Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.399/2008
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_399/2008

Urteil vom vom 5. Juni 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Reeb, Eusebio,
Gerichtsschreiber Forster.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marc-Antoine
Kämpfen,

gegen

Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich,
vertreten durch das Strassenverkehrsamt,
Abteilung Administrativmassnahmen, Postfach,
8090 Zürich.

Gegenstand
SVG, Sicherungsentzug,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 18. Juni 2008
des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich,
1. Abteilung, 1. Kammer.
Sachverhalt:

A.
Mit rechtskräftiger Verfügung vom 9. September 2005 entzog die
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich (Strassenverkehrsamt) den Führerausweis
von X.________ aus gesundheitlichen Gründen auf unbestimmte Zeit. Am 19. April
2006 stellte dieser ein Gesuch um Wiedererteilung des Führerausweises. Mit
Verfügung vom 10. Januar 2007 wies die Sicherheitsdirektion das Begehren ab;
die Wiedererteilung des Ausweises machte sie vom Vorliegen eines günstig
lautenden verkehrsmedizinischen Gutachtens abhängig. Die vom Betroffenen
dagegen erhobenen Rechtsmittel wiesen der Regierungsrat bzw. das
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich ab (mit Rekurs- bzw. Beschwerdeentscheid
vom 5. März bzw. 18. Juni 2008).

B.
Gegen den Beschwerdeentscheid des Verwaltungsgerichtes (1. Abteilung, 1.
Kammer) vom 18. Juni 2008 gelangte X.________ mit Beschwerde vom 12. September
2008 an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen
Entscheides und die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis.
Das kantonale Verwaltungsgericht und das Bundesamt für Strassen beantragen (mit
Vernehmlassungen vom 16. September bzw. 4. Dezember 2008) je die Abweisung der
Beschwerde, während vom kantonalen Strassenverkehrsamt keine Stellungnahme
eingegangen ist. Der Beschwerdeführer replizierte am 27. Februar 2009.

Erwägungen:

1.
Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 82 ff. BGG sind grundsätzlich erfüllt.
Mit der Beschwerde kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt
werden (Art. 95 lit. a BGG).

1.1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat. Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt
werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den
Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105
Abs. 1-2 BGG).

1.2 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen, und es kann
eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden
Begründung abweisen (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254 mit Hinweisen). Immerhin
prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen
Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur
die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu
untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE
133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, das Gutachten des Instituts für
Rechtsmedizin an der Universität Zürich (IRM) vom 23. November 2006, auf das
sich der angefochtene Entscheid stütze, könne nicht akzeptiert werden. Es sei
von einem "Assistenten" erstellt worden, der "tendenziell" nur nach Faktoren
gesucht habe, die geeignet sein konnten, die Wiedererteilung des
Führerausweises zu verhindern. Es drängten sich daher Zweifel an der
Objektivität des Gutachtens auf.

2.1 Sinngemäss können diese Vorbringen als Rüge der fehlerhaften
Tatsachenfeststellung durch die Vorinstanz (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG)
interpretiert werden.

2.2 Dass ein Assistenzarzt mit abgeschlossenem Medizinstudium (pract. med.) und
unter fachlicher Aufsicht des verantwortlichen stellvertretenden Leiters der
Abteilung Verkehrsmedizin und Klinische Forensik am IRM die Expertise vom 23.
November 2006 erstellt hat, lässt das Gutachten nicht als mangelhaft
erscheinen. Der Vorwurf, die verantwortlichen Ärzte hätten nur nach für den
Beschwerdeführer nachteiligen Faktoren gesucht, erscheint spekulativ und findet
in den Akten keine objektive Stütze. Im Übrigen legt er nicht dar, inwiefern
die Vorinstanz aus dem fraglichen Gutachten unhaltbare tatsächliche Schlüsse
gezogen hätte. Die Beschwerde erweist sich insoweit als unbegründet, soweit
darauf überhaupt eingetreten werden kann (vgl. Art. 42 Abs. 1-2 i.V.m. Art. 97
Abs. 1 BGG). Im Zusammenhang mit seinem (weiteren) Vorbringen, es sei keine
Haarprobenanalyse erfolgt, substanziiert der Beschwerdeführer keine zulässigen
Rügen.

3.
Der Beschwerdeführer rügt sodann eine Verletzung von Bundesrecht (Art. 16d Abs.
1 lit. a-b i.V.m. Art. 17 Abs. 3 SVG), da seine Fahrtauglichkeit "allein
aufgrund der erhobenen CDT-Werte" verneint worden sei.

3.1 Bei Sicherungsentzugsfällen kommt sorgfältigen verkehrsmedizinischen
Abklärungen grosse Bedeutung zu. Eine Trunksucht bzw. ein verkehrsrelevanter
Alkoholmissbrauch mit Suchtgefährdung im Sinne der bundesgerichtlichen Praxis,
welche einen Ausweisentzug auf unbestimmte Zeit rechtfertigen, dürfen nicht
leichthin angenommen werden. Ein pathologischer CDT-Serumspiegel allein würde
für eine entsprechende schwerwiegende Administrativmassnahme jedenfalls noch
nicht ausreichen (vgl. BGE 129 II 82 E. 6.2.2 S. 91; Urteil 1C_16/2008 vom 3.
September 2008 E. 5).

