Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.147/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_147/2008 /daa

Urteil vom 11. November 2008
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Eusebio,
Gerichtsschreiberin Gerber.

Parteien
X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Tamara Huwiler
Notter,

gegen

Y.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Luzius Schmid,
Landschaft Davos Gemeinde, Rathaus,
7270 Davos Platz.

Gegenstand
Baueinsprache,

Beschwerde gegen das Urteil vom 17. Januar 2008
des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden,
4. Kammer.
Sachverhalt:

A.
Am 27. März 2007 bewilligte der Kleine Landrat der Landschaft Davos Gemeinde
das Gesuch von Y.________ um Abbruch der Gebäude Assek. Nr. 258, 258b und 258c
und um Neubau eines Wohn- und Gewerbehauses auf Parzelle Nr. 823,
Dischmastrasse 9 in Davos Dorf, und wies die Einsprache der Nachbarin
X.________ ab. Die Baubehörde genehmigte einen auf 6 m reduzierten
Gewässerabstand zum Landwasser; dieser wurde mit einem im Grundbuch
anzumerkenden Beseitigungsrevers verbunden.

B.
Dagegen erhob X.________ am 30. April 2007 Beschwerde an das Verwaltungsgericht
des Kantons Graubünden. Sie machte u.a. geltend, das Bauvorhaben halte den
Gewässerabstand zu dem - parallel zum Landwasser, westlich der Bauparzelle -
verlaufenden Wiesenbächlein nicht ein und überdecke diesen teilweise.

C.
Am 17. Januar 2008 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde von X.________ ab
und sprach Y.________ eine aussergerichtliche Entschädigung von Fr. 4'014.15
zu.

D.
Dagegen hat X.________ am 1. April 2008 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten erhoben. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei
aufzuheben und die Baubewilligung zu versagen; eventualiter sei die Sache zu
neuem Entscheid an das Verwaltungsgericht bzw. an die erste Instanz
zurückzuweisen.

E.
Das Verwaltungsgericht und die Landschaft Davos Gemeinde beantragen Abweisung
der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Y.________ beantragt, auf die
Beschwerde sei nicht einzutreten, eventualiter sei sie abzuweisen. Im zweiten
Schriftenwechsel hielten die Beteiligten an ihren Anträgen fest.

F.
Am 28. Mai 2008 wurde das Gesuch der Beschwerdeführerin um Gewährung der
aufschiebenden Wirkung abgewiesen.

Erwägungen:

1.
Der angefochtene, kantonal letztinstanzliche, Entscheid bestätigt eine
Baubewilligung und betrifft somit eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts.
Dagegen steht grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten offen (Art. 82 ff. BGG). Die Beschwerdeführerin ist
Eigentümerin einer Stockwerkswohnung auf der Parzelle Nr. 5217, die unmittelbar
an das Baugrundstück angrenzt und deren Besonnung durch das Bauvorhaben
reduziert wird. Insofern ist sie durch den angefochtenen Entscheid besonders
berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder
Abänderung. Sie ist daher zur Beschwerde berechtigt (Art. 89 Abs. 1 BGG).

Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin kann die Beschwerdeführerin auch
die Verletzung von gewässerrechtlichen Vorschriften in Bezug auf das
Wiesenbächlein geltend machen. Art. 89 Abs. 1 BGG setzt nicht voraus, dass die
angerufenen Normen nachbarschützenden Charakter haben, sondern es genügt, dass
ihre Anwendung zu einer Aufhebung oder Abänderung der Baubewilligung in einem
für den Beschwerdeführer günstigen Sinne führen können. Dies ist hier der Fall:
Müsste das Bauvorhaben zur Einhaltung des Gewässerabstands zum Wiesenbächlein
redimensioniert oder auf die Errichtung von Parkplätzen verzichtet werden, so
würde dies auch der Beschwerdeführerin einen Nutzen bringen.

Auf die Beschwerde ist daher grundsätzlich einzutreten.

