Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.330/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_330/2008 nip

Urteil vom 21. Oktober 2008
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Steinmann.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Heim,

gegen

Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern, Abteilung Massnahmen, Postfach 162,
6000 Luzern 4,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
SVG; Wiederherstellungsgesuch,

Beschwerde gegen die Verfügung des Präsidenten der Abgaberechtlichen Abteilung
des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 26. Juni 2008.

Sachverhalt:

A.
Das Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern entzog X.________ am 9. Juli 2007
den Führerausweis für eine Dauer von drei Monaten, nämlich vom 1. November 2007
bis zum 26. Januar 2008.

Wegen Fahrens eines Personenwagens trotz Entzugs des Führerausweises am 9.
November 2007 entzog das Strassenverkehrsamt X.________ mit Verfügung vom 23.
Januar 2008 den Führerausweis erneut, nunmehr für eine Dauer von zwölf Monaten,
wirksam für den Zeitraum vom 9. November 2007 bis zum 22. August 2008.

Hiergegen rekurrierte X.________ beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern und
ersuchte gleichzeitig um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung (Verzicht
auf Kostenvorschuss und unentgeltliche Verbeiständung).

Mit Zwischenentscheid vom 8. April 2008 lehnte das Verwaltungsgericht das
Gesuch um Gewährung der unentgeltliche Prozessführung mangels Bedürftigkeit ab
und forderte X.________ zur Zahlung eines Kostenvorschusses von Fr. 600.-- auf,
zahlbar in drei Raten zu bestimmten Fälligkeitsdaten. Ausdrücklich wurde auf
die Säumnisfolgen (Nichteintreten auf die Beschwerde) hingewiesen, wenn eine
der Raten nicht oder nicht rechtzeitig bezahlt wird.

Das Verwaltungsgericht trat mit Urteil vom 23. Mai 2008 androhungsgemäss auf
die Beschwerde nicht ein, nachdem die erste geschuldete Ratenzahlung innert
Frist nicht geleistet worden war.

B.
Mit Gesuch vom 6. Juni 2008 stellte X.________ beim Verwaltungsgericht ein
Gesuch um Wiederherstellung der Frist und beantragte, es sei das Urteil vom 23.
Mai 2008 aufzuheben, eine Nachfrist zur Bezahlung des Kostenvorschusses in drei
Raten einzuräumen und auf seine ursprüngliche Beschwerde materiell einzutreten.

Mit Verfügung vom 26. Juni 2008 wies der Präsident der Abgaberechtlichen
Abteilung des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern das Gesuch um
Wiederherstellung der Frist zur Leistung des Kostenvorschusses ab. Er hielt
fest, dass X.________ nicht unverschuldet von der rechtzeitigen Leistung des
Kostenvorschusses abgehalten worden sei. Aus der Bestimmung von Art. 62 Abs. 3
BGG könne für das kantonale Verfahren keine Pflicht zur Einräumung einer
Nachfrist abgeleitet werden.

C.
Gegen diesen Entscheid des Abteilungspräsidenten hat X.________ beim
Bundesgericht am 18. Juli 2008 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten erhoben und beantragt, der angefochtene Entscheid sei
aufzuheben und das Verwaltungsgericht sei anzuweisen, auf seine kantonale
Beschwerde einzutreten. Er rügt Verletzungen von Art. 8 und Art. 29a BV und
macht geltend, dass ihm das Verwaltungsgericht entsprechend Art. 62 Abs. 3 BGG
vor dem Nichteintretensentscheid eine Nachfrist hätte einräumen müssen. Der
Beschwerdeführer ersucht für das bundesgerichtliche Verfahren um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege.

Das Strassenverkehrsamt und das Verwaltungsgericht haben auf Vernehmlassung
verzichtet.

