Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.372/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_372/2008

Urteil vom 25. Februar 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Aemisegger, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Fonjallaz, Eusebio,
Gerichtsschreiber Härri.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Robert Vogel,

gegen

Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau,
Postfach, 5001 Aarau,
Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau, Generalsekretariat,
Frey-Herosé-Strasse 12, 5001 Aarau.

Gegenstand
Entzug des Führerausweises,

Beschwerde gegen das Urteil vom 9. Juli 2008 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Aargau, 1. Kammer.
Sachverhalt:

A.
X.________ besitzt den Führerausweis der Kategorie B (Personenwagen) seit 1975.
Bisher wurde gegen ihn keine Administrativmassnahme verfügt.
Am 11. August 2006, um ca. 18.10 Uhr, bog er mit seinem Personenwagen von der
Autobahnausfahrt Maienfeld/Bad Ragaz Süd in die Hauptstrasse Maienfeld - Bad
Ragaz ein. Dabei kollidierte er mit einem von links herannahenden
vortrittsberechtigten Personenwagen seitlich-frontal. An beiden Fahrzeugen
entstand Sachschaden. Verletzt wurde niemand.
Mit Strafmandat vom 20. September 2006 sprach der Kreispräsident Maienfeld
X.________ der einfachen Verletzung von Verkehrsregeln nach Art. 90 Ziff. 1 SVG
schuldig und büsste ihn mit Fr. 250.--. Das Strafmandat ist rechtskräftig.
Mit Verfügung vom 8. Februar 2007 entzog das Strassenverkehrsamt des Kantons
Aargau X.________ in Anwendung von Art. 16b Abs. 1 lit. a i.V.m. Abs. 2 lit. a
SVG den Führerausweis für die Dauer von einem Monat.
Die von X.________ dagegen eingereichte Beschwerde wies das Departement
Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau am 16. November 2007 ab.
Hiergegen erhob X.________ Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons
Aargau. Mit Urteil vom 9. Juli 2008 wies dieses die Beschwerde ab.

B.
X.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und auf den Entzug
des Führerausweises zu verzichten.

C.
Das Verwaltungsgericht, das Departement Volkswirtschaft und Inneres und das
Strassenverkehrsamt haben auf Gegenbemerkungen verzichtet.

Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag,
die Beschwerde sei gutzuheissen und die Sache zur Neubeurteilung an das
Verwaltungsgericht zurückzuweisen.

D.
Das Verwaltungsgericht, das Departement Volkswirtschaft und Inneres sowie
X.________ haben zur Vernehmlassung des ASTRA Stellung genommen.
Das Strassenverkehrsamt hat auf Bemerkungen zur Vernehmlassung des ASTRA
verzichtet.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über einen
Führerausweisentzug. Dagegen ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten gemäss Art. 82 ff. BGG gegeben. Auf die Beschwerde ist
einzutreten.

2.
2.1 Das Gesetz unterscheidet zwischen der leichten, mittelschweren und schweren
Widerhandlung (Art. 16a-c SVG).
Gemäss Art. 16a SVG begeht eine leichte Widerhandlung, wer durch Verletzung von
Verkehrsregeln eine geringe Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft und
ihn dabei nur ein leichtes Verschulden trifft (Abs. 1 lit. a). Die fehlbare
Person wird verwarnt, wenn in den vorangegangenen zwei Jahren der Ausweis nicht
entzogen war und keine andere Administrativmassnahme verfügt wurde (Abs. 3).
Gemäss Art. 16b SVG begeht eine mittelschwere Widerhandlung, wer durch
Verletzung von Verkehrsregeln eine Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft
oder in Kauf nimmt (Abs. 1 lit. a). Nach einer mittelschweren Widerhandlung
wird der Führerausweis für mindestens einen Monat entzogen (Abs. 2 lit. a).
Gemäss Art. 16c SVG begeht eine schwere Widerhandlung, wer durch grobe
Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer
hervorruft oder in Kauf nimmt (Abs. 1 lit. a). Nach einer schweren
Widerhandlung wird der Führerausweis für mindestens drei Monate entzogen (Abs.
2 lit. a).
Die mittelschwere Widerhandlung nach Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG stellt einen
Auffangtatbestand dar. Eine mittelschwere Widerhandlung liegt vor, wenn nicht
alle privilegierenden Elemente einer leichten Widerhandlung nach Art. 16a Abs.
1 lit. a SVG und nicht alle qualifizierenden Elemente einer schweren
Widerhandlung nach Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG gegeben sind (BGE 1C_271/2008 vom
8. Januar 2009 E. 2.2.2 mit Hinweisen).

