Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.11/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_11/2008 /fun

Urteil vom 22. Mai 2008
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Reeb, Eusebio,
Gerichtsschreiber Härri.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Hübner,

gegen

Bettina Groth, Staatsanwältin, Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich,
Molkenstrasse 15/17, Postfach, 8026 Zürich,
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, Postfach, 8090
Zürich.

Gegenstand
Strafverfahren; unentgeltliche Rechtspflege,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 21. November 2007 der Direktion der Justiz
und des Innern des Kantons Zürich.

Sachverhalt:

A.
Staatsanwältin Bettina Groth (Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich) führte
eine Strafuntersuchung gegen X.________ wegen einfacher Körperverletzung. Es
wurde ihm zur Last gelegt, am 10. September 2006 seinen 1997 geborenen Sohn
geschlagen zu haben.

Mit Aufsichtsbeschwerde vom 6. Juni 2007 beantragte X.________, die
Strafuntersuchung sei Staatsanwältin Groth wegen Voreingenommenheit und
Befangenheit zu entziehen und einem anderen Untersuchungsbeamten zuzuteilen; es
sei festzustellen, dass die Einvernahme von X.________ vom 6. Juni 2007 nichtig
sei; eventualiter seien gegen Staatsanwältin Groth aufsichtsrechtliche,
allenfalls disziplinarische Massnahmen zu ergreifen.

Mit Entscheid vom 3. August 2007 wies die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons
Zürich diese Begehren ab.

B.
Den von X.________ dagegen erhobenen Rekurs schrieb die Direktion der Justiz
und des Innern des Kantons Zürich (im Folgenden: Direktion der Justiz) mit
Verfügung vom 21. November 2007 zufolge Gegenstandslosigkeit als erledigt ab
(Ziffer I.). Auf das Begehren um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung
trat sie nicht ein (Ziffer II.). Kosten erhob sie keine (Ziffer III.).

Die Direktion der Justiz erwog, mit Verfügung vom 27. September 2007 habe die
Staatsanwältin die Strafuntersuchung eingestellt. Diese Verfügung sei lediglich
mit Bezug auf die Kosten- und Entschädigungsfolgen von der Mitangeschuldigten
des Rekurrenten angefochten worden. Die Strafuntersuchung sei folglich beendet.
Damit werde das Ablehnungsbegehren gegenstandslos. Der Rekurs gegen die
Abweisung des Ablehnungsbegehrens sei zufolge Gegenstandslosigkeit als erledigt
abzuschreiben. Was das Begehren des Rekurrenten um Gewährung der
unentgeltlichen Prozessführung und Prozessvertretung für das Rekursverfahren
betreffe, sei festzuhalten, dass es sich vorliegend um ein strafprozessuales
Verfahren handle. Der zürcherische Strafprozess kenne das Institut der
unentgeltlichen Prozessführung grundsätzlich nicht. Die für den Strafprozess
zuständige Behörde habe über die Bestellung eines unentgeltlichen
Rechtsbeistandes und dessen Entschädigung zu befinden. Auf das Begehren um
Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung sei deshalb nicht einzutreten. Da
die Gegenstandslosigkeit nicht vom Rekurrenten zu vertreten sei, seien keine
Kosten zu erheben.

C.
X.________ führt "Beschwerde in Strafsachen und Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten" mit dem Antrag, Dispositiv Ziffer II.
der Verfügung der Direktion der Justiz sei aufzuheben; dem Beschwerdeführer sei
für die vorinstanzlichen Verfahren in Anwendung von Art. 107 Abs. 2 BGG die
unentgeltliche Prozessführung und die unentgeltliche Prozessvertretung in der
Person von Rechtsanwalt Peter Hübner zu bewilligen; eventualiter sei die Sache
zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz in Anwendung von Art. 107 Abs. 2 BGG
zurückzuweisen.

D.
Die Oberstaatsanwaltschaft und Staatsanwältin Groth haben auf Vernehmlassung
verzichtet.

Die Direktion der Justiz beantragt unter Hinweis auf die angefochtene Verfügung
die Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.
1.1 Gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen
Entscheide in Strafsachen. Der Begriff "Entscheide in Strafsachen" umfasst
sämtliche Entscheidungen, denen materielles Strafrecht oder Strafprozessrecht
zu Grunde liegt. Mit anderen Worten kann grundsätzlich jeder Entscheid, der die
Verfolgung oder die Beurteilung einer Straftat betrifft und sich auf
Bundesrecht oder auf kantonales Recht stützt, mit der Beschwerde in Strafsachen
angefochten werden (Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der
Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4313).

