Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.230/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_230/2008 /fun

Urteil vom 25. August 2008
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Eusebio,
Gerichtsschreiberin Schoder.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Galligani,

gegen

Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Molkenstrasse 15/17, Postfach, 8026
Zürich.

Gegenstand
Fortdauer der Untersuchungshaft,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 7. August 2008 des Bezirksgerichts
Dielsdorf, Haftrichter.

Sachverhalt:

A.
X.________ wird vorgeworfen, zusammen mit Y.________ und Z.________ am 4. Mai
2008 um 03.05 Uhr in einem Nachtclub in Rümlang den späteren Geschädigten
A.________ mit einem Messer bedroht und in den Bauch gestochen zu haben. Der
Geschädigte musste sich in Spitalpflege begeben. X.________ ist geständig, den
Geschädigten mit einem Messer gestochen zu haben, macht aber geltend, er sei
von einer Gruppe von Männern, worunter sich der Geschädigte befunden habe,
tätlich angegangen worden.

In der Folge soll X.________ um 03.40 Uhr in einem Nachtclub in Zürich wiederum
zusammen mit Y.________ und Z.________ den späteren Geschädigten B.________ mit
einem Messer in den Flankenbereich gestochen haben. Der Geschädigte wurde
danach im Universitätsspital Zürich stationär behandelt. X.________ ist
geständig, den Geschädigten mit einem Messer gestochen zu haben, macht aber
geltend, der Geschädigte habe ihn mit einem Stein angegriffen.

X.________ befindet sich seit dem 7. Mai 2008 in Untersuchungshaft. Es wird
gegen ihn wegen versuchter schwerer Körperverletzung ermittelt (vgl. den Antrag
auf Fortsetzung der Untersuchungshaft vom 31. Juli 2008). Mit Verfügung vom 7.
August 2008 bewilligte der Haftrichter des Bezirksgerichts Dielsdorf die
Verlängerung der Untersuchungshaft wegen Kollusionsgefahr.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________ die Aufhebung der
haftrichterlichen Verfügung und die Entlassung aus der Untersuchungshaft.
Ferner ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege im Verfahren vor
Bundesgericht.

C.
Der Haftrichter und der zuständige Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft IV des
Kantons Zürich, Gewaltdelikte, verzichten auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Sachurteilsvoraussetzungen der Beschwerde in Strafsachen (Art. 78 ff. BGG)
sind erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist
somit einzutreten.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer bestreitet die Voraussetzungen zur Fortsetzung der
Untersuchungshaft. Er rügt eine Verletzung der persönlichen Freiheit.

2.2 Gemäss § 58 Abs. 1 und 2 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich vom 4.
Mai 1919 (StPO/ZH) ist die Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft
zulässig, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend
verdächtigt wird und aufgrund bestimmter Anhaltspunkte Flucht-, Kollusions-,
Wiederholungs- oder Ausführungsgefahr ernsthaft zu befürchten ist. Die
Untersuchungshaft ist durch mildere Massnahmen zu ersetzen, sofern sich der
Haftzweck auch auf diese Weise erreichen lässt (§ 58 Abs. 4 i.V.m. § 72 f. StPO
/ZH). Unter gleichen Voraussetzungen ist die Anordnung und Aufrechterhaltung
der Sicherheitshaft zulässig (§ 67 Abs. 2 Satz 1 StPO/ZH). Sind diese
Vorschriften eingehalten, so steht der Untersuchungshaft auch unter dem
Blickwinkel der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 Art. 31 Abs. 1 BV, Art. 5
Ziff. 1 lit. c EMRK) nichts entgegen.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer ist geständig, den Geschädigten mit einem Messer
Stichverletzungen beigebracht zu haben. Er ist aber der Auffassung, dass es
sich nur um leichte Körperverletzungen gehandelt habe. Er bestreitet auch den
subjektiven Tatverdacht der versuchten schweren Körperverletzung.

3.2 Im Gegensatz zum erkennenden Sachrichter hat das Bundesgericht bei der
Überprüfung des dringenden Tatverdachts keine erschöpfende Abwägung sämtlicher
belastender und entlastender Beweisergebnisse vorzunehmen. Auch der subjektive
Tatbestand der (versuchten) schweren Körperverletzung braucht nicht
"nachgewiesen" zu werden (Urteile des Bundesgerichts 1P.617/2001 vom 15.
Oktober 2001, E. 2d; 1P.733/1999 vom 13. Januar 2000, E. 2a/aa). Macht ein
Angeschuldigter geltend, gegen ihn würden ohne ausreichenden Tatverdacht
strafprozessuale Massnahmen ergriffen, ist zu prüfen, ob genügend konkrete
Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beschwerdeführer eine Straftat begangen
hat, die kantonalen Behörden somit das Bestehen eines dringenden Tatverdachts
mit vertretbaren Gründen bejahen durften (BGE 116 Ia 143 E. 3c S. 146).

3.3 Mit seinem Vorbringen, er habe dem Geschädigten lediglich eine leichte
Körperverletzung zugefügt, verkennt der Beschwerdeführer, dass
Untersuchungshaft - unter Vorbehalt des Verbots der Überhaft - bereits
angeordnet werden darf, wenn der Angeschuldigte eines Vergehens (einfache
Körperverletzung) dringend verdächtigt wird. In seinem Fall bezieht sich der
dringende Tatverdacht auf eine versuchte schwere Körperverletzung. Die
Beurteilung, ob die den Geschädigten zugefügten Messerstiche als leichte oder
schwere Körperverletzung zu qualifizieren sind, ist Sache des Strafgerichts.

