Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.594/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_594/2008

Urteil vom 27. Mai 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Eusebio,
Gerichtsschreiber Kappeler.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Andreas Maurer,

gegen

Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern, Administrative
Verkehrssicherheit,
Schermenweg 5, Postfach, 3001 Bern.

Gegenstand
Entzug des Führerausweises,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 2. Juli 2008 der Rekurskommission des
Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern.
Sachverhalt:

A.
X.________ lenkte am 22. Januar 2008 um etwa 20.00 Uhr seinen Personenwagen auf
der Burgdorfstrasse in Langnau von Zollbrück herkommend in Richtung
Ilfiskreisel. Er fuhr dabei nach seinen eigenen Angaben mit einer
Geschwindigkeit von 40 bis 45 km/h. Unmittelbar vor dem auf der Höhe des
Stämpfli-Areals befindlichen Fussgängerstreifen wurde er durch ein
entgegenkommendes Fahrzeug geblendet. Er erkannte daher einen Fussgänger zu
spät, der den Fussgängerstreifen von links nach rechts überquerte und noch etwa
einen Meter vom gegenüberliegenden Trottoir entfernt war. X.________ bremste
sofort brüsk ab, konnte aber eine Kollision nicht mehr verhindern. Er prallte
mit seiner Fahrzeugfront gegen den Fussgänger, der in der Folge zu Fall kam.
Der Fussgänger zog sich schwere Prellungen zu und begab sich deswegen
schliesslich zu einer ärztlichen Untersuchung im Spital Langnau. Im fraglichen
Zeitpunkt war die Burgdorfstrasse feucht und es war Nacht. Der betreffende
Streckenabschnitt verlief gerade und er war durchgehend künstlich beleuchtet.
Die Übersichtsverhältnisse beim Fussgängerstreifen waren gut.
Wegen des Vorfalls vom 22. Januar 2008 wurde X.________ vom
Untersuchungsrichteramt II Emmental-Oberaargau mit Strafmandat vom 5. März 2008
wegen Nichtgewährens des Vortritts gegenüber Fussgängern auf Fussgängerstreifen
gestützt auf Art. 90 Ziff. 1 SVG zu einer Busse von Fr. 700.-- verurteilt. Der
Entscheid ist in Rechtskraft erwachsen.
In der Folge entzog das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern
mit Verfügung vom 6. Mai 2008 X.________ den Führerausweis für die Dauer von
vier Monaten und verpflichtete ihn zum Besuch von einem Tag Verkehrsunterricht.

B.
Gegen diesen Entscheid erhob X.________ Beschwerde bei der Rekurskommission des
Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern und verlangte die
Reduktion der Dauer des Ausweisentzugs auf einen Monat. Mit Entscheid vom 2.
Juli 2008 wies die Rekurskommission die Beschwerde ab. Sie erwog, X.________
habe eine mittelschwere Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften
begangen. Da ihm der Führerausweis in den vorangegangenen zwei Jahren einmal
wegen einer schweren Verkehrsregelverletzung habe entzogen werden müssen, werde
die Entzugsdauer gestützt auf Art. 16b Abs. 2 lit. b SVG auf vier Monate
festgesetzt.

C.
Mit Eingabe vom 30. Dezember 2008 erhebt X.________ beim Bundesgericht
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG). Er
beantragt die Aufhebung des am 2. Juli 2008 ergangenen Entscheids der
Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern und
die Festsetzung der Dauer des Führerausweisentzugs auf einen Monat. Er ersucht
ferner um Gewährung der aufschiebenden Wirkung. Der Beschwerdeführer rügt
sinngemäss eine Verletzung von Bestimmungen des Strassenverkehrsgesetzes.

D.
Mit Präsidialverfügung vom 2. Februar 2009 wurde der Beschwerde aufschiebende
Wirkung zuerkannt.

E.
Die Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern
und das Bundesamt für Strassen beantragen in ihren Vernehmlassungen Abweisung
der Beschwerde. Das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern hat
auf eine Stellungnahme verzichtet. Der Beschwerdeführer verweist in seiner
Replik vollumfänglich auf die Eingabe vom 30. Dezember 2008.

Erwägungen:

1.
1.1 Der angefochtene Entscheid der Rekurskommission ist ein Endentscheid einer
letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG). Ihm liegt ein
Beschwerdeverfahren über einen Führerausweisentzug und damit eine
öffentlich-rechtliche Angelegenheit zu Grunde. Auch die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt und geben zu keinen weiteren
Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.

