.
5.1 Die durch Art. 15 BV und Art. 9 EMRK sowie den von den Beschwerdeführern
nicht angerufenen Art. 18 UNO-Pakt II (SR 0.103.2) gleichermassen
gewährleistete Religionsfreiheit umfasst sowohl die innere Freiheit, zu
glauben, nicht zu glauben oder seine religiösen Anschauungen zu ändern, wie
auch die äussere Freiheit, entsprechende Überzeugungen - innerhalb gewisser
Schranken - zu äussern, zu praktizieren und zu verbreiten. Zum nicht
einschränkbaren Kernbereich gehört einzig die innere Religionsfreiheit im Sinne
der inneren Überzeugung; die äussere Glaubensfreiheit kann hingegen unter den
Voraussetzungen von Art. 36 BV eingeschränkt werden (vgl. BGE 134 I 56 E. 4.3,
mit Hinweisen).

5.2 Dass die in Frage stehende Verpflichtung nicht den unantastbaren Kerngehalt
der Religionsfreiheit berührt, liegt auf der Hand. Betroffen sind Konflikte,
die daraus entstehen können, dass gewisse kulturell-religiös verankerte,
inhaltlich jedoch das Alltagsleben betreffende Verhaltensnormen mit der in der
Schweiz geltenden staatlichen Rechtsordnung kollidieren. Es ist somit zu
prüfen, ob die Verpflichtung eine unter dem Blickwinkel von Art. 36 BV
zulässige Einschränkung der Glaubens- und Gewissensfreiheit der
Beschwerdeführer darstellt.

6.
6.1 Die Beschwerdeführer rügen erstmals vor Bundesgericht das Fehlen einer
hinreichenden gesetzlichen Grundlage.

6.2 Personengruppen, die wie Primarschüler zum Staat in einer besonders engen
Rechtsbeziehung stehen (sogenanntes Sonderstatus- oder besonderes
Rechtsverhältnis), können sich grundsätzlich ebenfalls auf die
Religionsfreiheit berufen. In solchen Fällen hat die formellgesetzliche
Regelung - abgesehen von der Begründung des Sonderstatusverhältnisses selber -
allerdings nicht ins Detail zu gehen, sondern darf der Natur des
Rechtsverhältnisses entsprechend weit gefasst sein; namentlich darf die
Regelung der Einzelheiten an Exekutivorgane delegiert werden (vgl. BGE 123 I
296 E. 3, mit Hinweisen).

6.3 Der Turn- und Sportunterricht ist an allen Volksschulen obligatorisch (Art.
68 Abs. 3 BV, Art. 2 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 17. März 1972 über die
Förderung von Turnen und Sport [SR 415.0]). Die damit erfassten Sportfächer
werden vom Bundesrecht nicht näher umschrieben. Sie werden indessen im Kanton
Schaffhausen durch den Lehrplan bestimmt, der vom Erziehungsrat erlassen wird.
Die (mehrere hundert Seiten umfassenden) Lehrpläne werden seit 1985 nicht mehr
im Amtsblatt veröffentlicht und in die kantonale Gesetzessammlung und das
Rechtsbuch aufgenommen; sie können jedoch beim kantonalen Erziehungssekretariat
eingesehen werden (Art. 22 Abs. 1 des kantonalen Schulgesetzes vom 27. April
1981 [SchulG/SH], Fn 14). Der Lehrplan ist auch im Internet auf der
Serviceplattform Bildung des Kantons Schaffhausen ohne weiteres zu finden
(Suchbegriff: "Lehrplan Schaffhausen"). Entgegen der Behauptung der
Beschwerdeführer ist somit kein besonderes Computerprogramm erforderlich,
welches nur gegen eine Entschädigung erworben werden kann.
Nach dem Lehrplan des Kantons Schaffhausen zählt zum Fachbereich Sport
(Unterstufe) der Lernbereich Spiel und Sport im Wasser; eines der Lernziele
bildet das Beherrschen einer frei wählbaren Schwimmart. Schwimmen ist somit im
Kanton Schaffhausen Teil des obligatorischen Sportunterrichts.