2.2 Die Vorinstanz nimmt eine mittelschwere Widerhandlung nach Art. 16b Abs. 1
lit. a SVG an. Sie kommt (S. 9 E. 5.2) zum Schluss, der Beschwerdeführer habe
eine mittelschwere Gefährdung geschaffen; sein Verschulden sei ebenfalls als
mittelschwer einzustufen (S. 9 E. 6.2).
Der Beschwerdeführer stellt die Annahme einer mittelschweren Gefährdung nicht
in Frage. Er macht geltend, sein Verschulden wiege leicht. Damit könne im
Lichte von BGE 125 II 561 von einem Führerausweisentzug abgesehen werden. Er
bringt insbesondere vor, er habe den Unfallgegner nicht einfach übersehen.
Vielmehr sei davon auszugehen, dass dieser zunächst den Blinker nach links
gestellt und sich dann kurzfristig zur Weiterfahrt geradeaus entschieden habe.
Der Beschwerdeführer anerkennt aber auch dann, wenn es sich so verhalten haben
sollte, ein leichtes Verschulden seinerseits (Beschwerde S. 7 Ziff. 13).
Das Bundesgericht hat sich kürzlich in einem Grundsatzentscheid zur Frage der
Abgrenzung der leichten Widerhandlung nach Art. 16a SVG von der mittelschweren
Widerhandlung nach Art. 16b SVG geäussert (BGE 1C_271/2008 vom 8. Januar 2009).
Danach setzt die Annahme einer leichten Widerhandlung voraus, dass der Lenker
eine geringe Gefahr für die Sicherheit anderer hervorgerufen hat und ihn ein
leichtes Verschulden trifft. Beide Elemente müssen kumulativ gegeben sein. Das
Bundesgericht hat BGE 125 II 561, auf den sich der Beschwerdeführer beruft, als
überholt beurteilt (E. 2.2.3).
Der Beschwerdeführer bestreitet - wie gesagt - nicht, dass er eine
mittelschwere Gefährdung hervorgerufen hat. Eine Bundesrechtsverletzung der
Vorinstanz ist insoweit auch nicht ersichtlich. Hat er keine geringe Gefahr
geschaffen, fällt die Annahme einer leichten Widerhandlung im Lichte der
dargelegten Rechtsprechung ausser Betracht. Dies gilt auch dann, wenn es
zutreffen sollte, dass der Unfallgegner zunächst den linken Blinker betätigt
und sich dann kurzfristig zur Weiterfahrt geradeaus entschieden hat, und man
deshalb mit dem Beschwerdeführer dessen Verschulden als leicht bewerten wollte.
Ein leichtes Verschulden allein genügt nicht für die Annahme einer leichten
Widerhandlung. Die Vorbringen des Beschwerdeführers zum Sachverhalt sind
deshalb irrelevant.
Die Vorinstanz hat demnach jedenfalls im Ergebnis zu Recht auf eine
mittelschwere Widerhandlung erkannt. Bei einer solchen wird der Führerausweis
für mindestens einen Monat entzogen (Art. 16b Abs. 2 lit. a SVG). Die
Mindestentzugsdauer darf nicht unterschritten werden (Art. 16 Abs. 3 SVG); dies
auch nicht bei einem Lenker, der - wie der Beschwerdeführer - beruflich auf den
Führerausweis angewiesen ist (BGE 132 II 234 E. 2).
Der angefochtene Entscheid verletzt deshalb kein Bundesrecht.

3.
Die Beschwerde ist abzuweisen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art.
66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrsamt, dem
Departement Volkswirtschaft und Inneres und dem Verwaltungsgericht des Kantons
Aargau, 1. Kammer, sowie dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. Februar 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:

Aemisegger Härri