Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.431/2008
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_431/2008

Urteil vom 22. Januar 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Reeb,
Gerichtsschreiber Härri.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer,

gegen

Firma Y.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Konrad
Jeker,
Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502
Solothurn.

Gegenstand
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen an Kolumbien,

Beschwerde gegen das Urteil vom 18. August 2008
des Obergerichts des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer.
Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft von Santafé de Bogotá (Kolumbien) führt ein
Strafverfahren unter anderem gegen X.________ wegen Betrugs.
Am 12. November 1993 (ergänzt am 29. Dezember 1994) ersuchte sie die Schweiz um
Rechtshilfe; dies im Wesentlichen gestützt auf folgenden Sachverhalt:
Die S.________ SA in Belgrad habe der Bank A.________ gegen Bezahlung von
750'000 US-Dollar kolumbianische Pesos zum Kauf angeboten. Am 30. September
1993 habe die Bank A.________ eine Fax-Kopie des der Bank B.________ (London)
übergebenen Zahlungsauftrages der S.________ SA erhalten. Darauf habe die Bank
A.________ die 750'000 US-Dollar am 4. Oktober 1993 auf ein Konto bei der Bank
C.________ in Lugano überwiesen. Der von der S.________ SA geschuldete
Pesos-Betrag sei jedoch nie eingetroffen. Es habe sich herausgestellt, dass es
sich bei der Bestätigung des Zahlungsauftrages um eine Fälschung gehandelt
habe. Mittlerweile seien die 750'000 US-Dollar auf ein Konto bei der damaligen
Bank D.________ in Grenchen, lautend auf X.________, überwiesen worden.
Die Staatsanwaltschaft von Santafé de Bogotá ersuchte um Sperre des Kontos bei
der Bank D.________.
Am 15. November 1993 sperrte der Untersuchungsrichter des Kantons Solothurn den
auf diesem Konto noch vorhandenen Saldo von 159'176.78 US-Dollar. Mit Verfügung
vom 14. März 1994, korrigiert am 21. März 1994, überwies der
Untersuchungsrichter diesen Betrag der Gerichtskasse Solothurn.
Mit Urteil vom 5. November 1996 erkannte das Obergericht des Kantons Solothurn
(Strafkammer), der Betrag von 159'176.78 US-Dollar bleibe im Rahmen des
Rechtshilfeverfahrens zu Handen der kolumbianischen Gerichtsbehörden
beschlagnahmt und sei durch das Untersuchungsrichteramt in gleicher Währung
zinstragend anzulegen.
Die von X.________ dagegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde wies das
Bundesgericht am 21. April 1997 ab, soweit es darauf eintrat (1A.389/1996).

B.
Mit Ersuchen vom 21. Oktober 1996, der Schweizerischen Botschaft in Kolumbien
am 22. Januar 1998 übergeben, verlangte die Strafrichterin 36 von Santafé de
Bogotà die Herausgabe des beschlagnahmten Betrages zu Handen des Gerichtes 36
auf dessen Konto für Sicherstellungen bei der Bank E.________ von Santafé de
Bogotà.
Mit Schlussverfügung vom 26. März 2001 entsprach der Untersuchungsrichter des
Kantons Solothurn dem Rechtshilfeersuchen. Er ordnete die Überweisung der
beschlagnahmten 159'176.78 US-Dollar mitsamt dem inzwischen aufgelaufenen
Ertrag, unter Abzug der Kosten der Vermögensverwaltung, auf das Konto des
Strafgerichts von Santafé de Bogotà (Richterin 36) bei der dortigen Bank
E.________ an.
Die dagegen von X.________ sowie den Firmen F.________ und G.________ erhobene
Beschwerde hiess das Obergericht des Kantons Solothurn (Beschwerdekammer) am
22. Mai 2007 gut. Es hob die Verfügung des Untersuchungsrichters vom 26. März
2001 auf und verweigerte die Rechtshilfe. Es wies die Staatsanwaltschaft des
Kantons Solothurn an, der Firma Y.________ (Rechtsnachfolgerin der Bank
A.________) nach Eintritt der Rechtskraft des obergerichtlichen Urteils Frist
zu setzen zur Anhebung einer Zivilklage auf Herausgabe des beschlagnahmten
Betrages, unter Androhung der Rückgabe des Betrages zuzüglich Zinsen an den
Beschwerdeführer bzw. die Beschwerdeführerinnen.
Die vom Bundesamt für Justiz dagegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde
hiess das Bundesgericht am 11. Februar 2008 gut. Es hob das Urteil des
Obergerichts vom 22. Mai 2007 auf und wies die Sache an dieses zurück (1A.53/
2007, in Pra 2008 Nr. 124 S. 770).

