Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.327/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_327/2008

Urteil vom 6. Januar 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Eusebio,
Gerichtsschreiberin Schoder.

Parteien
X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Inge Mokry,

gegen

Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat,
Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026 Zürich.

Gegenstand
Haftentlassung,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 21. November 2008 des Bezirksgerichts
Zürich, Haftrichter.
Sachverhalt:

A.
X.________ wird vorgeworfen, in den Jahren 2006 und 2007 als Mitglied einer
Bande im Drogenhandel tätig gewesen zu sein. Die besagte Bande habe in der
fraglichen Zeitspanne in mehreren Malen mindestens 12 Kilogramm Kokain aus
Südamerika in die Schweiz eingeführt und alsdann verkauft. X.________ befindet
sich seit dem 26. Juli 2007 in Untersuchungshaft resp. im vorzeitigen
Strafvollzug.

Am 17. November 2008 ersuchte die Angeschuldigte um Haftentlassung. Der
Haftrichter am Bezirkgericht Zürich wies das Gesuch mit Verfügung vom 21.
November 2008 wegen Fluchtgefahr ab.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________ beim Bundesgericht, die
haftrichterliche Verfügung vom 21. November 2008 sei aufzuheben, und sie sei
aus dem vorzeitigen Strafvollzug zu entlassen. Ferner ersucht die
Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen
Verfahren.

C.
Der Haftrichter und die zuständige Staatsanwältin der Staatsanwaltschaft
Zürich-Limmat verzichten auf Stellungnahme.

Erwägungen:

1.
Die Eintretensvoraussetzungen sind erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen
Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.
2.1 Die Beschwerdeführerin bestreitet den Haftgrund der Fluchtgefahr. Sie rügt
eine Verletzung der persönlichen Freiheit und des Willkürverbots.

2.2 Gemäss § 58 Abs. 1 Ziff. 1 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich vom
4. Mai 1919 (StPO/ZH) ist die Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft
unter anderem zulässig, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder
Vergehens dringend verdächtigt wird und aufgrund bestimmter Anhaltspunkte
Fluchtgefahr ernsthaft zu befürchten ist. Die Untersuchungshaft ist durch
mildere Massnahmen zu ersetzen, sofern sich der Haftzweck auch auf diese Weise
erreichen lässt (§ 58 Abs. 4 i.V.m. § 72 f. StPO/ZH). Unter den gleichen
Voraussetzungen ist die Anordnung und Aufrechterhaltung der Sicherheitshaft
zulässig (§ 67 Abs. 2 Satz 1 StPO/ZH).

2.3 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Verhältnismässigkeit der
Einschränkung der persönlichen Freiheit durch strafprozessuale Haft (Art. 10
Abs. 2, Art. 31 Abs. 1 BV, Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK) braucht es für die
Annahme von Fluchtgefahr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich der
Angeschuldigte, wenn er in Freiheit wäre, der Strafverfolgung und dem Vollzug
der Strafe durch Flucht entziehen würde. Die Schwere der drohenden Strafe darf
als ein Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden. Sie genügt jedoch für sich
allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen. Vielmehr müssen die konkreten
Umstände des betreffenden Falles, insbesondere die gesamten Lebensverhältnisse
des Angeschuldigten, in Betracht gezogen werden (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62; 117
Ia 69 E. 4a S. 70, je mit Hinweisen).

2.4 Neben der mutmasslichen Schwere der zu erwartenden Strafe stützt der
Haftrichter die Fluchtgefahr im vorliegenden Fall auf folgende Lebensumstände:
Die Beschwerdeführerin habe kein Vermögen, jedoch Schulden in der Höhe von rund
CHF 10'000.--. Sie wisse nicht, wie sie diese Schulden begleichen solle. Sie
verfüge über keine Ausbildung und keinen erlernten Beruf und wäre nach der
Haftentlassung arbeitslos. Abgesehen von den Kinderunterhaltsbeiträgen für
ihren Sohn in der Höhe von CHF 800.-- würde sie über kein Einkommen verfügen.
Die Beschwerdeführerin habe Kontakt zu ihrer Grossmutter, welche in Peru lebe.
Diese sei mit einem Touristenvisum in die Schweiz eingereist und habe die
Beschwerdeführerin in der Haftanstalt besucht. Es sei somit davon auszugehen,
dass die Beschwerdeführerin nach wie vor Kontakte zu ihrem ursprünglichen
Heimatland Peru pflege. Hinzu komme, dass die Beschwerdeführerin gegenüber
ihrem achtjährigen Sohn wegen der langen Trennung unter Schuldgefühlen leide.
Sie habe ausgesagt, die verlorene Zeit mit ihrem Sohn wieder gutmachen zu
wollen. Die desolate finanzielle Lage, die bestehenden Kontakte zu Peru sowie
der Wunsch, mit dem Sohn und der in der Haftanstalt geborenen Tochter
zusammenzuleben, seien ernst zunehmende Anhaltspunkte dafür, dass die
Beschwerdeführerin versucht sein könnte, nach der Haftentlassung zusammen mit
ihren Kindern die Flucht ins Ausland zu ergreifen oder unterzutauchen.
Nach Auffassung des Haftrichters könne der Fluchtgefahr nicht durch mildere
Massnahmen, etwa durch eine Pass- und Schriftensperre begegnet werden, da die
Beschwerdeführerin, sofern sie Doppelbürgerin sei, bei der Vertretung ihres
ursprünglichen Heimatstaates ohne Weiteres neue Ausweispapiere beschaffen
könnte. Zudem sei denkbar, dass die Beschwerdeführerin, sofern sie lediglich
die schweizerische Staatsbürgerschaft besitze, untertauchen und sich über die
grüne Grenze ins Ausland absetzen könnte.