1.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Soweit der Beschwerdeführer die
vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen beanstandet und eine mangelhafte
Sachverhaltsfeststellung für den Ausgang des Verfahrens entscheidend ist, kann
er indessen nur geltend machen, die Feststellungen seien offensichtlich
unrichtig oder beruhten auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG
(Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
2.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, sein Verschulden sei als leicht
einzustufen. Er sei den Verhältnissen angepasst gefahren. Im Zeitpunkt der
Blendung, mit welcher er nicht habe rechnen müssen, habe er sich bereits nahe
vor dem Fussgängerstreifen befunden. Er habe daraufhin seine Geschwindigkeit
sofort zusätzlich reduziert. Dass der Fussgänger im Zeitpunkt der Blendung in
seinen Sichtbereich getreten sei, sei auf einen unglücklichen Umstand
zurückzuführen. Der Beschwerdeführer bringt zudem vor, angesichts seiner
relativ tiefen Ausgangsgeschwindigkeit habe nur eine geringe Gefahr für die
Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer bestanden. Dass es im vorliegenden Fall
zu einer Kollision gekommen sei, dürfe für sich allein nicht als Indiz dafür
betrachtet werden, dass er eine grössere Gefahr für die Sicherheit anderer
hervorgerufen habe. Die von ihm begangene Widerhandlung sei somit als leicht im
Sinne von Art. 16a SVG zu beurteilen.

2.2 Nach Art. 16a Abs. 1 lit a SVG begeht eine leichte Widerhandlung, wer durch
Verletzung von Verkehrsregeln eine geringe Gefahr für die Sicherheit anderer
hervorruft und ihn dabei nur ein leichtes Verschulden trifft. Wiegt das
Verschulden des Lenkers nicht mehr leicht oder ist die für die Sicherheit
anderer hervorgerufene Gefahr nicht mehr gering, so liegt eine mittelschwere
Widerhandlung im Sinne von Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG vor, sofern nicht die
qualifizierenden Elemente einer schweren Widerhandlung nach Art. 16c Abs. 1
lit. a SVG gegeben sind (vgl. zur Publikation bestimmtes Urteil des
Bundesgerichts 1C_271/2008 vom 8. Januar 2009 E. 2.2).
2.2.1 Mit seinem Verhalten hat der Beschwerdeführer unbestrittenermassen eine
Verkehrsregel verletzt und dadurch einen Unfall verursacht. Nach Art. 33 Abs. 2
SVG hat der Fahrzeugführer vor Fussgängerstreifen besonders vorsichtig zu
fahren und nötigenfalls anzuhalten, um den Fussgängern den Vortritt zu lassen,
die sich schon auf dem Streifen befinden oder im Begriffe sind, ihn zu
betreten. Nach Art. 6 Abs. 1 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962
(VRV; SR 741.11) muss der Fahrzeugführer vor Fussgängerstreifen ohne
Verkehrsregelung jedem Fussgänger oder Benützer eines fahrzeugähnlichen Geräts,
der sich bereits auf dem Streifen befindet oder davor wartet und ersichtlich
die Fahrbahn überqueren will, den Vortritt gewähren. Er muss die
Geschwindigkeit rechtzeitig mässigen und nötigenfalls anhalten, damit er dieser
Pflicht nachkommen kann.
2.2.2 Hinsichtlich der durch den Beschwerdeführer hervorgerufenen Gefahr für
die Sicherheit anderer führt die Vorinstanz aus, diese könne nicht mehr als
gering qualifiziert werden, da der angefahrene Fussgänger zu Fall gekommen sei
und sich schwere Prellungen zugezogen habe. Die Burgdorfstrasse sei zudem
durchgehend beleuchtet und die Übersichtsverhältnisse seien im fraglichen
Bereich gut gewesen, so dass der Beschwerdeführer den Fussgängerstreifen hätte
bemerken und entsprechend vorsichtig fahren müssen. Bei einer Blendung hätte er
seine Geschwindigkeit daher sofort stark reduzieren oder sogar vor dem
Fussgängerstreifen einen Sicherheitsstopp vornehmen müssen. Auch falle auf,
dass der Fussgänger die Fahrbahn im Kollisionszeitpunkt bereits weitgehend
überquert hatte und sich somit bereits einige Zeit auf dem Fussgängerstreifen
befunden haben musste. Aus diesen Umständen leitet die Vorinstanz ab, dass der
Beschwerdeführer den Fussgänger bei genügender Aufmerksamkeit rechtzeitig, d.h.
schon vor der Blendung hätte bemerken müssen. Der Unfall sei somit Folge einer
recht unaufmerksamen Fahrweise des Beschwerdeführers. Es treffe ihn deshalb
nicht nur ein leichtes Verschulden.
2.2.3 Der Beschwerdeführer geht auf die Feststellung der Vorinstanz, dass der
Fussgänger die Fahrbahn im Kollisionszeitpunkt bereits weitgehend überquert
gehabt und sich daher bereits einige Zeit auf dem Fussgängerstreifen befunden
haben muss, nicht ein. Er bringt lediglich vor, im Zeitpunkt der Blendung, in
dem der Fussgänger in seinen Sichtbereich getreten sei, habe er sich mit seinem
Personenwagen bereits nahe vor dem Fussgängerstreifen befunden. Der
Beschwerdeführer vermag somit die Schlussfolgerung der Vorinstanz, dass er bei
genügender Aufmerksamkeit den Fussgänger schon vor der Blendung hätte bemerken
müssen, nicht zu entkräften. Die Kollision mit dem Fussgänger erscheint somit
nicht lediglich als Folge eines Zusammenspiels mehrerer unglücklicher Umstände,
wie der Beschwerdeführer behauptet. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, dass
die Vorinstanz das Verschulden des Beschwerdeführers nicht mehr als leicht
qualifizierte. Dass bei einem unaufmerksamen Fahren innerorts im Bereich eines
Fussgängerstreifens die Möglichkeit einer konkreten Gefährdung oder gar
Verletzung von Fussgängern nahe liegt, die diesen Fussgängerstreifen benützen,
ist offensichtlich. Angesichts der schweren Prellungen, die der angefahrene
Fussgänger erlitt, ist daher auch nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz die
durch den Beschwerdeführer hervorgerufene Gefahr nicht mehr als gering
einstufte. Die Beurteilung der Widerhandlung des Beschwerdeführers im
angefochtenen Entscheid als mittelschwer im Sinne von Art. 16b Abs. 1 lit. a
SVG erweist sich somit als bundesrechtskonform.

