Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.191/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_191/2008
1C_192/2008
1C_193/2008
1C_194/2008
1C_195/2008 /fun

Urteil vom 12. Juni 2008
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Reeb,
Gerichtsschreiber Härri.

Parteien
1. A.________ AG,
2. B.________ Inc.,
3. C.________ Ltd.,
4. D.________ SA,
5. E.________ AG,
Beschwerdeführerinnen, alle vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Andres
Baumgartner und Peter Probst,

gegen

Schweizerische Bundesanwaltschaft, Taubenstrasse 16, 3003 Bern.

Gegenstand
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen an Russland,

Beschwerden gegen die Entscheide vom
10. und 15. April 2008 des Bundesstrafgerichts,
II. Beschwerdekammer.

Sachverhalt:

A.
Die russischen Behörden führen ein Strafverfahren gegen X.________ wegen
betrügerischen Konkurses.

Am 3. September 2004 ersuchte die russische Generalstaatsanwaltschaft die
Schweiz um Rechtshilfe.

Mit Schlussverfügungen vom 8., 9. und 14. August 2007 entsprach die
Schweizerische Bundesanwaltschaft dem Rechtshilfeersuchen und ordnete die
Herausgabe von Unterlagen an die ersuchende Behörde an.

Auf die von der A.________ AG erhobene Beschwerde trat das Bundesstrafgericht
(II. Beschwerdekammer) am 10. April 2008 in der Sache mangels
Beschwerdelegitimation nicht ein.

Die von der B.________ Inc., der C.________ Ltd., der D.________ SA und der
E.________ AG eingereichten Beschwerden wies das Bundesstrafgericht am 15.
April 2008 je mit separaten Entscheiden in der Sache ab.

B.
Die A.________ AG, die B.________ Inc., die C.________ Ltd., die D.________ SA
und die E.________ AG führen je Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten mit verschiedenen Anträgen.

C.
Das Bundesstrafgericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.

Die Bundesanwaltschaft hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, auf die
Beschwerden sei nicht einzutreten. Sie hält dafür, es liege kein besonders
bedeutender Fall im Sinne von Art. 84 BGG vor, weshalb die Beschwerden
unzulässig seien.

Das Bundesamt für Justiz hat Gegenbemerkungen eingereicht. Es beantragt aus dem
gleichen Grunde wie die Bundesanwaltschaft, auf die Beschwerden sei nicht
einzutreten. Eventualiter seien sie abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei;
von einer Rückfrage an die ersuchende Behörde sei abzusehen.

D.
Die Beschwerdeführerinnen haben Bemerkungen zu den Vernehmlassungen
eingereicht.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerdeführerinnen beantragen die Vereinigung der fünf
Beschwerdeverfahren.

Die Beschwerdeführerinnen werden je von denselben zwei Anwälten vertreten. Die
Beschwerden betreffen das gleiche Rechtshilfeverfahren. Die angefochtenen
Entscheide hangen inhaltlich eng zusammen und sind in der Sache gleich
begründet. Die Beschwerdeführerinnen bringen sodann in sämtlichen Beschwerden
die nämliche Begründung dafür vor, weshalb es sich ihres Erachtens um einen
besonders bedeutenden Fall nach Art. 84 BGG handeln soll.

Unter diesen Umständen rechtfertigt es sich, die Beschwerdeverfahren
antragsgemäss zu vereinigen und die Sache in einem einzigen Urteil zu
behandeln.

2.
2.1 Gemäss Art. 84 BGG ist gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der
internationalen Rechtshilfe in Strafsachen die Beschwerde nur zulässig, wenn er
unter anderem eine Übermittlung von Informationen aus dem Geheimbereich
betrifft und es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt (Abs. 1). Ein
besonders bedeutender Fall liegt insbesondere vor, wenn Gründe für die Annahme
bestehen, dass elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das
Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist (Abs. 2).

Der Begriff des schweren Mangels des ausländischen Verfahrens ist restriktiv
auszulegen (BGE 133 IV 271 E. 2.2.2 S. 274, mit Hinweis).

Art. 84 BGG bezweckt die starke Begrenzung des Zugangs zum Bundesgericht im
Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen (BGE 133 IV 131 E. 3 S.
132; 133 IV 132 E. 1.3 S. 134; 133 IV 271 E. 2.2.2 S. 274).
Bei der Beantwortung der Frage, ob ein besonders bedeutender Fall gegeben ist,
steht dem Bundesgericht ein weiter Ermessensspielraum zu (BGE 1C_205/2007 vom
18. Dezember 2007 E. 1.3.1, mit Hinweis).
Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung der Rechtsschrift in gedrängter
Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Ist eine
Beschwerde nur unter der Voraussetzung zulässig, dass ein besonders bedeutender
Fall nach Artikel 84 vorliegt, so ist auszuführen, warum diese Voraussetzung
erfüllt ist.

Erachtet das Bundesgericht eine Beschwerde auf dem Gebiet der internationalen
Rechtshilfe in Strafsachen als unzulässig, so fällt es gemäss Art. 107 Abs. 3
BGG den Nichteintretensentscheid innert 15 Tagen seit Abschluss eines
allfälligen Schriftenwechsels.

Nach Art. 109 BGG entscheidet die Abteilung in Dreierbesetzung über
Nichteintreten auf Beschwerden, bei denen kein besonders bedeutender Fall
vorliegt (Abs. 1). Der Entscheid wird summarisch begründet. Es kann ganz oder
teilweise auf den angefochtenen Entscheid verwiesen werden (Abs. 3).

