Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 6/2007
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U 6/07

Urteil vom 11. Oktober 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Frésard,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.

Winterthur Versicherungen, Generaldirektion,
General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur, Beschwerdeführerin,

gegen

Helsana Versicherungen AG, Versicherungsrecht, 8081 Zürich Helsana,
Beschwerdegegnerin,

betreffend S.________, 1952.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons Solothurn vom 4. Dezember 2006.

Sachverhalt:

A.
S. ________ (geboren 1952) ist seit Sommer 1990 bei der Stadt X.________ als
Lehrerin angestellt und in dieser Eigenschaft bei den Winterthur
Versicherungen (nachfolgend: Winterthur) gegen die Folgen von Unfällen
versichert. Am 16. April 2005 erlitt sie eine Humerusschaftfraktur rechts.
Die Winterthur lehnte mit Verfügung vom 3. Februar 2006 jegliche Leistungen
ab. Die Helsana Versicherungen AG, der Krankenversicherer von S.________,
erhob Einsprache, die die Winterthur mit Einspracheentscheid vom 12. April
2006 abwies.

B.
Die von der Helsana hiegegen erhobene Beschwerde hiess das
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 4. Dezember 2006
gut, hob die Verfügung vom 3. Februar 2006 und den Einspracheentscheid vom
12. April 2006 auf und verpflichtete die Winterthur, die gesetzlichen
Leistungen aus dem Ereignis vom 16. April 2005 zu erbringen.

C.
Die Winterthur führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Eidgenössischen
Versicherungsgericht (seit 1. Januar 2007: Bundesgericht) und beantragt die
Aufhebung der Dispositivziffer 1 des Entscheids vom 4. Dezember 2006. Die
Helsana schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach dem Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16.
Dezember 1943 (OG; Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Leistungspflicht
der Unfallversicherung bei unfallähnlichen Körperschädigungen (Art. 6 Abs. 2
UVG; Art. 9 Abs. 2 UVV; BGE 129 V 466 mit Hinweisen) zutreffend dargelegt.
Darauf wird verwiesen.

3.
Zu prüfen ist, ob die Winterthur Leistungen in Zusammenhang mit der am 16.
April 2005 zugezogenen Humerusschaftfraktur rechts zu erbringen hat. Dabei
ist nicht mehr streitig, dass es sich beim Ereignis vom 16. April 2005 nicht
um einen Unfall im Sinne von Art. 4 ATSG handelt.

4.
Das Spital X.________ berichtete am 16. April 2005 über den Verlauf des
Ereignisses, die Versicherte habe etwas Schweres getragen (6 bis 7 kg), das
ihr aus der Hand gefallen sei. Dabei habe sie einen Schmerz im distalen
Oberarm verspürt.
In der Unfallmeldung vom 18. April 2005 gab die Versicherte an, sie habe sich
die Verletzung beim Dislozieren eines Laminiergerätes von einem Tisch zum
andern zugezogen.
Die Universitätsklinik für Orthopädische Chirurgie, Spital Y.________, hielt
am 26. April 2005 den Verdacht auf eine pathologische Humerusschaftfraktur
rechts bei Mammakarzinom beidseits und Status nach mehrmaligen chirurgischen
Eingriffen und Rezidiven fest.
Das Spital X.________ diagnostizierte im Bericht vom 27. April 2005 eine
Oberarmschaftfraktur rechts bei Verdacht auf eine pathologische Fraktur und
Status nach Mammakarzinom links.
Auf Nachfrage der Winterthur hin präzisierte die Versicherte am 4. Mai 2005
den Hergang dahingehend, dass sie ihr Laminiergerät (ca. 8 kg) von einem
Tisch auf einen anderen tragen wollte; dabei sei ihr das Gerät entglitten und
sie habe versucht, mit der rechten Hand nachzufassen, wobei sie sich den Arm
verdrehte und ihn brach.
Der Hausarzt der Versicherten, Dr. med. K.________, Facharzt für Allgemeine
Medizin, hielt am 4. Januar 2006 eine pathologische instabile Spiralfraktur
des Humerus bei metastasierendem Mammakarzinom nach leichtem Belastungstrauma
fest.
Dr. med. P.________, beratender Arzt der Winterthur, verneinte am 1. Februar
2006 eine unfallähnliche Körperschädigung. Es handle sich um eine rein
krankhafte, sogenannt pathologische Fraktur bei einer Metastase des
Mammakarzinoms.
Dr. med. H.________, ebenfalls beratender Arzt der Winterthur, hielt am
30. März 2006 fest, das Ereignis vom 16. April 2005 sei nicht geeignet, eine
Oberarmfraktur zu verursachen. Der Operationsbericht des Prof. Dr. med.
E.________, Spital Z.________, gebe exaten Aufschluss über die Art der
Fraktur; es handle sich um eine pathologische Fraktur, die nicht von der
obligatorischen Unfallversicherung zu übernehmen sei.

5.
5.1 Die Schilderungen der Versicherten sind widerspruchsfrei und in sich
schlüssig. Sie stimmen denn auch mit den Aussagen in den ärztlichen Berichten
- soweit sich diese überhaupt zum Ereignis vom 16. April 2005 äussern -
überein. Auf sie kann somit im Folgenden abgestellt werden. Danach hat die
Versicherte das ca. 8 kg schwere Laminiergerät am 16. April 2005 angehoben,
um es von einem Tisch zum andern zu tragen. Als es ihr drohte aus der Hand zu
rutschen, hat sie mit der rechten Hand versucht nachzufassen, wobei es ihr
den Arm verdrehte und dieser dabei brach.

