Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.405/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_405/2008

Urteil vom 18. März 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Haag.

1. Parteien
A.________,
2. B.________ GmbH,
3. C.________,
4. D.________,
5. E.________,
Beschwerdeführer, alle vertreten durch Rechtsanwalt Christian Juchler,

gegen

Casino Zürich AG, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jürg
Sigrist,
Stadt Zürich, Bausektion des Stadtrates,
c/o Amt für Baubewilligungen, Lindenhofstrasse 19, Postfach, 8021 Zürich.

Gegenstand
Baubewilligung (Umbau alte Börse),

Beschwerde gegen den Entscheid vom 2. Juli 2008
des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich,
1. Abteilung, 1. Kammer.
Sachverhalt:

A.
Mit Beschluss vom 19. Dezember 2006 erteilte die Bausektion der Stadt Zürich
der Casino Zürich AG die baurechtliche Bewilligung für die Umnutzung
bestehender Räume in der Liegenschaft "Alte Börse" am Bleicherweg 5 in Zürich
in einen Casinobetrieb mit sogenannter B-Konzession (das heisst ein gegenüber
einem Casino mit A-Konzession eingeschränktes und unterschiedliches
Spielangebot). Gegen diese Baubewilligung erhoben unter anderen A.________, die
B.________ GmbH, C.________, D.________ und E.________ Rekurs bei der
kantonalen Baurekurskommission I. Diese trat auf das Rechtsmittel mit Entscheid
vom 16. November 2007 nicht ein, weil die Rekurrenten nicht legitimiert seien.

Die unterlegenen Rekurrenten gelangten mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht
des Kantons Zürich und beantragten, den Rekursentscheid aufzuheben und auf den
Rekurs einzutreten sowie den Bauentscheid der Stadt Zürich aufzuheben. Das
Verwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Entscheid vom 2. Juli 2008 ab.

B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 15. September 2008
beantragen A.________, die B.________ GmbH, C.________, D.________ und
E.________, der Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 2. Juli 2008 sei
aufzuheben und die Sache sei zu weiteren Sachverhaltsabklärungen und zur
Neubeurteilung an die Vorinstanzen zurückzuweisen. Sie rügen insbesondere eine
Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV), eine
unvollständige und willkürliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts
sowie die unrichtige Anwendung von Art. 33 Abs. 3 lit. a RPG (SR 700) in
Verbindung mit Art. 89 BGG.

C.
Das Verwaltungsgericht und die Bausektion der Stadt Zürich beantragen die
Abweisung der Beschwerde. Die Casino Zürich AG stellt den Antrag, die
Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid, mit welchem den
Beschwerdeführern die Legitimation zur Anfechtung einer baurechtlichen
Bewilligung abgesprochen wurde. Das Urteil des Verwaltungsgerichts stützt sich
auf öffentliches Recht (vgl. Art. 82 lit. a BGG) und stellt einen kantonalen
Endentscheid dar (vgl. Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 i.V.m. Art. 90 BGG).
Die Beschwerdeführer haben am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und
machen u.a. geltend, das Verwaltungsgericht habe ihren Anspruch auf rechtliches
Gehör verletzt, indem es ihnen ihre Rechtsmittelbefugnis abgesprochen habe. Sie
sind im bundesgerichtlichen Verfahren zur Rüge der formellen Rechtsverweigerung
ungeachtet ihrer Legitimation in der Sache berechtigt (Art. 89 Abs. 1 BGG, vgl.
BGE 129 II 297 E. 2.3 S. 301; 127 II 161 E. 3b S. 167). Der Streitgegenstand
ist jedoch auf die Frage der Rechtsverweigerung beschränkt. Auf die rechtzeitig
erhobene Beschwerde ist daher grundsätzlich einzutreten.