2.2 Es geht hier um die Übermittlung von Informationen aus dem Geheimbereich.
Die Beschwerde ist insoweit nach Art. 84 Abs. 1 BGG möglich. Entgegen der
Auffassung der Beschwerdeführerinnen handelt es sich jedoch um keinen besonders
bedeutenden Fall.

Sie bringen vor, X.________ sei ein vermögender Geschäftsmann. Das
Strafverfahren gegen ihn sei lediglich vorgeschoben. In Wahrheit gehe es den
russischen Behörden darum, Informationen über ihn zu beschaffen, um diese
wirtschaftlich gegen ihn verwerten zu können. Die Sache sei vergleichbar mit
dem Fall Yukos/Khodorkovsky.

Im Fall Yukos war eine besondere Konstellation gegeben. Hierzu hatte die
parlamentarische Versammlung des Europarates eine Resolution (1416/2005)
erlassen. Darin stellte sie fest, die Umstände der Verhaftung und Anschuldigung
der Leiter der Gruppe Yukos (insbesondere Khodorkovsky und Lebedev) liessen
darauf schliessen, dass das Vorgehen der russischen Behörden mit dem
Rechtsstaatsprinzip nicht in Einklang gestanden und das Verfahren gegen diese
Personen in Verletzung des Grundsatzes der Rechtsgleichheit geführt worden sei.
Die Resolution der parlamentarischen Versammlung stützte sich auf einen Bericht
vom 29. November 2004, dessen Schlussfolgerung sie übernahm. Dieser Bericht
schloss aufgrund der Umstände darauf, dass sich die russischen Behörden nicht
auf die strafrechtliche Verfolgung beschränkt hätten; es gebe vielmehr
Anhaltspunkte dafür, dass es unter anderem auch darum gegangen sei, einen
politischen Gegner zu schwächen (vgl. Urteil 1A.215/2005 vom 4. Januar 2006 E.
3.2 ff.). Kritisch zum russischen Verfahren in Sachen Yukos/Khodorkovsky
äusserten sich auch Amnesty International, Human Rights Watch und die
International Helsinki Federation for Human Rights in Berichten aus dem Jahr
2006 (vgl. Urteil 1A.29/2007 vom 13. August 2007 E. 3.1).

Die Beschwerdeführerinnen machen nicht geltend und es ist nicht ersichtlich,
dass sich der Europarat, eine andere vergleichbare Institution oder eine
Menschenrechtsorganisation mit dem Strafverfahren gegen X.________ befasst
hätte. Sie bringen konkret nichts vor, was ihren Einwand stützen könnte. Soweit
sie geltend machen, das russische Strafverfahren sei mehrmals eingestellt und
wieder aufgenommen worden und dazu auf die Beschwerdebeilagen 4-7 verweisen,
können sie daraus schon deshalb nichts herleiten, weil es sich bei diesen
Beilagen lediglich um amtlich nicht beglaubigte Kopien handelt. Wer die
Übersetzungen ins Deutsche vorgenommen haben soll, geht daraus zudem nicht
hervor; die Übersetzungen tragen nicht einmal eine Unterschrift.

Nach dem Gesagten bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass das
ausländische Verfahren missbräuchlich ist und damit an einem schweren Mangel
nach Art. 84 Abs. 2 BGG leidet. Ein besonders bedeutender Fall kann daher - im
Lichte der dargelegten restriktiven Rechtsprechung - nicht angenommen werden.

2.3 In den Repliken wiederholen die Beschwerdeführerinnen unter der Überschrift
"Schwere Mängel des ausländischen Verfahrens" einerseits das, was sie in den
Beschwerden dazu vorgebracht haben, weshalb es sich ihres Erachtens um einen
besonders bedeutenden Fall handeln soll. Anderseits machen sie hierzu
zusätzliche Vorbringen. Das ist unzulässig. Die Beschwerdeführerinnen können
nicht - nach Ablauf der Beschwerdefrist - mit der Replik nachschieben, was sie
bereits in der Beschwerde hätten geltend machen können (BGE 132 I 42 E. 3.3.4
S. 47, mit Hinweisen). Die in den Repliken enthaltenen zusätzlichen Vorbringen
wären im Übrigen ohnehin unbehelflich gewesen; sie hätten ebenso wenig zur
Annahme eines besonders bedeutenden Falles geführt. Die Vorinstanz hat sich mit
den Einwänden der Beschwerdeführerinnen einlässlich auseinander gesetzt. Die
angefochtenen Entscheide sind überzeugend begründet. Sie stützen sich auf die
bundesgerichtliche Rechtsprechung, auf die zurückzukommen kein Anlass besteht.

2.4 Die Beschwerden sind danach unzulässig.

3.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens tragen die Beschwerdeführerinnen die Kosten
(Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verfahren 1C_191-195/2008 werden vereinigt.

2.
Auf die Beschwerden wird nicht eingetreten.

3.
Die Gerichtskosten von je Fr. 500.--, insgesamt Fr. 2'500.--, werden den
Beschwerdeführerinnen auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführerinnen, der Schweizerischen
Bundesanwaltschaft, dem Bundesstrafgericht, II. Beschwerdekammer, und dem
Bundesamt für Justiz, Fachbereich Rechtshilfe, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 12. Juni 2008
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Härri