Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.133/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_133/2008 /fun

Urteil vom 6. Juni 2008
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiberin Scherrer.

Parteien
X.________ GmbH, Beschwerdeführerin,

gegen

Y.________, Beschwerdegegner,
Politische Gemeinde Aadorf, vertreten durch den Gemeinderat, Gemeindezentrum,
8355 Aadorf,
Departement für Bau und Umwelt des Kantons Thurgau, Promenade, Postfach, 8510
Frauenfeld.

Gegenstand
Baubewilligung,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 19. Dezember 2007 des Verwaltungsgerichts
des Kantons Thurgau.

Sachverhalt:

A.
Der Eigentümer der in der Wohnzone 2A liegenden Parzellen Nrn. 5042 und 5043 in
Guntershausen (Politische Gemeinde Aadorf) beabsichtigt, die beiden Grundstücke
mit je einem Einfamilienhaus inklusive Garage zu überbauen. Die Politische
Gemeinde Aadorf bewilligte das Baugesuch und wies gleichzeitig die Einsprache
der X.________ GmbH ab. Letztere ist Eigentümerin der südlich gelegenen, aber
nicht direkt ans Bauvorhaben anstossenden Parzellen Nrn. 5023 und 4652.

B.
Gegen den abweisenden Entscheid gelangte die X.________ GmbH an das Departement
für Bau und Umwelt des Kantons Thurgau, welches den erstinstanzlichen Entscheid
am 30. Juli 2007 bestätigte. Daraufhin erhob die unterlegene Rekurrentin
Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau. Dieses trat mit Urteil
vom 19. Dezember 2007 mangels Legitimation der Beschwerdeführerin nicht auf die
Beschwerde ein.

C.
Mit als "staatsrechtliche Beschwerde" bezeichneter Eingabe vom 17. März 2008
ficht die X.________ GmbH das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 19. Dezember
2007 an und beantragt dessen Aufhebung. Zudem sei das Verwaltungsgericht des
Kantons Thurgau anzuweisen, auf ihre Beschwerde einzutreten.

Der Bauherr hat sich nicht zur Angelegenheit vernehmen lassen. Die Gemeinde
Aadorf stellt sinngemäss Antrag auf Abweisung der Beschwerde, während das
Departement für Bau und Umwelt des Kantons Thurgau (DBU) beantragt, die
Beschwerde gutzuheissen; es verweist dazu auf seinen Rekursentscheid vom 30.
Juli 2007. Das Verwaltungsgericht schliesst unter Hinweis auf das angefochtene
Urteil auf Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.
1.1 Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz [BGG; SR 173.110]) in Kraft getreten. Der
angefochtene Entscheid erging nach dem 1. Januar 2007. Gemäss Art. 132 Abs. 1
BGG ist hier das Bundesgerichtsgesetz anwendbar.

1.2 Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid, mit welchem auf
eine Beschwerde gegen die Baubewilligung für zwei Einfamilienhäuser nicht
eingetreten wurde, weil die Beschwerdeführerin mangels genügender Betroffenheit
durch das Bauprojekt nicht zur Beschwerde legitimiert sei. Das Urteil des
Verwaltungsgerichts stützt sich mithin auf öffentliches Recht (vgl. Art. 82
lit. a BGG) und stellt einen kantonalen Endentscheid dar (vgl. Art. 86 Abs. 1
lit. d und Abs. 2 i.V.m. Art. 90 BGG).

1.3 Die Beschwerdeführerin macht u.a. geltend, das Verwaltungsgericht sei auf
ihre Beschwerde zu Unrecht nicht eingetreten und habe somit ihren Anspruch auf
rechtliches Gehör verletzt. Zu dieser Rüge ist sie nach Art. 89 BGG befugt,
ungeachtet ihrer Legitimation in der Sache. Auf die rechtzeitig erhobene
Beschwerde ist daher grundsätzlich einzutreten. Die unrichtige
Rechtsmittelbezeichnung schadet dabei nicht.

