Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.252/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_252/2008 /daa

Urteil vom 4. September 2008
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Kappeler.

Parteien
Verein X.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Y.________,

gegen

Bezirksamt Zofingen, Untere Grabenstrasse 30,
4800 Zofingen.

Gegenstand
Zustellung einer Strafbefehls-Kopie,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 22. Mai 2008 des Obergerichts des Kantons
Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen.

Sachverhalt:

A.
Aufgrund einer Anzeige von Y.________, dem Präsidenten des Vereins X.________,
beim Veterinärdienst des Kantons Aargau wurde gegen den Landwirt A.________ ein
Verfahren wegen Widerhandlung gegen die eidgenössische Tierschutzgesetzgebung
eingeleitet. Am 31. März 2008 wurde A.________ mit Strafbefehl des Bezirksamts
Zofingen mit einer Busse von Fr. 800.-- bestraft.

Y.________ gelangte mit mehreren E-Mails an das Bezirksamt Zofingen und
ersuchte dieses um Zustellung einer Kopie des erwähnten Strafbefehls. Mit
E-Mail vom 8. April 2008 lehnte das Bezirksamt das Begehren ab und wies
Y.________ auf die Möglichkeit hin, den Entscheid auf der Kanzlei des
Bezirksamts einzusehen.

B.
Mit Eingabe vom 10. April 2008 erhob Y.________ namens des Vereins X.________
beim Obergericht des Kantons Aargau Beschwerde gegen das Bezirksamt Zofingen.
Er beantragte, das Bezirksamt sei anzuweisen, ihm eine Kopie des
Strafentscheids vom 31. März 2008 nach Eintritt der Rechtskraft zuzustellen.
Eventualiter sei das Bezirksamt anzuweisen, ihm eine Kopie des Strafentscheids
nach Eintritt der Rechtskraft auszuhändigen.

Das Obergericht hiess die Beschwerde mit Beschluss vom 22. Mai 2008 teilweise
gut und wies das Bezirksamt Zofingen an, Y.________ Gelegenheit zu geben,
innert einer anzusetzenden Frist von einem Monat, den fraglichen Strafbefehl
auf der Kanzlei des Bezirksamts einzusehen und sich davon, gegen Erstattung der
Kosten, eine Kopie ausfertigen zu lassen. Das Obergericht hielt fest, dass
dieses Recht verwirke, wenn Y.________ davon keinen Gebrauch mache. Im Übrigen
wies es die Beschwerde ab.

C.
Gegen den Beschluss des Obergerichts gelangt der Verein X.________ mit
Beschwerde vom 27. Mai 2008 an das Bundesgericht. Er beantragt im Wesentlichen,
das Bezirksamt Zofingen sei anzuweisen, ihm eine Kopie des Strafbefehls vom 31.
März 2008 zuzustellen.

D.
Das Bezirksamt Zofingen verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Obergericht
hält in seiner Stellungnahme vom 24. Juni 2008 fest, dass gegen seinen
Entscheid vom 22. Mai 2008 kein kantonales Rechtsmittel ergriffen werden könne.
Im Übrigen verzichtet es auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen kantonal
letztinstanzlichen Endentscheid im Sinne von Art. 86 Abs. 1 lit. d in
Verbindung mit Art. 90 BGG über ein selbstständiges Gesuch des
Beschwerdeführers um Zustellung eines Strafbefehls, der eine von ihm angezeigte
Drittperson betrifft. Im entsprechenden Strafverfahren hatte der
Beschwerdeführer unbestrittenermassen keine Parteistellung inne. Ebenso wenig
macht er geltend, sein Gesuch erfolge zur Wahrnehmung von Parteirechten in
einem noch hängigen Strafverfahren. Der angefochtene Entscheid stützt sich
zudem auf öffentliches Recht ab, weshalb die Beschwerde nach der Rechtsprechung
als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zu behandeln ist (vgl.
zur Publikation bestimmtes Urteil des Bundesgerichts 1C_302/2007 vom 2. April
2008 E. 1).

Im Hinblick auf das Inkrafttreten der Schweizerischen StPO (AS 2007 6977) wird
zu beachten sein, dass interessierte Personen in die Strafbefehle Einsicht
nehmen können (Art. 69 Abs. 2 StPO). Die Anwendung dieser Bestimmung dürfte im
Rahmen der Beschwerde in Strafsachen zu überprüfen sein. Im vorliegenden Fall
erscheint es indes als gerechtfertigt, an der bisherigen Rechtsprechung
festzuhalten. Die Eingabe des Beschwerdeführers ist daher entgegen deren
Bezeichnung nicht als Beschwerde in Strafsachen, sondern als Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten entgegen zu nehmen. Die
Eintretensvoraussetzungen von Art. 82 ff. BGG sind unter Vorbehalt der
Ausführungen in E. 2.2 und 2.3 hiernach grundsätzlich erfüllt.