2.
Die Beschwerdeführerin erhebt zunächst formelle und materielle Rügen im
Zusammenhang mit dem Wiesenbächlein.

2.1 Im kantonalen Verfahren hatte sie geltend gemacht, das bewilligte
Bauvorhaben überdecke das Wiesenbächlein über weite Strecken und zerstöre
Ufervegetation, was Art. 38 GSchG (SR 814.20) und Art. 21 des Bundesgesetzes
vom 1. Juli 1966 über den Natur- und Heimatschutz (NHG; SR 451) verletze. Die
kantonale Fachstelle - das Amt für Natur und Umwelt (ANU) - habe sich zu dieser
Frage nicht geäussert, weshalb weitere Abklärungen zwingend seien.
Das Verwaltungsgericht erachtete die Einwände als offensichtlich unbegründet,
weil im Bereich des Bächleins, das entlang der Grenze verlaufe, überhaupt keine
baulichen Massnahmen vorgesehen seien. Es sei daher auch nicht ersichtlich,
inwiefern Ufervegetation beeinträchtigt werden könnte. Zum Bächlein werde ein
Gewässerabstand von 6 m eingehalten. Zwar habe das ANU dazu nicht ausdrücklich
Stellung genommen. Es sei jedoch offensichtlich, dass dieser Abstand für den
Hochwasserschutz bei weitem genügend sei, wenn schon für das viel grössere
Landwasser ein Abstand von 6 m ausreichend sei.

2.2 Die Beschwerdeführerin hält die Sachverhaltsfeststellung des
Verwaltungsgerichts für offensichtlich unrichtig: Aus den Baugesuchsunterlagen
ergebe sich, dass die geplante Zufahrt und die Besucherparkplätze den heutigen
Verlauf des Wiesenbächleins weitestgehend in Beschlag nehmen und über eine
gewisse Strecke sogar zur Überdeckung des Bächleins führten. Zudem sei ihr
Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil das Verwaltungsgericht sich zu
den Beweisanträgen der Beschwerdeführerin nicht geäussert habe. Materiell rügt
die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 78 des Bündner
Raumplanungsgesetzes vom 6. Dezember 2004 (KRG) (Gewässerabstand), Art. 38
GschG (Überdecken oder Eindolen von Fliessgewässern) und Art. 21 NHG
(Ufervegetation).

2.3 Die Landschaft Davos Gemeinde macht vor Bundesgericht erstmals geltend, es
handle sich beim Wiesenbächlein nicht um ein Fliessgewässer im Sinne des
kantonalen und eidgenössischen Rechts, sondern um einen vor allem aus Grund-,
Sicker- und Strassenwasser gespiesenen Kanal, in den auch der Überlauf des
Seehofseelis, eines kleinen, künstlichen Teichs in Davos Dorf, abgeleitet
werde. Dieser Kanal werde auf einer Gesamtlänge von 700 m in Rohren und auf
einer Länge von 90 m offen geführt und sei im generellen Entwässerungsplan der
Landschaft Davos Gemeinde nicht als Gewässer, sondern als Meteorwasserleitung
aufgeführt. Auf einen solchen Kanal sei Art. 78 KRG nicht anwendbar. Dieser
falle unter den Ausnahmetatbestand gemäss Art. 38 Abs. 2 lit. a GSchG
(Hochwasserentlastungs- oder Bewässerungskanal) oder lit. d (kleiner
Entwässerungsgraben mit zeitweiser Wasserführung); zudem könne bei einem
solchen künstlichen Bach auch keine geschützte Ufervegetation vorhanden sein.
Die Gemeinde habe deshalb selbständig über die Überdeckung bzw. Unterschreitung
des Abstands zur Meteorwasserleistung entscheiden können. Sie beantragt hierfür
die Einholung eines Amtsberichts des ANU, die Durchführung einer Expertise und
eines Augenscheins.