6.4 Gemäss Art. 62 Abs. 2 BV sorgen die Kantone für einen ausreichenden
Grundschulunterricht, der obligatorisch ist und allen Kindern offen steht.
Diese Bestimmung trifft keine Unterscheidungen nach der
Geschlechtszugehörigkeit der Kinder; es ist daher davon auszugehen, dass von
Verfassungs wegen der Grundschulunterricht grundsätzlich gemischtgeschlechtlich
erteilt werden kann.
Das kantonale Schulgesetz hält in dieser Hinsicht fest, dass beide Geschlechter
Anspruch auf gleiche Bildungsmöglichkeiten haben (Art. 19 Abs. 1 SchulG/SH) und
dass für Knaben und Mädchen die gleiche Ausbildung anzubieten ist (Art. 22 Abs.
3 SchulG/SH). Da somit auf Stufe der Grundschule keine Trennung der
Geschlechter vorgesehen ist, darf bzw. soll auch der obligatorische
Schwimmunterricht nach der gesetzlichen Regelung des Kantons Schaffhausen
grundsätzlich gemischtgeschlechtlich stattfinden. Dass der Sportunterricht in
höheren Klassen bzw. an der Oberstufe im Kanton Schaffhausen nach Geschlechtern
getrennt erteilt wird, steht dem nicht entgegen.

6.5 Angesichts des Sonderstatusverhältnisses, dem die Grundschüler unterstehen,
bildet die in Frage stehende kantonale Regelung eine genügende gesetzliche
Grundlage für den obligatorischen, gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht
an der Unterstufe der öffentlichen Grundschulen im Kanton Schaffhausen. Die
nähere normative Regelung braucht nicht in einem Gesetz im formellen Sinn
festgelegt zu sein (vgl. BGE 119 Ia 178 E. 6c).

7.
7.1 Das Obligatorium des Schulbesuches - einschliesslich der vom kantonalen
Recht statuierten Pflicht zur Teilnahme am Schwimmen im Rahmen des
Sportunterrichts - dient der Wahrung der Chancengleichheit aller Kinder und
darüber hinaus auch derjenigen zwischen den Geschlechtern bzw. der
Gleichstellung von Mann und Frau in der (Aus-)Bildung; sie fördert zudem die
Integration von Angehörigen anderer Länder, Kulturen und Religionen und ist
somit unbestrittenermassen von gewichtigem öffentlichen Interesse (BGE 119 Ia
178 E. 7c). Dies wird von den Beschwerdeführern zu Recht nicht in Frage
gestellt. Soweit im zitierten Urteil das Schwimmen als verzichtbarer Lehrinhalt
bezeichnet wird, kann daran - nachdem inzwischen am 24. Februar 1997 die
UNO-Kinderrechtskonvention in Kraft getreten ist, welche insbesondere
festschreibt, dass bei allen Massnahmen, die Kinder betreffen, das Wohl des
Kindes vorrangig zu berücksichtigen ist (Art. 3 Ziff. 1) - nicht festgehalten
werden. Denn heute werden immer mehr Wassersportarten auch von Kindern und
Jugendlichen ausgeübt (Aquaparks, Thermalbäder, Kanufahren, Riverrafting,
Wasserwandern, Windsurfen etc.). Es ist deshalb zunehmend von Bedeutung, dass
schon Kinder mit dem Element Wasser vertraut gemacht werden und schwimmen
können. Mitunter ertrinken heute Kinder und Jugendliche - u.a. auch bei
Schulanlässen -, weil sie nicht schwimmen können (vgl. Urteil 6S.358/2004 vom
10. November 2004: Tod eines Schülers, der beim Besuch eines Aquaparks
verschwieg, dass er Nichtschwimmer war). Dem gemeinsam geführten
Sportunterricht kommt im in der Schweiz bestehenden gesellschaftlichen Umfeld
zudem eine - im Interesse des Kindes liegende - wichtige sozialisierende
Funktion zu. Insbesondere gilt es zu vermeiden, dass die Kinder islamischen
Glaubens bereits auf der Schulstufe in eine Aussenseiterrolle gedrängt werden.
Es besteht somit ein erhebliches öffentliches Interesse am Besuch des
Schwimmunterrichts durch alle Schüler, die den sich dabei stellenden
Anforderungen körperlich auch gewachsen sind.

