Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 63/2007
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U 63/07

Urteil vom 7. Februar 2008

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterinnen Widmer, Leuzinger,
Gerichtsschreiberin Heine.

B. ________, 1946, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Rolf M.
Dünki, Altweg 16, 8500 Frauenfeld,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1,
6004 Luzern, Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Thurgau vom 13. Dezember 2006.

Sachverhalt:

A.
Der 1946 geborene B.________ arbeitete seit 1. Dezember 1991 bei der Firma
M.________ als Sachbearbeiter in der Dokumentations-Abteilung und war bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die
Folgen von Unfällen versichert. Beim Skifahren stürzte er am 28. Januar 2000
und schlug mit der rechten Gesichtshälfte auf die Piste auf und zog sich eine
Kopfprellung zu. Die SUVA erbrachte die gesetzlichen Leistungen
(Heilbehandlung, Taggelder). Nach einem Gutachten der Klinik S.________ vom
22. Dezember 2004 stellte die SUVA mit Verfügung vom 9. März 2005 die
laufenden Versicherungsleistungen ab dem 1. April 2005 ein. Daran hielt sie
mit Einspracheentscheid vom 14. Dezember 2005 fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Thurgau als Versicherungsgericht ab (Entscheid vom 13. Dezember 2006).

C.
B.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und das Rechtsbegehren
stellen, die SUVA sei, in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheids, zu
verpflichten, über den 1. April 2005 hinaus die gesetzlichen Leistungen zu
erbringen; eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Die SUVA beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das
Bundesamt für Gesundheit auf Vernehmlassung verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni
2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Dieses Gesetz
ist auf die nach seinem Inkrafttreten eingeleiteten Verfahren des
Bundesgerichts anwendbar, auf ein Beschwerdeverfahren jedoch nur dann, wenn
auch der angefochtene Entscheid nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes
ergangen ist (Art. 132 Abs. 1 BGG). Da der kantonale Entscheid am 13.
Dezember 2006 und somit vor dem 1. Januar 2007 erlassen wurde, richtet sich
das Verfahren nach dem bis 31. Dezember 2006 in Kraft gestandenen
Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) vom 16.
Dezember 1943 (vgl. BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
2.1 Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über den Anspruch auf Heilbehandlung
(Art. 10 Abs. 1 UVG) und Taggelder (Art. 16 Abs. 1 und 2 UVG) sowie die
Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers
vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem
eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod) zutreffend dargelegt (BGE
119 V 335 E. 1 S. 337). Entsprechendes gilt für die von der Judikatur
entwickelten Grundsätze zum Erfordernis des adäquaten Kausalzusammenhanges im
Allgemeinen (BGE 125 V 456 E. 5a S. 461) sowie bei psychischen Unfallfolgen
im Besonderen (BGE 115 V 133), zur Bemessung der Integritätsentschädigung
(BGE 116 V 156 E. 3a S. 157) und zum Beweiswert medizinischer Berichte und
Gutachten (BGE 122 V 157 E. 1c S. 160). Darauf wird verwiesen.

2.2 Die Adäquanzbeurteilung nach HWS-Distorsionen (ohne organisch
nachweisbare Unfallfolgeschäden) hat grundsätzlich nach der in BGE 117 V 359
E. 6a S. 366 und 117 V 369 E. 4b S. 382 dargelegten Rechtsprechung mit ihrer
fehlenden Differenzierung zwischen körperlichen und psychischen Beschwerden
zu erfolgen (zum Ganzen BGE 123 V 98 E. 2a S. 99, 119 V 335, BGE 117 V 359 E.
6a S. 366 und 117 V 369 E. 4b S. 382). Von diesem Grundsatz ist abzuweichen,
wenn die zum typischen Beschwerdebild eines HWS-Schleudertraumas gehörenden
Beeinträchtigungen zwar teilweise gegeben sind, im Vergleich zur ausgeprägten
psychischen Problematik aber unmittelbar nach dem Unfall ganz in den
Hintergrund treten oder die physischen Beschwerden im Verlaufe der ganzen
Entwicklung vom Unfall bis zum Beurteilungszeitpunkt gesamthaft nur eine sehr
untergeordnete Rolle gespielt haben: diesfalls ist die Prüfung der adäquaten
Kausalität praxisgemäss unter dem Gesichtspunkt einer psychischen
Fehlentwicklung nach Unfall gemäss BGE 115 V 133 ff. vorzunehmen (BGE 123
V 98 E. 2a S. 99).

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer über den 1. April 2005
hinaus einen Anspruch auf gesetzliche Leistungen der obligatorischen
Unfallversicherung hat.

3.1 Gestützt auf die Akten und die Parteivorbringen besteht kein Anlass, den
vom kantonalen Gericht bejahten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem
Unfall vom 28. Januar 2000 und über den 1. April 2005 fortdauernden, die
Leistungsfähigkeit einschränkenden Beschwerden des Versicherten
letztinstanzlich erneut der richterlichen Überprüfung zu unterziehen (BGE 110
V 48 V 4a und b S. 52 f.). Ebenfalls unbestritten ist, dass beim
Beschwerdeführer nicht von einer psychischen Problematik auszugehen ist,
weshalb die Vorinstanz zu Recht die Adäquanzbeurteilung nach den in BGE 117 V
359 dargelegten Grundsätzen vorgenommen hat. Zu beurteilen bleibt die -
einzig - umstrittene Prüfung der Adäquanz nach BGE 117 V 359.

