Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.393/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 1/2}
1C_393/2008

Urteil vom 12. März 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Steinmann.

Parteien
Stefan Scheidegger, Beschwerdeführer,

gegen

Kantonsrat Schwyz, vertreten durch
die Rechts- und Justizkommission, Sekretariat, Bahnhofstrasse 9, Postfach 1200,
6431 Schwyz.

Gegenstand
Erwahrung der Ergebnisse der Kantonsratswahlen vom 16. März 2008,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 25. Juni 2008 des Kantonsrates Schwyz.
Sachverhalt:

A.
Mit Dekret vom 21. August 2007 für die kantonalen Gesamterneuerungswahlen im
Jahr 2008 legte der Regierungsrat des Kantons Schwyz die Wahlen für den
Kantonsrat und den Regierungsrat auf den 16. März 2008 fest. In Bezug auf die
Kantonsratswahl im Einzelnen hielt er fest, dass jede Gemeinde einen Wahlkreis
bilde und für die Verteilung der Mandate der Regierungsratsbeschluss vom 13.
August 2002 gelte; danach ist die Anzahl von Mandaten pro Gemeinde festgelegt;
sie variiert zwischen 11 Mandaten (für Schwyz) und 1 Mandat (für 13 Gemeinden).

B.
Am 16. März 2008 fand u.a. die Wiederwahl des Kantonsrates statt. Die
Ergebnisse wurden im Amtsblatt vom 20. März 2008 (S. 628 ff.) veröffentlicht,
unter Hinweis auf die Beschwerdemöglichkeiten.

Mit Eingabe vom 29. März 2008 erhob Toni Reichmuth Beschwerde gegen die
Kantonsratswahl. Am 31. März 2008 reichten Toni Reichmuth, Stefan Scheidegger
und weitere Mitbeteiligte Beschwerde ein und verlangten, dass die Ergebnisse
der Kantonsratswahl wegen schwerwiegender Verletzung der Wahlrechtsgleichheit
für ungültig zu erklären seien.

Die Rechts- und Justizkommission hörte eine Delegation der Beschwerdeführer an.
Mit Bericht vom 14. Mai 2008 beantragte sie dem Kantonsrat, auf die Beschwerde
nicht einzutreten und die Ergebnisse der Wahlen zu erwahren. Die Kommission
führte aus, dass die Beschwerdeführer, soweit sie die Sitzverteilung unter den
verschiedenen Gemeinden und die unterschiedlich grossen Mandatszahlen in den
Gemeinden in Frage stellen, den Regierungsratsbeschluss vom 13. August 2002
oder aber das Regierungsratsdekret vom 21. August 2007 hätten anfechten müssen.
In materieller Hinsicht führte die Kommission im Eventualstandpunkt aus, dass
das Schwyzer Wahlverfahren mit einem Gemisch aus Verhältnis- und
Mehrheitsverfahren vor der Bundesverfassung standhalte.

Mit Beschluss vom 25. Juni 2008 schloss sich der Kantonsrat der vorberatenden
Kommission an, trat auf die gegen die Kantonsratswahl gerichtete Beschwerde
nicht ein und erwahrte die Ergebnisse der Kantonsratswahlen.

C.
Am 30. August 2008 haben Stefan Scheidegger und die Grünen Schwyz beim
Bundesgericht Beschwerde erhoben und die Aufhebung des
Nichteintretensentscheides des Kantonsrates und die materielle Behandlung ihrer
Wahlbeschwerde verlangt. Sie beanstanden zum einen, dass die Auszählung und
Zuordnung von Restmandaten nach der Methode Hagenbach-Bischoff vor der
Verfassung nicht standhalte und die kleine Partei der Grünen Schwyz
verfassungswidrig benachteilige. Zum andern erachten sie es als
verfassungswidrig, dass der Kantonsrat auf ihre Beanstandung der
Wahlkreisgeometrie bzw. der Sitzverteilung unter den Gemeinden nicht
eingetreten ist. Mit Schreiben vom 9. September 2008 bestätigt Stefan
Scheidegger, nunmehr als einziger Beschwerdeführer aufzutreten.

Die Rechts- und Justizkommission des Kantonsrates beantragt mit Vernehmlassung
vom 23. Oktober 2008 die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten
werden könne. Stefan Scheidegger ergänzte seine Beschwerdeschrift am 31.
Oktober 2008 und am 20. Januar 2009.