3.2 Der Beschwerdeführer räumt ein, dass sein Hausarzt im Jahre 2005 (im Rahmen
einer routinemässigen Fahrtauglichkeitskontrolle des damals 70-Jährigen)
feststellte, dass er relativ kurz hintereinander (im Februar und April 2005)
mehrere Bewusstseinsverluste bzw. Ohnmachtsanfälle (sog. vasovagale Synkopen,
teilweise mit Sturzfolgen) erlitten habe.

3.3 Nach medizinischer Überweisung an einen Spezialarzt für Neurologie stellte
dieser in seinem Bericht vom 24. Februar 2005 fest, dass die Synkopen seit der
Jugend des Beschwerdeführers zunächst relativ häufig und später unregelmässiger
aufgetreten seien, mit einer erneuten Zunahme 1996 (zwei einschlägige Vorfälle,
einer davon mit Sturzfolgen und Oberschenkelhalsfraktur). Es bestehe eine
leichte (wahrscheinlich cerebellär-zentrale) "Gangataxie" (unsicherer,
hinkend-breitbeiniger Gang) kombiniert mit einer leichten Polyneuropathie.
Diese Beschwerden und Auffälligkeiten seien "am ehesten" auf Alkoholmissbrauch
zurückzuführen. Die medizinische Synkopenbehandlung sei schwierig; die
bisherigen medikamentösen Therapieversuche seien unbefriedigend verlaufen.

3.4 Wie sich aus den Akten weiter ergibt, regte der Hausarzt in seinem Bericht
vom 8. Juni 2005 eine verkehrsmedizinische Begutachtung durch das IRM an. Die
Gutachterin des IRM bestätigte am 12. August 2005 die Befunde des Neurologen
betreffend Synkopen und Gangataxie. Sie kam zum Schluss, dass eine Fahreignung
(im damaligen Zeitpunkt) schon wegen der akuten Synkopenproblematik "klar zu
verneinen" gewesen sei, da die Gefahr von Rückfällen am Steuer eines
Motorfahrzeuges sehr hoch erschien. Eine Wiedererteilung des Führerausweises
komme frühestens im April 2006 in Frage, was allerdings eine ärztliche
Bestätigung voraussetze, wonach über einen Zeitraum von 12 Monaten keine
weiteren Synkopen aufgetreten wären.

3.5 Nachdem der Beschwerdeführer ein entsprechendes Attest seines Hausarztes
vom 3. April 2006 eingereicht hatte, empfahl das IRM (in einem Aktengutachten
vom 4. Mai 2006) eine weitere verkehrsmedizinische Begutachtung. Der Experte
stellte in seinem Gutachten vom 23. November 2006 eine deutliche Gang- und
Gleichgewichtsunsicherheit fest, die eine fachgerechte neurologische
Untersuchung erschwert hätten (Nichtdurchführbarkeit des sog.
"Romberg-Stehversuches" und des Liniengang-Testes). Zudem wurden bei zwei
Blutentnahmen signifikant erhöhte CDT-Serumwerte konstatiert.

3.6 Zwischen August und November 2006 wurde der Beschwerdeführer am IRM
ausführlich verkehrsmedizinisch begutachtet. Nach erfolgter körperlicher
Untersuchung, Anamnese und Blutprobenentnahme am 29. August 2006 wurden der
Beschwerdeführer und seine Ehefrau am 19. September 2006 über die festgestellte
"signifikante Erhöhung der alkoholtypischen Laborwerte" informiert. Der
Gutachter empfahl dem Beschwerdeführer eine zweite Laboranalyse und bis zur
entsprechenden Blutentnahme eine Alkoholabstinenz oder zumindest starke
Einschränkung des Konsums. Bei der Nachkontrolle und zweiten Blutentnahme vom
19. Oktober 2006 habe der Beschwerdeführer sich laut Gutachten gegen
entsprechende Abklärungen gesträubt. Er habe mitgeteilt, dass seine Ehefrau
zwar sehr darauf bedacht gewesen sei, dass er seinen Alkoholkonsum stark
reduziere; er sei jedoch auch nach dem 19. September 2006 nicht abstinent
gewesen und habe regelmässig Leichtbier und Wein konsumiert. Bei den Akten
liegt auch ein Schreiben des Beschwerdeführers vom 17. Juli 2006 an das
kantonale Strassenverkehrsamt, in welchem er einräumt, sich (auf Wunsch seiner
Ehefrau) "einmal freiwillig für eine gewisse Zeit in eine Abstinenzbehandlung"
begeben zu haben.

