Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.80/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_80/2008 /fun

Urteil vom 27. Juni 2008
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Eusebio,
Gerichtsschreiber Härri.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Z.________,

gegen

Rechtsanwältin Y.________, Beschwerdegegnerin,
Jugendanwaltschaft Unterland, Sonnenhof 1,
Postfach 240, 8180 Bülach.

Gegenstand
Wechsel des amtlichen Verteidigers,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 22. Februar 2008 des Obergerichts des
Kantons Zürich, III. Strafkammer.

Sachverhalt:

A.
Die Jugendanwaltschaft Unterland führt eine Strafuntersuchung gegen X.________
wegen des Verdachts der Vergewaltigung und des Raubs.

Am 13. April 2007 bestellte der Jugendgerichtspräsident am Bezirksgericht
Bülach Rechtsanwältin Y.________ zur amtlichen Verteidigerin von X.________.

Am 26. November 2007 ersuchte Rechtsanwalt Z.________ darum, er sei anstelle
von Rechtsanwältin Y.________ als amtlicher Verteidiger einzusetzen.

Mit Verfügung vom 20. Dezember 2007 wies der Jugendgerichtspräsident das Gesuch
ab.

Den hiergegen von X.________ erhobenen Rekurs wies das Obergericht des Kantons
Zürich (III. Strafkammer) mit Beschluss vom 22. Februar 2008 ab.

B.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Beschluss des
Obergerichts sei aufzuheben und der Wechsel der amtlichen Verteidigung zu
bewilligen.

C.
Das Obergericht, die Jugendanwaltschaft und Rechtsanwältin Y.________ haben auf
Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
1.1 Der angefochtene Entscheid erging im Rahmen eines Strafverfahrens und
stützt sich auf kantonales Strafprozessrecht. Damit ist gemäss Art. 78 Abs. 1
BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben (vgl. ebenso BGE 133 IV 335 E. 2;
Urteil 1B_237/2007 vom 8. Januar 2008 E. 1.1).

1.2 Gegen den angefochtenen Beschluss steht kein kantonales Rechtsmittel zur
Verfügung. Die Beschwerde ist nach Art. 80 BGG zulässig.

1.3 Der Beschwerdeführer ist Beschuldigter. Er hat vor der Vorinstanz am
Verfahren teilgenommen und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung
oder Änderung des angefochtenen Entscheids. Er ist daher nach Art. 81 Abs. 1
BGG zur Beschwerde befugt (vgl. Urteil 1B_237/2007 vom 8. Januar 2008 E. 1).

1.4 Der angefochtene Beschluss stellt einen Zwischenentscheid dar, der das
Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer nicht abschliesst. Es handelt sich um
keinen Zwischenentscheid über die Zuständigkeit und den Ausstand nach Art. 92
BGG, sondern um einen "anderen Zwischenentscheid" nach Art. 93 BGG. Die
Beschwerde ist damit gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nur zulässig, wenn der
angefochtene Beschluss einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken
kann. Ein Fall, bei dem die Beschwerde nach Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG zulässig
wäre, liegt hier offensichtlich nicht vor (BGE 133 IV 335 E. 4 S. 338; Urteil
1B_237/2007 vom 8. Januar 2008 E. 1.2; vgl. auch BGE 126 I 207 E. 1c S. 210).

Der im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nicht wieder gutzumachende Nachteil
muss rechtlicher Natur und somit auch mit einem für den Beschwerdeführer
günstigen Endentscheid nicht oder nicht vollständig behebbar sein (BGE 134 III
188 E. 2.1 f. S. 190 f., mit Hinweisen).

Nach der Rechtsprechung hat die Abweisung eines Gesuches um einen Wechsel des
amtlichen Verteidigers, besondere Umstände vorbehalten, keinen nicht wieder
gutzumachenden rechtlichen Nachteil zur Folge, da dem Gesuchsteller, anders als
im Falle der Verweigerung der unentgeltlichen Verbeiständung, auf jeden Fall
ein Verteidiger zur Seite steht, welcher die Waffengleichheit und damit ein
faires Verfahren sicherstellt. Allfällige Mängel einer solchen Verteidigung
können durch eine Wiederholung des Verfahrens nach einem erfolgreichen
Rechtsmittel gegen den Endentscheid gänzlich behoben werden (BGE 133 IV 335 E.
4 S. 339; 126 I 207 E. 2b S. 211).

Besondere Umstände liegen vor, wenn es um eine Interessenkollision beim
amtlichen Verteidiger geht. Hier kann die Aufrechterhaltung einer wirksamen
Verteidigung in Frage gestellt sein. Insoweit ist nach der Rechtsprechung ein
nicht wieder gutzumachender rechtlicher Nachteil und damit die Anfechtbarkeit
des Zwischenentscheids ausnahmsweise zu bejahen (Urteil 1B_237/2007 vom 8.
Januar 2008 E. 1.7.1).