Diese Bejahung einer mittelschweren Widerhandlung steht nicht in Widerspruch
zur Strafverfügung. Der Untersuchungsrichter hat den Beschwerdeführer in
Anwendung von Art. 90 Ziff. 1 SVG gebüsst. Diese Bestimmung umfasst sowohl die
leichte als auch die mittelschwere Widerhandlung (vgl. BGE 128 II 139 E. 2c S.
143).
Welche Schlussfolgerungen der Beschwerdeführer aus dem von ihm erwähnten
Entscheid BGE 127 II 302 ff. ableiten will, bei welchem eine Verkehrssituation
zu beurteilen war, die sich von der vorliegenden erheblich unterschied, wird
von ihm nicht dargelegt. Darauf ist deshalb nicht weiter einzugehen.

3.
Bei mittelschweren Widerhandlungen verlangt das Gesetz zwingend den Entzug des
Führerausweises (Art. 16b Abs. 2 SVG). Die Dauer des Entzugs ist nach Art. 16
Abs. 3 SVG zu bemessen, wobei die gesetzliche Mindestentzugsdauer nicht
unterschritten werden darf (Art. 16 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Art. 16c Abs. 2 SVG;
vgl. BGE 132 II 234 E. 2 S. 235 ff.). Gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. a SVG wird
der Führerausweis bei einer mittelschweren Widerhandlung mindestens einen Monat
entzogen. Wenn in den vorangegangenen zwei Jahren der Ausweis einmal wegen
einer schweren oder mittelschweren Widerhandlung entzogen war, dauert der
Entzug mindestens vier Monate (Art. 16b Abs. 2 lit. b SVG).

Dem Beschwerdeführer wurde der Führerausweis mit Verfügung vom 10. April 2007
wegen einer schweren Verkehrsregelverletzung (Fahren im angetrunkenen Zustand
mit einer qualifizierten Blutalkoholkonzentration) für die Dauer von drei
Monaten entzogen. Bei ihm sind somit die Voraussetzungen für einen mindestens
viermonatigen Führerausweisentzug nach Art. 16b Abs. 2 lit. b SVG erfüllt. Da
ihm gegenüber diese Mindestentzugsdauer angeordnet worden ist, bleibt kein Raum
für eine weitergehende Berücksichtigung der von ihm geltend gemachten
beruflichen Massnahmeempfindlichkeit (vgl. BGE 132 II 234 E. 2.3 S. 236 f.).
Der angefochtene Entscheid verstösst somit nicht gegen Bundesrecht.

4.
Die Beschwerde ist daher abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Dem Ausgang des vorliegenden Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten
dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine
Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1 und 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrs- und
Schifffahrtsamt des Kantons Bern, der Rekurskommission des Kantons Bern für
Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern und dem Bundesamt für Strassen,
Sekretariat Administrativmassnahmen, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 27. Mai 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Kappeler