Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.4/2008
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1B_4/2008

Urteil vom 29. Januar 2008

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Forster.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Cornel Wehrli,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, 5001 Aarau.

Vorzeitiger Strafvollzug, Versetzung in eine offene Justizvollzugsanstalt,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 5. Dezember 2007 des Präsidium der
Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Aargau.
Sachverhalt:

A.
Die Aargauer Strafjustiz führt ein Strafverfahren gegen X.________. Dem
Angeklagten wird vorgeworfen, am 23. Oktober 2005 seine Ehefrau mit vierzehn
Schüssen aus einem Revolver getötet zu haben. Er habe dabei (jeweils nach
fünf Schüssen) zweimal nachgeladen und die letzten fünf Schüsse auf den Kopf
des bereits reglosen Opfers abgegeben. Die Strafuntersuchung wurde mit
Schlussbericht des Bezirksamtes Rheinfelden vom 26. November 2007
abgeschlossen. Am 14. Dezember 2007 hat die Staatsanwaltschaft des Kantons
Aargau Anklage beim Bezirksgericht Rheinfelden erhoben. Die Hauptverhandlung
wurde auf den 5. März 2008 anberaumt.

B.
Der Angeklagte wurde am 23. Oktober 2005 verhaftet und in Untersuchungshaft
versetzt. Am 16. Februar 2006 stellte er ein Gesuch um vorzeitigen
Strafvollzug. Mit Verfügung vom 24. März 2006 bewilligte das Präsidium der
Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Aargau das Gesuch, worauf der
Angeklagte am 30. März 2006 zum vorzeitigen Strafantritt in die Strafanstalt
Bostadel versetzt wurde. Am 28. November 2007 ersuchte der Angeklagte um
seine Versetzung in eine offene Strafanstalt. Mit Verfügung vom 5. Dezember
2007 wies das Präsidium der kantonalen Beschwerdekammer das Versetzungsgesuch
ab.

C.
Gegen die Verfügung vom 5. Dezember 2007 des Beschwerdekammerpräsidiums
gelangte X.________ mit Beschwerde in Strafsachen vom 7. Januar 2008 an das
Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und
seine Versetzung in eine offene Vollzugsanstalt.

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt mit Stellungnahme vom 15.
Januar 2008 die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist,
während das Präsidium der kantonalen Beschwerdekammer auf eine Vernehmlassung
ausdrücklich verzichtet hat. Der Beschwerdeführer erhielt Gelegenheit zur
Replik.
Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein Zwischenentscheid betreffend Vollzugsregime der
strafprozessualen Haft. Der Beschwerdeführer befindet sich (auf
entsprechenden Antrag hin) seit 30. März 2006 im vorzeitigen Strafvollzug in
der Strafanstalt Bostadel. Er stellt ausdrücklich kein Gesuch um
Haftentlassung. Streitig ist die von ihm beantragte Versetzung in eine offene
Justizvollzugsanstalt. Der kantonale Zwangsmassnahmenrichter hat dieses
Gesuch (gestützt auf § 75 Abs. 3-4 StPO/AG i.V.m. § 46 Abs. 2 der
aargauischen Strafvollzugsverordnung) abgewiesen.

Gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen
Entscheide in Strafsachen. Der Begriff "Entscheide in Strafsachen" umfasst
sämtliche Entscheidungen, denen materielles Strafrecht oder Strafprozessrecht
zu Grunde liegt. Mit anderen Worten kann grundsätzlich jeder Entscheid, der
die Verfolgung oder die Beurteilung einer Straftat betrifft und sich auf
Bundesrecht oder auf kantonales Recht stützt, mit der Beschwerde in
Strafsachen angefochten werden (vgl. Botschaft vom 28. Februar 2001 zur
Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4313). Die Beschwerde in
Strafsachen ist hier grundsätzlich gegeben. Insofern ist auf die Beschwerde
einzutreten.