2.
2.1 Gemäss Art. 33 Abs. 3 lit. a RPG gewährleistet das kantonale Recht gegen
Verfügungen betreffend die Raumplanung (z.B. Baubewilligungen gemäss Art. 22
RPG) die Legitimation mindestens im gleichen Umfang wie für die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Ferner schreibt
Art. 111 BGG in Fortführung von Art. 98a des früheren
Bundesrechtspflegegesetzes vom 16. Dezember 1943 (OG) die Einheit des
Verfahrens vor: Wer zur Beschwerde an das Bundesgericht berechtigt ist, muss
sich am Verfahren vor allen kantonalen Vorinstanzen als Partei beteiligen
können (Art. 111 Abs. 1 BGG); die unmittelbare Vorinstanz des Bundesgerichts
muss grundsätzlich mindestens die Rügen nach den Art. 95-98 BGG prüfen können
(Art. 111 Abs. 3 BGG). Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass die kantonalen
Behörden die Rechtsmittelbefugnis nicht enger fassen dürfen, als dies für die
Beschwerde an das Bundesgericht vorgesehen ist (vgl. 1C_379/2008 vom 12. Januar
2009 E. 3.2 mit Hinweisen). Zur Beurteilung, ob das Verwaltungsgericht die
Beschwerdeführer vom Rechtsmittel ausschliessen durfte, ist im vorliegenden
Fall die Beschwerdeberechtigung nach den Grundsätzen von Art. 89 Abs. 1 BGG zu
prüfen (Urteil des Bundesgerichts 1C_26/2009 vom 27. Februar 2009 E. 2.1 mit
Hinweisen). Wären die Beschwerdeführer befugt, den Sachentscheid über das
umstrittene Vorhaben am Bleicherweg 5 in Zürich beim Bundesgericht anzufechten,
so müsste das Verwaltungsgericht auf ihr Rechtsmittel eintreten.

2.2 Zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist nach Art. 89
Abs. 1 BGG berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat
oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a); durch den
angefochtenen Entscheid oder Erlass besonders berührt ist (lit. b); und ein
schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat (lit. c). Die
Voraussetzungen von Art. 89 Abs. 1 lit. b und lit. c BGG hängen eng zusammen;
insgesamt kann insoweit an die Grundsätze, die zur Legitimationspraxis bei der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Art. 103 lit. a OG entwickelt worden sind
(vgl. BGE 120 Ib 48 E. 2a S. 51 f., 379 E. 4b S. 386 f.), angeknüpft werden.
Diese Anforderungen sollen die Popularbeschwerde ausschliessen. Will ein
Nachbar eine Baubewilligung anfechten, muss er glaubhaft darlegen, dass er
namentlich in räumlicher Hinsicht eine besondere Beziehungsnähe zum
Streitgegenstand aufweist und dass seine tatsächliche oder rechtliche Situation
durch den Ausgang des Verfahrens beeinflusst werden kann (BGE 133 II 249 E.
1.3.1 S. 252). Dies gilt insbesondere dann, wenn nicht ohne Weiteres
ersichtlich ist, dass die gesetzlichen Legitimationsvoraussetzungen gegeben
sind (BGE 133 II 249 E. 1.1 S. 251). Bei der Beurteilung der
Beschwerdelegitimation ist eine Würdigung aller rechtlich erheblichen
Sachverhaltselemente vorzunehmen. Eine besondere Betroffenheit wird vor allem
in Fällen bejaht, in welchen von einer Anlage mit Sicherheit oder grosser
Wahrscheinlichkeit Immissionen auf das Nachbargrundstück ausgehen (BGE 121 II
171 E. 2b S. 174; 120 Ib 379 E. 4c S. 387) oder die Anlage einen besonderen
Gefahrenherd darstellt und die Anwohner einem besonderen Risiko ausgesetzt
werden (BGE 120 Ib 379 E. 4d S. 388).

2.3 Die Beschwerdeführer berufen sich zur Begründung ihrer Legitimation auf die
zu erwartenden künftigen Immissionen wegen des zusätzlichen Strassenverkehrs,
der auf den Casinobetrieb zurückzuführen sei. Sie wohnen bzw. haben ihren Sitz
alle in einer Entfernung von rund 250 m bis zu 1,7 km vom streitbetroffenen
Bauvorhaben: C.________ rund 250 m an der Stockerstrasse 48, E.________ und die
B.________ GmbH rund 500 m am Bleicherweg 47, D.________ rund 1,5 km an der
Hügelstrasse 9 und A.________ rund 1,7 km an der Rieterstrasse 69. Sie leiten
ihre Legitimation zum Rekurs bzw. zur Beschwerde denn auch nicht aus der nahen
räumlichen Beziehung zum streitbetroffenen Bauvorhaben ab, sondern aus der
wegen des Casinobetriebs befürchteten Zunahme des Strassenverkehrs und den
damit verbundenen Immissionen bei den betroffenen Strassenabschnitten.