7.2 Das öffentliche Interesse, dass alle Schüler den obligatorischen
gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht besuchen, ist abzuwägen gegenüber
dem Interesse der Beschwerdeführer, sich auf die Einhaltung einer nach ihrer
Auffassung wesentlichen religiösen Regel berufen zu können. Dabei ist von
Bedeutung, dass nicht etwa die Teilnahme an einer Veranstaltung in Frage steht,
die inhaltlich einen Bezug zu religiösen Überzeugungen hätte, wie dies bei der
Erteilung von Religionsunterricht oder bei eigentlichen Kulthandlungen der Fall
wäre. Es geht nicht um den Inhalt des Lehrstoffes - auch Muslime halten Sport-
und Schwimmunterricht für sinnvoll -, sondern allein um die äusseren
Bedingungen der Unterrichtserteilung.
Seit dem Entscheid des Bundesgerichts im Jahre 1993 haben die bereits in jenem
Entscheid berücksichtigten wichtigen Integrationsanliegen in der Öffentlichkeit
noch vermehrtes Gewicht erhalten. Ihre ausdrückliche Aufnahme im Bundesgesetz
vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (Art. 4 und 53 ff.
AuG; SR 142.20; vgl. auch Art. 85 Abs. 2 KV/SH) belegt diese Entwicklung.
Verändert hat sich auch die religiöse Zusammensetzung der schweizerischen
Wohnbevölkerung: Während im Jahre 1990 noch 152'200 Angehörige islamischer
Gemeinschaften in der Schweiz lebten, waren es im Jahr 2000 bereits 310'800
(davon 88,3% Ausländer [56,4% aus Ex-Jugoslawien, v.a. aus dem Kosovo; 20,2%
aus der Türkei], 3,9% Schweizer seit der Geburt: vgl. CLAUDE BOVAY,
Eidgenössische Volkszählung 2000, Religionslandschaft in der Schweiz, Bundesamt
für Statistik, Neuenburg, Dezember 2004). Heute wird ihre Zahl auf gegen
400'000 geschätzt (UWE STOLZ, Schweiz auf dem Weg zum Islam-Staat, Internet:
www.israswiss.ch). Die islamische Wohnbevölkerung liegt jedenfalls bereits seit
1980 zahlenmässig nach der römisch-katholischen und der
evangelisch-reformierten an dritter Stelle. Diese Zahlen zeigen, dass
Streitigkeiten über einen Dispens vom Schwimmunterricht zwar auch Muslime
schweizerischer Nationalität treffen können; sie präsentieren sich indessen
schwergewichtig als Problem der Ausländerintegration. Die Vorinstanz spricht
daher denn auch zu Recht von einer "multikulturellen Schulrealität". Diese
verlangt heute noch vermehrt als früher Anstrengungen zur Angewöhnung und
Einbindung der Kinder und Jugendlichen aus anderen Kulturen in die hier
geltenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Nur auf diese Weise kann ihre
Teilnahme am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben und damit der
soziale Frieden und die Chancengleichheit gewährleistet werden. Aufgabe des
Verfassungsstaates ist namentlich, ein Mindestmass an innerem Zusammenhalt von
Staat und Gesamtgesellschaft herzustellen, welches für ein harmonisches, von
Achtung und Toleranz geprägtes Zusammenleben notwendig ist (vgl. Probleme der
Integration von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz, Bundesamt für
Migration, Juli 2006, S. 86).
Von Ausländern darf und muss erwartet werden, dass sie zum Zusammenleben mit
der einheimischen Bevölkerung bereit sind und die schweizerische Rechtsordnung
mit ihren demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen - die der Staat auch
gegenüber kulturell begründeten abweichenden Ansprüchen zu bewahren hat - sowie
die hiesigen sozialen und gesellschaftlichen Gegebenheiten akzeptieren (vgl.
Botschaft des Bundesrates vom 8. März 2002 zum Bundesgesetz über die
Ausländerinnen und Ausländer, BBl 2002 3714, 3797 ff.). Wer in ein anderes Land
emigriert, muss regelmässig gewisse Einschränkungen und Änderungen seiner
Lebensgewohnheiten in Kauf nehmen. Dies bedeutet keineswegs eine Preisgabe der
Religionsfreiheit. Es geht dabei regelmässig nicht um den Kerngehalt dieses
Grundrechts, sondern lediglich um Konflikte, die daraus entstehen können, dass
gewisse kulturell-religiös verankerte, inhaltlich aber das Alltagsleben
betreffende Verhaltensnormen mit den hier geltenden Regeln kollidieren.