Ebenso wenig lässt das blosse Bestreiten der vorsätzlichen oder
eventualvorsätzlichen Tatbegehung die Annahme des dringenden Tatverdachts
dahinfallen. Unter den gegebenen Umständen ist die Frage des subjektiven
Tatbestandes nicht im Haftprüfungsverfahren abschliessend zu beurteilen,
sondern (nach einer entsprechenden Anklageerhebung) vom erkennenden
Strafgericht.

Der dringende Tatverdacht ist somit zu bejahen.

4.
4.1 Sodann bestreitet der Beschwerdeführer den besonderen Haftgrund der
Kollusionsgefahr.

4.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Frage der
Verhältnismässigkeit der Freiheitsbeschränkung genügt die theoretische
Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in der Freiheit kolludieren könnte, nicht,
um die Fortsetzung der strafprozessualen Haft zu rechtfertigen. Vielmehr müssen
konkrete Indizien für die Annahme von Verdunkelungsgefahr sprechen (BGE 132 I
21 E. 3.2 S. 23). Dazu gehören namentlich das bisherige Verhalten des
Angeschuldigten im Strafprozess, seine persönlichen Merkmale, seine Stellung
und seine Tatbeiträge im Rahmen des untersuchten Sachverhalts sowie seine
Beziehung zu den ihn belastenden Personen (BGE 132 I 21 E. 3.2.1 S. 23).

4.3 Der Beschwerdeführer ist geständig, den beiden Geschädigten mit einem
Messer Stichwunden beigebracht zu haben. Er macht jedoch geltend, im ersten
Fall von einer Gruppe von Männer angegriffen und im zweiten Fall mit einem
Stein bedroht worden zu sein. Der Tathergang ist somit noch unklar.
Gemäss der angefochtenen Haftverfügung sind die Ermittlungen noch nicht
abgeschlossen, sondern sind weitere Zeugeneinvernahmen ausstehend. Die Gefahr,
dass der Beschwerdeführer bei einer Freilassung versuchen könnte, die zu
befragenden Personen zu beeinflussen, ist nicht von der Hand zu weisen. Ins
Gewicht fällt insbesondere, dass der Beschwerdeführer nicht allein, sondern
zusammen mit zwei weiteren, mit ihm befreundeten Personen handelte. Dies lässt
es als möglich erscheinen, dass der Beschwerdeführer seine freundschaftlichen
Beziehungen ausnützen und sich mit diesen und allenfalls weiteren Personen
absprechen könnte. Der Einwand des Beschwerdeführers, er habe die Freundschaft
zu den beiden Mitbeteiligten mittlerweile abgebrochen, vermag die Gefahr von
Absprachen nicht zu beseitigen. Das Argument, auch unter den Mitbeteiligten,
welche nicht in Untersuchungshaft versetzt worden seien, seien Absprachen
möglich, ist ebenfalls nicht stichhaltig.

Der Haftgrund der Kollusionsgefahr ist somit ebenfalls zu bejahen.

5.
5.1 Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, es bestehe die Gefahr von
Überhaft. Diese sei insbesondere deshalb zu befürchten, weil er angesichts
seiner Vorstrafenlosigkeit mit einer bedingt zu vollziehenden Freiheitsstrafe
rechnen könne.

5.2 Gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts spielt es für die
Beurteilung der Verhältnismässigkeit der Haft keine Rolle, wenn für die in
Aussicht stehende Freiheitsstrafe gegebenenfalls der bedingte oder teilbedingte
Vollzug gewährt werden kann (BGE 133 I 270 E. 3.4.2 S. 281 f.). Der
Beschwerdeführer befindet sich erst seit dem 5. Mai 2008, somit rund 3 ½ Monate
in Haft. Angesichts der Schwere des ihm zur Last gelegten Delikts - schwere
Körperverletzung kann mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren bestraft werden
(Art. 122 StGB) - und der mehrfachen Tatbegehung, welcher Umstand sich
straferhöhend auswirken könnte, ist die Gefahr von Überhaft nicht gegeben.

6.
6.1 Schliesslich rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des
Beschleunigungsgebots (Art. 5 Ziff. 3 EMRK, Art. 31 Abs. 3 Satz 2 BV).

6.2 Im Haftprüfungsverfahren ist die Rüge, das Verfahren werde nicht mit der
verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Beschleunigung geführt, nur
insoweit zu beurteilen, als die Verfahrensverzögerung geeignet ist, die
Rechtmässigkeit der strafprozessualen Haft in Frage zu stellen und zu einer
Haftentlassung zu führen (BGE 128 I 149 E. 2.2 S. 151 f.). Vorliegend bestehen
keine Anhaltspunkte, dass das Verfahren nicht mit der gebotenen Beschleunigung
durchgeführt worden wäre. Der Beschwerdeführer macht denn auch lediglich
geltend, die Auswahl der Termine für die Einvernahmen habe sich als schwierig
erwiesen, weil auf mehrere Parteivertreter habe Rücksicht genommen werden
müssen und die Ferienzeit zu beachten gewesen sei. Eine Verletzung des
Beschleunigungsgebots liegt damit offensichtlich nicht vor.

7.
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist
demzufolge abzuweisen. Der Beschwerdeführer hat um unentgeltliche Rechtspflege
im bundesgerichtlichen Verfahren ersucht. Diesem Antrag kann entsprochen werden
(Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird bewilligt.

2.1 Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Stefan Galligani wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand
ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse
mit einem Honorar von Fr. 1'500.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft IV des Kantons
Zürich und dem Bezirksgericht Dielsdorf, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 25. August 2008
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Féraud Schoder