5.2 Entgegen der Ansicht der Winterthur ist für die strittige Frage der
Leistungspflicht für eine unfallähnliche Körperschädigung im Sinne von Art. 9
Abs. 2 UVV nicht massgebend, dass die behandelnden Ärzte eine "eindeutig"
pathologische Fraktur diagnostizierten. Denn ein degenerativer oder
pathologischer Vorzustand schliesst eine unfallähnliche Körperschädigung
nicht aus, sofern ein unfallähnliches Ereignis den vorbestehenden
Gesundheitsschaden verschlimmert oder manifest werden lässt; es genügt somit,
wenn eine schädigende, äussere Einwirkung wenigstens im Sinne eines
Auslösungsfaktors zu den vor- oder überwiegend krankhaften oder degenerativen
Ursachen hinzutritt. Besondere Bedeutung für die Feststellung der
Leistungspflicht des Unfallversicherers kommt somit dem Erfordernis eines
äusseren Ereignisses zu, d.h. eines ausserhalb des Körpers liegenden,
objektiv feststellbaren, sinnfälligen, eben unfallähnlichen Vorfalles zu. Wo
ein solches äusseres Ereignis mit Einwirkung auf den Körper nicht
stattgefunden hat, und sei es nur als Auslöser eines in Art. 9 Abs. 2 lit.
a-h UVV aufgezählten Gesundheitsschadens, liegt eine eindeutig krankheits-
oder degenerativ bedingte Gesundheitsschädigung vor. Denn ohne dass sich ein
Unfallereignis im Sinne von Art. 9 Abs. 1 UVV (in der bis 31. Dezember 2002
geltenden Fassung) bzw. von Art. 4 ATSG ereignet hat, sind bei Eintritt eines
der in Art. 9 Abs. 2 lit. a-h UVV aufgezählten Gesundheitsschäden praktisch
immer krankheits- und/oder degenerative (Teil-)Ursachen im Spiel (BGE 129 V
466 E. 2; RKUV 2001 Nr. U 435 S. 332 E. 2c [U 398/00], je mit Hinweisen).

5.3 Aufgrund des unbestrittenen Hergangs hat die Vorinstanz angesichts des
Gewichts des Laminiergerätes, dem reflexartigen Nachfassen mit der rechten
Hand sowie des Verdrehens des Armes eine gesteigerte Gefahrenlage bzw. das
Hinzutreten eines zur Unkontrollierbarkeit der in Frage stehenden Bewegung
führenden Momentes und somit ein ausserhalb des Körper liegendes, objektiv
feststellbares, sinnfälliges, unfallähnliches Ereignis im Sinne der
Rechtsprechung zu Art. 9 Abs. 2 UVV zu Recht bejaht (BGE 129 V 466 E. 4.3 S.
471). Da es für die Leistungspflicht des Unfallversicherers ausreicht, wenn
das unfallähnliche, sinnfällige Ereignis Teilursache im Sinne eines
Auslösungsfaktors ist, spielt es keine Rolle, dass die Humerusschaftfraktur
eine überwiegend pathologische Genese hat (E. 5.2 in fine). Daran ändert auch
die Aussage des Dr. med. H.________ nichts, wonach das Ereignis vom 16. April
2005 nicht geeignet sei, eine Oberarmfraktur zu verursachen; denn in seinem
Bericht vom 30. März 2006 gibt er keinerlei Gründe für seine Einschätzung an,
sodass dieser Bericht den Anforderungen der Rechtsprechung nicht genügt (BGE
125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis). Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz die
Winterthur zu Recht verpflichtet, die gesetzlichen Leistungen für die Folgen
des Ereignisses vom 16. April 2005 zu erbringen.

6.
6.1 Streitigkeiten zwischen Versicherungsträgern über Leistungen aus
Unfallfolgen für eine gemeinsam versicherte Person sind kostenpflichtig (BGE
126 V 183 E. 6 S. 192 mit Hinweisen). Die unterliegende Winterthur hat
demnach die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art.
135 OG).

6.2 Nach Art. 159 Abs. 2 OG darf im Verfahren der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde obsiegenden Behörden oder mit
öffentlichrechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen in der Regel keine
Parteientschädigung zugesprochen werden. In Anwendung dieser Bestimmung hat
das Eidgenössische Versicherungsgericht der SUVA und den privaten
UVG-Versicherern sowie - von Sonderfällen abgesehen - den Krankenkassen keine
Parteientschädigungen zugesprochen, weil sie als Organisationen mit
öffentlichrechtlichen Aufgaben zu qualifizieren sind (BGE 112 V 356 E. 6 S.
361mit Hinweisen). Das hat grundsätzlich auch für die Trägerinnen oder
Versicherer der beruflichen Vorsorge gemäss BVG zu gelten (BGE 128 V 124
E. 5b S. 133, 126 V 143 E. 4a S. 150, je mit Hinweisen).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3000.- werden den Winterthur Versicherungen
auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Versicherten, dem Versicherungsgericht
des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 11. Oktober 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
i.V.

Lustenberger Riedi Hunold