Erwägungen:

1.
Auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten. Es ist im entsprechenden
Sachzusammenhang zu prüfen, ob die Beschwerdeschrift den
Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG genügt und
was Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet. In Anbetracht der
aufschiebenden Wirkung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (Schreiben des
Verwaltungsgerichts vom 15. Februar 2008 und des Strassenverkehrsamtes vom 18.
Februar 2008) ist die Beschwerdesache trotz des Umstandes, dass der
Führerausweis bis zum 22. August 2008 entzogen worden war, nicht gegenstandslos
geworden.

2.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bilden einzig das
Fristwiederherstellungsverfahren und der angefochtene Entscheid. Soweit der
Beschwerdeführer unter Hinweis auf die Praxis anderer Kantone geltend macht,
die zugrunde liegende Verfügung vom 23. Januar 2008 sei materiell betrachtet
mit dem Anspruch auf Gleichbehandlung im Sinne von Art. 8 (Abs. 1) BV nicht
vereinbar, ist auf die Beschwerde von vornherein nicht einzutreten.
Gleichermassen ist nicht zu prüfen, ob die Verfügung des Strassenverkehrsamtes
vor dem Willkürverbot (Art. 9 BV) standhalte und dem Anspruch auf hinreichende
Begründung (Art. 29 Abs. 2 BV) genüge. Schliesslich hat ungeprüft zu bleiben,
ob der nicht angefochtene Entscheid vom 8. April 2008, mit dem das Gesuch um
Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung abgewiesen und der
Beschwerdeführer zur Bezahlung eines Kostenvorschusses (in Raten) aufgefordert
wurde, vor der Verfassung standhält.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 29a BV in dem Sinne, als
er durch den Nichteintretensentscheid vom 23. Mai 2008 und den angefochtenen
Entscheid keine Gelegenheit hatte, seine Rechtsstreitigkeit einem Gericht zu
unterbreiten.

Mit der vorliegenden Beschwerde wird zu Recht nicht geltend gemacht, der am 23.
Januar 2008 verfügte Führerausweisentzug hätte dem Verwaltungsgericht und damit
einer richterlichen Behörde überhaupt nicht unterbreitet werden können.
Vielmehr stand der Rechtsmittelweg ans Verwaltungsgericht tatsächlich offen.
Der von Art. 29a BV garantierte Rechtsweg unterliegt indessen dem
Verfahrensrecht und besteht nur im Rahmen der jeweils geltenden Prozessordnung.
Die Garantie verbietet nicht, das Eintreten auf eine
Verwaltungsgerichtsbeschwerde von der Einhaltung der üblichen
Sachurteilsvoraussetzungen abhängig zu machen. Insbesondere dispensiert sie
nicht von der rechtzeitigen Bezahlung von gerichtlich festgelegten
Kostenvorschüssen (vgl. Andreas Kley, St. Galler BV-Kommentar, 2. Aufl. 2008,
Art. 29a Rz. 9). Soweit es der Beschwerdeführer unterlassen hatte, den
einverlangten Kostenvorschuss - bzw. die entsprechenden Raten - (rechtzeitig)
zu bezahlen, kann er daher keine Verletzung von Art. 29a BV geltend machen.

3.2 Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, der Abteilungspräsident habe im
angefochtenen Entscheid kantonale Bestimmungen über die Wiederherstellung in
Verletzung des Willkürverbotes unrichtig angewendet. Er wendet vielmehr ein, es
hätte berücksichtigt werden müssen, dass nach unbenütztem Ablauf der
Zahlungsfrist - im Sinne von Art. 62 Abs. 3 BGG - eine Nachfrist eingeräumt
werden muss.

Diese Rüge betrifft im Grunde genommen eine Frage des Verbotes der formellen
Rechtsverweigerung bzw. des überspitzten Formalismus gemäss Art. 29 Abs. 1 BV.
Es kann offen bleiben, ob diese Rüge nicht bereits im Anschluss an den
Nichteintretensentscheid des Verwaltungsgerichts vom 23. Mai 2008 hätte erhoben
werden müssen und ob die Begründung hierfür den Anforderungen von Art. 106 Abs.
2 BGG genügt.