Im kantonalen Verfahren ging es darum, ob Staatsanwältin Groth, welche die
Strafuntersuchung gegen den Beschwerdeführer führte, durch einen anderen
Untersuchungsbeamten zu ersetzen sei. Die Vorinstanz stützt ihren Entscheid,
auf das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung nicht einzutreten, auf das
kantonale Strafprozessrecht. Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich daher
um einen solchen in Strafsachen nach Art. 78 Abs. 1 BGG. Damit ist die
Beschwerde in Strafsachen gegeben.

1.2 Die Vorinstanz hat kantonal letztinstanzlich entschieden. Gegen ihren
Entscheid ist die Beschwerde nach Art. 80 in Verbindung mit Art. 130 Abs. 1 BGG
zulässig.

1.3 Gemäss Art. 81 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde in Strafsachen berechtigt, wer
a) vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur
Teilnahme erhalten hat; und b) ein rechtlich geschütztes Interesse an der
Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat, inbesondere die
beschuldigte Person (Ziff. 1).

Der Beschwerdeführer war Beschuldigter. Er hat am Verfahren vor der Vorinstanz
teilgenommen und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder
Änderung des angefochtenen Entscheids, soweit die Vorinstanz auf sein Gesuch um
unentgeltliche Prozessführung nicht eingetreten ist (vgl. Urteil 1P.411/2002
vom 6. November 2002 E. 1). Seine Beschwerdelegitimation ist somit gegeben.

1.4 Als die Vorinstanz den angefochtenen Entscheid traf, war die
Strafuntersuchung gegen den Beschwerdeführer bereits rechtskräftig eingestellt.
Dies spricht dafür, dass es sich beim angefochtenen Entscheid um einen
Endentscheid nach Art. 90 BGG handelt. Wie es sich damit verhält, kann jedoch
dahingestellt bleiben. Die Beschwerde wäre auch dann zulässig, wenn man
annehmen wollte, es handle sich um einen Zwischenentscheid über den Ausstand
nach Art. 92 BGG; ja selbst dann, wenn man davon ausginge, es handle sich um
einen anderen Zwischenentscheid nach Art. 93 BGG, da durch das Nichteintreten
auf ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung in aller Regel ein nicht wieder
gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG droht (vgl. BGE
126 I 207 E. 2a S. 210; Urteil 1P.411/2002 vom 6. November 2002 E. 1).

1.5 Gemäss Art. 95 lit. a BGG kann der Beschwerdeführer insbesondere die
Verletzung von Bundesrecht rügen (Art. 95 lit. a BGG).

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, entgegen der Auffassung der Vorinstanz
seien für die Beurteilung des bei ihr gestellten Gesuchs um unentgeltliche
Rechtspflege nicht die Bestimmungen der Zürcher Strafprozessordnung anwendbar,
sondern jene des Zürcher Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24. Mai 1959 (VRG;
LS 175.2).

Darauf kann nicht eingetreten werden, weil es insoweit um eine Frage der
Anwendung des kantonalen Prozessrechts geht. Die Verletzung einfachen
kantonalen Gesetzesrechts kann der Beschwerdeführer hier nicht geltend machen
(vgl. Art. 95 lit. c und d BGG). Inwiefern die Vorinstanz das kantonale
Verfahrensrecht willkürlich und damit in Verletzung von Art. 9 BV angewandt
habe, legt der Beschwerdeführer nicht dar. Das Bundesgericht hat sich deshalb
dazu nicht zu äussern (Art. 106 Abs. 2 BGG).

3.
Soweit der Beschwerdeführer eine Rechtsverweigerung nach Art. 94 BGG rügt, ist
die Beschwerde ebenfalls unbehelflich.

Diese Bestimmung hat die Untätigkeit einer Behörde zum Gegenstand (die
Weigerung, einen Entscheid zu fällen), weshalb ein eigentliches
Beschwerdeobjekt gar nicht vorliegt (Botschaft, a.a.O., S. 4334). Im hier zu
beurteilenden Fall ist die Vorinstanz nicht untätig geblieben und hat es nicht
abgelehnt, einen anfechtbaren Entscheid zu fällen. Vielmehr hat sie einen
solchen getroffen.

4.
4.1 Der Beschwerdeführer bringt (S. 10 Ziff. 8) vor, selbst wenn die Zürcher
Strafprozessordnung das Institut der unentgeltlichen Prozessführung nicht
vorsehen sollte, änderte dies am Ergebnis nichts; diesfalls hätte er einen
Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestützt auf Art.
29 Abs. 3 BV. Die Vorinstanz hätte deshalb auf sein Gesuch eintreten müssen.

4.2 Der Beschwerdeführer macht insoweit eine Verletzung von Bundesrecht
geltend. Das Vorbringen ist nach Art. 95 lit. a BGG zulässig.

