Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.142/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_142/2008
1C_174/2008

Urteil vom 27. Mai 2008
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Steinmann.

Parteien
A.X.________, Beschwerdeführer,

gegen

B.X.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwältin Elisabeth
Schönbucher Adjani.

Gegenstand
Schutzmassnahmen nach Gewaltschutzgesetz,

Beschwerde gegen die Verfügungen vom 19. März 2008 und 1. April 2008 des
Bezirksgerichts Hinwil, Haftrichter.

Sachverhalt:

A.
Die Kantonspolizei Zürich verfügte am 12. März 2008 gegenüber A.X.________
Gewaltschutzmassnahmen gemäss § 3 Abs. 2 lit. a-c des kantonalen
Gewaltschutzgesetzes (GSG; Gesetzessammlung 351). Sie verfügte insbesondere die
Wegweisung aus der ehelichen Liegenschaft an der T.________strasse in
L.________, ein Verbot der Kontaktnahme mit der Ehefrau B.X.________ und den
gemeinsamen Kindern sowie ein Verbot des Betretens der Wohnung von C.________
an der H.________strasse in S.________.

A.X.________ ersuchte um gerichtliche Beurteilung. Nach Anhörung von
A.X.________ und B.X.________ hob der Haftrichter am Bezirksgericht Hinwil mit
Entscheid vom 19. März 2008 die Wegweisung aus der Liegenschaft in L.________
auf und bestätigte im Übrigen die beiden von der Kantonspolizei angeordneten
Massnahmen. Zum einen erwog der Haftrichter, dass B.X.________ die Wohnung in
L.________ verlassen hatte, zu ihrer Schwester in S.________ gezogen war und
vorderhand an eine Rückkehr nicht denke und dass die eheliche Liegenschaft
durch die Eheschutzrichterin am 28. August 2007 einstweilen B.X.________ zur
alleinigen Benützung zugewiesen worden ist. Zum andern nahm er an, dass von
Seiten von A.X.________ ein eigenmächtiges Vorgehen befürchtet werden müsse.

B.
Auf Ersuchen von B.X.________ um Verlängerung der Gewaltschutzmassnahmen hin
traf der Haftrichter des Bezirksgerichts Hinwil am 1. April 2008 einen neuen
Entscheid. Er verlängerte die beiden genannten Massnahmen bis zum 12. Juni 2008
und schrieb das Verfahren im Übrigen als gegenstandslos geworden ab. Er hielt
dafür, dass der Fortbestand einer Gefährdung von B.X.________ und der
gemeinsamen Kinder angesichts des Verhaltens von A.X.________ glaubhaft sei und
die Verlängerung der Massnahmen verhältnismässig sei.

C.
Vorgängig zu diesen Verfahren wurden Eheschutzmassnahmen betreffend die
Eheleute X.________ getroffen: Mit Verfügung der Einzelrichterin im
summarischen Verfahren des Bezirkes Hinwil vom 28. August 2007 wurden die
beiden minderjährigen Kinder einstweilen unter die Obhut von B.X.________
gestellt, wurde A.X.________ verboten, die Kinder zusammen oder einzeln ins
Ausland zu nehmen, und wurde die Liegenschaft in L.________ einstweilen
B.X.________ zur alleinigen Benützung zugewiesen. Auf eine dagegen gerichtete
Nichtigkeitsbeschwerde trat das Obergericht am 15. Oktober 2007 nicht ein.
Gleichermassen trat die Verwaltungskommission des Obergerichts am 28. November
2007 auf ein Ausstandsbegehren nicht ein. Mit Beschluss vom 30. November 2007
trat die Anklagekammer des Obergerichts auf eine Strafanzeige nicht ein.