C.
Mit Urteil vom 18. August 2008 trat das Obergericht auf die Beschwerden der
inzwischen aufgelösten Firmen F.________ und G.________ gegen die Verfügung des
Untersuchungsrichters vom 26. März 2001 nicht ein. Die Beschwerde von
X.________ wies es ab.

D.
X.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Obergerichts vom 18. August 2008 und die Schlussverfügung vom 26. März 2001
seien aufzuheben; die Rechtshilfe sei zu verweigern; der beschlagnahmte Betrag
von 159'176.78 US-Dollar (bzw. in der angelegten Währung) sei samt
aufgelaufenen Zinsen dem Beschwerdeführer auszubezahlen.

E.
Das Obergericht beantragt unter Hinweis auf den angefochtenen Entscheid die
Abweisung der Beschwerde.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn hat auf Gegenbemerkungen
verzichtet.
Die Firma Y.________ hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde sie abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Das Bundesamt für Justiz beantragt unter Hinweis auf seine Ausführungen im
Verfahren 1A.53/2007 die Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.
1.1 Kolumbien und die Schweiz sind durch keinen Rechtshilfevertrag miteinander
verbunden. Massgeblich ist deshalb das Bundesgesetz vom 20. März 1981 über
internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz, IRSG; SR 351.1)
mitsamt der dazugehörenden Verordnung vom 24. Februar 1982 (IRSV; SR 351.11).

1.2 Das Rechtshilfegesetz ist mit Bundesgesetz vom 17. Juni 2005, in Kraft seit
dem 1. Januar 2007, geändert worden. Der Untersuchungsrichter hat die
Schlussverfügung vor dem 1. Januar 2007 erlassen. Gemäss Art. 110b IRSG richtet
sich daher das vorliegende Beschwerdeverfahren nach dem bisherigen Recht
(Urteil 1C.53/2007 vom 29. März 2007 E. 1.2).

1.3 Gegen das angefochtene Urteil ist gemäss aArt. 80f Abs. 1 IRSG die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegeben.

1.4 Der Beschwerdeführer ist Inhaber des Kontos, auf dem die 159'176.78
US-Dollar beschlagnahmt worden sind. Er ist nach Art. 80h lit. b IRSG zur
Beschwerde befugt (BGE 127 II 198 E. 2d S. 205, mit Hinweisen).

1.5 Der Beschwerdeführer kann die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich
Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, rügen (Art. 80i Abs. 1 lit. a
IRSG).

Das Bundesgericht prüft im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde die bei
ihm erhobenen Rügen mit freier Kognition. Es ist aber nicht verpflichtet, nach
weiteren der Rechtshilfe allenfalls entgegenstehenden Gründen zu forschen, die
aus der Beschwerde nicht hervorgehen (BGE 112 Ib 576 E. 3 S. 586).

1.6 Die vom Obergericht dem Bundesgericht zugesandten Akten reichen zur
Beurteilung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus. Der Beizug sämtlicher Akten
seit Verfahrensbeginn am 15. November 1993 - wie vom Beschwerdeführer beantragt
- ist nicht erforderlich.

2.
Der Beschwerdeführer macht (S. 4 ff.) geltend, der von den kolumbianischen
Behörden dargestellte Sachverhalt sei falsch. Er habe keinen Betrug begangen.
Darauf ist nicht einzutreten, da im schweizerischen Rechtshilfeverfahren weder
Tat- noch Schuldfragen zu prüfen sind und keine Beweiswürdigung vorzunehmen
ist. Das Bundesgericht hat dies im Urteil vom 11. Februar 2008 (E. 3) bereits
dargelegt. Darauf kann verwiesen werden.

3.
Der Beschwerdeführer wendet (S. 7) ein, die Vorinstanz habe sich mit seinen
Vorbringen zum Sachverhalt nicht auseinander gesetzt. Damit habe sie seinen
Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt.
Die Rüge ist unbegründet. Da die Vorinstanz keine Beweiswürdigung vorzunehmen
hatte, hatte sie keinen Anlass, sich mit den Vorbringen des Beschwerdeführers
dazu auseinander zu setzen.