Glaubensansichten entbinden jedoch nicht von der Erfüllung der bürgerlichen
Pflichten. Diese in der bisherigen Bundesverfassung (Art. 49 Abs. 5 aBV) noch
ausdrücklich verankerte Regel muss als Grundsatz weiterhin gelten.
Im sozialen Einbindungsprozess kommt der Schule eine besonders wichtige Aufgabe
zu (vgl. BBl 2002 3800 f.). Sie soll zunächst eine Grundbildung vermitteln.
Dieses Ziel kann sie nur erreichen, wenn seitens der Schüler die Verpflichtung
besteht, die obligatorischen Fächer und Veranstaltungen zu besuchen. Im
Gegenzug muss die Schule ein offenes, gesellschaftsübliches Umfeld bieten und
den Geboten der weltanschaulichen Neutralität und der Laizität strikt
nachleben. In diesem Rahmen darf die Schule angesichts der grossen Bedeutung
des Pflichtangebots aber darauf bestehen, dass ihre Lehrveranstaltungen für
alle obligatorisch sind und dass sie nicht für alle persönlichen Wünsche eine
abweichende Sonderregelung vorsehen oder zulassen muss. Dies gilt auch für
Ausnahmen zur Beachtung religiöser Gebote, die mit dem Schulprogramm
kollidieren. Dem obligatorischen Schulunterricht kommt hier grundsätzlich der
Vorrang zu, weshalb allfällige Ausnahmen nur mit Zurückhaltung zu gewähren
sind. Der Sportunterricht dient zudem in hohem Mass der Sozialisierung der
Schüler. Diesen Zweck kann er nur erfüllen, wenn der Unterricht (wie auch
Klassenlager und Skilager etc.), wie in der Schweiz allgemein üblich, gemeinsam
stattfindet.
Bei der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass es beim hier in Frage
stehenden Verbot darum geht, dass die beiden männlichen Beschwerdeführer beim
Besuch des obligatorischen gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterrichts
gezwungen wären, bestimmte Teile des weiblichen Köpers im Bereich vom
Bauchnabel bis zu den Knien zu sehen. Es liegt auf der Hand, dass sich solche
Anblicke für die Beschwerdeführer beim gemeinsamen Schwimmunterricht mit
Mitschülerinnen in Badekostümen nicht vermeiden lassen. Dies gilt indessen in
der Schweiz für viele Bereiche des alltäglichen Lebens. Denn es lässt sich
nicht verhindern, dass die Beschwerdeführer hier täglich Frauen und Mädchen
erblicken, bei welchen der in Frage stehende Körperbereich teilweise unverhüllt
sichtbar ist. Bauchfreie Bekleidung und kurze Röcke gehören (auch) in der
Schweiz zum üblichen Strassenbild. Im Alltag kann den Beschwerdeführern die
Konfrontation mit in der Schweiz gängigen Bekleidungsformen somit ohnehin nicht
erspart werden. Dies gilt auch in den übrigen europäischen Staaten. In all
diesen Ländern werden Kinder nicht nur durch Begegnungen auf der Strasse,
sondern auch durch Abbildungen in den Medien mit knapp bekleideten menschlichen
Körpern des anderen Geschlechts konfrontiert und müssen damit umzugehen lernen.
Es kommt weiter hinzu, dass die hier in Frage stehende Glaubensregel auch nicht
mit den für die Mädchen islamischen Glaubens geltenden Bekleidungsvorschriften
gleichgestellt werden kann. Diese gebieten den Frauen das Verhüllen des eigenen
Körpers und richten sich an die Gläubigen selber. Die Frauen können selber
entscheiden, ob sie diese Gebote befolgen wollen. Anders verhält es sich beim
verpönten Anblick von Körperteilen des anderen Geschlechts. Hier kann der
gläubige Schüler nicht verlangen, dass die Mitschülerinnen anderen Glaubens
ihren Körper entsprechend den islamischen Bekleidungsvorschriften verhüllen,
nur um ihm diesen Anblick zu ersparen.
Die Anerkennung eines Rechts, muslimische Kinder generell vom kollektiven
Schwimmunterricht zu befreien, würde den vielfältigen Bestrebungen zur
Integration dieser Bevölkerungsgruppe zuwiderlaufen. Namentlich würde damit den
betroffenen Kindern erheblich erschwert, sich an das in der hiesigen
Gesellschaft übliche natürliche Zusammensein mit dem anderen Geschlecht zu
gewöhnen. Die Kinder müssten zur Vermeidung des Anblicks von Personen des
anderen Geschlechts in Badekostümen sogar auf die Benützung öffentlicher
Badeanstalten und Strandbäder verzichten.