3.2 Auf Grund des Geschehensablaufs - soweit rekonstruierbar schlug der
Beschwerdeführer nach einem Sturz beim Skifahren mit der rechten
Gesichtshälfte auf die gefrorene Piste auf und blieb danach einige Zeit
bewusstlos liegen - und der dabei erlittenen Verletzungen
(Prellungen/Quetschungen sowie Schürfungen zwischen Ohr und Stirn) ist der
Unfall unbestritten im Rahmen der nach objektiven Gesichtspunkten (BGE 124 V
29 E. 5c/aa S. 44, 115 V 133 E. 6 S. 139; Urteil des EVG U 5/06 vom 23. Mai
2006, E. 4.1) vorzunehmenden Kategorisierung dem mittleren Bereich
zuzuordnen.

Die Adäquanz wäre demnach zu bejahen, wenn ein einzelnes der in die
Beurteilung einzubeziehenden Kriterien in besonders ausgeprägter Weise
erfüllt wäre oder mehrere der zu berücksichtigenden Kriterien gegebenen wären
(BGE 115 V 138 E. 6c/bb S. 140 f.). Bei der Prüfung der einzelnen Kriterien
ist, wie hievor bereits aufgezeigt (vgl. E. 2.2), auf eine Unterscheidung
zwischen körperlichen und psychischen Beschwerdemerkmalen zu verzichten.

3.3 Der Unfall vom 28. Januar 2000 hat sich entgegen den Ausführungen in der
Beschwerde weder unter besonders dramatischen Begleitumständen ereignet, noch
war er - objektiv betrachtet - von besonderer Eindrücklichkeit. Ebenfalls zu
verneinen ist klarerweise das Kriterium einer die Unfallfolgen erheblich
verschlimmernden ärztlichen Fehlbehandlung. Mit Bezug auf Schwere und Art der
zugezogenen Verletzung ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer einen
starken Schlag sowohl im Stirn- und Gesichtsbereich erlitten hat. Auf Grund
der Häufung der nach dem Unfall aufgetretenen Kopfschmerzen mit leichten
migräneformen Tendenzen und ihrer schwerwiegenden Auswirkungen auf Befinden
und Leistungsfähigkeit ist im vorliegenden Fall das besagte Kriterium als
erfüllt zu betrachten. Zu bejahen ist sodann auch das Vorhandensein von
Dauerbeschwerden. Gemäss Gutachten vom 22. Dezember 2004 beklagt der
Versicherte glaubwürdig Nacken- und Kopfschmerzen, letztere migräneartig, die
seine Lebensqualität erheblich einschränken und auf Grund welcher er wegen
häufigen krankheitsbedingten Abwesenheiten seinen Arbeitsplatz verloren habe.
Was das Kriterium der ungewöhnlich langen Dauer der ärztlichen Behandlung
anbelangt, kann den Akten entnommen werden, dass sich der Beschwerdeführer
seit dem Unfall in ständiger ärztlicher Behandlung befindet. Neben
verschiedenen medikamentösen Behandlungen verbrachte er stationäre
Aufenthalte in der Klinik T.________ (6. November bis 2. Dezember 2000) und
in der Klinik Z.________ (6. bis 31. Januar 2003). Weder dienten diese
Vorkehren nur Abklärungszwecken, noch erschöpften sie sich in blossen
ärztlichen (Verlaufs-)Kontrollen (Urteil vom 6. Februar 2007, E. 8.3.3 [U
479/05]). Ebenso wenig handelte es sich dabei um rein alternativ- bzw.
komplementärmedizinische Therapieformen, welche das in Frage stehende
Kriterium allein für sich ebenfalls nicht zu erfüllen vermöchten (Urteil vom
6. Februar 2007 E. 8.3.3 [U 479/05]). Mit dem kantonalen Gericht ist von
einer in ihrer Gesamtheit kontinuierlichen, mit einer gewissen Planmässigkeit
auf die Verbesserung des Gesundheitszustandes gerichteten ärztlichen
Behandlung von ungewöhnlich langer Dauer auszugehen (Urteil vom 16. August
2006 E. 4.3.3 [U 258/05]). Nach Lage der ärztlichen Unterlagen ist der
Beschwerdeführer seit seinem Unfall, abgesehen von kurzen Unterbrüchen, zu
100 % arbeitsunfähig. Entgegen den vorinstanzlichen Erwägungen ist demnach
das Kriterium des Grades und der Dauer der Arbeitsunfähigkeit ebenfalls zu
bejahen.

3.4 Sind somit bereits vier der relevanten Adäquanzkriterien als erfüllt
anzusehen, braucht die Frage, ob das Geschehen auch durch einen schwierigen
Heilungsverlauf und erhebliche Komplikationen geprägt war, nicht
abschliessend geprüft zu werden. Dem Unfall vom 28. Januar 2000 kommt mithin
eine massgebende Bedeutung für die in der Folge eingetretene erhebliche
Einschränkung in der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit zu, weshalb der adäquate
Kausalzusammenhang bejaht werden muss. Die Beschwerdegegnerin hat die
gesetzlichen Leistungen deshalb über den 1. April 2005 hinaus zu erbringen.
Über die dem Versicherten ab diesem Zeitpunkt im Einzelnen zustehenden
Versicherungsleistungen wird der Unfallversicherer, an welchen die Sache
zurückzuweisen ist, zu befinden haben.

4.
Im vorliegenden Verfahren geht es um die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen, weshalb von der Auferlegung von Gerichtskosten
abzusehen ist (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend steht dem
anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer eine dem Aufwand entsprechende
Parteientschädigung zu (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 OG).

erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 13. Dezember 2006 und der
Einspracheentscheid der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) vom
14. Dezember 2005 werden aufgehoben. Es wird die Sache an die SUVA
zurückgewiesen, damit sie über den Leistungsanspruch des Beschwerdeführers
neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem
Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau wird über eine Parteientschädigung
für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen
Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau
und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 7. Februar 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Heine