Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.130/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_130/2008 /fun

Beschluss vom 30. Mai 2008
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Reeb,
Gerichtsschreiber Härri.

Parteien
1. Firma X.________,
2. Y.________ AG,
3. Z.________ AG,
Beschwerdeführerinnen, alle drei vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Martin
Burkhardt,

gegen

Schweizerische Bundesanwaltschaft, Taubenstrasse 16, 3003 Bern.

Gegenstand
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen an Deutschland,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 4. März 2008
des Bundesstrafgerichts, II. Beschwerdekammer.

Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führte ein Strafverfahren gegen A.________ und
B.________ u.a. wegen des Verdachts der Bestechung ausländischer Amtsträger.
Mit Rechtshilfeersuchen vom 24. März 2004, ergänzt am 11. Oktober 2005, bat sie
die schweizerischen Behörden um die Erhebung von Kontounterlagen bei
verschiedenen Banken.

Mit Schlussverfügung vom 26. Juli 2007 entsprach die Bundesanwaltschaft dem
Rechtshilfeersuchen (Ziff. 1) und ordnete die Herausgabe von Unterlagen zu
Konten der Firma X.________, der Y.________ AG sowie der Z.________ AG an die
ersuchende Behörde an (Ziff. 2).

Die von der Firma X.________, der Y.________ AG und der Z.________ AG dagegen
erhobene Beschwerde wies das Bundesstrafgericht (II. Beschwerdekammer) am 4.
März 2008 zur Hauptsache ab.

B.
Gegen den Entscheid des Bundesstrafgerichts erhoben die Firma X.________, die
Y.________ AG und die Z.________ AG am 25. März 2008 Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit verschiedenen Anträgen.

C.
Mit Eingaben je vom 16. April 2008 beantragen die Bundesanwaltschaft und das
Bundesamt für Justiz, die Beschwerde sei als gegenstandslos geworden
abzuschreiben. Die Bundesanwaltschaft hält dafür, die Eintretensvoraussetzung
des besonders bedeutenden Falles nach Art. 84 BGG wäre nicht erfüllt gewesen,
weshalb den Beschwerdeführerinnen die Kosten zu auferlegen seien.

D.
Am 18. April 2008 gab das Bundesgericht den Beschwerdeführerinnen Gelegenheit,
zur Gegenstandslosigkeit und zur Kosten- und Entschädigungsregelung Stellung zu
nehmen.

Mit Eingabe vom 15. Mai 2008 beantragen die Firma X.________, die Y.________ AG
und die Z.________ AG, das Rechtshilfeverfahren unter Einschluss des am 25.
März 2008 anhängig gemachten Beschwerdeverfahrens in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten sei als gegenstandslos zu erklären und abzuschreiben; der
Entscheid des Bundesstrafgerichts vom 4. März 2008 sei aufzuheben und es seien
den Beschwerdeführerinnen keine Verfahrens- bzw. Gerichtskosten aus den
Verfahren vor der Bundesanwaltschaft, vor dem Bundesstrafgericht und dem
Bundesgericht aufzuerlegen; den Beschwerdeführerinnen seien durch die
Schweizerische Eidgenossenschaft folgende Parteientschädigungen zu entrichten:
- für das Verfahren vor der Bundesanwaltschaft Fr. 40'211.20;
- für das Verfahren vor Bundesstrafgericht Fr. 30'807.95;
- für das Verfahren vor Bundesgericht Fr. 38'158.10.
Eventualiter sei das Verfahren zur Beurteilung der vor- und erstinstanzlichen
Kosten- und Entschädigungsfrage im Sinne der bundesgerichtlichen Erwägungen an
die Vor- bzw. erste Instanz zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.
Wie sich aus der Eingabe der Bundesanwaltschaft vom 16. April 2008 ergibt, hält
die ersuchende Behörde am Rechtshilfeersuchen nicht mehr fest. Die Dokumente
gemäss Ziffer 2 der Schlussverfügung werden deshalb nicht nach Deutschland
übermittelt.

Bei dieser Sachlage haben die Beschwerdeführerinnen unstreitig kein Interesse
mehr an der Behandlung der Beschwerde. Diese ist gegenstandslos geworden und am
Geschäftsverzeichnis abzuschreiben.

2.
2.1 Gemäss Art. 71 BGG in Verbindung mit Art. 72 BZP ist mit summarischer
Begründung über die Prozesskosten aufgrund der Sachlage vor Eintritt des
Erledigungsgrundes zu entscheiden.