2.4 Die Erfassung zukünftiger Immissionen ist nicht eine reine Rechtsfrage,
sondern wesentlich eine Frage der Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts (BGE 112 Ib 154 E. 2 S. 157 mit Hinweis). Das Bundesgericht ist
nach Art. 105 Abs. 2 BGG an die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung
gebunden, soweit diese nicht offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht. Die Beschwerdeführer
beanstanden die vorinstanzlichen tatsächlichen Annahmen in verschiedener
Hinsicht und werfen dem Verwaltungsgericht verschiedene Verfassungsverletzungen
vor (insbesondere Art. 9 und 29 BV). Das Vorgehen des Verwaltungsgerichts steht
jedoch mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung im Einklang und ist nicht zu
beanstanden. Für eine genaue Quantifizierung der zusätzlichen Lärm- und
Luftbelastungen, die sich aus dem zusätzlichen Verkehrsaufkommen durch das
Spielcasino ergeben, ist praxisgemäss von Annahmen, Erfahrungswerten, Prognosen
etc. auszugehen. Dabei sind künftige Entwicklungstendenzen zu berücksichtigen,
erscheinen doch wenigstens diesbezügliche Angaben als einigermassen
verlässlich. Das Bundesgericht übt nach ständiger Rechtsprechung bei der
Überprüfung von Annahmen über künftige Verkehrsaufkommen - gehe es um Strassen-
oder um Luftverkehr - grösste Zurückhaltung. Solche Prognosen, die für den
Strassenverkehr in der Regel auf Modellberechnungen beruhen, sind zwangsläufig
mit beträchtlichen Unsicherheiten verbunden. Die Verkehrsentwicklung hängt
stark von den demographischen, wirtschafts- und verkehrspolitischen
Rahmenbedingungen ab, so dass sich die Prognose für einen längeren Zeitraum je
nach dem ihr zugrunde gelegten Szenario deutlich unterschiedlich gestalten
kann. (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1E.17/1999 vom 25. April 2001 in: ZBl 103
/2002 S. 375 E. 3a).

2.5 Das Verwaltungsgericht hat die zu erwartende Verkehrsentwicklung unter
Berücksichtigung zahlreicher Faktoren eingehend geprüft. Dabei hat es die
Situation anderer Spielcasinos als Vergleichsmassstab beigezogen und die von
der Baurekurskommission herangezogenen Beurteilungsfaktoren sowie die
Berechnungsweise für die Immissionsprognose als sachgerecht beurteilt. Es
bezeichnete im Ergebnis die Prognose, nach welcher keine
legitimationsbegründende Verkehrszunahme zu erwarten sei, als plausibel. Damit
hat die Vorinstanz entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer nicht gegen die
Legitimationsbestimmungen gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG verstossen. Es ist aufgrund
der Akten vielmehr davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer, deren
Liegenschaften sich nicht in unmittelbarer Nachbarschaft des geplanten Casinos
befinden, keine deutlich wahrnehmbare zusätzliche Immissionsbelastung an den
bereits vorbelasteten Strassenabschnitten zu befürchten haben. Eine eindeutige
Zuordnung der Zu- und Wegfahrten einschliesslich des Parkplatzsuchverkehrs zum
Casino lässt sich aufgrund der zentralen Lage in der Innenstadt kaum vornehmen.
Die durch den Casinobetrieb zu erwartenden Immissionen werden sich auch in den
kritischen Nachtstunden weitgehend mit den allgemeinen Strassenimmissionen in
der Innenstadt vermischen und kaum mehr als eigenständige Belastung
feststellbar sein. An dieser Beurteilung ändern auch die zahlreichen Rügen der
Beschwerdeführer nichts, ohne dass auf jedes ihrer Argumente näher einzugehen
wäre. Dem Verwaltungsgericht ist darin zuzustimmen, dass mit der von den
Beschwerdeführern geforderten Auslegung der Legitimationsvorschriften die
Schwelle zur Popularbeschwerde überschritten würde.

3.
Es ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist. Die Gerichtskosten sind den
unterliegenden Beschwerdeführern aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese haben
die Casino Zürich AG für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu
entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführer haben die Casino Zürich AG für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Stadt Zürich und dem Verwaltungsgericht
des Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1. Kammer, sowie dem Bundesamt für Umwelt
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. März 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Haag