Am 20. Dezember 2007 stellte die Einzelrichterin des Bezirksgerichts Hinwil
fest, dass die Eheleute X.________ getrennt leben, und ordnete für die Zeit des
Getrenntlebens u.a. an, dass die Kinder unter die elterliche Obhut von
B.X.________ gestellt sind, dass A.X.________ vorerst ein näher umschriebenes
begleitetes Besuchsrecht und später erweitertes Besuchsrecht zusteht, dass
dieser die Kinder weder zusammen noch einzeln ins Ausland nehmen darf und dass
die eheliche Liegenschaft in L.________ B.X.________ zur alleinigen Benützung
zugewiesen wird. Dagegen hat A.X.________ beim Obergericht Rekurs eingelegt
(vgl. die Verfügung des Obergerichts vom 22. Februar 2008). Den Akten kann der
Ausgang dieses Verfahrens nicht entnommen werden.

D.
A.X.________ hat den Entscheid des Haftrichters vom 19. März 2008 beim
Bundesgericht am 31. März 2008 mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten angefochten. Er verlangt die Aufhebung des haftrichterlichen
Entscheides und die Gewährung der aufschiebenden Wirkung. Eventualiter ersucht
er darum, es sei ihm der Zugang zur ehelichen Wohnung, evt. zur Garage und
Werkstatt zu ermöglichen, es seien ihm die Kinder sofort zu übergeben, es sei
ihm ein Besuchsrecht von zwei Tagen pro Woche zu gewähren und ihm Reiseferien
im EU-Raum mit den Kindern zu ermöglichen (Verfahren 1C_142/2008).

Mit Eingabe vom 17. April 2008 hat er seine erste Eingabe ergänzt und zudem den
Haftrichterentscheid vom 1. April 2008 angefochten (Verfahren 1C_174/2008). Er
verlangt dessen Aufhebung und ersucht um Feststellung, dass die Verfügung der
Eheschutzrichterin vom 28. August 2008 nicht rechtswirksam sei. Eventualiter
ersucht er um uneingeschränkten Zugang zu seinem Büro. Schliesslich stellt er
das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Am 5. Mai 2008 hat
der Beschwerdeführer dem Bundesgericht eine ergänzende Eingabe eingereicht.
Sowohl der Haftrichter wie auch B.X.________ als Beschwerdegegnerin haben in
beiden Verfahren auf Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Die Eingaben des Beschwerdeführers richten sich gegen zwei verschiedene
Entscheide des Haftrichters. Diese stehen in einem unmittelbaren sachlichen und
prozessualen Zusammenhang. Es rechtfertigt sich, die Verfahren zusammenzufassen
und in einem einzigen Urteil zu beurteilen.

Verfügungen betreffend Massnahmen gemäss Gewaltschutzgesetz können beim
Bundesgericht mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
angefochten werden (Urteil 1C_407/2007 und 1C_409/2007 vom 31. Januar 2008, E.
1). Da es sich beim Gewaltschutzgesetz um kantonales Recht handelt, fällt
einzig die Rüge der Verletzung von Verfassungsrecht in Betracht (Art. 95 lit. a
und c BGG). Es ist in der Beschwerdeschrift darzulegen und zu begründen,
inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt oder mit Verfassungsrecht im
Widerspruch steht (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG) bzw. in welcher
Hinsicht der von der Vorinstanz festgestellte Sachverhalt offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

Die Verfügungen des Haftrichters stellen Endentscheide im Sinne von Art. 90 BGG
dar und gelten als kantonal letztinstanzlich (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG in
Verbindung mit der Übergangsfrist von Art. 130 Abs. 3 BGG).

Damit erweisen sich die Beschwerden im Grundsatz als zulässig. Dem Eintreten
steht der Umstand nicht entgegen, dass die Verfügung vom 19. März 2008 durch
jene vom 1. April 2008 ersetzt worden ist. Über die Zulässigkeit der einzelnen
Anträge sowie die Befolgung der Begründungsanforderungen ist nachfolgend im
entsprechenden Sachzusammenhang zu befinden.