Bei der Beurteilung der Kosten- und Entschädigungsfolgen ist somit in erster
Linie auf den mutmasslichen Ausgang des Prozesses abzustellen. Die Regelung
bezweckt, denjenigen, der in guten Treuen Beschwerde erhoben hat, nicht im
Kostenpunkt dafür zu bestrafen, dass die Beschwerde infolge nachträglicher
Änderung der Umstände abzuschreiben ist, ohne dass ihm dies anzulasten wäre.
Bei der summarischen Prüfung des mutmasslichen Prozessausgangs ist nicht auf
alle Rügen einzeln und detailliert einzugehen (BGE 118 Ia 488 E. 4a 494 f.).

2.2 Gemäss Art. 84 BGG ist gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der
internationalen Rechtshilfe in Strafsachen die Beschwerde nur zulässig, wenn er
unter anderem eine Übermittlung von Informationen aus dem Geheimbereich
betrifft und es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt (Abs. 1). Ein
besonders bedeutender Fall liegt insbesondere vor, wenn Gründe für die Annahme
bestehen, dass elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das
Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist (Abs. 2).

Art. 84 BGG bezweckt die starke Begrenzung des Zugangs zum Bundesgericht im
Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen (BGE 133 IV 131 E. 3 S.
132; 133 IV 132 E. 1.3 S. 134; 133 IV 271 E. 2.2.2 S. 274).

Bei der Beantwortung der Frage, ob ein besonders bedeutender Fall gegeben ist,
steht dem Bundesgericht ein weiter Ermessensspielraum zu (BGE 1C_205/2007 vom
18. Dezember 2007 E. 1.3.1, mit Hinweis).

2.3 Die Beschwerdeführerinnen äussern sich (Beschwerde S. 4 ff.) zur
Zulässigkeitsvoraussetzung des besonders bedeutenden Falles. Sie machen
geltend, die besondere Bedeutung des vorliegenden Falles ergebe sich aufgrund
der Verletzung eines elementaren Verfahrensgrundsatzes. Die Bundesanwaltschaft
habe der Staatsanwaltschaft Stuttgart in Umgehung der Vorschriften und
Grundsätze des Bundesgesetzes vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe
in Strafsachen (Rechtshilfegesetz, IRSG; SR 351.1) vor dem Abschluss des
Rechtshilfeverfahrens durch eine anfechtbare Schlussverfügung nach Art. 80d
IRSG Auskunft über sensible Daten aus dem Geheimbereich erteilt.

2.4 Die Bundesanwaltschaft hat mit Schreiben vom 15. April 2005
(Beschwerdebeilage 8) die Staatsanwaltschaft Stuttgart über das
Rechtshilfeverfahren orientiert. Das Schreiben ist knapp. Jedenfalls über die
Beschwerdeführerinnen sind darin entgegen ihren Vorbringen keine sensiblen
Daten enthalten. Die Beschwerdeführerinnen und ihre Konten werden im Einzelnen
gar nicht genannt. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die Angaben im Schreiben
vom 15. April 2005 den Beschwerdeführerinnen hätten zum Nachteil gereichen
können.
Selbst wenn man einen solchen Nachteil annehmen wollte, würde das den
Beschwerdeführerinnen nicht helfen. Nach der Rechtsprechung besteht kein
Anlass, vom ersuchenden Staat die Rückerstattung vorzeitig übermittelter
Unterlagen bzw. die Zusicherung zu verlangen, er werde die darin enthaltenen
Informationen nicht verwenden, wenn sich nachträglich ergibt, dass die
materiellen Voraussetzungen der Rechtshilfe gegeben sind (Urteile 1A.112/1995
vom 20. Juli 1995 E. 2c/aa; 1A.153/1994 vom 19. August 1994 E. 4d; Robert
Zimmermann, La coopération judiciaire internationale en matière pénale, 2.
Aufl., Bern 2004, S. 178/179). Die Vorinstanz bejahte die materiellen
Voraussetzungen der Rechtshilfe. Sie hatte somit keinen Grund, vom ersuchenden
Staat die Zusicherung zu verlangen, Informationen im Schreiben vom 15. April
2005 nicht zu verwenden. Damit ist nicht ersichtlich, inwiefern es im Ergebnis
Bundesrecht verletzen könnte, wenn die Vorinstanz auf den entsprechenden Antrag
der Beschwerdeführerinnen nicht eingetreten ist und die Sache insoweit
zuständigkeitshalber dem Bundesamt für Justiz als Aufsichtsbehörde (Art. 3
IRSV) überwiesen hat zur Prüfung allfälliger aufsichtsrechtlicher Massnahmen.

Die Rechtslage bei vorzeitiger Übermittlung von Informationen an den
ersuchenden Staat ist aufgrund der dargelegten bundesgerichtlichen
Rechtsprechung geklärt. Darauf zurückzukommen hätte kein Anlass bestanden.
Unter diesen Umständen ist bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass das
Bundesgericht - im Lichte seiner restriktiven Praxis - den vorliegenden Fall
mit Blick auf das Schreiben vom 15. April 2005 nicht als besonders bedeutend im
Sinne von Art. 84 BGG eingestuft hätte.