Mit Verfügung vom 23. Dezember 2008 ist das Gesuch um Gewährung der
unentgeltlichen Verbeiständung abgewiesen worden.

Erwägungen:

1.
Die vorliegende Beschwerde stellt eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten im Sinne von Art. 82 lit. c BGG dar. Der Beschwerdeführer ist
nach Art. 89 Abs. 3 BGG zur Beschwerde legitimiert. Die Beschwerde erweist sich
als zulässig.

2.
Der Beschwerdeführer bringt im bundesgerichtlichen Verfahren im Wesentlichen
zwei unterschiedliche Aspekte vor, die voneinander getrennt zu behandeln sind.
Zum einen beanstandet er unter dem Titel der Zuteilungsmathematik die Art und
Weise, wie die Wahlstimmen ausgezählt und wie die Mandate bzw. die Restmandate
zugeordnet und verteilt werden; insoweit macht er geltend, diese sei mit dem
Grundsatz der Verhältniswahl nicht vereinbar. Zum andern ficht er unter dem
Titel Wahlkreisgeometrie das Nichteintreten des Kantonsrates auf seine
Beschwerde an.

3.
Die Rechts- und Justizkommission legt in ihrer Vernehmlassung dar, dass die
Rüge der verfassungswidrigen Auszählung und Mandatszuteilung mit der beim
Kantonsrat eingelegten Wahlbeschwerde hätte geltend gemacht werden können,
indessen nicht erhoben worden sei. Der Beschwerdeführer bringt demgegenüber
vor, diese Rüge sehr wohl erhoben zu haben.

In der Wahlbeschwerde vom 31. März 2008 wird ausschliesslich die Frage
behandelt, ob das Wahlsystem im Kanton Schwyz mit den Gemeinden als Wahlkreisen
und mit Mandatszahlen zwischen 11 und 1 vor dem von der Kantonsverfassung
vorgesehenen Grundsatz der Proporzwahl standhalte. Entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers ändert daran der Umstand nichts, dass zur Illustration der
erhobenen Rügen auf die Zählweise und das neuere Mandatszuteilungsverfahren
nach Pukelsheim verwiesen wird. Entscheidend ist, dass das im Kanton Schwyz
geübte Modell nach Hagenbach-Bischoff als solches nicht als verfassungswidrig
gerügt wird. Daraus folgt, dass die Rüge hinsichtlich der Auszählung und
Mandatszuteilung vor dem Kantonsrat nicht (hinreichend) vorgebracht worden ist
und dieser sich demnach dazu nicht zu äussern hatte. Der Beschwerdeführer hat
daher den kantonalen Instanzenzug nicht ausgeschöpft (Art. 88 Abs. 1 lit. a
BGG) und bringt im bundesgerichtlichen Verfahren ein unzulässiges rechtliches
Novum vor (vgl. BGE 133 III 638 E. 2 S. 640). In dieser Hinsicht ist auf die
Beschwerde nicht einzutreten.

Im Übrigen erwiese sich die Rüge als unbegründet. Das Bundesgericht hat
verschiedentlich zum Ausdruck gebracht, dass kein Verfahren der Auszählung und
Mandatszuteilung bestimmt werden kann, das als einziges dem Verhältniswahlrecht
entspreche und daher allein als zulässig betrachtet werden könne. Es hat daher
unter Wahrung des den Kantonen zukommenden Gestaltungsraums verschiedene
Auszählmethoden als mit dem Proporzgedanken vereinbar erklärt. Dazu zählt auch
die unter den Kantonen weitverbreitete und bei der Nationalratswahl angewendete
Methode nach Hagenbach-Bischoff (vgl. Urteil 1P.563/2001 vom 26. Februar 2002
E. 4, in: ZBl 103/2002 S. 537, BGE 109 Ia 203 E. 5 S. 206 E. 4 und 5 S. 204;
vgl. die Übersicht bei HANGARTNER/KLEY, Die demokratischen Rechte in Bund und
Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich 2000, Rz. 1442 ff.).

4.
Der Kantonsrat ist auf die Wahlbeschwerde des Beschwerdeführers und der
Mitbeteiligten nicht eingetreten, soweit diese mit Blick auf das von der
Kantonsverfassung vorgesehene Proportionalwahlrecht die Sitzverteilung unter
den verschiedenen Gemeinden und die unterschiedlich grossen Mandatszahlen in
den Gemeinden beanstandeten. Dieses Nichteintreten rügt der Beschwerdeführer
sinngemäss als formelle Rechtsverweigerung.

