Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.220/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_220/2008 /fun

Urteil vom 19. Juni 2008
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Reeb,
Gerichtsschreiber Thönen.

Parteien
A.X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Roland
Winiger,

gegen

Bundesamt für Migration, Quellenweg 6, 3003 Bern.

Gegenstand
Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung,

Beschwerde gegen das Urteil vom 3. April 2008
des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung III.

Sachverhalt:

A.
Der 1973 geborene B.X.________ (heute: A.X.________) reiste am 28. Oktober 1992
unter dem Aliasnamen Y.________ in die Schweiz ein und stellte als angeblicher
Palästinenser ein Asylgesuch. Das Gesuch wurde später abgeschrieben, da er als
verschwunden galt.

Am 15. Dezember 1995 heiratete B.X.________ in Lörrach/Deutschland eine
Schweizer Bürgerin (geb. 1954). Im Rahmen des Familiennachzugs reiste er am 4.
März 1996 in die Schweiz ein und erhielt eine Jahresaufenthaltsbewilligung zum
Verbleib bei seiner Ehefrau im Kanton Aargau.

B.
Auf ein erstes Gesuch um erleichterte Einbürgerung von B.X.________ trat das
Bundesamt für Migration (BFM) nicht ein, weil die Mindestaufenthaltsdauer nicht
erreicht war. Auf sein zweites Gesuch vom 4. Dezember 2000 hin wurde
B.X.________ am 2. Juli 2001 erleichtert eingebürgert und erhielt das
Bürgerrecht von Obersiggenthal (AG). Am 6. September 2001 stellte er ein Gesuch
um Namensänderung und nannte sich fortan A.X.________.

Am 18. Februar 2002 reichten er und seine Ehefrau ein gemeinsames
Scheidungsbegehren ein. Die Ehe wurde am 11. Juni 2002 rechtskräftig
geschieden.

Im Juli 2003 heiratete A.X.________ im Libanon eine 17-jährige Frau, von
welcher er im Januar 2005 durch ein dortiges Schariagericht wieder geschieden
wurde. Beide Ehen blieben kinderlos.

Am 7. Oktober 2004 leitete das BFM gegen A.X.________ ein Verfahren betreffend
Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung ein und erklärte die
erleichterte Einbürgerung mit Verfügung vom 20. Juni 2006 für nichtig, nachdem
es die Zustimmung des Heimatkantons eingeholt hatte und die frühere Schweizer
Ehefrau hatte befragen lassen. A.X.________ konnte sich vor Erlass dieser
Verfügung äussern.

C.
A.X.________ focht die Nichtigerklärung der Einbürgerung an. Mit Urteil vom 3.
April 2008 wies das Bundesverwaltungsgericht seine Beschwerde ab.

D.
Mit Eingabe vom 9. Mai 2008 führt A.X.________ Beschwerde an das Bundesgericht.
Er beantragt festzustellen, dass die Würdigung des Sachverhalts im Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts offensichtlich falsch sei. Daher sei das angefochtene
Urteil aufzuheben. Überdies ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung.

Das BFM beantragt Beschwerdeabweisung. Das Bundesverwaltungsgericht hat auf
eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen einen Entscheid in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 lit. a BGG) des
Bundesverwaltungsgerichts (Art. 86 Abs. 1 lit. a BGG). Die Ausnahme der
ordentlichen Einbürgerungen gemäss Art. 83 lit. b BGG erstreckt sich nicht auf
die Nichtigerklärung der Einbürgerung. Es sind auch keine weiteren Ausnahmen
vom Beschwerderecht gemäss Art. 83 BGG gegeben. Auf die Beschwerde ist
einzutreten.

2.
Die Vorinstanzen sind der Ansicht, der Beschwerdeführer sei die Ehe vom 15.
Dezember 1995 primär eingegangen, um das Schweizer Bürgerrecht zu erhalten, und
er habe dies im Einbürgerungsverfahren verschwiegen. Rund sieben Monate nachdem
er das Schweizer Bürgerrecht erlangt habe, habe er bereits das
Scheidungsbegehren eingereicht. Seine Glaubwürdigkeit sei erschüttert, da er im
Asylgesuch vom 6. November 1992 eine andere Identität angegeben habe.
Unglaubwürdig sei auch, dass der Scheidungsgrund des unerfüllten Kinderwunsches
erst nach der erleichterten Einbürgerung bedeutsam geworden sei. Der
Beschwerdeführer habe um diesen Umstand schon früher gewusst, weil die damalige
Ehefrau um 19 Jahre älter sei und sich 2000/2001 einer Unterleibsoperation
unterzogen habe, weswegen sie keine Kinder mehr bekommen konnte. Ein weiteres
Indiz sei die relativ rasche Wiederverheiratung mit einer Frau aus dem Libanon
im Juli 2003, rund ein Jahr nach der Scheidung. Zweifel am Zweck der Ehe seien
auch berechtigt, weil der Beschwerdeführer am 24. März 2000 ein verfrühtes
Gesuch um erleichterte Einbürgerung gestellt habe. Diese Umstände zeigten, dass
der Beschwerdeführer die Ehe mit der Schweizerin aus zweckfremden Motiven
geführt habe. Der Wille, eine eheliche Gemeinschaft aufrechtzuerhalten, sei
bereits im Zeitpunkt der Erklärung vom 16. Juni 2001 nicht mehr intakt gewesen.