Die I. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichtes behandelt alle
Beschwerden in Strafsachen gegen strafprozessuale Zwischenentscheide (Art. 29
Abs. 3 BGerR; vgl. BGE 133 IV 278 E. 1.1 S. 280).

2.
Der Beschwerdeführer ruft zunächst Art. 76 StGB als verletzt an. Danach
werden Freiheitsstrafen in einer geschlossenen oder offenen Strafanstalt
vollzogen (Art. 76 Abs. 1 StGB). Der Gefangene wird in eine geschlossene
Strafanstalt oder in eine geschlossene Abteilung einer offenen Strafanstalt
eingewiesen, wenn die Gefahr besteht, dass er flieht, oder zu erwarten ist,
dass er weitere Straftaten begeht (Art. 76 Abs. 2 StGB).

2.1 Es kann offenbleiben, ob im vorliegenden Fall die Vorschriften des StGB
überhaupt selbstständig als verletzt angerufen werden könnten (vgl. Art. 98
BGG).

2.2 Unter dem Vierten Titel "Vollzug von Freiheitsstrafen und
freiheitsentziehenden Massnahmen" (im Ersten Buch/Erster Teil StGB) enthalten
die Artikel 74-92 StGB allgemeine Vorschriften zum Vollzug von rechtskräftig
verhängten Sanktionen. Der Beschwerdeführer befindet sich nicht im Straf-
oder Massnahmenvollzug nach rechtskräftiger Verurteilung, sondern in
strafprozessualer Haft, nämlich im sogenannten vorzeitigen Strafantritt.
Dieser wird (bis zum Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung
vom 5. Oktober 2007) nach wie vor durch das kantonale Strafverfahrensrecht
geregelt (§ 75 Abs. 3-4 StPO/AG i.V.m. Art. 123 Abs. 1 und 3 BV).

Nach Aargauer StPO kann Untersuchungshaft (bzw. Sicherheitshaft nach
Abschluss der Untersuchung) im Einverständnis des Häftlings in einer
Strafanstalt vollzogen werden (§ 75 Abs. 3 StPO/AG). Der Verhaftete ist auch
nach einer solchen Versetzung bis zur rechtskräftigen Verurteilung als
Untersuchungshäftling zu behandeln. Er untersteht jedoch der Hausordnung der
Strafanstalt, soweit es mit dem Zweck der strafprozessualen Haft vereinbar
ist (§ 75 Abs. 4 StPO/AG). Vorzeitiger Strafantritt in einer offenen
Justizvollzugsanstalt setzt voraus, dass keine Fluchtgefahr besteht (vgl. §
46 Abs. 2 der aargauischen Strafvollzugsverordnung). Wie noch zu zeigen sein
wird, ist diese Voraussetzung im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

Aus einer Literaturstelle zum materiellen Sanktionenvollzugsrecht, die der
Beschwerdeführer zitiert, kann er in diesem Zusammenhang nichts
Entscheiderhebliches zu seinen Gunsten ableiten (vgl. Benjamin F. Brägger,
in: Basler Kommentar StGB, Bd. I, 2. Aufl., Basel 2007, Art. 74 N. 8). Dies
umso weniger, als die Anwendung des kantonalen Rechts durch die kantonalen
Behörden auch mit dem (insoweit inhaltlich analogen) Bundesrecht im Einklang
stünde: Art. 76 Abs. 2 StGB würde für die Einweisung von verurteilten
Strafgefangenen in den offenen Vollzug ebenfalls das Fehlen von Fluchtgefahr
verlangen.

2.3 Die Rüge der Verletzung von Art. 76 StGB erweist sich als unbegründet,
soweit darauf überhaupt eingetreten werden kann.

3.
Der Beschwerdeführer rügt sodann, die Ablehnung seines Gesuches um Versetzung
in eine offene Strafanstalt verletze sein verfassungsmässiges Individualrecht
der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV).