3.7 Laut IRM-Gutachten vom 23. November 2006 fielen die CDT-Analysewerte der
Nachkontrolle vom 19. Oktober 2006 noch höher aus als diejenigen vom 29. August
2006. Die erneut deutlich erhöhten alkoholtypischen Laborparameter sprächen für
einen "fortwährenden Alkoholmissbrauch im Sinne eines Überkonsums". Die
Laborbefunde stützten auch die vom Neurologen (in dessen Bericht vom 24.
Februar 2005) gestellte Verdachtsdiagnose der alkoholbedingten Ursache der
neurologischen Gesundheitsstörungen (vasovagale Synkopen, Polyneuropathie,
cerebellär-zentrale Gangataxie). Die Aussagen des Beschwerdeführers zum eigenen
Alkoholkonsum liessen demgegenüber auf eine bedenkliche
Bagatellisierungstendenz schliessen. Mitzuberücksichtigen seien schliesslich
auch die bestehende medizinisch notwendige Medikation, das fortgeschrittene
Alter sowie die depressive Symptomatik des Beschwerdeführers.

3.8 Gestützt auf die Gesamtheit der verkehrsmedizinischen Befunde wurde auch im
Gutachten vom 23. November 2006 die Fahreignung verneint. Vor einer
Wiederzulassung habe der Beschwerdeführer eine mindestens sechsmonatige
ärztlich kontrollierte Alkoholabstinenz (und begleitende medizinische
Behandlung) nachzuweisen.

3.9 Bei dieser Sachlage ist keine bundesrechtswidrige Anwendung von Art. 16d
Abs. 1 lit. a-b i.V.m. Art. 17 Abs. 3 SVG ersichtlich. Der Vorwurf des
Beschwerdeführers, die kantonalen Instanzen hätten seine Fahrtauglichkeit
allein aufgrund der erhöhten CDT-Analysewerte verneint, trifft nicht zu.

4.
Schliesslich beanstandet der Beschwerdeführer eine Verletzung des Grundsatzes
von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV).

4.1 In seiner Entzugsverfügung vom 9. September 2005 habe das kantonale
Strassenverkehrsamt erwogen, ein Gesuch um Wiedererteilung des Führerausweises
könne nur Erfolg haben, wenn der Beschwerdeführer "ein Zeugnis einreicht
(frühestens im April 2006), welches über einen Zeitraum von 12 Monaten
bestätigt, dass keine Synkopen aufgetreten sind". Die Fahreignung werde "dann
anhand des eingereichten Zeugnisses beurteilt". Der Beschwerdeführer
argumentiert, er habe mit dem entsprechenden Attest seines Hausarztes vom 3.
April 2006 diese Bedingung erfüllt. Indem die kantonalen Instanzen (über das
Arztzeugnis hinaus) weitere und seiner Ansicht nach überflüssige
verkehrsmedizinische Untersuchungen veranlassten, hätten sie sein Vertrauen
getäuscht.

4.2 Die Verfassungsrüge erweist sich als unbegründet. Wie bereits dargelegt (E.
3.3-3.4), hat der Facharzt für Neurologie schon in seinem Bericht vom 24.
Februar 2005 erwähnt, dass die neurologischen Beschwerden und Auffälligkeiten
(Synkopen, Gangataxie, Polyneuropathie) am ehesten auf einen Alkoholmissbrauch
zurückzuführen seien. Im anschliessenden IRM-Gutachten vom 12. August 2005
wurde festgestellt, dass die Fahreignung im damaligen Zeitpunkt schon alleine
aufgrund der akuten Synkopenproblematik klar zu verneinen war. Im Hinblick auf
eine allfällige Wiedererteilung des Führerausweises fiel damit aber die
Notwendigkeit und Zulässigkeit verkehrsmedizinischer Abklärungen zur
festgestellten Alkoholproblematik keineswegs dahin. Die vom Beschwerdeführer
zitierte Erwägung des Strassenverkehrsamtes war im relevanten Gesamtkontext als
Präzisierung zu verstehen, wonach die 12-monatige Synkopenfreiheit als
notwendige (aber nicht als hinreichende) Bedingung einer Wiederzulassung
anzusehen war (conditio sine qua non). Im massgeblichen Dispositiv (Ziffer 2)
der gleichen Verfügung vom 9. September 2005 wurde die Wiedererteilung des
Führerausweises denn auch ausdrücklich "vom Vorliegen eines günstig lautenden
verkehrsmedizinischen Gutachtens abhängig" gemacht. Bloss gestützt auf das
Attest seines Hausarztes vom 3. April 2006 konnte der Beschwerdeführer nach
Treu und Glauben keineswegs die Wiedererteilung des Führerausweises erwarten.
Noch viel weniger kann von einer entsprechenden verbindlichen Zusicherung der
zuständigen Behörde die Rede sein. Vielmehr musste der Beschwerdeführer mit den
sachlich gebotenen verkehrsmedizinischen Abklärungen (auch zur
Alkoholproblematik) rechnen.

5.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit darauf
eingetreten werden kann.
Dem Verfahrensausgang entsprechend, sind die Gerichtskosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und ist keine
Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Sicherheitsdirektion und dem
Verwaltungsgericht, 1. Abteilung, 1. Kammer, des Kantons Zürich sowie dem
Bundesamt für Strassen, Sekretariat Administrativmassnahmen, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 5. Juni 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Forster