2.4 Die Beschwerdeführerin bestreitet dies. Es handle sich um ein ganzjährig
wasserführendes Gewässer mit wohl natürlichem Ursprung, das heute auf rund 110
m zu Tage trete; früher sei der offene Wasserlauf mehrere hundert Meter lang
gewesen. Im Übrigen gelte Art. 78 KRG auch bei eingedolten Gewässern. Im
offenen Bereich verfüge das Bächlein über ökologische Qualitäten: Es seien
Fische beim Laichen beobachtet worden und das Ufer sei mit zahlreichen, auch
geschützten, Pflanzen gesäumt. Hierfür reicht die Beschwerdeführerin Fotos ein
und beantragt ebenfalls die Vornahme eines Augenscheins.

2.5 Aus den bei den Akten liegenden Bauplänen (Katasterplan 1:500 und Grundriss
Erdgeschoss mit Situation 1:100) ergibt sich, dass zwischen der Westfassade des
Neubaus und der Parzellengrenze eine Zufahrt und insgesamt sieben Parkplätze
vorgesehen sind. Drei Parkplätze liegen unmittelbar an der Grundstücksgrenze,
an der nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts das Wiesenbächlein
verläuft. Ob sie neben dem Bächlein zu liegen kommen, oder dieses teilweise
überdecken, lässt sich den Plänen nicht entnehmen. Nicht ersichtlich ist auch,
wie die Zufahrt und die Parkplätze ausgestaltet werden sollen; immerhin ist
davon auszugehen, dass sie nicht auf der Wiese erstellt, sondern mit einem
festeren Belag versehen werden sollen und damit bauliche Massnahmen erfordern.
Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, wonach im Bereich des Bächleins
überhaupt keine baulichen Massnahmen vorgesehen seien, und deshalb auch keine
Ufervegetation beeinträchtigt werden könne, ist damit offensichtlich unrichtig.

2.6 Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids und zur Rückweisung
der Sache an das Verwaltungsgericht, damit dieses die aufgeworfenen Sach- und
Rechtsfragen klärt oder die Sache zu neuer Beurteilung an die Gemeinde
zurückverweist. Es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, die sich stellenden
Fragen erstmals im vorliegenden Verfahren zu prüfen, zumal diese z.T.
tatsächlicher Natur sind und z.T. die Anwendung kantonalen Rechts betreffen
(Gewässerabstand nach Art. 78 KRG).

3.
Wird der angefochtene Entscheid aufgehoben, brauchen die Rügen der
Beschwerdeführerin zum Kostenentscheid nicht mehr geprüft zu werde. Aus
verfahrensökonomischen Gründen rechtfertigt sich allerdings folgender Hinweis
zur Gehörsrüge der Beschwerdeführerin.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist ein Teilaspekt des allgemeinen
Grundsatzes des fairen Verfahrens von Art. 29 Abs. 1 BV bzw. Art. 6 Ziff. 1
EMRK. Er umfasst das Recht, von jedem dem Gericht eingereichten Aktenstück bzw.
jeder Stellungnahme Kenntnis zu nehmen und sich dazu äussern zu können,
unabhängig davon, ob darin neue Tatsachen oder Argumente enthalten sind und ob
sie das Gericht tatsächlich zu beeinflussen vermögen (BGE 133 I 100 E. 4.3-4.6
S. 102 ff.). Dies gilt grundsätzlich auch für die von einer Partei eingereichte
Kostennote, zumal diese nach der Praxis des Bündner Verwaltungsgerichts für die
Festsetzung der Parteientschädigung massgeblich ist. Insofern muss der
Gegenpartei die Kostennote entweder zugestellt werden, oder es muss ihr
zumindest Gelegenheit gegeben werden, diese einzusehen und dazu Stellung zu
nehmen (Urteil 1C_40/2008 vom 5. Mai 2008, E. 4).

4.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid
ist aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an das Verwaltungsgericht
zurückzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens unterliegt die private
Beschwerdegegnerin. Diese wird kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 und
68 BGG). Der Gemeinde sind keine Kosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Graubünden, 4. Kammer, vom 17. Januar 2008, aufgehoben. Die Sache wird
zu neuer Beurteilung an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden Y.________ auferlegt.

3.
Y.________ hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit
Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Landschaft Davos Gemeinde und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 4. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. November 2008
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Féraud Gerber