2.
Die Beschwerdeführerin wirft dem Verwaltungsgericht vor, sie zu Unrecht nicht
zur Beschwerde zugelassen zu haben.

2.1 Gemäss Art. 33 Abs. 3 lit. a RPG (SR 700) gewährleistet das kantonale Recht
gegen Verfügungen betreffend die Raumplanung (z.B. Baubewilligungen gemäss Art.
22 RPG) die Legitimation mindestens im gleichen Umfang wie für die Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Ferner schreibt
Art. 111 BGG in Fortführung von Art. 98a des früheren
Bundesrechtspflegegesetzes vom 16. Dezember 1943 (OG) die Einheit des
Verfahrens vor: Wer zur Beschwerde an das Bundesgericht berechtigt ist, muss
sich am Verfahren vor allen kantonalen Vorinstanzen als Partei beteiligen
können (Art. 111 Abs. 1 BGG); die unmittelbare Vorinstanz des Bundesgerichts
muss grundsätzlich mindestens die Rügen nach den Artikeln 95-98 BGG prüfen
können (Art. 111 Abs. 3 BGG). Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass die
kantonalen Behörden die Rechtsmittelbefugnis nicht enger fassen dürfen, als
dies für die Beschwerde an das Bundesgericht vorgesehen ist. Zur Beurteilung,
ob das Verwaltungsgericht die Beschwerdeführerin teilweise vom Rechtsmittel
ausschliessen durfte, ist im vorliegenden Fall die Beschwerdeberechtigung nach
den Grundsätzen von Art. 89 Abs. 1 BGG, welche mit denjenigen des bisherigen
Art. 103 lit. a OG übereinstimmen, zu prüfen. Wäre die Beschwerdeführerin
befugt, gegen einen Sachentscheid über das Bauvorhaben auf den Parzellen Nrn.
5042 und 5043 beim Bundesgericht Beschwerde zu führen, so muss das
Verwaltungsgericht auf ihr Rechtsmittel eintreten.

2.2 Zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist nach Art. 89
Abs. 1 BGG berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat
oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a); durch den
angefochtenen Entscheid oder Erlass besonders berührt ist (lit. b); und ein
schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat (lit. c).

2.3 Die Behauptung allein, jemand sei von den Folgen einer Baubewilligung
betroffen, genügt nicht, um die Beschwerdebefugnis zu begründen. Vielmehr muss
aufgrund des konkreten Sachverhaltes das besondere Berührtsein (lit. b) und das
schutzwürdige Interesse (lit. c) glaubhaft erscheinen, ansonsten jedermann, der
eine unzutreffende Behauptung aufstellt, die Beschwerdeberechtigung zustünde.
Dies liefe im Ergebnis auf eine unzulässige Popularbeschwerde hinaus. Die
Voraussetzungen von Art. 89 Abs. 1 lit. b und lit. c BGG hängen eng zusammen;
insgesamt kann insoweit an die Grundsätze, die zur Legitimationspraxis bei der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Art. 103 lit. a OG entwickelt worden sind
(vgl. BGE 120 Ib 48 E. 2a S. 51 f., 379 E. 4b S. 386 f.), angeknüpft werden.
Will der Nachbar eine Baubewilligung anfechten, muss er glaubhaft darlegen,
dass er namentlich in räumlicher Hinsicht eine besondere Beziehungsnähe zum
Streitgegenstand aufweist und dass seine tatsächliche oder rechtliche Situation
durch den Ausgang des Verfahrens beeinflusst werden kann (BGE 133 II 249 E.
1.3.1 S. 252). Bei der Beurteilung der Beschwerdelegitimation ist eine
Würdigung aller rechtlich erheblichen Sachverhaltselemente vorzunehmen. Eine
besondere Betroffenheit wird vor allem in Fällen bejaht, in welchen von einer
Anlage mit Sicherheit oder grosser Wahrscheinlichkeit Immissionen auf das
Nachbargrundstück ausgehen (BGE 121 II 171 E. 2b S. 174; 120 Ib 379 E. 4c S.
387) oder die Anlage einen besonderen Gefahrenherd darstellt und die Anwohner
einem besonderen Risiko ausgesetzt werden (BGE 120 Ib 379 E. 4d S. 388).