Was die Beschwerdeführerinnen zur Frage der Verhältnismässigkeit der
Rechtshilfe und ihrer zeitlichen Ausdehnung vorbringen, hätte ebenso wenig zur
Annahme eines besonders bedeutenden Falles geführt.

Bei summarischer Prüfung ist somit davon auszugehen, dass das Bundesgericht die
vorliegende Beschwerde im Verfahren nach Art. 109 Abs. 1 und 3 BGG als
unzulässig beurteilt hätte.

Damit rechtfertigt es sich, den Beschwerdeführerinnen für das
bundesgerichtliche Verfahren eine Gerichtsgebühr zu auferlegen (Art. 66 Abs. 1
Satz 1 BGG) und ihnen keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1
und 2 BGG).

3.
3.1 Die Beschwerdeführerinnen beantragen, der vorinstanzliche Entscheid vom 4.
März 2008 sei aufzuheben und es seien ihnen keine Verfahrens- bzw.
Gerichtskosten aus den Verfahren vor der Bundesanwaltschaft und der Vorinstanz
aufzuerlegen; ausserdem sei ihnen für das Verfahren vor der Bundesanwaltschaft
und der Vorinstanz eine im Einzelnen bezifferte Parteientschädigung zu
entrichten.

3.2 Wird der angefochtene Entscheid geändert, so kann das Bundesgericht gemäss
Art. 67 BGG die Kosten des vorangegangenen Verfahrens anders verteilen. Der
Entscheid der Vorinstanz über die Parteientschädigung wird gemäss Art. 68 Abs.
5 BGG vom Bundesgericht je nach Ausgang des Verfahrens bestätigt, aufgehoben
oder geändert. Dabei kann das Gericht die Entschädigung nach Massgabe des
anwendbaren eidgenössischen oder kantonalen Tarifs selbst festsetzen oder die
Festsetzung der Vorinstanz übertragen.

Die Regelung über die Kosten nach Art. 67 BGG entspricht jener über die
Parteientschädigung nach Art. 68 Abs. 5 BGG. Diese Bestimmungen wurden aus dem
bisherigen Recht übernommen (Thomas Geiser, in: Niggli/Uebersax/Wiprächtiger
[Hrsg.], Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, 2008, Art. 67 N. 1 und Art.
68 N. 24).

Den Entscheid über die Kosten und Parteientschädigung im vorangegangenen
Verfahren kann das Bundesgericht nach Art. 67 und 68 Abs. 5 BGG nur abändern,
wenn es auch den Entscheid in der Sache selbst ändert (vgl. BGE 91 II 146 E. 3
S. 150). Das ist hier, wo die Sache gegenstandslos geworden ist, nicht der
Fall. Auf den Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und das
Bundesgericht solle über die Kosten- und Entschädigungsfolgen für das
vorangegangene Verfahren entscheiden, kann somit nicht eingetreten werden.

Allerdings ist mit dem Rückzug des Rechtshilfeersuchens auch der
vorinstanzliche Entscheid gegenstandslos geworden. Das Bundesgericht hat unter
der Herrschaft des Bundesrechtspflegegesetzes vom 16. Dezember 1943 (OG; SR
173.110) in einer derartigen Konstellation die Sache jeweils zur Überprüfung
und allfälligen Neuregelung der Kostenfolgen der Vorinstanz übermittelt (vgl.
Beschlüsse 1A.164/2005 vom 15. November 2005 E. 5; 1A.192/1994 vom 24. Juni
1998 E. 3; 2A.135/1996 vom 24. Oktober 1996 E. 4). Davon unter der Herrschaft
des Bundesgerichtsgesetzes abzuweichen, besteht kein Anlass. Die Sache wird
deshalb in Gutheissung des Eventualantrags der Vorinstanz übermittelt, damit
sie prüfe, ob die Kosten- und Entschädigungsregelung des dem
bundesgerichtlichen vorangegangenen Verfahrens mit Blick auf die inzwischen
eingetretene Gegenstandslosigkeit zu bestätigen oder allenfalls zu ändern sei.

Demnach beschliesst das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird als gegenstandslos geworden am Geschäftsverzeichnis
abgeschrieben.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden den Beschwerdeführerinnen auferlegt.

3.
Die Sache wird zur Überprüfung der Kosten- und Entschädigungsregelung für das
vorangegangene Verfahren dem Bundesstrafgericht, II. Beschwerdekammer,
übermittelt.

4.
Dieser Beschluss wird den Beschwerdeführerinnen, der Schweizerischen
Bundesanwaltschaft, dem Bundesstrafgericht, II. Beschwerdekammer, und dem
Bundesamt für Justiz, Abteilung internationale Rechtshilfe, Sektion
Rechtshilfe, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 30. Mai 2008
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Härri