2.
Das kantonale Gewaltschutzgesetz bezweckt den Schutz, die Sicherheit und die
Unterstützung von Personen, die durch häusliche Gewalt betroffen sind, und
sieht hierfür verschiedene Massnahmen vor (§ 1 und 2 GSG). Diese können
parallel zu eheschutzrechtlichen Anordnungen ergehen. Eheschutzrechtliche
Anordnungen gehen indes vor. Diese können auf dem dafür vorgesehenen
Rechtsmittelweg angefochten werden (vgl. Rechtsmittelbelehrung im
eheschutzrechtlichen Entscheid vom 20. Dezember 2007). Dies bedeutet
insbesondere, dass eheschutzrechtliche Anordnungen im gewaltschutzrechtlichen
Verfahren nicht in Frage gestellt oder abgeändert werden können.

Der Haftrichter hat in den angefochtenen Verfügungen auf den
eheschutzrechtlichen Entscheid der Einzelrichterin vom 28. August 2007
verwiesen. Der Beschwerdeführer bestreitet die Wirksamkeit dieses Entscheides.
Die Frage kann offen gelassen werden. In materieller Hinsicht ist vom
eheschutzrechtlichen Entscheid vom 20. Dezember 2007 auszugehen, mit dem die
Eheschutzmassnahmen für die Zeit des Getrenntlebens im Einzelnen umschrieben
sind. Im Übrigen zeigt sich, dass die für den vorliegenden Fall massgeblichen
Anordnungen in den beiden Entscheiden vom 28. August und 20. Dezember 2007
weitgehend übereinstimmen. Inskünftig wird der Entscheid des Obergerichts
betreffend die Eheschutzmassnahmen zu berücksichtigen sein.

Für die Behandlung der vorliegenden Beschwerden ist von den drei
Gewaltschutzmassnahmen auszugehen, die Gegenstand der polizeilichen Verfügung
und der angefochtenen Haftrichterentscheide bildeten.

2.1 Der Haftrichter bestätigte das Verbot, die Wohnung von C.________ in
S.________ zu betreten. Mit seinen Aufhebungsanträgen ficht der
Beschwerdeführer auch diese Massnahme an. Er unterlässt es indessen, im
Einzelnen zu begründen, inwiefern diese Massnahme gegen Verfassungsrecht
verstossen oder auf einem offensichtlich unrichtigen Sachverhalt beruhen soll.
Er begnügt sich mit dem Hinweis, gar nie versucht zu haben, in die Wohnung von
C.________ zu gelangen. Angesichts des Umstandes, dass sich die
Beschwerdegegnerin mit ihren Kindern bei C.________ aufhalten, erweist sich die
Massnahme im Ergebnis nicht als willkürlich. Bei dieser Sachlage ist die
Beschwerde in diesem Punkt abzuweisen, soweit darauf überhaupt eingetreten
werden kann.

2.2 Der Haftrichter hat im Entscheid vom 19. März 2008 die Wegweisung aus der
ehelichen Liegenschaft in L.________ aufgehoben und im Entscheid vom 1. Apri
2008 ein entsprechendes Ersuchen der Beschwerdegegnerin als gegenstandslos
betrachtet. Demnach liegt in Bezug auf die Liegenschaft in L.________ keine
gewaltschutzrechtliche Anordnung vor. Es fehlt demnach an einem
Anfechtungsobjekt, weshalb in diesem Punkt auf die Beschwerde nicht einzutreten
ist. Das gilt auch für die Eventualbegehren des Beschwerdeführers, ihm
zumindest Zugang zu Werkstatt und Garage, evt. zu seinem Büro zu ermöglichen.
In Bezug auf die Liegenschaft in L.________ ist daher ausschliesslich der
eheschutzrechtliche Entscheid vom 20. Dezember 2007 massgebend. Darin ist die
Liegenschaft samt Mobiliar und Hausrat der Beschwerdegegnerin zur alleinigen
Benützung zugewiesen worden. Diese hat dem Beschwerdeführer unter den dort
genannten Bedingungen die Gegenstände gemäss einer Liste herauszugeben. Auch
die Benützung der Autos ist darin geregelt.