3.1 Strafprozessuale Haft darf nach aargauischem Strafverfahrensrecht nur
aufrechterhalten werden, wenn der Verhaftete einer mit Freiheitsstrafe
bedrohten Handlung dringend verdächtig und ausserdem ein besonderer Haftgrund
(wie etwa Fluchtgefahr) erfüllt ist (§ 67 Abs. 1 Ziff. 1 i.V.m. § 75 Abs. 4
und § 76 Abs. 1 StPO/AG). Normalvollzug bzw. vorzeitiger Strafantritt finden
grundsätzlich in einer offenen Vollzugsanstalt statt, falls die dortigen
beschränkten Aufsichts- und Kontrollmöglichkeiten zur Vermeidung einer
Flucht, zur Verhinderung von Straftaten und zum Schutz der Öffentlichkeit
ausreichen (§ 46 Abs. 2 der aargauischen Strafvollzugsverordnung).

3.2 Der Beschwerdeführer bestreitet den dringenden Tatverdacht eines
Tötungsdeliktes nicht. Er wendet sich jedoch gegen die Annahme von
Fluchtgefahr und argumentiert, daraus ergebe sich ein verfassungsmässiger
Anspruch auf Versetzung in den offenen Vollzug.

3.3 Die konkreten Gründe, die im vorliegenden Fall insgesamt für eine
erhebliche Fluchtneigung des Angeklagten sprechen, werden im angefochtenen
Entscheid (Seiten 2-3, Erwägung 4) ausführlich und zutreffend dargelegt. Die
Einwände des Beschwerdeführers tragen insbesondere der Schwere des ihm zur
Last gelegten Kapitalverbrechens (bzw. der ihm drohenden empfindlichen
freiheitsentziehenden Sanktion) nicht ausreichend Rechnung und lassen die
Annahme von Fluchtgefahr nicht als grundrechtswidrig erscheinen (zur
betreffenden einschlägigen Praxis des Bundesgerichtes vgl. BGE 125 I 60 E. 3a
S. 62; 123 I 31 E. 3d S. 36 f.; 117 Ia 69 E. 4a S. 70, je mit Hinweisen).
Verfassungskonform ist auch die Auffassung des kantonalen
Zwangsmassnahmenrichters, im vorliegenden Fall könne der Fluchtneigung auch
durch zusätzliche Massnahmen (wie Pass- und Schriftensperren) nicht in der
Weise begegnet werden, dass sich eine Verlegung in den offenen Vollzug
verantworten liesse. Willkürliche Tatsachenfeststellungen des angefochtenen
Entscheides sind nicht ersichtlich und werden in der Beschwerde weder gerügt,
noch substanziiert.

3.4 Der Beschwerdeführer bestreitet schliesslich noch beiläufig eine
ausreichende gesetzliche Grundlage für den angeordneten Freiheitsentzug (und
rügt damit sinngemäss eine Verletzung von Art. 31 Abs. 1 bzw. Art. 36 Abs. 1
BV). Die Rüge erweist sich als offensichtlich unbegründet, soweit sie
überhaupt ausreichend substanziiert erscheint (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG). Der
strafprozessuale Freiheitsentzug des Beschwerdeführers (in Form des
vorzeitigen Strafantritts) stützt sich auf eine ausreichende
formellgesetzliche Grundlage (nämlich § 67 Abs. 1 Ziff. 1 i.V.m. § 75 Abs.
3-4 StPO/AG). Dass die näheren Vollzugsmodalitäten in der kantonalen
Vollzugsverordnung geregelt sind, hält vor der Verfassung stand.

3.5 Die übrigen vom Beschwerdeführer angerufenen Bestimmungen haben in diesem
Zusammenhang keine über das bereits Dargelegte hinausgehende selbstständige
Bedeutung.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.

Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1
BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Staatsanwaltschaft und dem
Präsidium der Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Aargau
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. Januar 2008

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Forster