2.5 Die Bejahung der Fluchtgefahr durch den Haftrichter ist unter
verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden. Ins Gewicht fällt
in erster Linie, wenn auch nicht ausschliesslich, dass die Beschwerdeführerin
bei einer Verurteilung mit einer empfindlichen Strafe rechnen muss. Die
Staatsanwaltschaft geht von einer mehrjährigen unbedingten Freiheitsstrafe aus.
Die Muttersprache der Beschwerdeführerin ist spanisch, so dass sie sich bei
einer Flucht in ihren ursprünglichen Heimatstaat ohne Weiteres dort zurecht
finden würde. Zwar macht die Beschwerdeführerin geltend, ein Grossteil ihrer
Familie lebe in der Schweiz, was sie von der Flucht abhalten würde. Zudem käme
eine Flucht aus Rücksicht auf ihren Sohn, der bereits die Schule besuche und
ein intensives Verhältnis zu seinem Vater habe, nicht in Betracht. Mit diesem
Argument dringt die Beschwerdeführerin nicht durch. Trifft der im
Strafgerichtsverfahren zu beurteilende Tatverdacht zu, so hat der Umstand, dass
die Beschwerdeführerin einen achtjährigen Sohn hat, diese nicht daran
gehindert, Drogengeschäfte grossen Stils zu betreiben. Im Haftverfahren geltend
zu machen, in Zukunft auf das Wohlbefinden des Kindes Rücksicht nehmen zu
wollen, ist deshalb nicht glaubhaft. Unerheblich ist auch das Argument der
Beschwerdeführerin, sie habe nur mit einer bedingten oder teilbedingten Strafe
zu rechnen, weshalb sie keinen Anlass zur Flucht habe. Das Bundesgericht hat in
einem neueren Urteil bestätigt, dass es für die Beurteilung der
Verhältnismässigkeit der strafprozessualen Haft keine Rolle spielt, wenn für
die in Aussicht stehende Freiheitsstrafe gegebenenfalls der bedingte oder
teilbedingte Vollzug gewährt werden kann (BGE 133 I 270 E. 3.4.2 S. 281 f., mit
Hinweisen). Ob die Frage der Verhältnismässigkeit der strafprozessualen Haft im
Zusammenhang mit der Haftdauer oder, wie hier, mit der Bejahung des Haftgrundes
der Fluchtgefahr zu beurteilen ist, kann nicht erheblich sein (vgl. ebenso das
Bundesgerichtsurteil 1B_193/2008 vom 29. Juli 2008 E. 2.5).

Im vorliegenden Fall ist weder rechtsgenüglich dargetan noch ersichtlich, mit
welchen konkreten, weniger einschneidenden Massnahmen der Fluchtgefahr wirksam
begegnet werden könnte. Insbesondere bringt die Beschwerdeführerin keine Gründe
vor, weshalb die Fluchtgefahr in ihrem Fall mit der Anordnung einer Pass- und
Schriftensperre gebannt werden könnte.
Die Voraussetzungen der strafprozessualen Haft wegen Fluchtgefahr resp. des
vorzeitigen Strafvollzugs sind somit erfüllt. Eine Verletzung der persönlichen
Freiheit liegt nicht vor. Auch ist nicht ersichtlich, inwiefern das
Willkürverbot verletzt sein sollte.

3.
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist demnach
abzuweisen. Die Beschwerdeführerin hat um unentgeltliche Rechtspflege im
bundesgerichtlichen Verfahren ersucht. Diesem Antrag kann entsprochen werden
(Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird bewilligt:

2.1 Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

2.2 Rechtsanwältin Inge Mokry wird zur unentgeltlichen Rechtsbeiständin ernannt
und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit einem
Honorar von Fr. 1'500.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat
und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. Januar 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Féraud Schoder