2.
Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, es sei unverhältnismässig,
wenn ein Interessierter und Einsichtsberechtigter eine mehrstündige Reise
unternehmen müsse, um die Kopie eines Strafentscheids abzuholen, die in der
Regel lediglich ein bis drei Seiten umfasse. Die Zustellung einer solchen Kopie
verursache keinen erheblichen Verwaltungsaufwand.

2.1 Dem Anspruch auf öffentliche Urteilsverkündung, wie er in Art. 30 Abs. 3
BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II verankert ist, wird nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichts Genüge getan, wenn das Strafurteil bzw.
der ausgefällte Strafbescheid öffentlich bekanntgemacht wird. Dazu genügt die
Auflage des Entscheids während einiger Zeit bei einer der Öffentlichkeit
zugänglichen Kanzlei, wo jedermann, der ein berechtigtes Interesse glaubhaft
machen kann, den vollständigen Text des Urteils einsehen oder sich gegen eine
allfällige Gebühr eine Kopie erstellen lassen kann. Weitergehende Ansprüche -
insbesondere auf Zustellung einer Kopie - bestehen dagegen nicht (BGE 124 IV
234 E. 3e S. 240 mit Hinweisen). Diese Rechtsprechung ist dem Beschwerdeführer
bereits aufgrund des ihn betreffenden Bundesgerichtsentscheids 1C_302/2007 vom
2. April 2008 bekannt.

Da aus dem Anspruch auf öffentliche Urteilsverkündung somit keine Verpflichtung
des Bezirksamts Zofingen hervorgeht, dem Beschwerdeführer eine Kopie des
fraglichen Strafbefehls zuzustellen, ist zu prüfen, ob ein solcher
Leistungsanspruch aus anderen Gründen zu bejahen ist.

2.2 Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann das in Art. 5 Abs. 2 BV als
allgemeiner Verfassungsgrundsatz verankerte Verhältnismässigkeitsgebot im
Rahmen einer Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten bei der
Anwendung kantonalen Rechts ausserhalb des Schutzbereichs spezieller
Grundrechte nur unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots angerufen werden
(BGE 134 I 153 E. 4.3 S. 158).

Da der Anspruch auf öffentliche Urteilsverkündung keinen Anspruch auf
Zustellung des betreffenden Strafbefehls umfasst (siehe oben E. 2.1), steht im
vorliegenden Fall eine Anwendung des Verhältnismässigkeitsgebots ausserhalb des
Schutzbereichs spezieller Grundrechte in Frage. Demzufolge kann dieses Gebot
hier nur unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots angerufen werden.

Der Beschwerdeführer bringt wohl vor, dass dem Staat Willkür und Schikane auch
da untersagt seien, wo ein Anliegen eines Bürgers nicht auf einem
ausdrücklichen Rechtsanspruch basiere. Inwiefern im vorliegenden Fall eine
Verletzung des Willkürverbots gegeben sei, führt er jedoch nicht näher aus. Der
Beschwerdeführer hat seiner Begründungspflicht somit nicht Genüge getan (vgl.
Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.2 und 1.4.3 S. 254 f.; zur
Publikation bestimmtes Urteil des Bundesgerichts 1C_380/2007 vom 19. Mai 2008
E. 2.2). Auf seine Vorbringen, der fragliche Strafbefehl sei ihm aufgrund des
Verhältnismässigkeitsgebots zuzustellen bzw. Willkür und Schikane seien dem
Staat untersagt, ist daher nicht einzutreten.

2.3 Es ist nicht ersichtlich und wird vom Beschwerdeführer ebenfalls nicht in
einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Weise dargetan, inwiefern er
aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV einen über die
Garantien von Art. 30 Abs. 3 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1
UNO-Pakt II hinausgehenden Anspruch gegenüber dem Bezirksamt Zofingen ableiten
könnte. Auf dieses Vorbringen ist daher ebenfalls nicht einzutreten. Vom
Beschwerdeführer wurde somit nichts in rechtsgenügender Weise dargetan, woraus
auf einen Anspruch gegenüber dem Bezirksamt Zofingen zu schliessen wäre, ihm
eine Kopie des fraglichen Strafbefehls zuzustellen.

3.
Die Beschwerde ist daher abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.

Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdeführer als unterliegender Partei
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Gemäss Dispositiv Ziffer 1 des angefochtenen Entscheids wird das Bezirksamt
Zofingen angewiesen, dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben, innert einer
anzusetzenden Frist von einem Monat, den Strafbefehl gegen A.________ auf der
Kanzlei des Bezirksamts einzusehen und sich davon, gegen Erstattung der Kosten,
eine Kopie ausfertigen zu lassen. Den Akten kann kein Hinweis entnommen werden,
dass eine solche Fristansetzung bereits erfolgt sei. Da die Anweisung des
Obergerichts mit dem heutigen Entscheid des Bundesgerichts rechtskräftig wird
(vgl. Art. 61 BGG), ist das Bezirksamt Zofingen jetzt demnach gehalten, dem
Beschwerdeführer eine entsprechende Frist anzusetzen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bezirksamt Zofingen sowie dem
Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 4. September 2008

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Kappeler