4.1 Die Rechts- und Justizkommission wies in ihrem Antrag an den Kantonsrat auf
die bundesgerichtliche Rechtsprechung hin, wonach Mängel in der Vorbereitung
von Wahlen und Abstimmungen sofort und vor Durchführung des Urnenganges zu
rügen sind, andernfalls der Stimmberechtigte sein Beschwerderecht verwirkt
(vgl. zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung Urteil 1C_217/2008 vom 3. Dezember
2008 E. 1.2). Sie hielt fest, der Beschwerdeführer hätte demnach den genannten
Regierungsratsbeschluss vom 13. August 2002 oder spätestens das Dekret vom 21.
August 2007 anfechten können und müssen und er sei daher mit der im Rahmen der
Wahlbeschwerde erhobenen Rüge verspätet. Der Kantonsrat folgte dieser
Argumentation im angefochtenen Beschluss vom 25. Juni 2008.

Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, vermag keine formelle
Rechtsverweigerung zu begründen. Unerheblich ist, dass der Beschwerdeführer im
Jahre 2002 das Stimmrechtsalter noch nicht erreicht hatte und den
Regierungsratsbeschluss von 2002 noch nicht hatte anfechten können. Wesentliche
Bedeutung kommt dem Dekret von 2007 zu. Es ist nicht ersichtlich, dass die
Auswirkungen der beanstandeten Wahlkreisgeometrie in diesem Zeitpunkt nicht
hätten erkannt werden können und weshalb eine Beschwerde im Anschluss an den
Erlass des Dekrets nicht möglich gewesen wäre. Insoweit kann der
Nichteintretensbeschluss des Kantonsgerichts nicht beanstandet werden.

4.2 Mit dieser Argumentation der Rechts- und Justizkommission und des
Kantonsrates scheint nun aber die dem Bundesgericht eingereichte Vernehmlassung
der Rechts- und Justizkommission in einem gewissen Gegensatz zu stehen. Danach
soll ein Rechtsmittel gegen Vorbereitungshandlungen zur Kantonsratswahl nach
Art. 53 und 53a des Gesetzes über die Wahlen und Abstimmungen (Gesetzessammlung
120.100) auf kantonaler Ebene grundsätzlich ausgeschlossen sein. Dies heisst
indes nicht, dass entsprechende Vorbereitungshandlungen nicht direkt beim
Bundesgericht angefochten werden könnten.

Diese Auslegung des Wahl- und Abstimmungsgesetzes erscheint fragwürdig. Nach §
44 Abs. 1 der Kantonsverfassung (Gesetzessammlung 100.000) steht dem Kantonsrat
die Prüfung und Anerkennung de Gesetzmässigkeit aller Wahlen der
Kantonsbehörden zu. Gemäss § 54 des Wahl- und Abstimmungsgesetzes darf kein
Ergebnis einer Wahl anerkannt werden, das den Willen der Urnengänger nicht
zuverlässig und unverfälscht wiedergibt; Gründe für die Aufhebung eines
Ergebnisses sind u.a. die Beeinflussung der Stimmberechtigten während der
Stimmabgabe und jede andere Beeinträchtigung der freien Ausübung des
Stimmrechts; aufzuheben ist jedes Ergebnis, das durch rechtswidrige Einwirkung
zustandegekommen ist oder bei dem damit gerechnet werden muss, dass durch eine
solche Einwirkung zustandegekommen sei. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob
grundsätzlich ausgeschlossen werden kann, dass Vorbereitungshandlungen zur Wahl
des Kantonsrates, wie sie vom Regierungsrat oder von untergeordneten und
kommunalen Behörden ergehen, in Frage gezogen werden können.

Wie es sich damit verhält, kann indes offen bleiben. Im Lichte der Erwägungen
des Kantonsrates und des Antrages der Rechts- und Justizkommission und
angesichts des Umstandes, dass der Beschwerdeführer das Dekret vom 21. August
2007 in keiner Weise angefochten hatte, hält das Nichteintreten des
Kantonsrates auf die Beschwerde des Beschwerdeführers und der Mitbeteiligten
vor der Verfassung stand. Damit erweist sich die Stimmrechtsbeschwerde in
diesem Punkte als unbegründet.

5.
Demnach ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Es rechtfertigt sich, von einer Kostenauflage abzusehen (Art. 66 Abs. 1 Satz 2
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Kantonsrat Schwyz schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 12. März 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Steinmann