7.3 Wenn daher die Behörden des Kantons Schaffhausen gestützt auf die im
angefochtenen Entscheid angestellten grundsätzlichen Erwägungen die bisherige
Dispensationspraxis nicht weiterführen, sondern den gemischtgeschlechtlichen
Schwimmunterricht - verbunden mit flankierenden Massnahmen (eigene
körperbedeckende Badebekleidung, getrenntes Umziehen und Duschen) - auch für
moslemische Kinder vorschreiben wollen, kann darin kein unzulässiger Eingriff
in die Religionsfreiheit erblickt werden.
Der vorliegende Fall ist im Übrigen nicht vergleichbar mit dem in BGE 134 I 114
beurteilten Sachverhalt. Dort ging es nicht um regelmässig stattfindenden
obligatorischen Unterricht, sondern um die einmal abzulegende
Maturitätsprüfung: Streitig war die Verweigerung eines Dispenses gegenüber
einem Schüler, welcher einer dem Gebot der Samstags-Ruhe strikt verpflichteten
Glaubensgemeinschaft angehört, von schriftlichen Maturitätsprüfungen an einem
Samstag. Diese Grundrechtseinschränkung erachtete das Bundesgericht als
unverhältnismässig, da insbesondere wegen krankheits- und unfallbedingten
Absenzen ohnehin Nachholtermine an anderen Tagen vorgesehen werden mussten und
nichts entgegen stand, den Schüler an solchen Terminen zur Prüfung aufzubieten.

8.
Die Beschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen. Da die Rechtsbegehren der
Beschwerdeführer nicht aussichtslos erschienen und die weiteren Voraussetzungen
(Art. 64 BGG) erfüllt sind, ist ihnen die unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung zu gewähren. Auf die Erhebung von Gerichtskosten wird
verzichtet.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Den Beschwerdeführern wird für das Verfahren vor Bundesgericht die
unentgeltliche Rechtspflege gewährt.
a) Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
b) Rechtsanwalt Gerold Meier, Schaffhausen, wird zum unentgeltlichen
Rechtsbeistand bestellt und aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 3'000.--
entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. Oktober 2008

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Küng