4.
4.1 Der Beschwerdeführer rügt (S. 8 ff.), das kolumbianische Verfahren leide an
schweren Mängeln. Die Rechtshilfe sei daher nach Art. 2 IRSG unzulässig.

4.2 Am 8. Mai 2001 verurteilte das 52. Bezirksgericht von Bogotá den
Beschwerdeführer in dessen Abwesenheit wegen Betrugs zu 18 Monaten Gefängnis,
bedingt bei einer Probezeit von zwei Jahren, und zu einer Busse. Überdies
ordnete es die Rückerstattung des in der Schweiz beschlagnahmten Betrages an
die Bank A.________ an.
Die Vorinstanz erwägt (S. 18), dem Beschwerdeführer sei dieses Urteil
spätestens im schweizerischen Rechtshilfeverfahren zur Kenntnis gelangt. Er
habe es jedoch nicht angefochten. Er habe die im Rechtshilfeverfahren erhobenen
Rügen zu den Mängeln des kolumbianischen Verfahrens vor den dortigen Gerichten
nie geltend gemacht, sondern sich darauf beschränkt, sich in der Schweiz gegen
die Gewährung der Rechtshilfe zu wehren. Wäre er der Auffassung gewesen, das
Urteil des 52. Bezirksgerichtes sei auf unkorrekte Weise zustande gekommen, er
sei im kolumbianischen Verfahren nicht vertreten gewesen und nicht zu
Verhandlungen vorgeladen bzw. über das dortige Verfahren gar nicht informiert
worden, hätte er gegen das Urteil des 52. Bezirksgerichtes intervenieren
müssen.

4.3 Dagegen bringt der Beschwerdeführer substantiiert nichts vor. Er macht
insbesondere nicht geltend, dass er gegen das in seiner Abwesenheit gefällte
Urteil des 52. Bezirksgerichts nach dessen Kenntnisnahme nichts hätte
unternehmen können. Hätte er aber die Möglichkeit gehabt, die von ihm
behaupteten Mängel des kolumbianischen Verfahrens vor den dortigen
Gerichtsbehörden zu rügen und von diesen beheben zulassen und ist er insoweit
untätig geblieben, ist es widersprüchlich, wenn er nun im schweizerischen
Rechtshilfeverfahren geltend macht, das kolumbianische Verfahren leide an
diesen Mängeln. Der Beschuldigte kann nicht im ersuchenden Staat auf
Rechtsbehelfe verzichten, mit denen er Mängel des dortigen Verfahrens hätte
rügen können, um sich im schweizerischen Rechtshilfeverfahren darauf zu
berufen, das ausländische Verfahren leide an solchen Mängeln. Ein derartiges
Verhalten verdient keinen Rechtsschutz (vgl. BGE 130 III 113 E. 4.2 S. 123).
Die Beschwerde ist deshalb auch im vorliegenden Punkt unbehelflich.

5.
Der Beschwerdeführer rügt (S. 13 ff.), das Rechtshilfeverfahren habe - vor
allem bis zum vorinstanzlichen Urteil vom 22. Mai 2007 - zu lange gedauert.
Überdies macht er Verjährung geltend.
Dazu hat sich das Bundesgericht im Urteil vom 11. Februar 2008 (E. 6) bereits
geäussert. Es hat das Vorbringen als unbegründet beurteilt. Zu einem
abweichenden Entscheid besteht hier kein Anlass.

6.
Soweit der Beschwerdeführer (S. 14 ff.) einwendet, der beschlagnahmte Betrag
von 159'176.78 US-Dollar stamme nicht aus einem Delikt, sondern aus "normalem
Geschäftsverkehr", äussert er sich wiederum zu Beweisfragen. Darauf ist aus dem
oben (E. 2) dargelegten Grund nicht einzutreten.

7.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art.
156 Abs. 1 OG). Er hat der privaten Beschwerdegegnerin für das
bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung zu bezahlen (Art. 159 Abs. 1
und 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Der Beschwerdeführer hat der privaten Beschwerdegegnerin für das
bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 500.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des
Kantons Solothurn, Beschwerdekammer, sowie dem Bundesamt für Justiz schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 22. Januar 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Härri