2.4 Vorliegend hat das Verwaltungsgericht in erster Linie auf den Umstand
abgestellt, dass die Grundstücke der Beschwerdeführerin nicht unmittelbar an
die Parzellen des Bauherrn anstossen und deswegen die Legitimation verneint.
Zwar ist die räumliche Distanz des Nachbarn zu einem umstrittenen Vorhaben ein
Kriterium für die Beurteilung der Beschwerdebefugnis. Allerdings kommt es nicht
auf abstrakt bestimmte Distanzwerte an (vgl. Heinz Aemisegger/Stephan Haag,
Kommentar zum RPG, Zürich 1999, Art. 33 Rz. 39). Indem das Verwaltungsgericht
bei Terrainveränderungen generell nur auf Beschwerden von direkt angrenzenden
Grundeigentümern einzutreten scheint, stellt es strengere Anforderungen an die
Beschwerdelegitimation als das Bundesgericht.

2.5 Demgegenüber war das DBU zuvor zu Recht zum Schluss gelangt, die weiter
südlich, etwas tiefer und in Sichtweite zu den Bauparzellen liegenden
Grundstücke der Beschwerdeführerin seien mehr als andere betroffen, sofern auf
den oben liegenden Bauparzellen übermässige Terrainveränderungen bewilligt und
die dort geplanten Bauten zusätzlich angehoben würden. Das Departement hatte in
Erwägung gezogen, die Beschwerdeführerin bringe im Wesentlichen vor, das
Ausmass der geplanten Terrainaufschüttungen sei ungerechtfertigt und der Bau
von dreigeschossigen Gebäuden nicht zonenkonform. Nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung würden Bestimmungen über die zulässigen Baumasse und -abstände
auch dem Schutz der Nachbarn dienen. Vorliegend sei zu berücksichtigen, dass
die Grundstücke der Beschwerdeführerin einerseits in Sichtweite der
Baugrundstücke lägen und andererseits das Gelände in der Umgebung von Norden
nach Süden abfalle, so dass sich Terrainveränderungen wie auch die Höhe der
Gebäude auf die Unterlieger spürbar auswirken könnten.

2.6 Dieser Argumentation ist zuzustimmen, zumal sich zwischen den Grundstücken
der Beschwerdeführerin und denjenigen des Bauherrn lediglich die Parzelle Nr.
5039 befindet. Die nächstgelegene Parzelle der Beschwerdeführerin liegt nur
rund 18 m südwestlich der Bauparzelle Nr. 5042 entfernt. Aufgrund der
abfallenden Hanglage kann dem DBU in seiner Einschätzung der möglichen
Auswirkungen des Bauvorhabens auf die beschwerdeführerischen Grundstücke
gefolgt werden. Nicht zu überzeugen vermag in diesem Zusammenhang die
Überlegung des Verwaltungsgerichts, wonach keine zusätzlichen negativen
Immissionen wie Entzug von Licht oder Schattenwurf zu erwarten seien. Gerade
weil die Grundstücke der Beschwerdeführerin weiter unten im Gelände liegen,
tritt das Bauvorhaben aus ihrer Sicht noch massiver in Erscheinung. Die
Beschwerdeführerin ist darum zumindest in tatsächlicher Hinsicht stärker als
die Allgemeinheit vom Bauvorhaben betroffen, auch wenn mit den
Beeinträchtigungen allenfalls kein Schattenwurf einhergehen mag. Das
Verwaltungsgericht wird die Angelegenheit darum nochmals in materieller
Hinsicht zu prüfen haben.

3.
Es ergibt sich, dass die vorliegende Beschwerde gutzuheissen ist. Der
angefochtene Entscheid wird aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zur
weiteren Behandlung zurückgewiesen (Art. 107 Abs. 2 BGG). Bei diesem Ausgang
des bundesgerichtlichen Verfahrens werden keine Gerichtskosten erhoben (Art. 66
Abs. 4 BGG). Der anwaltlich nicht vertretenen Beschwerdeführerin ist
praxisgemäss keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Thurgau vom 19. Dezember 2007 aufgehoben. Die Angelegenheit wird zur
materiellen Prüfung der Beschwerde vom 16. August 2007 an die Vorinstanz
zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben und keine Parteientschädigungen
zugesprochen.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Politischen Gemeinde Aadorf, dem
Departement für Bau und Umwelt sowie dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau
schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 6. Juni 2008
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Féraud Scherrer