4.3 Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege ergibt sich als
Mindestgarantie aus Art. 29 Abs. 3 BV. Danach hat jede Person, die nicht über
die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege,
wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung
ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen
Rechtsbeistand. Mit dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf unentgeltliche
Rechtspflege soll verhindert werden, dass dem bedürftigen Rechtsuchenden der
Zugang zu Gerichts- und Verwaltungsinstanzen in nicht zum vornherein
aussichtslosen Verfahren wegen seiner wirtschaftlichen Verhältnisse verwehrt
oder erschwert wird. Dieses Recht gewährleistet der bedürftigen Person, dass
die entsprechende Gerichts- oder Verwaltungsinstanz ohne vorherige Hinterlegung
oder Sicherstellung von Kosten tätig wird. Indessen garantiert der Anspruch auf
unentgeltliche Rechtspflege keine definitive Übernahme der Kosten durch den
Staat. Gelangt die bedürftige Person im Laufe des Verfahrens oder aufgrund des
Prozessausgangs in den Besitz ausreichender Mittel, kann ihr die unentgeltliche
Rechtspflege verweigert oder wieder entzogen werden. Aufgrund der Rechtswohltat
ausbezahlte Beträge können ferner selbst nach Erledigung des Prozesses
zurückverlangt werden, wenn sich die wirtschaftliche Situation des Begünstigten
ausreichend verbessert hat (BGE 122 I 322 E. 2c S. 324; Urteil 1P.411/2002 vom
6. November 2002 E. 3.2, mit Hinweisen). Eine Partei, die über einen geeigneten
rechtskundigen Vertreter verfügt, der zu ihrer Vertretung im Prozess nicht nur
in der Lage, sondern ohne Vorschiessung der Kosten auch bereit oder
verpflichtet ist, kann nicht unter Berufung auf Art. 29 Abs. 3 BV die Ernennung
eines Armenanwalts verlangen. Unter dem Gesichtspunkt des aus Art. 29 Abs. 3 BV
fliessenden Anspruchs auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand ist nicht
wesentlich, wer letztlich die Kosten der Prozessvertretung trägt und nach
welchen Regeln sich der Entschädigungsanspruch des Vertreters richtet.
Massgebend ist allein, dass die erforderliche Vertretung im Prozess gesichert
ist (BGE 100 Ia 87 E. 4 S. 90).

4.4 Der Beschwerdeführer macht nicht geltend und es ist aus den Akten nicht
ersichtlich, dass die Vorinstanz für das Rekursverfahren einen Kostenvorschuss
verlangt hätte. Im angefochtenen Entscheid hat sie keine Kosten erhoben.
Insoweit kann Art. 29 Abs. 3 BV im Lichte der angeführten Rechtsprechung von
vornherein nicht verletzt sein. Der Beschwerdeführer macht dies in einer den
Anforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG genügenden Weise auch nicht geltend.

Es stellt sich einzig die Frage, ob die Vorinstanz unter dem Gesichtswinkel von
Art. 29 Abs. 3 BV auf das Gesuch um Beiordnung von Rechtsanwalt Hübner als
unentgeltlichen Rechtsbeistand hätte eintreten müssen.

Wie der Beschwerdeführer (S. 4 Ziff. 3) selber darlegt, hat ihm der
Stellvertretende Präsident des Bezirksgerichts Zürich mit Verfügung vom 21.
März 2007 (act. 14/2) Rechtsanwalt Hübner als amtlichen Verteidiger im Sinne
von § 11 Abs. 2 Ziff. 5 StPO/ZH beigegeben. Gemäss § 12 Abs. 2 StPO/ZH wird der
amtliche Verteidiger aus der Staatskasse nach dem Anwaltstarif entschädigt.
Über die endgültige Kostenauflage wird bei Abschluss des Verfahrens
entschieden.

Der Beschwerdeführer hatte demnach im Zeitpunkt der Rekurserhebung bereits
einen unentgeltlichen Rechtsbeistand. Die Vertretung des Beschwerdeführers im
Rekursverfahren war damit gesichert. Zwar gewährleistet § 12 Abs. 2 StPO/ZH dem
Beschuldigten keine endgültige Übernahme der Anwaltskosten. Dieses Recht
verleiht ihm nach der dargelegten Rechtsprechung aber auch Art. 29 Abs. 3 BV
nicht.

Bei dieser Sachlage verletzt es Art. 29 Abs. 3 BV ebenso wenig, wenn die
Vorinstanz auf das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung nicht eingetreten
ist, soweit es um die Beiordnung von Rechtsanwalt Hübner als unentgeltlichen
Rechtsbeistand ging.

5.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.

Da sie aussichtslos war, kann das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren nach Art. 64 BGG nicht
bewilligt werden.

Von der Mittellosigkeit des Beschwerdeführers ist aufgrund der Akten (act. 17/
3) allerdings auszugehen. Mit Blick darauf wird auf die Erhebung von Kosten
verzichtet (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwältin Bettina Groth, der
Oberstaatsanwaltschaft sowie der Direktion der Justiz und des Innern des
Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 22. Mai 2008
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Härri