Im vorliegenden Fall macht der Beschwerdeführer eine Interessenkollision bei
der amtlichen Verteidigerin geltend. Er begründet dies damit, diese habe nicht
nur ihn, sondern im gleichen Verfahren ebenso einen Mitangeschuldigten
vertreten.

Im Lichte der dargelegten Rechtsprechung ist hier insoweit ausnahmsweise ein
nicht wieder gutzumachender Nachteil rechtlicher Natur zu bejahen, weshalb die
Beschwerde auch unter diesem Gesichtswinkel zulässig ist.

1.5 Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer rügt (S. 9), die Vorinstanz stütze sich im
angefochtenen Beschluss auf die Stellungnahme von Rechtsanwältin Y.________ zum
Rekurs. Diese Stellungnahme sei ihm nie zur Kenntnis gebracht worden, weshalb
er sich dazu nicht habe äussern können. Damit habe die Vorinstanz seinen
Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV verletzt.

Der Einwand ist vorweg zu prüfen. Ist er begründet, erübrigt sich eine
Auseinandersetzung mit den weiteren Vorbringen in der Beschwerde.

2.2 Nach der Rechtsprechung umfasst der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss
Art. 29 Abs. 2 BV das Recht, von jeder dem Gericht eingereichten Stellungnahme
Kenntnis zu nehmen und sich dazu äussern zu können, unabhängig davon, ob diese
neue Tatsachen oder Argumente enthält und ob sie das Gericht tatsächlich zu
beeinflussen vermag (BGE 133 I 100 E. 4.3 ff. S. 102 ff.; 98 E. 2.1 f. S. 99
f.; 132 I 42 E. 3.3.3 S. 46 f.).

2.3 Rechtsanwältin Y.________ hat am 13. Februar 2008 dem Obergericht eine
ausführliche Stellungnahme zum Rekurs des Beschwerdeführers eingereicht (act.
13). Darin hat sie sich (S. 5 f.) insbesondere einlässlich zur geltend
gemachten Interessenkollision geäussert. Aus den Akten ergibt sich nicht, dass
diese Stellungnahme dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht worden wäre. Das
Obergericht, das auf Vernehmlassung verzichtet hat, macht dies auch nicht
geltend.

Hat demnach das Obergericht die Stellungnahme von Rechtsanwältin Y.________ dem
Beschwerdeführer nicht zugestellt und konnte sich dieser deshalb dazu nicht
äussern, hat es im Lichte der dargelegten Rechtsprechung dessen Anspruch auf
rechtliches Gehör verletzt.

2.4 Die Heilung der Gehörsverletzung im bundesgerichtlichen Verfahren käme nur
dann in Betracht, wenn die Kognition des Bundesgerichts gegenüber derjenigen
der Vorinstanz nicht eingeschränkt wäre. An dieser Voraussetzung fehlt es. Der
Rekurs an das Obergericht ist ein vollkommenes Rechtsmittel, mit dem alle
Mängel - Tat-, Rechts- und Ermessensfragen - des angefochtenen Entscheids
gerügt werden können. Es sind auch neue Tatsachenbehauptungen und Beweise
möglich (Niklaus Schmid, Strafprozessrecht, 4. Aufl., Zürich 2004, S. 383 N.
1014). Dem Bundesgericht kommt demgegenüber keine volle Kognition zu. Seine
Befugnis zur Überprüfung des Sachverhalts ist beschränkt; es kann nur
eingreifen, wenn die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

Im Zusammenhang mit der vom Beschwerdeführer geltend gemachten
Interessenkollision geht es auch um Sachverhaltsfragen (vgl. Beschwerde S. 7
und 8). Die Verletzung des rechtlichen Gehörs kann demnach im
bundesgerichtlichen Verfahren nicht geheilt werden.

2.5 Der angefochtene Beschluss ist damit aufzuheben und die Sache an die
Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 107 Abs. 2 Satz 1 BGG).

3.
Rechtsanwältin Y.________ hat im bundesgerichtlichen Verfahren auf
Vernehmlassung verzichtet und keinen Antrag auf Abweisung der Beschwerde
gestellt. Sie hat es ausserdem nicht zu vertreten, dass die Vorinstanz dem
Beschwerdeführer ihre Stellungnahme zum Rekurs nicht zur Kenntnis gebracht hat.
Es werden ihr deshalb keine Kosten auferlegt. Der Kanton trägt ebenfalls keine
Kosten (Art. 66 Abs. 4 BGG). Dagegen hat er dem Vertreter des Beschwerdeführers
für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung zu bezahlen (Art. 68
Abs. 1 und 2 BGG).

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist damit
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Beschluss des Obergerichts des Kantons
Zürich vom 22. Februar 2008 aufgehoben und die Sache an dieses zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Zürich hat dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt
Z.________, eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Jugendanwaltschaft Unterland und dem
Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 27. Juni 2008
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Härri