2.3 Schliesslich hat der Haftrichter mit beiden angefochtenen Entscheiden das
Verbot, mit der Beschwerdegegnerin und den gemeinsamen Kindern Kontakt
aufzunehmen, bestätigt.

In dieser Hinsicht ist vom Entscheid vom 20. Dezember 2007 auszugehen, mit dem
die Einzelrichterin die Nebenfolgen des Getrenntlebens regelte. Die Kinder sind
unter die elterliche Obhut der Beschwerdegegnerin gestellt worden. Dem
Beschwerdeführer ist für die ersten vier Monate ein begleitetes Besuchsrecht,
für die Zeit danach in Absprache mit dem Besuchsrechtsbeistand ein
unbegleitetes Besuchsrecht eingeräumt worden. Es ist ihm verboten worden, die
Kinder zusammen oder einzeln mit sich ins Ausland zu nehmen. Schliesslich sind
die Parteien verpflichtet worden, sich auf erstes Verlangen hin gegenseitig
Gegenstände gemäss einer Liste herauszugeben.

Der Vollzug dieser Massnahmen setzt eine Kontaktnahme des Beschwerdeführers mit
der Beschwerdegegnerin voraus und ermöglicht dem Beschwerdeführer im
umschriebenen Rahmen den Kontakt mit seinen Kindern. Da die
eheschutzrechtlichen Massnahmen, wie dargelegt, den gewaltschutzrechtlichen
Anordnungen vorgehen, ist der angefochtene Entscheid von vornherein im Sinne
und unter Vorbehalt der für das Getrenntleben umschriebenen Anordnungen zu
verstehen. Davon ist auch für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerden
auszugehen.

Angesichts der eheschutzrechtlichen Massnahmen gemäss Entscheid vom 20.
Dezember 2007, kann auf den Antrag des Beschwerdeführers, es sei ihm ein
Besuchsrecht mit der Möglichkeit von Ferien im Ausland einzuräumen, von
vornherein nicht eingetreten werden.

Der Haftrichter hat im Entscheid vom 1. April 2008 ausgeführt, dass der
Fortbestand einer Gefährdung der Beschwerdegegnerin und der Kinder aufgrund des
Verhaltens, verschiedener Äusserungen und der Aussagen des Beschwerdeführers
anlässlich der Anhörung nach wie vor glaubhaft erscheine. Dieser beteuert mit
seinen Beschwerden zwar, weder gegenüber der Beschwerdegegnerin noch gegenüber
den Kindern je Drohungen ausgesprochen zu haben. Er zieht die vom Haftrichter
zitierten Äusserungen nicht in Frage, macht hingegen geltend, dass auf seine
Eingaben an das Obergericht nicht abgestellt werden könne. Für die Beurteilung
einer Bedrohungslage kann indes jegliche Äusserung sowie das ganze Verhalten
berücksichtigt werden. In dieser Hinsicht vermag der Beschwerdeführer nicht
darzulegen, dass die Annahmen des Haftrichters geradezu willkürlich seien und
die getroffene Massnahme nicht zu stützen vermöchten. Damit erweisen sich die
Beschwerden auch in diesem Punkte als unbegründet und sind abzuweisen, soweit
darauf eingetreten werden kann.

3.
Gesamthaft sind die Beschwerden im Sinne der Erwägungen abzuweisen, soweit
darauf eingetreten werden kann.

In Anbetracht der gesamten Umstände rechtfertigt es sich, keine Kosten zu
erheben. Damit wird das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege
gegenstanslos. Dem nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer steht keine
Parteientschädigung zu. Die anwaltlich vertretene Beschwerdegegnerin hat in
beiden Verfahren auf eine Vernehmlassung verzichtet und stellt folgerichtig
keinen Antrag auf Parteientschädigung.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerden werden im Sinne der Erwägungen abgewiesen, soweit darauf
einzutreten ist.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bezirksgericht Hinwil, Haftrichter,
schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 27. Mai 2008
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Steinmann