Wie im angefochtenen Entscheid dargelegt, sind die Kantone in der Ausgestaltung
der Gerichtsorganisation und des Verfahrensrechts im Rahmen der
Bundesverfassung frei. Im Gegensatz zur Zivil- und Strafrechtspflege (vgl. Art.
122 und 123 BV) steht dem Bund für den Bereich der Verwaltungsrechtspflege
keine Ordnungskompetenz zu. Es kann für den vorliegenden Bereich nicht
angenommen werden, dass das Bundesrecht die kantonale Vollzugsordnung und das
kantonale Verfahrensrecht direkt mitbestimmt (vgl. BGE 134 I 125 E. 2.2 S. 129
und E. 3.5 S. 134). Ferner ist unbestritten, dass die Regelung von Art. 62 Abs.
3 BGG für das kantonale Verfahren keine unmittelbare Wirkung zeitigt.

Insoweit sind die Kantone frei, die Folgen der Nichtleistung eines
Kostenvorschusses zu ordnen. In diesem Sinne bestimmt § 195 des Gesetzes über
die Verwaltungsrechtspflege (VRG), dass ein Kostenvorschuss einverlangt werden
kann und dass bei Nichtleistung des Kostenvorschusses auf die Rechtsvorkehr
nicht eingetreten werde. Das Verwaltungsrechtspflegegesetz sieht nicht vor,
dass bei unbenützter Frist zur Kostenvorschussleistung eine Nachfrist
eingeräumt werden könnte oder müsste.

Bei dieser Sachlage liesse sich einzig fragen, ob es einem verfassungsmässigen
Grundsatz entspricht, dass bei unbenutztem Ablauf einer Frist zur Zahlung eines
Kostenvorschusses eine (kurze) Nachfrist einzuräumen sei. Dies kann nicht
angenommen werden. Das bisherige Bundesgesetz über die Organisation der
Bundesrechtspflege sah in Art. 150 Abs. 4 OG die Einräumung einer Nachfrist
nicht vor. Gleichermassen bestimmen zahlreiche kantonale Verfahrensordnungen,
dass bei Versäumnis auf die Rechtsvorkehr nicht eingetreten wird. Überdies
handelt es sich bei der Leistung des Kostenvorschusses nur um eine prozessuale
Handlung neben andern, für welche im Allgemeinen ebenfalls keine Nachfristen
vorgesehen sind.

Vor diesem Hintergrund stellt es keine formelle Rechtsverweigerung und keinen
überspitzten Formalismus dar, wenn dem Beschwerdeführer keine Nachfrist
eingeräumt worden ist, das Verwaltungsgericht auf dessen Beschwerde nicht
eingetreten ist und der Abteilungspräsident das Fristwiederherstellungsgesuch
abgewiesen hat. Daran ändert der Umstand nichts, dass gewisse Prozessordnungen
- wie auch das Bundesgerichtsgesetz in Art. 62 Abs. 3 Satz 3 - die Einräumung
einer Nachfrist vorsehen oder vorschreiben. Das Bundesgericht hat denn auch
erkannt, dass die Anwendung von kantonalen Verfahrensbestimmungen, die der
Regelung von § 195 VRG entsprechen, nicht gegen Bundesverfassungsrecht
verstösst (vgl. Urteil 2C_304/2008 und 2C_305/2008 vom 15. August 2008, E.
2.2.3, mit Hinweisen).

Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet.

4.
Demnach ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.

Der Beschwerdeführer ersucht um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Diese kann nach Art. 63 BGG bewilligt werden, soweit das Rechtsbegehren nicht
aussichtslos erscheint. Im Lichte der vorstehenden Erwägungen erweist sich die
Beschwerde von vornherein als aussichtslos. Demnach ist das Gesuch abzuweisen.
Die Umstände rechtfertigen es, auf eine Kostenauflage zu verzichten (Art. 66
Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie dem Strassenverkehrsamt und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Abgaberechtliche Abteilung, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 21. Oktober 2008

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Steinmann