3.
Der Beschwerdeführer kritisiert die Würdigung der Umstände durch das
Bundesverwaltungsgericht. Es sei nicht haltbar bzw. ungenügend begründet, wenn
der fehlende Ehewille auf das verfrühte Einreichen des Einbürgerungsgesuchs
zurückgeführt werde. Die Einreichung des Scheidungsbegehrens sieben Monate nach
der Einbürgerung weise angesichts der heutigen Situation zwischenmenschlichen
Zusammenlebens und der Scheidungsstatistiken nicht auf einen fehlenden
Ehewillen im Zeitpunkt der Einbürgerung hin. Heute könnten sich Ehegatten
innert eines halben Jahres derart auseinanderleben, dass die Ehe geschieden
werden müsse. Der Beschwerdeführer habe seinen Entschluss bei Diskussionen mit
der Ehefrau im Herbst 2001 gefasst, da sie ihm kein glückliches Familien- und
Sexualleben mehr habe bieten können. Zudem nenne die Vorinstanz keine
zureichenden Gründe für ein planmässiges Vorgehen des Beschwerdeführers zur
Erschleichung des Schweizer Bürgerrechts. Der Beschwerdeführer habe ein
Geschäft gegründet, und er fühle sich in der Schweiz zuhause.

4.
Nach dem Bürgerrechtsgesetz (BüG, SR 141.0) setzt die erleichterte Einbürgerung
namentlich voraus, dass der ausländische Bewerber insgesamt fünf Jahre in der
Schweiz gewohnt hat, seit einem Jahr hier wohnt und seit drei Jahren in
ehelicher Gemeinschaft mit einer Schweizer Bürgerin lebt (Art. 27 Abs. 1 BüG).

Gemäss Art. 41 Abs. 1 BüG kann die erleichterte Einbürgerung vom Bundesamt mit
Zustimmung der Behörde des Heimatkantons innert fünf Jahren nichtig erklärt
werden, wenn sie durch falsche Angaben oder Verheimlichung erheblicher
Tatsachen erschlichen worden ist.

5.
Zum Einwand, das verfrüht gestellte Einbürgerungsgesuch tauge nicht als
genügende Begründung, ist auf das Gesamtbild zu verweisen. Es handelt sich um
einen von mehreren Hinweisen dafür, dass der Beschwerdeführer den Zweck seiner
Ehe in der raschen Erlangung des Schweizer Bürgerrechts erblickte. Das verfrüht
gestellte Gesuch darf - unter anderen Hinweisen - als Beleg dafür verwendet
werden, dass er möglichst rasch das Schweizer Bürgerrecht erlangen wollte.
Zum Einwand, wonach Ehen heute schneller und häufiger geschieden würden, ist
auf die Rechtsprechung zu verweisen. Eine eheliche Gemeinschaft im Sinne des
Bürgerrechtsgesetzes beurteilt sich nicht nach den Statistiken. Nach der
Rechtsprechung setzt eine solche eheliche Gemeinschaft nicht nur das formelle
Bestehen einer Ehe, sondern das Vorliegen einer tatsächlichen
Lebensgemeinschaft voraus. Eine solche Gemeinschaft kann nur bejaht werden,
wenn der gemeinsame Wille zu einer stabilen ehelichen Gemeinschaft intakt ist.
Ein Hinweis auf den fehlenden Willen der Ehegatten, die eheliche Gemeinschaft
aufrechtzuerhalten, kann der Umstand sein, dass kurze Zeit nach der
Einbürgerung das Scheidungsverfahren eingeleitet wird. Der Gesetzgeber wollte
dem ausländischen Ehegatten einer Schweizer Bürgerin die erleichterte
Einbürgerung ermöglichen, um die Einheit des Bürgerrechts der Ehegatten im
Hinblick auf ihre gemeinsame Zukunft zu fördern (BGE 128 II 97 E. 3a S. 99).

Insgesamt liegen genügend objektive Elemente vor, die den Schluss erlauben, der
Beschwerdeführer sei die Ehe von 1995 primär zur Erlangung des Schweizer
Bürgerrechts eingegangen. Die Ehescheidung wurde bereits rund sieben Monate
nach der Einbürgerung eingeleitet, und es gibt weitere Hinweise, dass es an
gemeinsamen Zukunftsaussichten fehlte. Es darf ohne Bundesrechtsverletzung
angenommen werden, dass es bereits während des Gesuchsverfahrens am Willen
fehlte, die Ehe nach der Einbürgerung fortzuführen, und dass die Behörden
insoweit über die Willenslage getäuscht wurden. Die Beschwerde ist unbegründet.

6.
Die Beschwerde ist nach dem Gesagten abzuweisen. Da sie im Sinne von Art. 64
Abs. 1 BGG aussichtslos ist, kann das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung nicht bewilligt werden. Demnach hat der Beschwerdeführer die
Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bundesamt für Migration und dem
Bundesverwaltungsgericht, Abteilung III, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 19. Juni 2008
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Thönen